Verwaltungsrecht

Erfolgreicher Eilantrag gegen Einstellung des Asylverfahrens wegen Nichterscheinens zur Anhörung

Aktenzeichen  M 21 S 17.40391

Datum:
8.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 10 Abs. 2, § 15, § 25, § 33 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4, § 36 Abs. 4

 

Leitsatz

Die Zustellungsfiktion der Ladung nach § 10 Abs. 2 AsylG ersetzt nicht die für die Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG erforderliche und durch Empfangsbestätigung nachzuweisende Kenntnis des Antragstellers über die Belehrung. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren M 21 K 17.40390 gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. April 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist Staatsangehöriger des Senegals oder von Guineau-Bissau. Er reiste am 28. September 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 6. Oktober 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
In der dem Antragsteller in deutscher und in englischer Sprache erteilten Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise wurde auf Folgendes hingewiesen:
„Sie erhalten einen Termin zur Anhörung vor dem Bundesamt. Sie sind verpflichtet, diesen Termin persönlich wahrzunehmen… Bitte nehmen Sie den Anhörungstermin unbedingt wahr. Sie werden darauf hingewiesen, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben kann (Entscheidung ohne persönliche Anhörung), wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen, ohne vorher Ihre Hinderungsgründe rechtzeitig dem Bundesamt schriftlich mitgeteilt zu haben …“
Der Belehrung war ein Gesetzesauszug aus dem Asylgesetz in deutscher Sprache beigefügt, u.a. ein Auszug aus §§ 10, 15, 25, 33 Abs. 1 und 3 und § 36 Abs. 4 AsylG.
Mit Schreiben des Bundesamtes vom 21. Dezember 2016, zugestellt am 23. Dezember 2016, wurde der Antragsteller zu einer Anhörung am 13. Januar 2017 geladen.
Die Ladung zur Anhörung vor dem Bundesamt enthielt folgenden Hinweis in deutscher Sprache:
„Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass der Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen. Dies gilt nicht, wenn Sie unverzüglich nachweisen, dass Ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die Sie keinen Einfluss hatten. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit müssen Sie unverzüglich die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht. Wenn Sie bei der Krankenkasse als arbeitsunfähig gemeldet sind, müssen Sie dieser die Ladung zum Termin unverzüglich mitteilen. Wenn dem Bundesamt keinen Nachweis über die Hinderungsgründe vorliegt, entscheidet das Bundesamt ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob Abschiebungsverbote vorliegen.“
Dem Antragsteller wurde mit Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 23. Dezember 2016 ab dem 30. Dezember 2016 ein neuer Wohnsitz in der Landeshauptstadt zugewiesen. Zum Termin am 13. Januar 2017 erschien der Antragsteller nicht.
Mit Schreiben des Bundesamtes vom 27. März 2017, zugestellt am 30. März 2017, wurde der Antragsteller zu einer Anhörung am 19. April 2017 geladen. Die Ladung enthielt den bereits im ersten Ladungsschreiben enthaltenen (deutschen) Belehrungstext. Das Schreiben war gerichtet an die letztbekannte Adresse, wie sie sich aus dem Zuweisungsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 23. Dezember 2016 ergeben hat.
Nachdem der Antragsteller wiederum nicht erschienen war, stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 25. April 2017, unter der gleichzeitigen Feststellung, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, das Asylverfahren ein (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Guineau-Bissau an (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde unter Hinweis auf die Vermutungsregel in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG ausgeführt, der Antragsteller sei ohne genügende Entschuldigung nicht zur persönlichen Anhörung erschienen.
Der Bescheid wurde wiederum an die letzte bekannte Adresse des Antragstellers adressiert und wurde ausweislich eines Aktenvermerks am 12. Mai 2017 als Einschreiben zur Post gegeben.
Die Antragsteller hat gegen den Bescheid am 17. Mai 2017 zur Niederschrift Klage erhoben (M 21 K 17.40390), mit der er beantragt,
den Bescheid vom 25. April 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass der Antragsteller asylberechtigt ist, die Flüchtlingseigenschaft, der subsidiäre Schutzstatus sowie Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei ihm vorliegen.
Zugleich beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen sowie ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Zur Begründung führt er an, er sei bereits am 28. März 2017 einer neuen Unterkunft zugewiesen worden. Daher habe er sowohl die Ladung als auch den Bescheid vom 25. April 2017 dort nicht erhalten. Er habe erst am 15. Mai 2017 von dem Bescheid Kenntnis erlangt.
Das Bundesamt legte die Akten mit Schreiben vom 24. Juli 2017 vor, ohne sich weiter zum Verfahren zu äußern. Auch einen Antrag stellte das Bundesamt nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Klageverfahren und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der im Rahmen der gebotenen und möglichen Auslegung auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der nach § 75 Abs. 1 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung gerichtete Antrag ist zulässig (vgl. zum Rechtsschutzbedürfnis BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8). Auf den Wiedereinsetzungsantrag kommt es dabei nicht an, weil der streitgegenständliche Bescheid gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG am 15. Mai 2017 als zugestellt gilt, so dass die Wochenfrist des § 33 Abs. 6 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gewahrt ist.
Der Antrag ist auch begründet.
Das Gericht trifft bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der vom Gesetzgeber vorgesehenen sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Erweist sich der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung.
Entsprechend diesem Maßstab ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390 f.) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 nicht nachgekommen ist.
Dabei kommt es vorliegend nicht darauf an, ob der Antragsteller die Ladung zur Anhörung tatsächlich erhalten hat, da diese jedenfalls wirksam zugestellt worden ist. Dass der Antragsteller zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr in der Unterkunft gelebt hat, an die die Ladung adressiert gewesen ist, ist dabei unerheblich, denn der Antragsteller hat gemäß § 10 Abs. 1 AsylG während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen und insbesondere jeden Wechsel seiner Anschrift den genannten Stellen unverzüglich anzuzeigen. Dies gilt selbstverständlich auch dann, wenn der Antragsteller einer anderen Unterkunft zugewiesen wird. Dies hat der Antragsteller mehrfach, zuletzt sogar im gerichtlichen Verfahren, versäumt.
Allerdings ist der Antragsteller nicht ausreichend auf die nach § 33 Abs. 1 und 3 AsylG eintretenden Rechtsfolgen hingewiesen worden.
Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Der Nachteil, den der Asylbewerber infolge der Rücknahmefiktion erleiden kann, ist nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Betroffene auf die gesetzliche Regelung hingewiesen wird. Diesen im Gebot eines fairen Verfahrens wurzelnden rechtsstaatlichen Anforderungen hat der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 33 Abs. 4 AsylG entsprochen.
Soll der Hinweis seiner Aufgabe gerecht werden, gerade im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Norm für Rechtsklarheit zu sorgen, muss er freilich den Besonderheiten des Adressatenkreises Rechnung tragen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Asylbewerber sich in einer ihm fremden Umgebung befindet, mit dem Ablauf des deutschen Asylverfahrens nicht vertraut und in aller Regel der deutschen Sprache nicht mächtig ist (VG Augsburg, B.v. 17.11.2016 – Au 3 S. 16.32189 – juris Rn. 28). Unabhängig vom erforderlichen Inhalt der Belehrung ist deren Übersetzung in eine Sprache, die der Ausländer beherrscht, unentbehrlich.
Darüber hinaus verlangt § 33 Abs. 4 AsylG ausdrücklich, dass der Ausländer gegen Empfangsbestätigung auf die Rechtsfolgen hinzuweisen ist. Die Vorschrift lässt damit eine anderweitige Zustellung, auf Grund der sich der Ausländer die Bekanntgabe unabhängig von der tatsächlichen Kenntnis zurechnen lassen muss, gerade nicht zu.
Diesen Anforderungen genügt der allgemeine (und im Hinblick auf das Schriftformerfordernis von Entschuldigungsgründen auch unzutreffende) Hinweis auf die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung in der Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise nicht.
Die Belehrung zu § 33 AsylG in der Ladung zur Anhörung ist schließlich ausschließlich in deutscher Sprache erfolgt und dem Antragsteller im Übrigen nicht gegen Empfangsbestätigung übermittelt worden. Die Zustellungsfiktion der Ladung nach § 10 Abs. 2 AsylG ersetzt die für die Belehrung erforderliche tatsächlich erforderliche und durch Empfangsbestätigung nachzuweisende Kenntnis des Antragstellers über die Belehrung nicht.
Nachdem sich die angefochtene Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist, ist die aufschiebende Wirkung der Klage ohne weitere Prüfung anzuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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