Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag eines nigerianischen Staatsangehörigen bzgl. eines als offensichtlich unbegründet abgelehnten Schutzersuchens

Aktenzeichen  M 21 S 17.42542

Datum:
28.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 4686
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3e, § 4, § 34, § 36 Abs. 4 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Vorbringen zum Unterlassen eines Asylantrags in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland ist bei einem belegten EURODAC-Treffer der Kategorie 1 unglaubhaft und kann mit weiterem unglaubhaftem Vorbringen zur Unglaubwürdigkeit des Antragstellers führen. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, der bislang weder Personalpapiere noch andere Identitätsnachweise seines Herkunftslands vorlegte, ist nach eigenen Angaben ein lediger, in Enugu State geborener Staatsangehöriger der Bundesrepublik Nigeria christlichen Glaubens.
Er stellte am 2. Juni 2016 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (kurz: Bundesamt) in München einen Asylantrag.
Zur Niederschrift über das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens verneinte der Antragsteller am 2. Juni 2016 gegenüber dem Bundesamt in München die Frage, ob er in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz beantragt oder zuerkannt bekommen habe.
Die EURODAC-Recherche ergab hinsichtlich des Antragstellers einen Treffer der Kategorie 1 (HU1330013782476).
Zur Niederschrift über seine Anhörung bei der Außenstelle des Bundesamts in München am 15. September 2016 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, in der Türkei seinen Reisepass verloren zu haben. Bis zur Ausreise habe er sich in Enugu State im Dorf Emene aufgehalten. Am 17. Juli 2015 sei er mit dem Zug in das Bundesgebiet eingereist. In keinem der Länder, in dem er sich vor der Einreise in das Bundesgebiet aufgehalten habe, habe er einen Asylantrag gestellt. Sein Vater sei verstorben. Seine Mutter lebe noch in Emene. Außer ihr habe er noch drei Brüder und drei Schwestern sowie die Großfamilie im Heimatland. Er habe Kleidungsstücke auf dem Markt verkauft. Er habe keinen Wehrdienst geleistet. Schon als Kind habe er den Wunsch gehabt, nach Deutschland zu gehen. Sein Vater habe ihn immer wieder geschlagen. Ein Freund namens John habe ihm deswegen unentgeltlich insbesondere das Flugticket für die Türkei besorgt. Seit sein Vater verstorben sei, gebe es in Nigeria keine anderen Personen, die ihn unterstützen könnten. Insbesondere in Abuja und Lagos habe es einige Gesellschaften wie Boko Haram und die Kultgruppen gegeben, die ihnen das Leben sehr schwer gemacht hätten. Falls er Deutschland verlassen müsste, würde er sich aufhängen. Alles was er wolle, sei es, in Deutschland zu leben. Alle anderen Alternativen wie etwa England oder die Vereinigten Staaten kämen für ihn nicht infrage.
Mit Bescheid vom 15. Mai 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.), auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) und auf subsidiären Schutz (Ziffer 3.) als offensichtlich unbegründet ab, verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Ziffer 4.) und drohte ihm mit einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung nach Nigeria an (Ziffer 5.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine individuelle, anlassbezogene Vorverfolgung sei nicht geschildert worden. Er habe sein Heimatland aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Dem Antragsteller drohe ebenfalls offensichtlich kein ernsthafter Schaden. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Nigeria führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Es könne davon ausgegangen werden, dass der junge, gesunde und arbeitsfähige Antragsteller bei seiner Rückkehr eine existenzsichernde Grundlage für sich erwirtschaften könne. Erforderlichenfalls müsse er sich auch auf Unterstützung durch Verwandte verweisen lassen. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG.
Am 26. Mai 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage gegen den Bundesamtsbescheid vom 15. Mai 2017 erheben. Eine Antragstellung erfolgte nicht.
Über die Klage (M 21 K 17.42541) ist noch nicht entschieden.
Am 26. Mai 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München zugleich beantragen,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen.
Zur Antragsbegründung wurde durch Schriftsatz vom 26. Mai 2017 insbesondere ausgeführt, es sei offenbar übersehen worden, dass der Antragsteller in der Bundesamtsanhörung die Frage, ob er Wehrdienst geleistet habe, verneint habe. Der Einflussbereich von Boko Haram sei seit 2014 stark angewachsen, so dass von einem innerstaatlichen Konflikt auszugehen sei. Es ergäben sich erhebliche, konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller im Falle einer Rückkehr ein ernsthafter Schaden drohe durch Einberufung zum nigerianischen Militärdienst und damit in der Folge zum lebensgefährlichen Kampfeinsatz gegen die Terrororganisation Boko Haram. Es fehle offenbar an dem notwendigen familiären Zusammenhalt oder einer ausreichenden wirtschaftlichen, innerfamiliären Basis für den Kläger.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten zu Eil- und Klageverfahren und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Eilantrag ist unbegründet.
Gemäß Art. 16a Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 GG wird die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen insbesondere in Fällen, die offensichtlich unbegründet sind, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen. Im Anschluss an Art. 16a Abs. 4 Satz 2 GG bestimmt § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, dass die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (Art. 16a Abs. 4 Satz 2 GG, § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). „Ernstliche Zweifel“ im Sinne des Art. 16a Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 GG liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99).
