Verwaltungsrecht

Erfüllungsübernahme bei einem Vollstreckungsbescheid als Titel

Aktenzeichen  3 B 20.1555

Datum:
1.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2022, 98
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 97 Abs. 1 S. 1
ZPO § 699 Abs. 1, 700 Abs. 1, 794 Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

Ein rechtskräftig festgestellter Anspruch auf Schmerzensgeld im Sinn des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG kann sich auch aus einem Vollstreckungsbescheid (§ 699 ZPO) ergeben (Fortführung der Rechtsprechung des Senats, BayVGH, U.v. 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – und U.v. 26.2.2021 – 3 BV 20.1258 – jeweils juris). (Rn. 16 – 23)

Verfahrensgang

W 1 K 18.1441 2019-09-19 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Beklagte erneut unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Erfüllungsübernahmeantrag des Klägers vom 12. Mai 2017 zu entscheiden hat.
Nach Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG kann der Dienstherr, wenn der Beamte wegen eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs, den er u.a. in Ausübung des Dienstes erleidet (1.1), einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten hat (1.2), auf Antrag (1.3) die Erfüllung dieses Anspruchs bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrags übernehmen, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist (1.4). Der Tatbestand dieser Norm ist vorliegend erfüllt, so dass der angefochtene Bescheid im Hinblick auf das nicht ausgeübte Ermessen rechtswidrig ist (2., 3.).
1.1 Der Kläger hat am 10. April 2016 in Ausübung des polizeilichen Dienstes bei der Festnahme des Schädigers durch einen von diesem geführten rechtswidrigen Angriff einen körperlichen Schaden erlitten.
1.2 Aufgrund des rechtskräftigen Vollstreckungsbescheids des zuständigen Amtsgerichts vom 25. Oktober 2016 verfügt der Kläger über einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten. Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG enthält keine ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale; er verlangt weder eine Angemessenheitsprüfung noch eine Plausibilitätskontrolle hinsichtlich des rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldanspruchs. Die Rechtsauffassung, dass es sich bei dem durch Vollstreckungsbescheid titulierten Schmerzensgeldanspruch um einen rechtskräftig festgestellten Anspruch im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG handelt, hat der Senat bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung zu dieser Norm angedeutet, ohne bislang darüber entscheiden zu müssen (BayVGH, Urteile vom 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – juris Rn. 16, 24 und – 3 B 20.1556 – juris Rn. 30 sowie U.v. 19.4.2021 – 3 BV 20.2837 – juris, alle drei jeweils zu Versäumnisurteil; BayVGH, B.v. 26.2.2021 – 3 BV 20.1258 – juris Rn. 24 zu Anerkenntnisurteil; nicht entscheidungserheblich in BayVGH, B.v. 18.12.2020 – 3 ZB 20.190 – juris Rn. 3).
1.2.1 Nach Wortlaut, Sinn und Systematik des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG stellt ein Vollstreckungsbescheid einen Anspruch auf Schmerzensgeld rechtskräftig fest (letztlich offengelassen: Buchard in BeckOK Beamtenrecht Bayern, Stand: 30.12.2019, Art. 97 BayBG Rn. 18 bis 20.4, der jedenfalls die Durchführung einer „Plausibilitätskontrolle auf Ermessensebene“ als vertretbar ansieht). Der bayerische Gesetzgeber hat mit der Formulierung „rechtskräftig festgestellter Anspruch auf Schmerzensgeld“ zum Ausdruck gebracht, dass es maßgeblich auf die materielle Rechtskraftfähigkeit der Entscheidung ankommt. Mit der Formulierung nimmt das Bayerische Beamtengesetz auf zivilrechtliche und prozessuale Begrifflichkeiten Bezug (z.B. § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB „rechtskräftig festgestellte Ansprüche“). Danach ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass Ansprüche aus einem Vollstreckungsbescheid unter den Geltungsbereich dieses Tatbestandsmerkmals fallen.
Der Senat bezieht sich zur Begründung auf seine drei bereits zitierten Urteile, in denen es um die (bejahte) Frage ging, ob ein Versäumnisurteil (§§ 330 f. ZPO) einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld vermittelt. Es besteht nämlich eine starke Parallelität zwischen dem Versäumnisurteil einerseits und dem Vollstreckungsbescheid andererseits. So fungiert der Vollstreckungsbescheid neben rechtskräftigen oder für vorläufig vollstreckbar erklärten Endurteilen (§ 704 ZPO) als „weiterer Vollstreckungstitel“ (§ 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Die Parallelität wird insbesondere bei Betrachtung von § 700 Abs. 1 ZPO deutlich, wonach der Vollstreckungsbescheid einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleichsteht, das wiederum ein nach §§ 331, 323 ZPO der Rechtskraft fähiges Endurteil ist. Mit dem Ablauf der zweiwöchigen Einspruchsfrist (§ 700 Abs. 1, § 339 Abs. 1 ZPO), also ohne rechtzeitige Einlegung des Einspruchs, erlangt ein ordnungsgemäß zugestellter Vollstreckungsbescheid formelle (§§ 705, 339 Abs. 1 ZPO) und materielle (§§ 322 ff. ZPO) Rechtskraft (Seibel in Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 700 ZPO Rn. 1,15). Die Rechtskraft muss nur dann zurücktreten, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, dass der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zulasten des Schuldners ausnutzt (BGH, U.v. 29.6.2005 – VIII ZR 299/04 – juris Rn. 31), wie dies etwa bei der massenhaften Titulierung von Ansprüchen aus sittenwidrigen Ratenkreditverträgen der Fall ist (vgl. Seibel in Zöller, a.a.O., Rn. 15 bis 16e, „Ausnutzungs- und Erschleichungstatbestand“). Eine entsprechende Konstellation liegt hier ersichtlich nicht vor.
Die weitgehende gesetzliche Gleichstellung der Wirkungen von Versäumnisurteil und Vollstreckungsbescheid gründet darauf, dass in beiden Fällen die fehlende zivilprozessuale Reaktion des Schuldners auf das Begehren des Gläubigers durch den Erlass einer Sachentscheidung „bestraft“ wird. Während das Versäumnisurteil regelmäßig auf einem Nichterscheinen vor Gericht bzw. fehlender Anzeige der Verteidigungsbereitschaft beruht, geht im Mahnverfahren der fehlende Widerspruch gegen einen Mahnbescheid dem Erlass eines Vollstreckungsbescheids voraus und folgt der Eintritt der Rechtskraft dem Unterbleiben oder der verspäteten Einlegung des Einspruchs (vgl. zu § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW, zum Begriff „rechtskräftiges Endurteil“ und Vollstreckungsbescheid: VG Münster, U.v. 15.6.2020 – 5 K 28261/19 – juris Rn. 38 f). Wieso es vor dem Hintergrund des eindeutigen Wortlauts von Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG dem geschädigten Beamten erlaubt sein sollte, sich auf das Ergebnis dieser für ihn (nach prozessualer Untätigkeit des Schädigers) eingetretenen günstigen Situation nur im Falle eines Versäumnisurteils – nicht jedoch bei einem Vollstreckungsbescheid – zu berufen, ist nicht zu begründen.
1.2.2 Eine „Auslegung“ der Vorschrift des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG über die Grenze ihres Wortlauts kommt nicht in Betracht. Aus der Gesetzesbegründung lässt sich zudem ein anderer Wille des Gesetzgebers nicht entnehmen. Hier wird keinerlei Differenzierung hinsichtlich der Art der rechtskräftigen Feststellung vorgenommen oder angedeutet. Auch dass eine eingehende gerichtliche Überprüfung des Anspruchs auf Schmerzensgeld erfolgt sein muss (so angedeutet: Buchard in BeckOK Beamtenrecht Bayern, a.a.O., Art. 97 BayBG Rn. 19.4), ergibt sich nicht aus den Gesetzesmaterialien (vgl. Erläuterungen zum Haushaltsgesetz 2015/2016 und den Durchführungsbestimmungen hierzu; LT-Drs. 17/2871, S. 48). Zentrale Intention des Gesetzgebers ist es vielmehr, den Beamten nach tätlichen Angriffen durch Dritte aus Fürsorgegründen wegen des Vorliegens einer unbilligen Härte die Möglichkeit einzuräumen, bei uneinbringlichen, rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldansprüchen eine entsprechende Übernahme der Erfüllung bei ihrem Dienstherrn zu beantragen. Insoweit spricht die Gesetzesbegründung von “dem titulierten Schmerzensgeldanspruch“, „Schmerzensgeldtitel“ oder „Titel“ (zu Art. 97 Abs. 2 BayBG). Darunter fällt aber auch ein entsprechender rechtskräftiger Vollstreckungsbescheid; eine vollständige richterliche Überprüfung des Schmerzensgeldanspruchs durch streitiges Endurteil wird, entsprechend der Situation bei einem Versäumnisurteil, nicht vorausgesetzt. Denn Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG knüpft den Beginn der zweijährigen Ausschlussfrist (lediglich) an die Rechtskraft des „Urteils“ (vgl. wieder: § 700 Abs. 1 i.V.m. § 322 Abs. 1 ZPO; BayVGH, U.v. 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – juris Rn. 21).
Dieser Auslegung des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG steht der Normzweck nicht entgegen. Die Vorschrift soll in erster Linie unbillige Härten verhindern, die dadurch entstehen können, dass die Vollstreckung eines rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldanspruchs eines Beamten, der Opfer eines tätlichen Angriffs geworden ist und dadurch ein erhebliches Sonderopfer für die Allgemeinheit erbracht hat, erfolglos geblieben ist. Im Rahmen der Fürsorgepflicht sollte daher die infolge der Uneinbringlichkeit der Schmerzensgeldforderung verursachte unbillige Härte ausgeglichen werden (BayVGH, U.v. 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – juris Rn. 22, Versäumnisurteil).
Der Beamte hat seinen Schmerzensgeldanspruch vorrangig gegenüber dem Schädiger geltend zu machen (vgl. LT-Drs. 17/2871 S. 48 f.). Aber auch der dadurch zum Ausdruck kommende „subsidiäre“ Charakter der Erfüllungsübernahme (vgl. VG Augsburg, U.v. 5.12.2019 – Au 2 K 18.1445 – juris Rn. 36) rechtfertigt keine über den Wortlaut des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG hinausgehende Auslegung. Denn der Sonderstellung als Ausnahmevorschrift wird im Rahmen des Tatbestandsmerkmals „unbillige Härte“, insbesondere unter dem Kriterium einer erfolglosen Vollstreckung, ausreichend Rechnung getragen. Zudem ist zu bedenken, dass der Beamte mit einem Vollstreckungsbescheid schlechter gestellt wäre als bei Erlass eines streitigen Endurteils, obwohl ersterer prozessökonomisch sinnvoll und ein Vorgehen im Wege des Mahnverfahrens (vgl. §§ 688 f. ZPO) von der Rechtsordnung ausdrücklich vorgesehen ist. Denn das prozessuale Verhalten des Schädigers liegt nicht im Einflussbereich des Beamten. Es wäre willkürlich und unbillig, die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 97 BayBG vom Prozessverhalten des im Schmerzensgeldprozess beklagten Schädigers abhängig zu machen, (BayVGH, U.v. 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – juris Rn. 23, Versäumnisurteil).
