Aktenzeichen M 21 S 17.44595
Leitsatz
1 In Italien anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte werden grundsätzlich menschenrechtskonform behandelt und sind in der Lage, ihre Grundbedürfnisse zu decken, zumal sie in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind und tatsächlich die Möglichkeit des Zugangs zu ausreichender gesundheitlicher Versorgung besitzen (wie VG Trier BeckRS 2017, 125601). (Rn. 17) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Eine in Italien eventuell drohende Obdachlosigkeit ist nicht ohne Weiteres geeignet, generell eine mit den Grundsätzen des europäischen Asylrechts unvereinbare Behandlung anerkannter Flüchtlinge in Italien anzunehmen (vgl. OVG Münster BeckRS 2016, 49118). Art. 3 EMRK verpflichtet gerade nicht dazu, anerkannten Flüchtlingen eine Wohnunterkunft zur Verfügung zu stellen, sie finanziell zu unterstützen oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR BeckRS 2014, 22111). (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Kapitel VII der RL 2011/95/EU gibt – anders als während des Asylverfahrens – für anerkannte international Schutzberechtigte lediglich vor, dass sie über dieselben Rechte wie eigene Staatsangehörige beim Zugang zu Wohnraum, Bildung, medizinische Versorgung, Beschäftigung oder Sozialhilfeleistungen verfügen müssen. Eine staatliche Verpflichtung zur finanziellen Unterstützung, Versorgung oder Unterbringung aller Einzelpersonen folgt daraus ebenso wenig wie aus den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl. EGMR BeckRS 2014, 22111). (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Ein anerkannter Flüchtling besitzt auch dann keinen Anspruch auf ein weiteres Anerkennungsverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat, wenn die Lebensbedingungen für Flüchtlinge in dem Staat, der die Anerkennung ausgesprochen hat, zwar nicht gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßen, es jedoch unterhalb dieser Schwelle tatsächliche Probleme beim Zugang zu den Leistungen gibt, die Art. 20 ff. RL 2011/95/EU vermitteln (BVerwG BeckRS 2017, 121936). (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die nicht ausgewiesene Antragstellerin ist nach eigenen Angaben nigerianische Staatsangehörige. Sie reiste am 16. Dezember 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 27. Januar 2015 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt am 14. November 2016 brachte die Antragstellerin zur Begründung ihres Asylverfahrens vor, sie habe von 2007 bis 2015 in Italien gelebt. Sie sei 14 Jahre alt gewesen, als sie Nigeria verlassen habe. Sie sei nach Deutschland gekommen, weil sie schwanger gewesen sei. In Italien sei sie obdachlos gewesen. Die Caritas dort habe ihr nicht helfen können.
Die Antragstellerin legte im Verlauf des Asylverfahrens ein permesso di soggiorno des Mitgliedstaats Italien vor, wonach ihr subsidiärer Schutz in Italien gewährt worden ist. Auf ein Informationsersuchen nach Art. 34 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 reagierte der Mitgliedstaat Italien nicht.
Mit Bescheid vom 1. Juni 2017, zugestellt am 9. Juni 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als unzulässig ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Italien angedroht. Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
In den Gründen des Bescheides heißt es, der Asylantrag der Antragstellerin sei unzulässig, weil ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union der Antragstellerin bereits internationalen Schutz gewährt habe. Die Antragstellerin habe italienische Aufenthaltspapiere vorgelegt und im Rahmen der Anhörung bestätigt, dass ihr in Italien internationaler Schutz gewährt worden sei. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die humanitären Bedingungen in Italien führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung der Antragstellerin eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die vom EGMR und vom EuGH aufgestellten Anforderungen gelten nur für Asylbewerber, nicht aber für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiären Schutzstatus. Diese würden vielmehr italienischen Staatsangehörigen gleichgestellt. Dass die wirtschaftliche Situation der Antragstellerin in Italien schlechter sein werde, als dies in Deutschland der Fall sei, reiche nicht aus, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung zu überschreiten.
Die Antragstellerin hat hiergegen am 12. Juni 2017 durch ihre Bevollmächtigte Klage erhoben, mit der sie sinngemäß beantragt, den Bescheid des Bundesamtes vom 1. Juni 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, sie als Asylberechtigter anzuerkennen, ihr die Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutz zu zuerkennen sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 bis Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Zugleich beantragt sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Zur Begründung führt sie aus, sie sei alleinstehend und habe einen im Jahr 2015 geborenen Sohn. Dieser habe ebenfalls einen ablehnenden Bescheid erhalten. Zu Unrecht sei ihr Asylantrag als Zweitantrag behandelt worden.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 27. Juni 2017 die Akte vorgelegt und sich zu dem Verfahren nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Klageverfahren sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Der Antrag ist zulässig, soweit damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 i.V.m. § 36 AsylG) sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids erreicht werden soll. Die Antragstellung erfolgte auch fristgerechnet innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG.
Der Antrag ist aber nicht begründet.
Bei der Entscheidung darüber, ob die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die insoweit gemäß § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbare Entscheidung der Antragsgegnerin anzuordnen ist, ist das öffentliche Interesse an einer alsbaldigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegenüber dem Interesse der Betroffenen an einer Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzuwägen, wobei allerdings gemäß §§ 36 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 AsylG eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Bescheides in Betracht kommt. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Entscheidung des Bundesamtes einer rechtlichen Überprüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. VG Berlin, B. v. 12.7.2017 – 23 L 503.17 A – mit Verweis auf BVerfG, U. v. 11.5.1996 – 2 BvR 1516/93 -, juris).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Ernstliche Zweifel hat das Gericht insbesondere nicht hinsichtlich der Verneinung von Abschiebungsverboten nach Italien gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Soweit der die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung teilweise die Auffassung vertritt, eine Überstellung nach Italien sei unzulässig, weil dem Asylantragsteller in Italien im Falle der Zuerkennung internationalen Schutzes unzumutbare Lebensumstände erwarteten (so VGH Baden-Württemberg, B. v. 15.3.2017 – A 11 S 2151/16 – juris), vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass in Italien anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich menschenrechtskonform behandelt werden und in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse zu decken, zumal sie in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind und auch tatsächlich die Möglichkeit des Zugangs zu ausreichender gesundheitlicher Versorgung haben (vgl. VG Trier, B. v. 20.7.2017 – 5 L 7778/17.TR -, juris; OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13.OVG -, VG München, U. v. 6.12.2016 – M 12 K 16.33413 – und B. v. 6.3.2017 – M 17 S. 17.33096 -; OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A – und 7.7.2016 – 13 A 2132/15.A – m.w.N.).
Auch eine in Italien eventuell drohende Obdachlosigkeit ist nicht ohne weiteres geeignet, generell eine mit den Grundsätzen des europäischen Asylrechts unvereinbare Behandlung anerkannter Flüchtlinge in Italien anzunehmen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A; VG Trier, a.a.O.). Art. 3 EMRK verpflichtet gerade nicht dazu, anerkannten Flüchtlingen einer Wohnungsunterkunft zur Verfügung zu stellen, sie finanziell zu unterstützen oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (EGMR, U. v. 4.11.2014 – 29217/12 – NVwZ 2015, 127, 129).
Denn anders als während des Asylverfahrens, für das die Migranten einen Anspruch auf Betreuung und Unterkunft haben (vgl. Art. 17 bis 19 Aufnahmerichtlinie RL 2013/33/EG) und dem in Italien angesichts der Vielzahl der dort ankommenden Schutzsuchenden nicht immer systemgerecht entsprochen worden ist, gibt Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU für anerkannte international Schutzberechtigte lediglich vor, dass sie über dieselben Rechte wie eigene Staatsangehörige beim Zugang zu Wohnraum, Bildung, medizinischer Versorgung, Beschäftigung oder Sozialhilfeleistungen verfügen müssen. Eine staatliche Verpflichtung zur finanziellen Unterstützung, Versorgung oder Unterbringung aller Einzelpersonen folgt daraus ebenso wenig wie aus den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl. EGMR, a.a.O.). Selbst wenn die Antragstellerin also bei ihrem Voraufenthalt in Italien unter schwierigen Bedingungen leben musste, so rechtfertigt dies nicht die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes dorthin, das dann letztlich für jeden aus Italien eingereisten Ausländer oder dortigen Staatsangehörigen gelten müsste, der wegen finanzieller Schwierigkeiten das Land verlassen hat.
Hieran vermag auch der Umstand, dass die wirtschaftliche Situation in dem Zielstaat der Überstellung schlechter ist als diejenige in der Bundesrepublik Deutschland, nichts zu ändern.
Ein anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts (B. v. 27.6.2017 – 1 C 26/16 – juris), in dem das Gericht selbst davon ausgeht, dass ein anerkannter Flüchtling auch dann keinen Anspruch auf ein weiteres Anerkennungsverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat hat, wenn die Lebensbedingungen für Flüchtlinge dort zwar nicht gegen Artikel 4 GRC und Art. 3 EMRK verstoßen, es jedoch unterhalb dieser Schwelle tatsächliche Probleme beim Zugang zu den Leistungen gibt, die Art. 20 ff. Richtlinie 2011/95/EU vermitteln. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seinem Beschluss davon aus, dass eine Absenkung der durch Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK gezogenen Schwelle das gemeinsame europäische Asylsystem und das ihm zugrunde liegende gegenseitige Vertrauen unterlaufen würde. Der Unionsgesetzgeber habe insoweit auf eine Vereinheitlichung des Niveaus staatlicher Leistungen gerade verzichtet. Daraus folge, dass es unionsrechtlich allenfalls dann geboten sein könne, einen Antrag auf nochmalige Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem anderen Mitgliedstaat entgegen der dort im nationalen Recht angeordneten Unzulässigkeit derartiger Anträge zu prüfen, wenn die Lebensbedingungen in dem Mitgliedstaat, der dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK verletzten.
Dies ist im Falle einer Überstellung in den Mitgliedstaat Italien nicht anzunehmen.
Nach all dem bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Antragsgegnerin zu Recht das Vorliegen eines Verbots der Abschiebung nach Italien verneint hat.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).