Verwaltungsrecht

Erfolgloser einstweiliger Rechtsschutz gegen eine Haltungsuntersagung und Abgabeverpflichtung eines Kampfhundes (hier: Rottweiler)

Aktenzeichen  10 CS 20.1432

Datum:
31.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20523
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, § 146 Abs. 4 S. 6
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, Art. 8, Art. 18 Abs. 2, Art. 37 Abs. 1, Abs. 2
KampfhundeVO § 1 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Bei einem  Rottweiler handelt es sich um einen Kampfhund der sog Kategorie II gem Art. 37 Abs. 1 S. 2 LStVG iVm § 1 Abs. 2 S. 1 KampfhundeVO, bei dem die Eigenschaft als Kampfhund (widerlegbar) vermutet wird, solange nicht der zuständigen Behörde für den betroffenen Hund nachgewiesen wird, dass dieser keine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren aufweist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dieser Nachweis obliegt dem Halter des Hundes durch ein entsprechendes Gutachten (Wesenstest; vgl. Nr. 37.3.2 der Vollzugsbekanntmachung zum LStVG – VollzBekLStVG). Gelingt ihm die Widerlegung, handelt es sich bei dem konkreten Hund nicht um einen Kampfhund und es bedarf zu seiner Haltung weder einer Erlaubnis noch einer Zuverlässigkeitsprüfung des Halters. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 8 S 20.304 2020-05-27 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit ihrer Beschwerde begehrt die Antragsgegnerin die Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Mai 2020, mit dem das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 18. Februar 2020 gegen Ziffer II. des Bescheids der Antragsgegnerin vom 27. Januar 2020 wiederhergestellt hat, sowie die Ablehnung des Eilrechtsschutzbegehrens der Antragstellerin gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Mit dem streitbefangenen Bescheid vom 27. Januar 2020 hatte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung eines (befristeten) Negativzeugnisses für ihre am 10. Juni 2019 geworfene Rottweiler-Hündin „Lady“ abgelehnt (I.), die Antragstellerin verpflichtet, die Hündin bis spätestens 15. Februar 2020 an eine zur Haltung des Tieres berechtigte Person abzugeben sowie der Antragsgegnerin dies schriftlich nachzuweisen (II.) und die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen angeordnet (III.).
Die von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 18. Februar 2020 gegen die sofort vollziehbare Abgabeverpflichtung in Ziffer II. des streitbefangenen Bescheids zu Recht stattgegeben, weil die Klage in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird. Lässt sich wie im vorliegenden Fall hinreichend eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt (s. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), so besteht regelmäßig kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 90).
Abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin die Anordnungen des streitbefangenen Bescheids zu Unrecht auf Art. 18 Abs. 2 LStVG gestützt hat und der Bescheid weder eine tragfähige Gefahrenprognose noch hinreichende Ermessenserwägungen (s. Art. 40 BayVwVfG) aufweist sowie die Verhältnismäßigkeit (Art. 8 LStVG) der Anordnungen lediglich pauschal behauptet, hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass im konkreten Fall keine hinreichenden Gründe dargelegt worden oder sonst ersichtlich seien, die dem Begehren der Antragstellerin auf Ausstellung eines befristeten Negativzeugnisses für ihre junge Rottweiler-Hündin entgegenstünden, und demzufolge auch eine Abgabeverpflichtung zur Unterbindung der Haltung eines Kampfhundes ohne die erforderliche Erlaubnis nicht in Betracht komme.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der Rottweiler-Hündin „Lady“ um einen Kampfhund der sogenannten Kategorie II gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 2 LStVG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit vom 10. Juli 1992 (GVBl S. 268), zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. September 2002 (GVBl S. 513, 583) – im Folgenden: KampfhundeVO – handelt, bei dem die Eigenschaft als Kampfhund (widerlegbar) vermutet wird, solange nicht der zuständigen Behörde für den betroffenen Hund nachgewiesen wird, dass dieser keine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren aufweist. Dieser Nachweis obliegt dem Halter des Hundes durch ein entsprechendes Gutachten (Wesenstest; vgl. Nr. 37.3.2 der Vollzugsbekanntmachung zum LStVG – VollzBekLStVG). Gelingt ihm die Widerlegung, handelt es sich bei dem konkreten Hund nicht um einen Kampfhund und es bedarf zu seiner Haltung weder einer Erlaubnis noch einer Zuverlässigkeitsprüfung des Halters (vgl. Schwabenbauer in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 1.5.2020, LStVG