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamts, dass dem Antragsteller kein subsidiärer Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen ist und dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht bestehen, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung in § 36 AsylG nicht unmittelbar zu entnehmen, dafür sprechen jedoch § 34 Abs. 1 AsylG und Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, B.v. 17.7.1996 – 2 BvR 1291/96 – juris Rn. 3).
Gemessen an diesen Maßstäben bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen, an die Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) anknüpfenden Abschiebungsandrohung.
Ernstliche Zweifel bestehen insbesondere nicht an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet und an der Rechtmäßigkeit der Verneinung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Zur näheren Begründung wird zunächst auf die Gründe des angefochtenen Bundesamtsbescheids Bezug genommen (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist Folgendes auszuführen.
Angesichts der erhobenen Klage und der Antragsbegründung vom 26. Mai 2017 sind jedenfalls insbesondere die Ziffern 1. und 2. des Tenors des angefochtenen Bundesamtsbescheids bestandskräftig geworden.
Durch sein vollkommen unglaubhaftes Vorbringen zum Unterlassen eines Asylantrags in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland (belegter EURODAC-Treffer der Kategorie 1 für Ungarn), zum Verlust seines Reisepasses, zur unentgeltlichen Verschaffung des angeblichen Flugs und einer angeblichen Bedrohung durch Boko Haram insbesondere in Abuja und Lagos hat sich der Antragsteller unglaubwürdig gemacht.
Zur erstmals im Gerichtsverfahren geltend gemachten Gefahr, zum Wehrdienst einberufen zu werden, ist nur gesichert festzuhalten, dass die nigerianischen Streitkräfte aus Berufssoldaten bestehen. Es gibt keine allgemeine Wehrpflicht in Nigeria (vgl. nur Lagebericht des Auswärtigen Amts zur Bundesrepublik Nigeria, Stand: September 2017 – kurz: Lagebericht 2017 -, S. 15).
Infolge der geltend gemachten Gefahr durch Boko Haram droht dem Antragsteller außerdem schon kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG. Zudem muss er sich jedenfalls hinreichend gesichert auf internen Schutz in Nigeria verweisen lassen (§§ 3e, 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Im Einzelnen:
Auch nach dem aktuellen Lagebericht 2017 gibt es in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete und Bürgerkriegsparteien (Lagebericht 2017, S. 19). Der Boko Haram-Konflikt konzentriert sich auf den Nordosten Nigerias. Dort und im Zentrum hat sich die Sicherheitslage insgesamt verbessert. Die nigerianischen Streitkräfte haben den Großteil der von Boko Haram eingenommenen Territorien wieder zurückerobern können. Allerdings gelingt es ihnen kaum, diese Gebiete zu sichern. In den ländlichen Teilen des Bundesstaats Borno kommt es weiterhin zu tödlichen Anschlägen der Islamisten. Nur die Distriktzentren gelten dort als sicher. Auch Maiduguri, die Hauptstadt von Borno, ist wiederholt von Bombenanschlägen und erstmalig seit letzter Zeit auch wieder von einem bewaffneten Angriff erschüttert worden (vgl. zu all dem Lagebericht 2017, S.10).
Selbst wenn man annähme, dass von Boko Haram im Bundesstaat Borno willkürliche Gewalt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgeht, bietet die dargelegte Auskunftslage jedenfalls keine tragfähige Basis für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson wie den Antragsteller, der keine individuellen, gefahrerhöhenden Umstände (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 18) geltend machen kann. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 19 m.w.N.).
Somit kann eine erhebliche individuelle Gefahr für eine Zivilperson wie den Antragsteller grundsätzlich nur dann angenommen werden, wenn die in Nigeria drohenden allgemeinen Gefahren eine derart hohe Dichte bzw. einen derart hohen Grad aufweisen, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt muss sich dabei zwar nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der erforderlichen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Asylbewerbers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. zu all dem nur BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – juris Rn. 17 m.w.N; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Daran gemessen ist auf Basis der aktuellen Auskunftslage zur Bundesrepublik Nigeria und angesichts der Anforderungen der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. nur BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22 ff.) jedoch selbst für den Bundesstaat Borno – für das übrige Staatsgebiet Nigerias kommt eine solche Annahme nach der Auskunftslage von vorneherein nicht in Betracht – eine für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichende Gefahrendichte zu verneinen. Der aktuelle Lagebericht bietet insbesondere keine tragfähigen Anhaltspunkte für ein dortiges Verletzungs- oder Tötungsrisiko für Zivilpersonen in der maßgeblichen Größenordnung.
Zudem muss sich der Antragsteller, der nach eigenem Vorbringen nicht aus Borno, sondern aus Enugu State stammt, jedenfalls hinreichend gesichert auf internen Schutz in Nigeria verweisen lassen (§§ 3e, 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
Es ist bereits dargelegt worden, dass ich der Boko Haram-Konflikt auf den Nordosten Nigerias konzentriert. Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, insbesondere Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Dies kann allerdings ausnahmsweise mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, in dem keine Mitglieder ihrer Familie bzw. erweiterten Verwandtschaft oder der Dorfgemeinschaft leben (vgl. zu all dem Lagebericht 2017, S. 18).
Einen solchen, engen Ausnahmefall kann der Antragsteller nicht für sich in Anspruch nehmen. Er hat er als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann nicht zuletzt durch seine Reise nach Europa bewiesen, dass er sich in einer für ihn unbekannten Umgebung behaupten kann. Somit ist er jedenfalls auf einen anderen Landesteil als den Bundesstaat Borno zu verweisen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben