Verwaltungsrecht

Erfolgreicher Eilantrag gegen die Ablehnung eines Zweitantrags als unzulässig

Aktenzeichen  M 21 S 17.43684

Datum:
22.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 26a, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 36 Abs. 4, § 71a
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Für die Anwendung des § 71a AsylG darf das Bundesamt sich nicht nur auf die Angaben des Asylbewerbers bezüglich eines erfolglosen Ausgangs eines Asylverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat stützen. Die Prüfung des erfolglosen Abschlusses des Asylverfahrens beinhaltet unter anderem, dass das Bundesamt sich Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags im anderen Mitgliedsstaat verschafft. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die fehlende Aufklärung bezüglich des erfolglosen Ausgangs eines Asylverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat begründet ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. Mai 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste am 29. Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 13. Juni 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Der Antragsteller wurde am 22. September 2016 vor dem Bundesamt persönlich angehört. Dabei äußerte er sich zu seinem Verfolgungsschicksal. Auch Nachfrage erklärte der Antragsteller, er habe bereits in Italien einen Asylantrag gestellt. Dieser sei abgelehnt worden. In der Akte des Bundesamtes finden sich Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für die Schweiz, Italien und Österreich.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 23. Mai 2017 wurde der Antrag des Antragsstellers als unzulässig abgelehnt. Es wurde ferner festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und der Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung nach Nigeria wurde angedroht. Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es handele sich bei dem erneuten Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland um einen Zweitantrag im Sinne des § 71 a AsylG, da der Antragsteller bereits in einem sicheren Drittstaat gemäß § 26 a AsylG ein Asylverfahren erfolglos betrieben habe. Der Antragsteller habe sich bei seiner Anhörung auf die gleichen Asylgründe berufen, die er schon in Italien vorgetragen habe. Damit sei weder dargelegt worden, dass sich die Sachlage seit seinem Asylverfahren in Italien geändert habe, noch lägen hierfür sonstige Hinweise vor. Auch eine Änderung der Rechtslage liege nicht vor. Konkrete individuelle Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG seien in Bezug auf das Heimatland nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich.
Hiergegen erhob der Antragsteller privatschriftlich am 2. Juni 2017 Klage (M 21 K 17.43682), mit der er (sinngemäß) beantragt, den Bescheid des Bundesamts vom 23. Mai 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Zugleich beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung trägt er vor, seine Frau und seine Tochter lebten in Deutschland. Seine Frau benötige wegen erlittener Traumata ärztliche Behandlung.
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 16. Juni 2017 die Behördenakten vorgelegt. Eine Äußerung erfolgte weder zum Klagenoch zum Eilverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowohl in diesem als auch im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat Erfolg.
Der Antrag ist zulässig, soweit damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 i.V.m. §§ 71a Abs. 4, 36 AsylG) sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids erreicht werden soll. Die Antragstellung erfolgte auch fristgerechnet innerhalb der Wochenfrist des § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG.
Der Antrag ist auch begründet.
Gemäß §§ 71a Abs. 4 i.V.m. 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Falle eines Zweitantrages, in dem ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99). Dies ist hier im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) der Fall.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen. Andernfalls ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG.
§ 71a AsylG setzt damit den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 22ff; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 24ff). Hierbei muss – entgegen der im streitgegenständlichen Bescheid ersichtlichen Auffassung der Antragsgegnerin – der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat durch rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N.). Dies bedeutet, dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. Eine solche Prüfung beinhaltet unter anderem, dass das Bundesamt Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags im anderen Mitgliedsstaat hat (vgl. VG München, B. v. 30.1.2017 – M 23 S. 16.34550 – juris; B.v. 27.12.2016 – M 23 S. 16.33585 – juris; VG Schleswig-Holstein, B.v. 7.9.2016 – 1 B 54/16 – juris Rn. 7 ff; VG Schwerin, U.v. 8.7.2016 – 15 A 190/15 – juris Rn. 18; VG Wiesbaden, B.v. 20.6.2016 – 5 L 511/16.WI.A – juris Rn. 20, BeckOK AuslR/Schönenbroicher, AsylG, § 71a Rn. 1f).
Der Antragsteller hat zwar bei seiner Anhörung angegeben, dass sein Asylantrag in Italien abgelehnt worden sei und in der vorgelegten Behördenakte ist ein Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Italien dokumentiert. Weitere Erkenntnisse hierzu liegen jedoch nicht vor, zumindest sind sie in der vorgelegten Behördenakte nicht dokumentiert. Lediglich der Verweis auf die Angaben des Antragstellers bezüglich eines erfolglosen Ausgangs eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat genügt für die Anwendung des § 71a AsylG nicht. Der Antragsteller ist auch in der Regel nicht in der Lage, über den Verfahrensablauf ausreichend Auskunft geben zu können (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 22). Die Antragsgegnerin ist damit ihrer Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen. Selbst bei unterstelltem Asylantrag bleibt offen, ob in Italien ein Asylverfahren mit inhaltlicher Prüfung und abschließender Sachentscheidung (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris) durchgeführt wurde und ob gegebenenfalls die Möglichkeit der Wiederaufnahme insbesondere hinsichtlich möglicher neuer Beweismittel besteht. Die fehlende Aufklärung geht zu Lasten der Antragsgegnerin (vgl. BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 41).
Ein erfolgloser Abschluss des Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat ist somit nicht nachgewiesen, so dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestehen.
Dem Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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