Art. 37 Rn. 24). Da bei jungen Hunden im Sinne des § 1 Abs. 2 KampfhundeVO gesicherte Aussagen hinsichtlich des Vorliegens einer gesteigerten Aggressivität und Gefährlichkeit im Sinn des Art. 37 Abs. 1 LStVG in der Regel erst ab einem Alter von ca. 18 Monaten getroffen werden können, ist gemäß Nr. 37.3.7 VollzBekLStVG wie folgt zu verfahren: Die Gemeinde stellt ein befristetes Negativzeugnis (d.i. eine Bescheinigung, dass die Haltung des Hundes [vorläufig] keiner Erlaubnis nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 LStVG bedarf, vgl. Nr. 37.3.6 VollzBekLStVG) aus, in dem zum Ausdruck zu bringen ist, dass der verfahrensgegenständliche Hund derzeit nicht als Kampfhund einzustufen ist, aber wegen der noch nicht überschaubaren Entwicklung eine erneute Begutachtung zu einem bestimmten Termin für erforderlich gehalten wird. Die Erlaubnispflicht für das Halten eines Kampfhunds gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 1 LStVG ist nach der dargelegten Gesetzessystematik ausschließlich durch die rasseabhängig unwiderlegbar (vgl. § 1 Abs. 1 KampfhundeVO) oder widerlegbar vermutete (vgl. § 1 Abs. 2 KampfhundeVO) gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit des Hundes gegenüber Menschen oder Tieren (hypertrophiertes Aggressionsverhalten, vgl. Schwabenbauer, a.a.O., Art. 37 Rn. 19) bedingt. Die Zuverlässigkeit des Halters (sowohl in persönlicher wie in fachlicher Hinsicht) ist dagegen gemäß Art. 37 Abs. 2 Satz 1 LStVG eine der beiden Haltungsvoraussetzungen für einen der Erlaubnispflicht nach Abs. 1 unterliegenden Kampfhund.
Demzufolge hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass es für die Ausstellung des zeitlich befristeten Negativzeugnisses für die inzwischen ca. 14 Monate alte Hündin der Antragstellerin keiner Zuverlässigkeitsprüfung durch die Antragsgegnerin bedarf; die durch die Antragsgegnerin geäußerten Zweifel an der Zuverlässigkeit der Antragstellerin sind vom diesbezüglichen Prüfprogramm nicht umfasst. Die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin, ihr stehe insoweit ein Beurteilungsspielraum zu, den sie nach pflichtgemäßem Ermessen auszuüben habe, findet weder in den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen noch in den Regelungen der Vollzugsbekanntmachung zu Art. 37 LStVG eine hinreichende Stütze. Richtig ist zwar, dass es sich bei der Ausstellung des befristeten Negativzeugnisses nicht um einen „Automatismus“ handelt, was zum einen schon in der Formulierung „in der Regel“ und zum anderen der gebotenen Einschaltung des zuständigen Veterinäramts „im jeweiligen Einzelfall“ (Nr. 37.3.7 VollzBekLStVG) zum Ausdruck kommt. Eine Ausnahme von diesem Regelfall kann jedoch nur bezogen auf die Beurteilung einer gesteigerten Aggressivität und Gefährlichkeit im Sinne des Art. 37 Abs. 1 LStVG, nicht aber wegen Zweifel an der Zuverlässigkeit des Halters vorliegen. Gründe, die im konkreten Einzelfall gegen die begehrte Ausstellung eines befristeten Negativzeugnisses für die Hündin der Antragstellerin sprechen würden, hat die Antragsgegnerin hier weder dargelegt noch sind solche sonst ersichtlich.
Ist nach alledem der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit gemäß Art. 37 Abs. 4 Nr. 1 LStVG derzeit nicht erfüllt, ist auch die durch die Antragsgegnerin im streitbefangenen Bescheid verfügte Abgabeverpflichtung mangels tragfähiger Rechtsgrundlage rechtswidrig. Dass hierfür Art. 18 Abs. 2 und Art. 37 Abs. 1 LStVG schon systematisch nicht in Betracht kommen und auch die Voraussetzungen gemäß Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG nicht vorliegen, liegt auf der Hand.
Die in einem solchen Fall als Rechtsgrundlage für eine Haltungsuntersagung und Abgabeverpflichtung allein noch in Betracht kommende Rechtsgrundlage des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG setzt eine konkrete Gefahr für die dort genannten Rechtsgüter voraus. Unabhängig davon, ob ein Nachschieben von Gründen im Verwaltungsprozess im Sinne einer Nachholung der materiell-rechtlich relevanten Begründung in der vorliegenden Konstellation überhaupt (noch) möglich wäre, wobei ein Nachschieben in diesem Sinne allenfalls in einer Ergänzung, Präzisierung oder Vertiefung jedenfalls im Ansatz bereits vorhandener tragender Erwägungen bestehen könnte (zu dieser prozessualen und materiell-rechtlichen Problematik vgl. z.B. BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 33 ff. m.w.N.), ist von der Antragsgegnerin eine sich aus der behaupteten fehlenden Zuverlässigkeit der Antragstellerin ergebende konkrete Gefahr im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG nicht hinreichend dargelegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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