Aktenzeichen 9 ZB 20.31226
VwGO § 138 Nr. 3
Leitsatz
Die Darlegung einer Grundsatzrüge zu einer Tatsachenfrage erfordert, dass sich das Zulassungsvorbringen mit den vom Verwaltungsgericht verwerteten Erkenntnismitteln auseinandersetzt und anhand überprüfbarer Hinweise auf nicht berücksichtigte Tatsachen- und Erkenntnisquellen darlegt, warum sie im Berufungsverfahren zu einer vom angefochtenen Urteil abweichenden Entscheidung führen könnten. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 30 K 17.43728 2020-02-14 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Kläger ist nach seinen eigenen Angaben Staatsangehöriger S. L. und begehrt die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Mit Urteil vom 14. Februar 2020 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Es liegt weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), noch ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen eine Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) oder ein Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG).
1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 18.30670 – juris Rn. 3 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
a) Der Kläger sieht eine grundsätzliche Bedeutung in der Frage, „muss angesichts der Tatsache, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums lebt, zudem, dass der Kläger keine Familie in S. L. hat, davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger zumindest sein Existenzminimum sichern kann oder muss davon ausgegangen werden, dass angesichts der Gesamtumstände und auch den speziellen Umstände beim Kläger (Sprache) bei einer Rückkehr davon ausgegangen werden muss, dass er unter dem Existenzminimum (und somit unter den inländischen Maßstäben unter Verstoß eines selbstbestimmten würdevollen Lebens) bleiben muss“. Dem Zulassungsvorbringen lassen sich insoweit aber keine Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit entnehmen. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass sich die Rückkehr des Klägers durchaus schwierig gestalten kann. Es hat unter Würdigung aktueller Erkenntnismittel und einer hohen Analphabetismusquote bei erwachsenen Männern in S. L. sowie der individuell erworbenen Kenntnisse des Klägers in Europa darauf abgestellt, dass keine Nachteile für den Kläger ersichtlich seien.
Die vom Kläger aufgeworfene Frage ist bereits nicht verallgemeinernd, sondern nur nach jeweiliger Würdigung der Verhältnisse im Einzelfall zu beurteilen (vgl. BayVGH, B.v. 8.10.2019 – 9 ZB 19.33218 – juris Rn. 4). Abgesehen davon setzt sich das Zulassungsvorbringen insoweit nicht mit den vom Verwaltungsgericht eingeführten und zitierten Erkenntnismitteln auseinander und legt auch nicht anhand überprüfbarer Hinweise auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte Tatsachen- und Erkenntnisquellen (z.B. Gutachten, Auskünfte, Presseberichte, andere Gerichtsentscheidungen) dar, inwieweit die aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ist und warum sie im Berufungsverfahren zu einer vom angefochtenen Urteil abweichenden Entscheidung führen könnte (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2020 – 9 ZB 20.30142 – juris Rn. 3). Die Schilderung der schwierigen allgemeinen und wirtschaftlichen Lage in S. L., wie sich auch das Verwaltungsgericht zugrunde gelegt hat, genügt hierfür nicht.
b) Die im Zulassungsantrag weiter aufgeworfene Frage, ob der Kläger bei Bekanntwerden der Asylantragstellung mit politischer Verfolgung rechnen muss, genügt den Darlegungsanforderungen nicht. Dem Zulassungsvorbringen lassen sich insoweit keine Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit entnehmen (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 5).
2. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund einer Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) wird schon nicht ausreichend dargelegt. Dem Zulassungsvorbringen lässt sich kein Rechtssatz oder verallgemeinerungsfähiger Tatsachensatz entnehmen, den das Verwaltungsgericht abweichend von einem der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten übergeordneten Gerichte aufgestellt haben soll (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 6).
3. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist allerdings nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 8).
Für eine Nichtberücksichtigung des klägerischen Vorbringens, er könne den ortsüblichen Dialekt nicht bzw. könne nicht gut sprechen, ist nichts ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat in den Urteilsgründen auf den entsprechenden Vortrag Bezug genommen und ist unter Würdigung der Erkenntnislage, der hohen Analphabetismusquote unter erwachsenen Männern in S. L., der individuell erworbenen Kenntnisse des Klägers in Europa und seiner bisherigen Tätigkeiten davon ausgegangen, dass nicht erkennbar sei, dass der Kläger bei einfachen Tätigkeiten, Gelegenheitsarbeiten u.ä. bei der Sicherung seines Existenzminimums in S. L. benachteiligt wäre. Insgesamt wendet sich das Zulassungsvorbringen vielmehr im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht, womit jedoch kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen wird (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2019 – 9 ZB 19.34121 – juris Rn. 10).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).