Verwaltungsrecht

Erfolgreiche Anfechtungsklage gegen einen als unzulässig abgelehnten Asyl(folge)antrag

Aktenzeichen  W 1 K 19.31008

Datum:
2.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 14947
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 24 Abs. 1 S. 1, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71 Abs. 3
VwVfG § 51

 

Leitsatz

1. Ist das Verwaltungsverfahren im Hinblick auf die Gewährleistung materieller Rechte in besonderer Weise ausgestaltet, hat der Kläger Anspruch darauf, dass diese Mindeststandards auch in seiner Person eingehalten werden; wird dem nicht Rechnung getragen, kann er die Einhaltung der entsprechenden Verfahrensrechte durch Anfechtung der Ablehnungsentscheidung des Bundesamts erzwingen. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Führt eine fehlerhafte Verfahrensgestaltung zu einer unzureichenden Amtsermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, kann dies auch materiell-rechtlich zu einer fehlerhaften Entscheidung bzgl. eines Wiederaufgreifens des Verfahrens führen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. Mai 2019 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, § 101 Abs. 2 VwGO, ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 14. Mai 2019, mit dem der Asylfolgeantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt wurde, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, sodass dieser aufzuheben war (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 AsylG stellt sich nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes als Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG dar, die mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris).
Der angegriffene Bescheid ist vorliegend formell rechtswidrig, da die Beklagte es in ermessensfehlerhafter Weise unterlassen hat, den Kläger zumindest schriftlich ergänzend zu seinem neuen Verfolgungsvorbringen gemäß § 71 Abs. 3 Satz 2 AsylG anzuhören. Aufgrund dieses Verfahrensfehlers wurde auch die Tatsachengrundlage, aufgrund derer die gebundene Entscheidung nach § 51 Abs. 1 VwVfG hinsichtlich der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (sowie die Ermessensentscheidung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG) zu treffen ist, nicht in ausreichender Weise ermittelt. Dieser Verfahrensfehler, der sich auch auf die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung auswirken kann, wurde weder geheilt, § 45 VwVfG, noch ist er unbeachtlich, § 46 VwVfG.
Nach § 71 Abs. 3 AsylG hat der Kläger in einem Folgeantrag Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ergibt. Auf Verlangen hat der Ausländer diese Angaben schriftlich zu machen. Von einer Anhörung kann abgesehen werden. Auch wenn nach diesen gesetzlichen Regelungen die Pflicht der Beklagten nach § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG, den Sachverhalt von Amts wegen zu klären, gemäß § 71 Abs. 3 Satz 1 AsylG durch eine Mitwirkungspflicht des Folgeantragstellers relativiert wird, so bleibt diese doch im Grundsatz bestehen. Insbesondere darf infolge des Absehens von einer Anhörung bzw. dem Verlangen nach einer schriftlichen Darlegung für den Folgeantragsteller unter keinen Umständen ein effektiver Zugang zum Verfahren unmöglich gemacht werden, insbesondere wenn bei der Antragstellung kein rechtskundiger Beistand mitgewirkt hat. Der persönlichen Anhörung bzw. zumindest dem Verlangen nach schriftlicher Darlegung des neuen Verfolgungsvorbringens kommt auch im Folgeantragsverfahren zur effektiven Verfahrensgestaltung für die Verwirklichung der Rechte nach § 3, 4 AsylG sowie der dabei ggf. betroffenen hochrangigen Rechtsgüter ein hoher Stellenwert zu (vgl. zum Ganzen: Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum AsylG, § 71 Rn. 138 ff). Ist das Verwaltungsverfahren im Hinblick auf die Gewährleistung materieller Rechte – wie vorliegend – in besonderer Weise ausgestaltet, so hat der Kläger einen Anspruch darauf, dass diese Mindeststandards auch in seiner Person eingehalten werden; wird dem nicht Rechnung getragen, so kann der Kläger die Einhaltung der entsprechenden Verfahrensrechte durch die Anfechtung der Ablehnungsentscheidung des Bundesamts erzwingen (vgl. VG Darmstadt, U.v. 28.5.2003 – 8 E 752/03.A(2) – juris).
Vorliegend hat der Kläger seine neuen Gründe im Folgeantragsverfahren in einem persönlichen Schreiben vom 28. März 2019 in Grundzügen dargelegt. Er hat hierbei auf eine Verfolgungsgefahr durch die Taliban verwiesen, da diese in der Nähe ihres Dorfes gezielt drei seiner Verwandten getötet hätten, was belege, dass er selbst und seine Familie weiterhin von den Taliban verfolgt und mit dem Tode bedroht würden. Indem der Kläger sodann darauf hingewiesen hat, dass er davon ausgehe, dass eine Anhörung stattfinden werde und er dort die näheren Umstände seines Vortrags persönlich mitteilen werde, hat er gegenüber der Beklagten deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er seinen Vortrag noch ergänzen und näher einordnen will und daher seinen Folgeantrag noch nicht als vollständig erachtet. Dass er von einem erneuten Anhörungstermin ausgegangen ist, liegt angesichts seiner persönlichen Anhörung im Asylerstverfahren keineswegs fern. Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht durch die ihm übermittelte Belehrung eingangs des Folgeverfahrens, wonach das Bundesamt ihn nunmehr nicht mehr persönlich anhören müsse. Denn weder durch den Wortlaut dieser Belehrung noch durch § 71 Abs. 3 Satz 3 AsylG wird eine Anhörung ausgeschlossen, sondern explizit in das – pflichtgemäße – Ermessen der Behörde gestellt. Wenn die Beklagten vorliegend von einer persönlichen Anhörung absehen wollte, so wäre es im Rahmen eines fairen, die Rechte des Klägers wahrenden Verfahrens doch zumindest erforderlich gewesen, den Kläger auf die Nichtdurchführung eines persönlichen Anhörungstermins im Folgeverfahren hinzuweisen und ihm – ggf. unter Fristsetzung – aufzugeben, sein Vorbringen – wie von ihm angekündigt -, nunmehr auf schriftlichem Wege zu ergänzen, § 71 Abs. 3 Satz 2 AsylG (vgl. auch Funke-Kaiser, a.a.O., Rn. 142) anstatt ihm trotz der angekündigten Angabe näherer Umstände im streitgegenständlichen Bescheid vorzuhalten, dass kein schlüssiger und detaillierter Vortrag erfolgt sei. Es ist vorliegend auch nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger seine Gründe aus rechtsmissbräuchlichen Gründen, etwa im Sinne einer Verfahrensverzögerung zur Verhinderung eines unmittelbar bevorstehenden Abschiebungstermins, zunächst nicht vollständig vorgetragen hat.
Schließlich hat die zuvor skizzierte fehlerhafte Verfahrensgestaltung auch dazu geführt, dass die Beklagte den entscheidungserheblichen Sachverhalt entgegen der ihr obliegenden Amtsermittlungspflicht nicht ausreichend ermittelt hat. Dies wiederum kann auch materiell-rechtlich etwaig zu einer fehlerhaften Entscheidung im Hinblick auf § 51 Abs. 1 VwVfG führen. Erst die weiteren angekündigten Ausführungen des Klägers – bzw. zumindest deren Ermöglichung – werden eine hinreichende Grundlage für die Entscheidung zu § 51 Abs. 1 VwVfG bieten, ob nämlich der neue Vortrag im Folgeverfahren eine für den Kläger günstigere Entscheidung herbeiführen kann sowie zu dem Teilaspekt, ob weiterhin die Annahme einer internen Schutzmöglichkeit in Afghanistan gerechtfertigt erscheint. Der Verfahrensverstoß wurde weder nach § 45 VwVfG geheilt noch ist er nach § 46 VwVfG unbeachtlich, da angesichts der nicht hinreichenden Tatsachengrundlage nicht offensichtlich ist, dass die Verletzung der Verfahrensrechte die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
Nach alledem war der streitgegenständliche Bescheid vom 07.05.2019 mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO aufzuheben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben