Aktenzeichen M 25 S 18.3601
AufenthG § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55, § 84 Abs. 1 Nr. 1
GG Art. 6
EMRK Art. 8
Leitsatz
Das Vollzugsinteresse überwiegt das Aussetzungsinteresse, wenn bei bestehender ungelöster Gewaltproblematik weiterhin von einer Wiederholungsgefahr und damit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auszugehen ist. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der am … November 1997 in … geborene Antragsteller ist Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina. Er verzog am … 1999 mit seiner Mutter nach Bosnien-Herzegowina und kehrte am … 2008 zusammen mit seiner Mutter im Rahmen des Familiennachzugs zu seinem Stiefvater in die Bundesrepublik zurück. In der Folgezeit erhielt der Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis, die zuletzt bis … September 2013 verlängert wurde.
Am … September 2013 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Der Antrag wurde am … August 2015 zurückgenommen. Daraufhin wurde ihm eine Duldung erteilt, die zuletzt bis … Oktober 2016 verlängert wurde.
Am … Oktober 2016 beantragte der Antragsteller bei der dann zuständigen Stadt I. eine Aufenthaltserlaubnis. Er sei bald Vater eines deutschen Kindes. Die Stadt I. stellte daraufhin eine Fiktionsbescheinigung bis zum … 2018 aus.
Am … 2017 erkannte der Antragsteller die Vaterschaft für das deutsche Kind …, das am … Dezember 2016 geboren wurde, an. Das Sorgerecht wurde dem Antragsteller nicht übertragen.
Seit … Februar 2017 lebt der Antragsteller nicht mehr mit der Kindsmutter zusammen. Am … Februar 2017 zeigte die Kindsmutter den Antragsteller wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung an. Am … März 2017 stellte sie einen weiteren Strafantrag gegen den Antragsteller wegen Beleidigung.
Seit … August 2017 befindet sich der Antragsteller in Haft. Zuvor befand sich der Antragsteller vom … 2015 bis … 2016 in Haft und vom… 2017 bis … 2017 in Untersuchungshaft.
Aus dem Auszug aus dem Bundeszentralregister vom … Januar 2018 ergeben sich vier strafrechtliche Verurteilungen. Den Urteilen vom …Juli 2014, … Juni 2015, … Mai 2017 und … Oktober 2017 lagen insbesondere Körperverletzungsdelikte zu Grunde. Mit Urteil des AG Neuburg an der Donau vom … Oktober 2017 wurde der Antragsteller schließlich wegen gefährlicher Körperverletzung zu 3 Jahren Jugendstrafe verurteilt.
Nach Anhörung des Antragstellers wies der Antragsgegner mit Bescheid vom …Juli 2018 diesen aus (Ziff.1), ordnete den Sofortvollzug hinsichtlich der Ziffer 1 an (Ziff. 2) und lehnte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziff. 3). Die Abschiebung unmittelbar aus der Haft wurde angedroht, die Ausreisefrist auf 1 Woche nach Haftentlassung festgesetzt und die Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina oder einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist, angedroht (Ziff. 4, 5). In Ziff. 6 wurde schließlich eine siebenjährige Wiedereinreisesperre festgesetzt.
Zur Begründung führte der Antragsgegner unter Verweis auf § 53 Abs. 1 AufenthG im Wesentlichen an, dass auf Grund der massiven Straftaten des Antragstellers und seiner hohen Rückfallgeschwindigkeit anzunehmen sei, dass er auch in Zukunft erheblich straffällig werde. Auch unter Berücksichtigung der persönlichen Belange des Antragsstellers würden die öffentlichen Belange, die eine Ausweisung erforderten, überwiegen.
Mit Schreiben vom … Juli 2018 erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 25 K … ). Zudem beantragte sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung wiederherzustellen.
Zur Begründung führte die Bevollmächtigte im Wesentlichen aus, dass den Antragsteller auf Grund seines langen Aufenthalts in Deutschland mit seiner Heimat nur noch das Band der Staatsangehörigkeit verbinde. Er sei von seinem Heimatstaat entfremdet. Zudem unterhalte er mit seiner Tochter eine dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG unterfallende Beziehung. Er befinde sich zwar seit August 2017 in Strafhaft, jedoch habe er zum Zeitpunkt der Geburt der Tochter bis zu seiner Inhaftierung am … August 2017 mit dieser zusammengelebt und sich um seine Tochter gekümmert. Es sei ihm daher möglich gewesen, eine Nähebeziehung aufzubauen. Dass der Antragsteller seine Tochter seit seiner Inhaftierung nicht mehr gesehen habe, liege nicht am Antragsteller, sondern vielmehr an der Kindsmutter, die jeglichen Kontakt verweigere.
Mit Schreiben vom … Oktober 2018 erwiderte der Antragsgegner und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
In der mündlichen Verhandlung am … Oktober 2018 wiederholten die Beteiligten ihre schriftsätzlich gestellten Anträge, die Bevollmächtigte des Antragstellers mit der Maßgabe, hinsichtlich der sofortigen Vollziehung der Ausweisung, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegten Behördenakten, die beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft I. zu den Strafverfahren … sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist hinsichtlich der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis statthaft, da auf Grund der Ablehnung des Aufenthaltstitels in Ziff. 3 des Bescheides die Klage schon von Gesetzes wegen gem. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung hat.
Auf Grund des nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordneten Sofortvollzugs der Ausweisung in Ziff. 1 des Bescheides ist der Antrag auch insoweit zulässig.
2. Der Antrag ist nicht begründet.
a. Die Anordnung des Sofortvollzugs in Ziff. 2 des Bescheides erfüllt in formaler Hinsicht die Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Die Ausführungen genügen auch den hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Begründung einer Anordnung des Sofortvollzugs durch die Behörde im Falle einer Ausweisung (vgl. z.B. BVerfG Beschluss vom … September 1995 – …, abrufbar über Juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt die Ausweisung in jedem Fall eine schwerwiegende Maßnahme dar, die nicht selten tief in das Schicksal des Ausländers und seiner Angehörigen eingreift. Ihr Gewicht wird durch die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erheblich verschärft. Für die Anordnung des Sofortvollzugs muss daher ein besonderes, über die Voraussetzungen für die Ausweisung selbst hinausgehendes Erfordernis vorliegen. Dieses ist vorliegend erfüllt, da zu befürchten ist, dass der Antragsteller auf Grund seiner Vorgeschichte nach der Haftentlassung weitere Körperverletzungsdelikte insbesondere gegen die Kindsmutter begeht.
b. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen Verwaltungsakt anordnen, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Betroffenen, von Vollziehungsmaßnahmen zunächst verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der getroffenen Maßnahme überwiegt. Bei dieser Interessensabwägung ist auch die aufgrund einer summarischen Prüfung zu beurteilende Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsakts zu berücksichtigen. Vorliegend überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der getroffenen Maßnahme gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
Das Gericht hat mit Urteil vom heutigen Tag die Klage des Antragstellers in der Hauptsache abgewiesen (M 25 K …).
Die in Ziff. 1 des streitgegenständlichen Bescheides vom … Juli 2018 verfügte Ausweisung ist danach zu Recht ergangen. Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG. Insbesondere auf Grund der beim Antragsteller nach wie vor bestehenden ungelösten Gewaltproblematik ist auch weiterhin von einer Wiederholungsgefahr und damit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 53 Abs. 1 AufenthG auszugehen. Beim Antragsteller wiegt das Ausweisungsinteresse auf Grund der begangenen Straftaten besonders schwer (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Bleibeinteressen i.S.d. § 55 AufenthG liegen nicht vor. Insbesondere ergibt sich aus seiner Vaterschaft zu einem deutschen Kind kein Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 Nr. 4 oder Nr. 5 AufenthG. Die Einvernahme der Zeugin Frau … hat ergeben, dass die Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet zum Wohle der gemeinsamen Tochter nicht erforderlich ist. Eine Nähebeziehung der Tochter zum Antragsteller besteht nicht.
Die abschließend durchzuführende Abwägung der Interessen fällt auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu Lasten des Antragstellers aus.
Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, weil einer Erteilung die Vorschrift des § 11 Abs. 1 AufenthG entgegensteht.
Bezüglich des auf § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG gestützten Einreise- und Aufenthaltsverbot und der Festsetzung der Wiedereinreisesperre bestehen keine rechtlichen Bedenken. Gleiches gilt für die Abschiebungsandrohung nach §§ 58, 59 AufenthG in Ziff. 4 und 5 des Bescheides.
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht auf seine Ausführungen im Urteil vom heutigen Tag im Verfahren M 25 K …, § 117 Abs. 5 und Abs. 3 S. 2, § 122 VwGO.
Da die Klage des Antragstellers keine Aussicht auf Erfolg hat, fällt auch die im Rahmen der Prüfung eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Abwägungsentscheidung zu Ungunsten des Antragstellers aus. Der Antrag war abzulehnen.
3. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens als unterliegender Teil des Rechtsstreits zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nrn. 1.5., 8.1., 8.2. des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit.