Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag eines Marokkaners gegen Abschiebungsandrohung

Aktenzeichen  M 24 S 19.914

Datum:
3.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7628
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2, Abs. 5
BayVwVfG Art. 28 Abs. 1, Art. 35 S. 1, Art. 46
AufenthG § 4 Abs. 1, § 38a, § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1, Abs. 2, § 59 Abs. 1, Abs. 3, § 60 Abs. 7, § 81 Abs. 4
RL 2011/51/EU Art 8, Art. 12
RL 2008/115/EG Art. 6 Abs. 2 S. 1
SDÜ Art. 21

 

Leitsatz

1. In der Regel ist in einem behördlichen Ausspruch der Ausreisepflicht lediglich ein Hinweis auf die gesetzliche Ausreisepflicht ohne jeden Regelungscharakter zu sehen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist eine aufgrund einer Daueraufenthaltserlaubnis-EU visumsfreie Einreise zum Zwecke eines Aufenthalts von bis zu 90 Tagen im Zeitraum von 180 Tagen erlaubt, bedarf nach Fristablauf ein längerfristiger Verbleib in der BRD einer Aufenthaltserlaubnis. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin, mit dem er zur Ausreise aufgefordert und ihm die Abschiebung angedroht wird.
Der Antragsteller ist marokkanischer Staatsangehöriger und seit dem 9. Februar 2011 im Besitz einer von der Italienischen Republik ausgestellten Daueraufenthaltserlaubnis – EU („soggiornante di lungo periodo – CE“). Er reiste erstmalig am 19. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 12. Januar 2016 bei der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Diese Aufenthaltserlaubnis wurde am selben Tag erteilt und zuletzt bis zum 13. Februar 2019 verlängert.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2018 teilte das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz der Antragsgegnerin mit, dass der Antragsteller auf seinem Facebook-Profil unter dem Profilnamen „… … … …“ – für jedermann einsehbar – auffallende rassistische und dschihadistische Postings veröffentlicht habe. Es sei eine Befürwortung der Teilnahme am militanten Dschihad sowie eine ideologische Nähe zu Al-Qaida zu erkennen.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2018 wurde der Antragsteller für den 12. Februar 2019 zur Vorsprache bei der Ausländerbehörde zum Zwecke der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gebeten. Den Termin nahm der Antragsteller nicht war.
Mit Schreiben vom 14. Februar 2019 teilte das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz der Antragsgegnerin mit, dem Bundesamt für Verfassungsschutz lägen Informationen eines anonymen Hinweisgebers vor, wonach der Antragsteller während seiner Tätigkeit als „…“- … dschihadistische Lieder abgespielt habe.
Anlässlich einer Vorsprache am 22. Februar 2019 wurde der Antragsteller darauf hingewiesen, dass er sich seit dem 14. Februar 2019 ohne erforderlichen Aufenthaltstitel in Deutschland aufhalte und vollziehbar zur Ausreise verpflichtet sei. Dem Antragsteller wurde Gelegenheit gegeben, sich zur beabsichtigten Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung zu äußern. Er äußerte sich dahingehend, dass er in Deutschland bleiben müsse, weil er hier arbeite. Er freue sich, in Deutschland zu leben.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 22. Februar 2019, zugestellt am gleichen Tag, verpflichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller, das Bundesgebiet zu verlassen (Ziffer 1), forderte ihn auf, innerhalb von 14 Tagen ab Bekanntgabe des Bescheides aus dem Bundesgebiet auszureisen und drohte für den Fall der nicht fristgemäßen Ausreise die Abschiebung vorrangig nach Italien, sollte dies nicht möglich sein, nach Marokko oder in einen anderen Staat, in den der Antragsteller einreisen dürfe, oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, an (Ziffer 2).
