Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilantrag gegen Abschiebungsandrohung in den Irak nach Ablehnung eines Asylfolgeantrags als offensichtlich unbegründet

Aktenzeichen  M 4 S 17.31858

Datum:
22.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 8
AsylG AsylG § 30 Abs. 4, § 36 Abs. 4

 

Leitsatz

Eine Anwendung von § 60 Abs. 8 AufenthG, die zum Ausschluss der Flüchtlingseigenschaft führt, setzt immer voraus, dass im Einzelfall eine konkrete Wiederholungsgefahr festgestellt werden kann. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), mit dem sein Asylfolgeantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde.
Der Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit. Einen ersten Asylantrag lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 4. Juli 2006, welcher nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 19. Dezember 2006 (M 11 K 06.50774) am 6. Februar 2007 unanfechtbar wurde, ab. Dem Antragsteller wurde die Abschiebung in den Irak angedroht.
Ein unter Berufung auf eine im Irak herrschende Gruppenverfolgung der Yeziden gestellter erster Asylfolgeantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 28. Juli 2008 abgelehnt. Das Bundesamt lehnte die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens insbesondere wegen des Vorliegens des Ausschlusstatbestandes nach § 60 Abs. 8 AufenthG ab, nachdem der Antragsteller mit Urteil des Landgerichts München I vom 12. Januar 2007 (5 K Ls 457 Js 309842/06) wegen sexueller Nötigung und Raub zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 8 Monaten verurteilt wurde. Dieser Bescheid wurde nach Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 31. Oktober 2008 (M 16 K 08.50357) am 26. März 2009 rechtskräftig.
Am 29. Juni 2011 erging vom Landgericht München I eine Verurteilung des Antragstellers wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 3 Monaten (9 K Ls 243 Js 106584/11, rechtskräftig seit 7.7.2011).
Am 2. Juni 2016 stellte der Antragsteller erneut einen Asylfolgeantrag, der mit einer ihm drohenden Gefährdung als Yezide begründet wurde. Bei seiner Befragung durch das Bundesamt gab er an, im Irak noch weiterhin einen Bruder und die Großfamilie zu haben. Auch seine Eltern lebten noch im Irak in …
Mit Bescheid vom 26. Januar 2017 stellte das Bundesamt fest, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens vorliegend gegeben sind, lehnte jedoch den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als jeweils offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Dem Antragsteller wurde die Abschiebung in den Irak oder in einen anderen zur Aufnahme verpflichteten oder aufnahmebereiten Staat angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 10 Jahre ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung bezog sich das Bundesamt im Wesentlichen auf § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG, wonach der Anspruch auf Gewährung der Flüchtlingseigenschaft entfällt, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren verurteilt worden ist, was bei dem Kläger sogar wiederholt der Fall sei. Das Bundesamt sah bei dem Antragsteller auch eine konkrete Wiederholungsgefahr. Im Übrigen sei auch in Anbetracht des gesetzgeberischen Willens, der in § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG zum Ausdruck komme, keine günstigere Entscheidung für den Antragsteller ersichtlich. Hinsichtlich des beantragten subsidiären Schutzes sei der Antragsteller nach § 4 Abs. 2 Satz 1 AsylG von der Zuerkennung ausgeschlossen. Die in § 4 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 4 Alt. 1 AsylG genannten Voraussetzungen für den Ausschluss von der Gewährung subsidiären Schutzes seien beide erfüllt. Aus den genannten Gründen scheide auch die Anerkennung als Asylberechtigter aus. Nach § 30 Abs. 4 AsylG sei der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG vorliegen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Dem Antragsteller stehe in analoger Anwendung des § 3e AsylG eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Region Kurdistan/Irak zur Verfügung. Aufgrund der kurdischen Volkszugehörigkeit sei es ihm möglich, sich in einer der kurdisch dominierten Provinzen niederzulassen.
Der Bescheid wurde als Einschreiben am 27. Januar 2017 zur Post gegeben.
Mit Telefax vom 1. Februar 2017 erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid (M 4 K 17.31854) und beantragte nach § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Mit Schriftsatz vom 23. Februar 2017 begründete die Bevollmächtigte des Antragstellers Klage- und Eilantrag. Sie legte den Bericht des Bewährungshelfers vom … Februar 2017 vor.
Mit Schriftsatz vom 27. Februar 2017 legte die Bevollmächtigte eine Bestätigung der psychotherapeutischen Fachambulanz für Gewalt- und Sexualstraftäter in … vom … Februar 2017 vor. Danach hat der Antragsteller im Zeitraum zwischen dem … Juni 2015 und … Juli 2016 insgesamt 15 Gespräche in der Klärungsphase der Fachambulanz wahrgenommen. Davon hat er ein Gespräch unentschuldigt versäumt und zwei Gespräche abgesagt. Er befinde sich seit dem … August 2016 in der Interventionsphase und nehme regelmäßig Therapiegespräche wahr.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten bezieht sich das Gericht auf die vorgelegten Akten des Bundesamtes sowie auf die Gerichtsakten.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung ist zulässig (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO, § 75 Asylgesetz – AsylG, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 4, § 30 Abs. 4 AsylG), jedoch unbegründet.
