Verwaltungsrecht

Erfolgreiche Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft: Konversion zum Christentum

Aktenzeichen  Au 5 K 17.31653

Datum:
25.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 4

 

Leitsatz

1 Zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems sind in Afghanistan gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2 Konvertiten stehen in Afghanistan landesweit keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, auch nicht in Kabul. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
II. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 2. März 2017 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
III. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu ¼ und die Beklagte zu ¾.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht zuvor der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. September 2017 entscheiden, ohne dass die Beklagte an der vorbezeichneten Verhandlung teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
1. Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung vom 25. September 2017 zurückgenommen und das Klagebegehren entsprechend beschränkt wurde, war das Verfahren nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Nach teilweiser Klagerücknahme verbliebener Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG, hilfsweise auf Gewährung subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) und weiter hilfsweise auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach Afghanistan bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG).
2. Soweit der Kläger seine Klage in der mündlichen Verhandlung noch aufrechterhalten hat, ist sie zulässig und begründet. Der Kläger hat nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. März 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit er dem entgegensteht.
Der Kläger besitzt einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
a) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i.S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie – QRL) vom 13. Dezember 2011 (ABl EU Nr. L 337/9) umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dabei ist nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der Grundrechtscharta verstößt, bereits eine Verfolgungshandlung i.S. der Qualifikationsrichtlinie. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein solcher Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit vorliegt und als Verfolgungshandlung zu qualifizieren ist, sind eine Reihe objektiver wie auch subjektiver Gesichtspunkte zu berücksichtigen (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11, C-99/11 – NVwZ 2012, 1612/1614; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/939 Rn. 28). Objektive Gesichtspunkte sind dabei insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter, wie Leib und Leben. Subjektiv ist zu berücksichtigen, ob die religiöse Handlung, die die Verfolgung auslöst, für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Maßgeblich ist, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, a.a.O., Rn. 29). Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit i.S. von Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, den Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in die Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11, C-99/11 – NVwZ 2012, 1612/1614; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/938 Rn. 24). Ein hinreichend schwerer Eingriff setzt dabei nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach der Rückkehr in sein Heimatland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr einer Verfolgung aussetzt. Auch der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/939 Rn. 26).
Es ist jedoch stets Sache des Ausländers, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Beruft sich der Ausländer indes zur Begründung seiner Verfolgungsfurcht auch auf Vorgänge und Geschehensabläufe nach dem Verlassen seines Herkunftsstaates, so gilt die das Maß der Darlegungsanforderungen bestimmende Beweiserleichterung nicht, weil nicht mehr davon auszugehen ist, dass die für Vorgänge in dem „Verfolgerstaat“ bestehenden Beweisschwierigkeiten außerhalb des Herkunftsstaates fortbestehen. Der Flüchtling hat vielmehr die Umstände, aus denen er seine begründete Furcht vor Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ableitet, zu beweisen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die Nachfluchtgründe in einem Verhalten des Ausländers bestehen, das nicht Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung und Ausrichtung ist, § 28 Abs. 1a AsylG. Durch die Verwendung des Wortes „insbesondere“ in § 28 Abs. 1a AsylG ist zwar nicht ausgeschlossen, dass auch Nachfluchttatbestände ohne eine entsprechende Vorprägung im Heimatland beachtlich sein können.
Dies zugrunde gelegt hat der Kläger keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1a AsylG.
b) Gemessen an diesen Maßstäben ist das Gericht auf Grundlage der vorgelegten Unterlagen und der persönlichen Einvernahme des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass im Falle des Klägers die erforderliche objektive und subjektive Schwere der ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan drohenden Verletzung seiner Religionsfreiheit vorliegen. Der Kläger hat sich nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland durch innerliche Überzeugung dem christlichen Glauben zugewandt und praktiziert diesen nach Auffassung des Gerichts mit hinreichender Deutlichkeit und Überzeugung auch im Alltag. Dokumentiert wird dieser Prozess des Klägers durch dessen Taufe, die zwischenzeitlich ebenfalls erlangten Sakramente der Kommunion und der Firmung. Der angenommene christliche Glaube und dessen Verwirklichung im privaten Alltag sind nach Überzeugung des Gerichts für den Kläger identitätsbestimmend, so dass ihre Aufgabe oder auch nur ihr Verzicht im Herkunftsland einen mit Art. 10 der Grundrechtecharta unvereinbaren Eingriff in seine religiöse Identität darstellen würde. Dem Kläger droht damit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in Anknüpfung an seine gegenwärtige Religionszugehörigkeit.
aa) Nach der Überzeugung des Gerichts sind zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems in Afghanistan gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können. Dauerhafter staatlicher Schutz vor derartigen Übergriffen ist derzeit – auch nur in bestimmten Landesteilen – nicht erreichbar (VG Würzburg, U.v. 30.9.2016 – W 1 K 16.31807 – juris Rn. 23 m.w.N.; VG Dresden, U.v. 28.10.2016 – 7 K 3036/14.A – juris Rn.23).
Nach der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan ist der Islam die Staatsreligion. Zwar ist die Religionsfreiheit in der afghanischen Verfassung verankert. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen sind jedoch allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts zu verstehen. Die Glaubensfreiheit und damit das Recht auf freie Religionswahl gelten demnach für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016 – im Folgenden: Lagebericht, S. 10). In der Rechtspraxis spielt die Anwendung der Scharia, nach der Konversion als Verbrechen mit der Todesstrafe zu ahnden ist, eine gewichtige Rolle, auch wenn die Todesstrafe bisher noch nie vollstreckt wurde (Lagebericht, a.a.O. S. 11). Konvertiten drohen jedoch Gefahren oft auch aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld, weil der Abfall vom Islam in der streng muslimisch geprägten Gesellschaft als Schande für die Familienehre angesehen wird. Nach den in Afghanistan vorherrschenden (sunnitischen und schiitischen) Rechtsschulen muss ein vom Islam Abgefallener zur Reue aufgefordert werden. Wiederruft er seinen Glaubenswechsel nicht, so ist sein Leben nach islamischer Rechtsauffassung verwirkt. Aus diesen Gründen sind in Afghanistan zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. Gottesdienste können nur in privaten Häusern abgehalten werden. Sie können ihren Glauben nicht einmal im familiären bzw. häuslichen Umfeld ausüben (Lagebericht, a.a.O. S. 11; VG Würzburg, a.a.O. Rn. 24 m.w.N.). Damit sind zum Christentum konvertierte Moslems in Afghanistan für den Fall, dass sie ihren Glauben nicht verleugnen wollen, der Gefahr der Strafverfolgung durch Scharia-Gerichte sowie erheblicher Repressalien auch im privaten Umfeld bis hin zu „Ehrenmorden“ ausgesetzt. Wirksamen Schutz durch die Polizei oder andere staatliche Einrichtungen i.S. von § 3d AsylG können die Konvertiten nicht erwarten, da für sie nach der Verfassung die Religionsfreiheit gerade nicht gilt.
Im Falle des Klägers steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass er aus ernsthafter Überzeugung zum Christentum konvertiert ist und die Betätigung seines Glaubens Teil seiner religiösen Identität ist. Die Glaubwürdigkeitszweifel des Bundesamtes teilt das Gericht im vorliegenden Fall nicht. Das Gericht kommt zu diesem Ergebnis zunächst auf Grundlage der am 31. Oktober 2015 erfolgten katholischen Taufe des Klägers. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um den bloßen Taufakt, sondern der Kläger hat zuvor eine Taufvorbereitung durchlaufen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 25. September 2017 nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen er sich dem Christentum zugewandt hat. Der Kläger hat diesbezüglich darauf verwiesen, dass er in Afghanistan selbst erlebt habe, zu welchen Grausamkeiten Anhänger des Islam fähig seien. Dass der Kläger den christlichen Glauben nicht bereits in Afghanistan bzw. dem Iran praktiziert habe, hat der Kläger plausibel damit erklärt, dass er aus einer gemischt-konfessionellen (Schiit und Sunnit) Ehe stamme. Eine religiöse Prägung habe er in Afghanistan bzw. dem Iran nicht erfahren. Ausweislich der Darlegung in der mündlichen Verhandlung vom 25. September 2017 hat das Gericht den Eindruck gewonnen, dass sich der Kläger seit dem Jahr 2015 intensiv mit Glaubensinhalten befasst und diese für ihn auch wesensbestimmend sind. Hierfür spricht auch die mehrmalige Teilnahme des Klägers an der Veranstaltung „Kloster auf Zeit“ im Kloster, wo der Kläger über eine Woche am klösterlichen Leben teilnimmt und sich intensiv mit Glaubensinhalten beschäftigt. Weiter ist darauf zu verweisen, dass der Kläger den mit der Taufe begonnenen Weg im christlichen Glauben konsequent weitergegangen ist. So hat der Kläger mit der Taufe das Sakrament der heiligen Kommunion und zwischenzeitlich auch die Firmung erfahren. Der Kläger wird im Glauben nach dem Vortrag im Verfahren engmaschig begleitet und es wird ihm vielfältige Hilfestellung erwiesen. Im Fall des Klägers ist daher davon auszugehen, dass die Taufe und der weitere Weg im christlichen Glauben des Klägers eine geänderte und inzwischen weitgehend gefestigte innere Einstellung dokumentieren. Zwar reicht der formale, kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt bzw. Eintritt zum Christentum für die Gewinnung dieser Überzeugung jedenfalls in der Regel nicht aus (vgl. BayVGH, B. v. 9.4.2015 – 14 ZB 13.30444 – NVwZ-RR 2015, 677). Das Gericht ist auf Grund des Gesamteindrucks, den der Kläger durch seine Angaben in der mündlichen Verhandlung gemacht hat und die von seinen ihn begleitenden Betreuern bestätigt wurden, davon überzeugt, dass er sich ernsthaft und dauerhaft dem Christentum zugewandt hat. Der Kläger konnte nicht nur Fragen zu Glaubensinhalten für seinen aktuellen Wissensstand ausreichend detailliert beantworten, sondern er hat insbesondere auch glaubhaft und schlüssig dargelegt, wie sich seine Hinwendung zum Christentum vollzogen hat. Der Kläger hat seinen Glaubenswechsel anhand der von ihm gezeichneten Glaubenskenntnisse über das Christentum (Kenntnisse der wesentlichen Feiertage; Kenntnis des Vater unser) und durch seine Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachvollziehbar und glaubhaft geschildert. Der Eindruck eines ernsthaften Glaubenswechsels wird dadurch verstärkt, dass der Kläger nach den schriftlichen Stellungnahmen des katholischen Pfarramtes,, und des den Kläger im Glauben begleitenden Pfarrers,, am Leben der örtlichen Kirchengemeinschaft aktiv teilnimmt. All dies lässt auf einen ernstgemeinten religiösen Einstellungswandel des Klägers schließen. Das Gericht teilt daher die Glaubwürdigkeitszweifel des Bundesamtes im vorliegenden Fall nicht. Das Gericht hat bei der persönlichen Einvernahme des Klägers nicht den Eindruck gewonnen, dass dieser sich allein aus asyltaktischen Gründen dem christlichen Glauben zugewandt hat. Auch die den Kläger betreuenden Amtsträger haben bestätigt, dass die christliche Idee beim Kläger auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Das Gericht hat den Kläger als im Glauben lernwillig erlebt und hat den persönlichen Eindruck gewonnen, dass der beim Verlassen von Afghanistan in Religionsfragen noch weitgehend orientierungslose Kläger im Christentum eine innerliche Bekräftigung und Bestätigung erfahren hat, an der er sein künftiges Leben ausrichten möchte. Der Kläger ist im Umfang seiner sprachlichen Kenntnisse stets bemüht, seine Glaubensinhalte weiter zu vertiefen und auszubauen. Hierfür stehen ihm geeignete Personen zur Seite. So wurde in der mündlichen Verhandlung insbesondere dargestellt, dass der Kläger bereits mehrere Feste im Kirchenjahr bewusst mitgefeiert hat und deren Inhalte für sich als verbindlich erachtet.
