Verwaltungsrecht

Erfolgreicher Antrag gegen Verfahrenseinstellung wegen Nichtbetreibens

Aktenzeichen  M 25 S 17.35861

Datum:
8.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 25, § 33 Abs. 1, Abs. 2
AufenthG AufenthG § 11, § 60

 

Leitsatz

Die Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG wegen Nichterscheinens zum Anhörungstermin nach § 25 AsylG setzt voraus, dass das Bundesamt den Nachweis erbringt, dass die Ladung dem Asylbewerber zugestellt wurde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage M 25 K 17.35860 gegen die in Nr. 1 und Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 9. März 2017 verfügte Verfahrenseinstellung und die Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 24. März 2017 (M 25 K 17.35860) gegen den Bescheid der Beklagten vom 9. März 2017, mit dem sein Asylverfahren eingestellt, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes verneint, ihm die Abschiebung nach Afghanistan angedroht und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten festgesetzt wurde.
Der nach seinen Angaben im Februar 1999 geborene afghanische Antragsteller soll ausweislich des Bescheids am 9. Dezember 2015 einen Asylantrag gestellt haben. Aus der vorgelegten Behördenakte ergibt sich, dass eine Frau C. vom … e.V. unter Vorlage einer Fotokopie einer Bestellung des Amtsgerichts … vom 15. September 2016 (Behördenakte, Blatt 5) mit Schreiben vom 18. November 2016 als gerichtlich bestellter Vormund für den Antragsteller als ihr Mündel schriftlich einen beschränkten Asylantrag gestellt hat (Behördenakte, Blatt 1). Die Antragsgegnerin führt den Asylantrag als unter dem Datum 21. November 2016 gestellt (Behördenakte, Blatt 7).
Mit an das … e.V., Frau C., als Vertreter des Antragstellers gerichtetem Schreiben vom 23. Februar 2017 lud die Antragsgegnerin im Verfahren des Antragstellers zur Anhörung am 8. März 2017 (Behördenakte, Blatt 28).
Ausweislich des Ergebnisses einer undatierten Sendungsverfolgung zu … ist der Empfänger benachrichtigt und liegt die Sendung zur Abholung in der zuständigen Filiale der Deutschen Post bereit (Behördenakte, Blatt 34). Nach der Fotokopie des Umschlags eines ausweislich des Poststempels am 21. Februar 2017 aufgegebenen Schreibens ging dieses zurück an die Antragstellerin. Es befinden sich mehrere Aufkleber, Stempel und eine handschriftliche Notiz auf diesem Umschlag (Behördenakte, Blatt 58).
Mit Bescheid vom 9. März 2017, am 10. März 2017 als Einschreiben zur Post gegeben (Behördenakte, Blatt 50), stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) das Asylverfahren ein (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen zur Aufnahme bereiten oder zur Rückübernahme verpflichteten Staat an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate (Nr. 4). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen. Insbesondere sei dem Vormund des Antragstellers der Termin zur persönlichen Anhörung sowohl in einem persönlichen Telefongespräch, in dem eigens auf die Belange des Vormunds hinsichtlich des Beginns der Anhörung eingegangen worden sei, als auch schriftlich mit Einschreiben mitgeteilt worden. Der Zustellnachweis liege dem Bundesamt vor.
Gegen den Bescheid ließ der Antragsteller, vertreten durch seinen Vormund, durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 24. März 2017, bei Gericht am selben Tag eingegangen, Klage erheben (M 25 K 17. 35860) und beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Begründung bleibe einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten.
Am 29. März 2017 und am 14. April 2017 ging die elektronische Behördenakte ein.
Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakte, auch des Hauptsacheverfahrens und die vorgelegte Behördenakte.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO hat Erfolg. Das private Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorerst verschont zu bleiben, überwiegt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Abschiebungsandrohung.
Der auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der nach § 75 Abs. 1 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Verfahrenseinstellung und der Abschiebungsandrohung gerichtete Antrag ist zulässig (vergleiche zum Rechtsschutzbedürfnis BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8) und begründet.
Für die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Entscheidung ist maßgebend, ob das private Interesse des Antragstellers das öffentliche Interesse am Vollzug des Verwaltungsakts überwiegt. Bei dieser gerichtlichen Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs vorrangig zu berücksichtigen. Hat der Rechtsbehelf voraussichtlich Erfolg, weil der angegriffene Verwaltungsakt fehlerhaft ist, überwiegt das Aussetzungsinteresse des Betroffenen das öffentliche Vollzugsinteresse. Wird der Antragsteller im Verfahren der Hauptsache aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben, weil die angegriffene Verfügung als rechtmäßig zu beurteilen ist, ist der Antrag in aller Regel unbegründet. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, so verbleibt es bei der Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden öffentlichen bzw. privaten Interessen.
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist gemäß § 77 Absatz 1 Satz 1 AsylG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung.
1. Vorliegend wird der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben, weil der angegriffene Bescheid in Nr. 1 und Nr. 3 voraussichtlich fehlerhaft ist.
1.1. Das Verfahren wurde in Nr. 1 des Bescheids voraussichtlich zu Unrecht eingestellt.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390 f.) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 nicht nachgekommen ist.
Der Antragsteller ist zur persönlichen Anhörung zwar nicht erschienen. Allerdings hat er das Schreiben, mit dem er zur Anhörung geladen wurde, nach Aktenlage nicht erhalten. Deshalb kann ihm das Nichterscheinen zu einem ihm nicht bekannten Anhörungstermin nicht zum Nachteil gereichen.
Die Zustellung des Schreibens, mit dem der Antragsteller zur persönlichen Anhörung gemäß § 25 AsylG geladen wurde, ist nicht belegt. Zunächst hat die Antragsgegnerin in der Akte nicht vermerkt, unter welchem Datum das Schreiben zur Post gegeben worden ist. Darüber hinaus bestehen begründete Zweifel daran, dass die undatierte Sendungsverfolgung und der in der Akte befindliche Briefumschlag sich auf das Ladungsschreiben der Antragsgegnerin an den Antragsteller beziehen: Das Ladungsschreiben datiert vom 23. Februar 2017, während der Briefumschlag den Poststempel vom 21. Februar 2017 trägt. Diese Abweichung legt den Schluss nahe, dass der Briefumschlag und die Sendungsverfolgung sich auf ein anderes Schreiben als die Ladung des Antragstellers zur Anhörung beziehen. Einen Nachweis der Zustellung hat die Antragsgegnerin somit nicht erbracht. Unter diesen Umständen ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass das Ladungsschreiben den Antragsteller tatsächlich nicht erreicht hat. Der Hinweis im Bescheid, dass der Vormund des Antragstellers auch telefonisch auf den Termin hingewiesen worden sei, ändert an diesem Ergebnis nichts. Denn dass den Vormund die schriftliche Bestätigung des mündlich abgesprochenen Termins zur Anhörung erhalten hat, ist gerade nicht belegt. Für den Vormund kann sich die Sachlage deshalb durchaus so darstellen, dass zunächst ein bestimmter Termin von der Antragsgegnerin zwar ins Auge gefasst, dann aber doch wieder verworfen wurde.
1.2. Die in Nr. 3 des Bescheids verfügte Abschiebungsandrohung nach Afghanistan dürfte sich im Hinblick auf die voraussichtlich zu Unrecht verfügte Verfahrenseinstellung ebenfalls als rechtswidrig erweisen.
2. Die Antragsgegnerin trägt als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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