Der Bescheid wurde im Wesentlichen folgendermaßen begründet: Da der Antragsteller einen italienischen Daueraufenthaltstitel besitze, dürfe er sich gemäß Art. 21 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) bis zu 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen frei im Bundesgebiet bewegen, sofern er unter anderem die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. e des Schengener Grenzkodex (SGK) genannte Einreisevoraussetzungen erfülle. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. e SGK dürfe ein Drittstaatsangehöriger, der sich für bis zu 90 Tage im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates aufhalten möchte, unter anderem keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit des Mitgliedsstaates darstellen. Diese Voraussetzung erfülle der Antragsteller nicht, da er mit seinen Postings auf seinem Facebook-Profil für jedermann offen einsehbar die Teilnahme am militanten Dschihad befürworte und eine ideologische Nähe zu Al-Qaida erkennen lasse. Der Antragsteller benötige daher einen gültigen Aufenthaltstitel gemäß § 4 Abs. 1 AufenthG. Seine Aufenthaltserlaubnis sei jedoch wegen Ablaufs der Gültigkeitsdauer am 14. Februar 2019 erloschen (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Nach § 50 Abs. 1 AufenthG sei er daher zur Ausreise verpflichtet. Die Ausreisepflicht sei nach § 50 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 AufenthG sofort vollziehbar. Für die freiwillige Ausreise werde gemäß § 50 Abs. 2 AufenthG eine Frist von zwei Wochen gewährt, andernfalls werde der Antragsteller abgeschoben (§ 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Die Garantien des Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie (RL 2003/109/EG) seien eingehalten. Der Antragsteller stelle eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit dar. Er habe keine familiären Bindungen in Deutschland. Über Bindungen in Marokko sei nichts bekannt, allerdings beherrsche er die arabische Sprache und habe sich ausweislich der Reisestempel in seinem Pass in Marokko aufgehalten, sodass er sich dort zurechtfinde. Eine eventuelle Abschiebung würde ein Verbot der Wiedereinreise und des Aufenthalts zur Folge haben (§ 11 Abs. 1 AufenthG).
Mit Schriftsatz vom 27. Februar 2019, bei Gericht eingegangen am 28. Februar 2019, ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 22. Februar 2019 erheben und gleichzeitig beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Mit Schriftsatz vom 2. April 2019 begründete der weitere Bevollmächtigte des Antragstellers Klage und Antrag unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers. Er machte im Wesentlichen geltend, der Bescheid vom 22. Februar 2019 sei bereits formell rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin den Antragsteller nicht zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen angehört habe. Sie habe dem Antragsteller den laut Bescheid entscheidungserheblichen Vorwurf vorenthalten, er sei eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, weil er angeblich ausweislich seiner Postings auf seinem Facebook-Profil die Teilnahme am militanten Dschihad befürworte und eine ideologische Nähe zu Al-Qaida erkennen lasse, und habe ihm daher gezielt die Verteidigungsrechte abgeschnitten. Der Antragsteller sei für diese Postings nicht verantwortlich, insbesondere habe er niemals ein Facebook-Profil unter dem Profilnamen „… … … …“ eröffnet oder benutzt. Dem Antragsteller sei im Mai 2018 sein Mobiltelefon abhandengekommen. Seither habe er sein Facebook-Profil nicht mehr benutzt. Die vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz erwähnten Postings aus dem Zeitraum August 2018 bis Ende November 2018 könnten daher nicht vom Antragsteller stammen. Sie entsprächen auch nicht seiner Überzeugung. Es sei auch nicht zutreffend, dass der Antragsteller als „…“- … Dschihad-Lieder abgespielt habe. Es bestehe beim Antragsteller kein zeitlich und sachlich beachtliches Risiko, dass er nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG oder nach § 58a AufenthG die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Er sei lediglich muslimischen Glaubens und bete in der Moschee in …, sei jedoch weder Fundamentalist noch Dschihadist noch Angehöriger einer sonstigen fundamentalistischen Glaubensrichtung oder Organisation. Die Tatsache, dass der Antragsteller die Verlängerung seines Aufenthaltstitels versäumt habe, berechtige die Antragsgegnerin nicht, den Antragsteller aus dem Bundesgebiet auszuweisen und ihm die Abschiebung anzudrohen. Er könne sich vielmehr nach Art. 21 Abs. 1 SDÜ aufgrund seiner italienischen Daueraufenthaltsberechtigung 90 Tage im Hoheitsgebiet der Schengen Staaten bewegen und dürfe in dieser Zeit auch in Deutschland einen erneuten Antrag nach § 38a AufenthG stellen, sobald er eine neue Arbeitsstelle in Aussicht habe. Keinesfalls dürfe dem Antragsteller die Abschiebung nach Marokko angedroht werden, da er ein Daueraufenthaltsrecht in Italien habe und dort mit seinem Vater eine wesentliche familiäre Bindung bestehe. Zudem bestünde nach § 60 Abs. 7 AufenthG für den Antragsteller eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit, wenn er wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland nach Marokko abgeschoben werde.
Die Antragsgegnerin legte mit Schriftsatz vom 18. März 2019 die Behördenakte vor und beantragt,
den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist teilweise zulässig.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nur statthaft, soweit ein sofort vollziehbarer Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens ist.
Im vorliegenden Fall enthält der Bescheid in seiner Ziffer 1 keinen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 Satz 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG). Die Verpflichtung zur Ausreise folgt unmittelbar aus dem Gesetz, ohne dass es eines förmlichen Regelungsaktes der Ausländerbehörde bedarf. In aller Regel ist daher in einem behördlichen Ausspruch der Ausreisepflicht lediglich ein Hinweis auf die gesetzliche Ausreisepflicht ohne jeden Regelungscharakter zu sehen (Funke Kaiser, GK-AufenthG, Stand Mai 2018, AufenthG § 50 Rn. 5 m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Mai 2017, AufenthG § 50 Rn. 4 und § 59 Rn. 11). Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist daher unzulässig, soweit er Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids betrifft.
Im Hinblick auf Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zulässig. Bei der in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides verfügten Abschiebungsandrohung mit Ausreisefristsetzung handelt es sich um einen vollstreckungsrechtlichen Verwaltungsakt, der gemäß Art. 21a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 Satz 2 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist. Diesbezüglich ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft.
2. Soweit der Antrag zulässig ist (Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides), ist er unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Dabei trifft das Gericht im Rahmen einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage eine eigene, originäre Ermessensentscheidung unter Abwägung des von der Behörde geltend gemachten Interesses an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheides und des Interesses des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung einer Klage. Wesentliches Element dieser Entscheidung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, bleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Nach summarischer Prüfung hat die Anfechtungsklage gegen Ziffer 2 des Bescheids voraussichtlich keinen Erfolg. Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht (§ 74 Abs. 1 VwGO) erhoben, jedoch unbegründet. Der Bescheid ist in seiner Ziffer 2 aller Voraussicht nach rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
2.1. Im Hinblick auf die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen keine durchgreifenden Bedenken.
2.1.1. Die Antragsgegnerin war zum Erlass des Bescheids sachlich und örtlich zuständig (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 und § 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten im Ausländerrecht (Zuständigkeitsverordnung Ausländerrecht – ZustVAuslR) vom 27. August 2018.
2.1.2. Einen beachtlichen Verstoß gegen das Anhörungsgebot des Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) vermag das Gericht nicht zu erkennen.
Der Antragsteller wurde ausweislich des Anhörungsschreibens vom 22. Februar 2019 darauf hingewiesen, dass er sich seit dem Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis ohne erforderlichen Aufenthaltstitel in Deutschland aufhalte, er daher vollziehbar ausreisepflichtig sei, und die Antragsgegnerin beabsichtige, eine Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung zu erlassen. Der Antragsteller wurde allerdings nicht zu dem Vorwurf angehört, dass er wegen islamistischer Postings auf dem ihm zugeschriebenen Facebook-Profil eine Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland darstelle, obwohl die Antragsgegnerin diesen Sachverhalt dem Bescheid zugrunde gelegt hat, auch wenn er sich aus Sicht des Gerichts nicht als entscheidungserheblich darstellt. Ob für die Frage der Entscheidungserheblichkeit auf die Sicht der Behörde (Kallenhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 28 Rn. 34) oder auf die Sicht des Gerichts (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 28 Rn. 33) abzustellen ist, kann im Ergebnis offenbleiben. Denn jedenfalls wäre ein eventueller Fehler bei der Anhörung gemäß Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich, da im vorliegenden Fall offensichtlich ist, dass eine mögliche Verletzung der Anhörungsverfahren die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Denn eine andere Entscheidung in der Sache wäre angesichts der kraft Gesetzes vollziehbaren Ausreisepflicht des Antragstellers infolge des abgelaufenen Aufenthaltstitels nicht möglich gewesen. Insbesondere bestand insoweit kein Ermessensspielraum für die Antragsgegnerin.
2.2. Der Bescheid ist in seiner Ziffer 2 auch materiell rechtmäßig. Die Abschiebungsandrohung hält sich im Rahmen der gesetzlichen Anforderungen.
2.2.1. Der Antragsteller ist gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG seit dem 14. Februar 2019 ausreisepflichtig, weil die Gültigkeitsdauer seiner Aufenthaltserlaubnis am 13. Februar 2019 endete.
Gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht. Nach § 4 Abs. 1 AufenthG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Rechte der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder aufgrund des Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht besteht.
Der Antragsteller ist nicht in Besitz eines nach § 4 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitels.
2.2.1.1. Ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen kommt für den Antragsteller, einem ledigen marokkanischen Staatsangehörigen, nicht in Betracht.
2.2.1.2. Da die Gültigkeit seiner gemäß § 38a AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis am 13. Februar 2019 endete, ist der Antragsteller seit dem 14. Februar 2019 nicht mehr im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis.
2.2.1.3. Der Antragsteller kann sich auch nicht auf eine Fortgeltungsfiktion der bisherigen Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG berufen, da er es versäumt hat, vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis deren Verlängerung zu beantragen.
2.2.1.4. Auch die unbefristete italienische Daueraufenthaltserlaubnis – EU berechtigt den Antragsteller derzeit nicht (mehr) zum Aufenthalt in der Bundesrepublik. Gemäß Art. 21 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) können sich Ausländer aus Drittstaaten, die Inhaber eines gültigen, von einem der Mitgliedstaaten ausgestellten Aufenthaltstitels sind, aufgrund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments bis zu 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen frei im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten bewegen, sofern sie die in Art. 6 des Schengener Grenzkodex (SGK) genannten Voraussetzungen erfüllen. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um eine visumsfreie Einreise zum Zwecke eines Aufenthalts von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen, sondern um den längerfristigen Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet, nachdem die erlaubte Aufenthaltsdauer von 90 Tagen seit der Einreise längst ausgeschöpft ist. Für den längerfristigen Verbleib bedarf es einer Aufenthaltserlaubnis, über die der Antragsteller derzeit nicht verfügt. Auf die Frage, ob der Antragsteller den visumsfreien Aufenthalt von 90 Tagen möglicherweise deswegen nicht in Anspruch nehmen kann, weil er im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. e SGK eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt, kommt es im vorliegenden Fall nicht an. Diese Frage würde erst im Falle einer Wiedereinreise relevant und bedarf daher keiner Entscheidung im vorliegenden Verfahren.
Da der Antragsteller somit nicht über den erforderlichen Aufenthaltstitel verfügt, ist er ausreisepflichtig gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG.
2.2.2. Die Ausreisepflicht des Antragstellers ist gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Var. 2 AufenthG seit dem 14. Februar 2019 vollziehbar, da die Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist und der Antragsteller nicht rechtzeitig vor Ablauf der Gültigkeitsdauer die Verlängerung beantragt hat. Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen 7 und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Die 14-tägige Frist beginnend mit der Bekanntgabe des Bescheides hält sich in diesem Rahmen. Umstände, die eine längere Frist erforderlich machen würden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2.2.3. Im Hinblick auf die Angabe des Zielstaats der Abschiebung (§ 59 Abs. 2 AufenthG) bestehen keine rechtlichen Bedenken. Die Androhung der Abschiebung vorrangig nach Italien, sollte dies nicht möglich sein, nach Marokko oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zur Rückübernahme verpflichteten Staat, hält sich im Rahmen der einschlägigen Vorschriften.
2.2.3.1. § 58 Abs. 1b AufenthG steht im vorliegenden Fall der verfügten Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift darf einem Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat, wenn er in einem anderen Mitgliedstaat der EU international Schutzberechtigter ist, nur in den Schutz gewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. Gewährt ein Mitgliedstaat einem Drittstaatsangehörigen internationalen Schutz, so muss er bei der Ausstellung der Daueraufenthaltsberechtigung – EU in das Eintragungsfeld „Anmerkungen“ den Hinweis aufnehmen, dass der Mitgliedsstaat dem Drittstaatsangehörigen internationalen Schutz gewährt (Art. 8 Abs. 4 RL 2003/109/EG vom 25. November 2003 geändert durch Richtlinie 2011/51/EU vom 11. Mai 2011 – Daueraufenthaltsrichtlinie). Die vom Antragsteller bei der Behörde vorgelegte italienische Daueraufenthaltserlaubnis – EU („soggiornante di lungo periodo – CE“) enthält unter „Annotazioni“ (Anmerkungen) keinen entsprechenden Vermerk. Da der Antragsteller folglich nicht als international Schutzberechtigter anerkannt wurde, ist § 58 Abs. 1b AufenthG im vorliegenden Fall nicht einschlägig.
2.2.3.2. Gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach Auffassung der Kammer auch nicht erforderlich, dass der Antragsteller, weil er eine italienische Daueraufenthaltserlaubnis – EU besitzt, vor Erlass der Abschiebungsandrohung hätte ausdrücklich aufgefordert werden müssen, sich unverzüglich in das italienische Hoheitsgebiet zu begeben.
Einerseits betrifft die Regelung des § 50 Abs. 3 AufenthG unmittelbar nur die Ausreiseaufforderung, nicht aber die Abschiebungsandrohung, so dass bereits zweifelhaft ist, ob ein Verstoß gegen diese Vorschrift zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung führen würde. Andererseits besteht im vorliegenden Fall für den Antragsteller angesichts der unmissverständlichen Formulierung in der Abschiebungsandrohung auch keine Unklarheit darüber, dass er seiner Ausreisepflicht durch eine Ausreise nach Italien nachkommt, da Italien als Hauptzielland der Abschiebung bezeichnet wurde (vgl. OVG NRW, B.v. 25.8.2015 – 18 B 635/14 – juris Rn. 10; VG Aachen, B.v. 4.12.2015 – 4 L 823/15 – juris Rn. 47; VG Düsseldorf, B.v. 26.4.2016 – 22 L 1069/16 – juris Rn. 11 ff. m.w.N.). Außerdem ist zu sehen, dass § 50 Abs. 3 Satz 2 AufenthG der Umsetzung des Art. 6 Abs. 2 S. 1 der Richtlinie 2008/115/EG vom 16. Dezember 2016 (Rückführungsrichtlinie) dient. Nach dem Schutzzweck der Regelung soll dem Betreffenden verdeutlicht werden, dass er seiner Ausreisepflicht auch durch eine Ausreise in den betreffenden Mitgliedstaat genügen kann. Dementsprechend kann die Abschiebungsandrohung zeitgleich mit der Ausreiseaufforderung ergehen (so auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/5470, 22; vgl. Tanneberger in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.5.2018, AufenthG § 50 Rn. 7a; a.A. VG Hamburg, U.v. 14.1.2015 – 17 K 1758/14 – juris Rn. 28; Funke-Kaiser in GK-Aufenthaltsrecht, AufenthG § 59 Rn. 68).
2.2.3.3. Der Androhung der Abschiebung nach Marokko steht auch – soweit bei summarischer Prüfung ersichtlich – kein Abschiebungsverbot entgegen (§ 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers vorträgt, es bestünde nach § 60 Abs. 7 AufenthG für den Antragsteller ein nationales Abschiebungsverbot in Form einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit, wenn er wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland nach Marokko abgeschoben würde, handelt es sich um eine nicht näher substantiierte Behauptung. Es ist nicht ersichtlich, woraus sich im vorliegenden Fall eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Antragstellers im Sinne der Vorschrift ergeben sollte.
2.2.4. Die in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids getroffene Verfügung steht auch nicht im Widerspruch zu den Regelungen der Daueraufenthaltsrichtlinie.
Die Frage, ob und inwieweit vom Antragsteller eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder die öffentliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, ist im vorliegenden Fall nicht entscheidungsrelevant, da die auf eine Gefahr abstellenden Vorschriften der Richtlinie in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht einschlägig sind.
Soweit die Antragsgegnerin insoweit auf Art. 12 Abs. 1 Daueraufenthaltsrichtlinie abstellt, wonach Mitgliedstaaten nur dann gegen einen langfristig aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung verfügen dürfen, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt, ist die Vorschrift im vorliegenden Fall schon deswegen nicht einschlägig, weil es sich vorliegend nicht um eine Ausweisung handelt. Außerdem ist die Vorschrift in Kapitel II der Daueraufenthaltsrichtlinie verankert und betrifft folglich nach der Regelungssystematik der Richtlinie die Rechtsstellung des langfristig Aufenthaltsberechtigten in demjenigen Mitgliedsstaat, in dem er das Daueraufenthaltsrecht erworben hat, d.h. im ersten Mitgliedstaat (VG Darmstadt, B.v. 14.11.2013 – 5 L 604/13.DA – juris Rn. 17; Dienelt in Bergmann/Dienelt, 12. Aufl., AufenthG § 38a Rn. 56). Die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, der ihm die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt hat, ist hingegen in Kapitel III (Art. 14 ff Daueraufenthaltsrichtlinie) geregelt.
Auch aus den Vorschriften in Kapitel III sind für den vorliegenden Fall keine einschränkenden Voraussetzungen zu entnehmen. Art. 17 Daueraufenthaltsrichtlinie (Kapitel III) hat die „Versagung des Aufenthalts“ im zweiten Mitgliedstaat zum Gegenstand, d.h die Ablehnung eines (erstmals) beantragten Aufenthaltstitels. Darum geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht. Art. 22 Daueraufenthaltsrichtlinie trifft Regelungen in Bezug auf die Versagung der Verlängerung eines Aufenthaltstitels sowie den Entzug eines bestehenden Aufenthaltstitels und das daran anschließende Rückführungsverfahren und zieht insoweit unter anderem auch Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als Voraussetzung für die Versagung der Verlängerung bzw. den Entzug des Aufenthaltstitels und eine Rückübernahme durch den ersten Mitgliedstaat bzw. für eine Rückführung in einen Staat außerhalb der Mitgliedstaaten heran. Auch darum geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht. Da der Antragsteller nicht rechtzeitig die Verlängerung des Aufenthaltstitels beantragt hat (zum Antragserfordernis siehe Art. 15 Abs. 1 Daueraufenthaltsrichtlinie), steht weder die Versagung der Verlängerung im Raum noch der Entzug eines bestehenden Aufenthaltstitels.
2.3. Auf den Einwand des Bevollmächtigten des Antragstellers, dieser gefährde weder nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG noch nach § 58a AufenthG die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, kommt es für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht an, da gegen den Antragsteller weder eine Ausweisung verfügt noch eine Abschiebungsanordnung gemäß § 58a AufenthG ausgesprochen wurde.
2.4. Nachdem gegen die Rechtmäßigkeit der in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides getroffenen Regelungen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken bestehen, hat die Anfechtungsklage in der Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg. Somit überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug im vorliegenden Fall das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung.
Der Antrag war daher abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (1.5 und 8.3).


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