Die Ablehnung des Asylbegehrens sowie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als jeweils offensichtlich unbegründet und die Ablehnung des subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet unterliegen keinen durchgreifenden Bedenken. Auch das Vorliegen von Abschiebungsverboten ist nicht erkennbar, sodass eine Aussetzung der Abschiebung im Ergebnis nicht geboten ist.
Zur Vermeidung von Wiederholungen sieht das Gericht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil es den Feststellungen sowie der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend gilt Folgendes:
Eine Anwendung von § 60 Abs. 8 AufenthG, die zum Ausschluss der Flüchtlingseigenschaft führt, setzt immer voraus, dass im Einzelfall eine Wiederholungsgefahr festgestellt werden kann. Bei der Frage, welche Anforderungen an die Feststellung einer Wiederholungsgefahr zu stellen sind, ist auch nach der Einführung einer Mindestfreiheitsstrafe von 3 Jahren – durch die die Anwendung der Vorschrift in der Praxis erleichtert werden sollte (BT-Drs. 13/4948, S. 9) – darauf abzustellen, ob im Einzelfall eine konkrete Wiederholungs- oder Rückfallgefahr vorliegt. Eine hinreichend sichere Gefahr der Begehung gleichartiger Straftaten von entsprechendem Gewicht wäre ein zu strenger Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten ernsthaft droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände in ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes, ebenso wie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zu dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BVerwG, U.v. 16.11.2000 – 9 C 6/00 – juris, Rn. 14 ff.).
Vor diesem Hintergrund ist eine hinreichend konkrete Gefahr der Wiederholung von Sexualstraftaten bei dem Antragsteller gegeben. Hierfür sprechen schon die beiden Verurteilungen von 3 Jahren und 8 Monaten sowie 5 Jahren und 3 Monaten, die zeigen, dass die Taten des Klägers dem Bereich der Schwerkriminalität zuzuordnen sind. Die Indizwirkung dieser Strafen wird auch durch die weitere Entwicklung des Antragstellers – sowohl in der Haft als auch mittlerweile in Freiheit – nicht widerlegt, sondern bekräftigen das Gericht vielmehr in der Überzeugung, dass von dem Antragsteller aufgrund seines unsteten Lebens nach wie vor eine nicht unerhebliche Gefahr ausgeht, Sexualstraftaten unter Anwendung massiver Gewalt zu verüben.
So ist bereits die Bestätigung der Psychotherapeutischen Fachambulanz für Gewalt- und Sexualstraftäter … … … Februar 2017 nicht geeignet, den Wegfall der Wiederholungsgefahr – der ganz offensichtlich in der Persönlichkeitsstruktur des Antragstellers angelegt ist – nahezulegen. Hierzu ist anzumerken, dass diese Bestätigung schon in sich unschlüssig ist, wenn dem Antragsteller die Teilnahme an insgesamt 15 Gesprächen bestätigt wurde, von denen er ein Gespräch unentschuldigt versäumt und zwei Gespräche abgesagt habe. Dabei ist es vorliegend nicht maßgeblich, ob der Antragsteller in der Zeit vom … Juni 2015 bis zum … Juli 2016 nun 15 oder etwa nur 12 Gespräche wahrgenommen hat, denn das unentschuldigte Versäumen – auch nur eines Gesprächs zeigt, dass der Antragsteller bei der Bewältigung seiner persönlichen Probleme nicht die hierfür erforderliche Disziplin walten lässt. Der Bestätigung lässt sich auch nicht die Häufigkeit der Gespräche seit dem … August 2016 – dem Beginn der so genannten „Interventionsphase“ – entnehmen. Es liegt auf der Hand, dass eine derart überschaubare Anzahl von Therapiegesprächen nicht geeignet ist, eine Persönlichkeitsstruktur, die zu den abgeurteilten Taten geführt hat, auch nur ansatzweise aufzubrechen.
Nichts anderes ergibt sich aus dem vorgelegten Schreiben der Bewährungshilfe am Landgericht München I vom … Februar 2017. Wenn auch dem Antragsteller eine gute Zusammenarbeit attestiert wird, so ist nach Ansicht der Bewährungshilfe die Anbindung des Antragstellers an die Bewährungshilfe und an die psychotherapeutische Fachambulanz für Sexual- und Gewaltstraftäter aus pädagogisch-psychologischer wie auch aus kriminologischer Sicht weiterhin notwendig und wichtig. Die Prüfung durch die Fachambulanz habe ergeben, dass bei dem Antragsteller eine behandlungsbedürftige, forensisch-relevante psychische Störung vorliegt, die mit Aussicht auf Erfolg durch eine forensische Psychotherapie behandelbar ist. Diese Feststellungen bedeuten nichts anderes, als dass bei dem Antragsteller weiterhin die Gefahr einer erneuten Begehung massiver Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung konkret gegeben ist. Andernfalls wäre eine derart enge Anbindung nicht erforderlich.
Hinsichtlich der im streitgegenständlichen Bescheid attestierten inländischen Fluchtalternative für den Antragsteller in den kurdischen Autonomiegebieten des Nordirak schließt sich das Gericht der Einschätzung des Bundesamtes an. Überdies hat der Antragsteller selbst darauf hingewiesen, dass seine Großfamilie, seine Eltern und ein Bruder im Irak leben. Es ist dem Antragsteller zuzumuten – so wie seine Großfamilie auch – sei Leben im Irak zu führen.
Damit ist die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung insgesamt nicht zu beanstanden. Die gesetzte Ausreisefrist entspricht der Regelung in § 36 Abs. 1 AsylG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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