Damit gehört zur Überzeugung des Gerichtes eine christlich-religiöse Betätigung zur Identität des Klägers. Mit christlichen Verhaltensweisen und Überzeugungen würde der Kläger in der ausschließlich muslimisch geprägten Gesellschaft Afghanistans unweigerlich auffallen und landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sein. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger sich zur Wahrung seiner religiösen Identität auch in Afghanistan zu seinem Glauben bekennen würde. Es wäre ihm deshalb im Herkunftsland nicht möglich, seine Religion entsprechend seinem religiösen Selbstverständnis auszuüben, ohne der Gefahr einer Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure i.S. des § 3c Nr. 1, 3 AsylG ausgesetzt zu sein.
Dem Kläger steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Die vorgenannten Gefahren für vom Glauben abgefallene Muslime drohen in Afghanistan landesweit, auch in der Stadt Kabul. Zwar mögen insbesondere nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes Repressionen gegen Konvertiten in städtischen Gebieten aufgrund der größeren Anonymität weniger als in Dorfgemeinschaften zu befürchten sein. Selbst dort würde aber ein vom Glauben abgefallener Muslim unweigerlich auffallen und selbst im privaten, familiären Umfeld bedroht sein (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Würzburg vom 13.5.2012 im Verfahren W 2 K 11.30269). Schutz vor Übergriffen ist jedoch in keinem Landesteil Afghanistans dauerhaft zu erreichen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 22.12.2004, S. 2; Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 19; IGFM, a.a.O., S. 1). In der Rechtsprechung wird diese Einschätzung teilweise geteilt (z.B. OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 19.6.2008 – 20 A 3886705.A – InfAuslR 2008, 411, juris Rn. 33 ff., dort auch explizit zu Kabul; VG Würzburg, U.v. 30.9.2016 – W 1 K 16.31087 – juris Rn. 31 m.w.N.; VG Augsburg, U.v. 8.4.2013 – AU 6 K 13.30004 – juris Rn. 27 ff.). Das Gericht schließt sich im vorliegenden Verfahren aufgrund der Ausführungen in den zitierten Erkenntnismitteln der Auffassung an, wonach eine innerstaatliche Fluchtalternative für glaubhaft vom Islam abgefallene ehemalige Muslime in Afghanistan ausscheidet, wenn sie nicht bereit sind, entgegen ihrer inneren Überzeugung an religiösen Riten und Feierlichkeiten teilzunehmen (vgl. VG Würzburg, U.v. 26.4.2016 – W 1 K 16.30268 – juris; U.v. 19.5.2015 – W 1 K 14.30534 – juris; U.v. 19.12.2014 – W 1 K 12.30183 – juris). Es ist davon auszugehen, dass dem Kläger nicht zugemutet werden kann, bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf die Ausübung seiner christlichen Religion aus Furcht vor Verfolgung zu verzichten (vgl. auch BVerwG, U.v. 10.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67 zur Relevanz auch öffentlicher Religionsbetätigung und dem unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungenen Verzicht auf die Glaubensbetätigung).
Demnach ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Über die hilfsweise begehrte Zuerkennung subsidiären Schutzes bzw. Feststellung von Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) war nicht mehr zu entscheiden (§ 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG).
3. Nachdem dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, ist die Grundlage für die gemäß §§ 34, 38 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung entfallen.
4. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage auf § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83 b gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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