1.2.3 Eine sog. Angemessenheitsprüfung nach Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG ist nach dem eindeutigen Wortlaut nur bei einem Vergleich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO durchzuführen. Eine analoge Anwendung des Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG auf Vollstreckungsbescheide scheidet schon mangels einer planwidrige Regelungslücke aus. Wegen der weiteren Einzelheiten kann wiederum auf die ausführliche Begründung im Urteil des Senats vom 16. Dezember 2020 (3 B 20.1553 – juris Rn. 24, Versäumnisurteil) Bezug genommen werden. Dort wird klargestellt, dass dem Gesetzgeber durchaus bewusst war, dass titulierte Ansprüche (etwa im Rahmen eines Vergleichs) auch ohne voll umfassende richterliche Überprüfung entstehen können; die Annahme, der Gesetzgeber „habe dabei Versäumnisurteile, Anerkenntnisurteile oder Vollstreckungsbescheide schlichtweg übersehen, entbehrt jeglicher Grundlage“.
1.3 Der Kläger hat die Übernahme der Erfüllung am 12. Mai 2017 schriftlich innerhalb der Ausschlussfrist von zwei Jahren nach Rechtskraft des Vollstreckungsbescheids infolge des Urteils vom 13. Februar 2017 beantragt (Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG). Dabei hat er einen ausreichenden Nachweis darüber vorgelegt, dass Vollstreckungsbemühungen sachgerecht durchgeführt wurden, aber erfolglos geblieben sind, indem er ein Vermögensverzeichnis des Schädigers (§ 802c ZPO, § 140 Abs. 3 GVGA) vorlegt hat, wonach dieser weder über Einkommen noch Vermögen verfügt. Damit ist ein weiterer Vollstreckungsversuch entbehrlich (BayVGH, U.v. 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – juris Rn. 31 m.w.N.).
1.4 Die Übernahme der Erfüllung des Schmerzensgeldanspruchs ist ferner zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig (Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG). Eine unbillige Härte liegt nach Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500 Euro erfolglos geblieben ist. Im vorliegenden Fall hat der Kläger die Erfüllung dieser Voraussetzung nachgewiesen.
Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen einer unbilligen Härte sind als Ausnahmeregelung grundsätzlich hohe Anforderungen zu stellen. Die Uneinbringbarkeit des Schmerzensgeldanspruchs ist unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Gesetzesmaterialien für das Vorliegen einer unbilligen Härte zwingend erforderlich. Der bayerische Gesetzgeber machte in seiner Gesetzesbegründung deutlich, dass die Geltendmachung des Schmerzensgeldanspruchs auf Grund seiner höchstpersönlichen Natur und Genugtuungsfunktion, grundsätzlich dem Beamten vorbehalten bleiben muss. „Nur soweit die Uneinbringbarkeit des Anspruchs wegen Vermögenslosigkeit des Schädigers zu einer unbilligen Härte führt, eröffnet Art. 97 BayBG aus Fürsorgegründen die Möglichkeit, bei uneinbringlichen, rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldansprüchen eine entsprechende Übernahme der Erfüllung bei ihrem Dienstherrn zu beantragen“ (LT-Drs. 17/2871 S. 48).
Im Übrigen liegt im vorliegenden Fall auch nach der Rechtsauffassung des Beklagten eine unbillige Härte vor, da dieser vor dem Hintergrund der in Rede stehenden Verletzungen des Klägers offenbar ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 Euro als angemessen erachtet (UA S. 7).
2. Auf der Rechtsfolgenseite räumt Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG dem Dienstherrn nach seinem Wortlaut einen Ermessenspielraum ein, ob (sog. Entschließungsermessen) und „bis zu welcher Höhe“ (Auswahlermessen) er einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten übernimmt. Durch den Halbsatz „soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist“ wird die Ausübung des Entschließungsermessens dahingehend vorgegeben, dass der Dienstherr bei Vorliegen einer unbilligen Härte zur Erfüllungsübernahme verpflichtet ist. Wohl nur theoretisch vorstellbaren Fällen eines kollusiven Zusammenwirkens zwischen dem „geschädigten“ Beamten und einem Dritten kann hier begegnet werden.
In Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG wird der unbestimmte, einer unmittelbaren Subsumtion nicht zugängliche Rechtsbegriff „unbillige Härte“ auf der Tatbestandseite mit einem „kann“ der Behörde auf der Rechtsfolgenseite verbunden. Es handelt sich um eine sogenannte Kopplungsvorschrift (dazu allgemein: BVerwG, U.v. 26.11.2015 – 5 C 14.14 – juris Rn. 16; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 Rn. 36 m.w.N.). An die gerichtlich voll überprüfbare Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs kann sich einerseits eine eigenständige Ermessensausübung (Folgeermessen) anschließen. Andererseits kann zwischen beiden eine unlösbare Verbindung bestehen, sodass der unbestimmte Rechtsbegriff in den Ermessensbereich hineinragt und zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung bestimmt. Welche Konstellation zutrifft, lässt sich nur nach Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift entscheiden. Maßstab ist dabei insbesondere, ob bei der Annahme eines unbestimmten Rechtsbegriffs auf der Tatbestandseite noch Raum für ein Verwaltungsermessen verbleibt (BSG, U.v. 20.3.2018 – B 1 A 1/17 R – juris Rn. 20 m.w.N.). Bei der Frage, ob der Schmerzensgeldbetrag vom Dienstherrn übernommen wird (Entschließungsermessen), hat das Wort „kann“ in Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG eine untergeordnete Bedeutung. Denn bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs („unbillige Härte“) ist bereits ein großer Teil der Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die auch Bedeutung für die Ermessensausübung haben. Damit ergeben sich bei der Normanwendung überwiegend Überschneidungen zwischen der Tatbestands- und der Rechtsfolgenseite. Die Feststellung, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm gegeben oder nicht gegeben sind, bedeutet in diesen Fällen zugleich, dass der Behörde für die Ausübung ihres Entschließungsermessens („ob“) kein Spielraum verbleibt. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG vor, ist dem Dienstherrn mithin (lediglich) bei der Frage, bis zu welcher Höhe er den festgestellten Schmerzensgeldanspruch übernimmt, Ermessen eingeräumt, das verwaltungsgerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann (vgl. § 114 VwGO; BayVGH, U.v. 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – juris Rn. 36).
Nur wenn auf Grund desselben Sachverhalts eine einmalige Unfallentschädigung (Art. 62 BayBeamtVG) oder Unfallausgleich (Art. 52 BayBeamtVG) gezahlt wurde, kann der Dienstherr die Erfüllungsübernahme im Rahmen seines Erschließungsermessens verweigern. Eine derartige Konstellation liegt hier nicht vor.
3. Das Verwaltungsgericht hat nach all dem den streitgegenständlichen Bescheid vom 12. Oktober 2018 zu Recht aufgehoben. Das Landesamt ist fehlerhaft davon ausgegangen ist, dass eine rechtskräftige Feststellung des Schmerzensgeldanspruchs im Sinn von Art. 97 BayBG nicht vorliege und daher eine Ermessensentscheidung nicht zu treffen sei. Aus diesem Grund ist der Bescheid vom 12. Oktober 2018 wegen Ermessensausfalls (§ 114 Satz 1 VwGO) rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch auf erneute Entscheidung über seinen Antrag auf Erfüllungsübernahme, wobei der Beklagte seiner erneuten Entscheidung die Rechtsauffassung des Senats zugrunde zu legen hat. Dem Verpflichtungsbegehren des Klägers hat das Verwaltungsgericht zu Recht – wenn auch ohne entsprechende Tenorierung der Abweisung der Klage im Übrigen – nicht entsprochen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision war mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2, § 191 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 127 BRRG nicht zuzulassen.


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