Verwaltungsrecht

Eritreischer Staatsangehöriger, auch äthiopische Staatsangehörigkeit, Subsidiärer Schutzstatus zuerkannt, Vorfluchttatbestand, Eritrea, Militärdienst / National, Service, Entzug durch illegale Ausreise, Glaubhaftigkeit offengelassen, Kein Verfolgungsgrund

Aktenzeichen  M 13 K 18.32161

Datum:
5.7.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 17873
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 3b

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

I.
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 2022 über die Verwaltungsstreitsache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte mit der Ladung auf diese Folge ihres Ausbleibens hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 VwGO.
II.
Die Klage ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 7. Mai 2018 ist – in dem zur Entscheidung des Gerichts gestellten Umfang – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO).
Der Kläger hat zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG).
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund von in seiner Person selbst begründeter Umstände.
In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob der Kläger neben der eritreischen auch die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt, da dem Kläger nach Überzeugung des Gerichts weder in Äthiopien eine Verfolgung i.S.d. §§ 3 ff AsylG droht (sogleich unter Ziffer a.), noch in Bezug auf Eritrea die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Flüchtlingseigenschaft nach § 3 ff AsylG gegeben sind (sogleich unter Ziffer b.)
a.(1) Zunächst ist nach Auffassung des Gerichts durchaus die Annahme begründet, dass der Kläger neben der eritreischen auch die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt.
Der Kläger wurde laut eigenen Angaben am 5. Juli 1988 – noch vor der Unabhängigkeit Eritreas am 24. Mai 1993 – in der damals noch zu Äthiopien gehörenden Provinz Eritrea geboren. Nach dem damals geltenden äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetz aus dem Jahre 1930 waren nach internationalem und äthiopischen Recht alle Personen äthiopischer, eritreischer oder gemischt-äthiopisch-eritreischer Herkunft, die in Eritrea, Äthiopien und Drittländern lebten und die vor der Unabhängigkeit Eritreas im Jahre 1993 geboren worden sind, äthiopische Staatsbürger (vgl. Günter Schröder, Gutachten vom 22.3.2011).
Diese Staatsangehörigkeit hat der Kläger auch nicht auf Grund der Entstehung des neuen, selbstständigen Staates Eritrea bzw. wegen der behaupteten eritreischen Abstammung verloren. Dies gilt unabhängig davon, ob er nach der Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992 die eritreische Staatsangehörigkeit erworben hat (vgl. Bergmann/Ferid/Henrich: „Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Eritrea“). Denn nach dem bis Dezember 2003 gültigen äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetz aus dem Jahre 1930 verlor ein äthiopischer Staatsangehöriger seine Staatsbürgerschaft nur, wenn er diese auf eigenen Antrag hin wechselte und eine fremde Staatsangehörigkeit erwarb (vgl. G. Schröder, Gutachten vom 22.3.2011; AA, Auskunft an das VG München v. 21.7.2003; VG Arnsberg, U.v. 24.10.2014 – 12 K 1874/13A – juris).
Auch ein sonstiger Verlusttatbestand, wie etwa die Teilnahme am Unabhängigkeitsreferendum, wurden seitens des Klägers nicht vorgebracht.
Auch ein Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit nach neuem Recht ist vorliegend nicht ersichtlich. Seit dem 23. Dezember 2003 regelt sich die Staatsangehörigkeit Äthiopiens nach der Proklamation Nr. 378/2003 über die äthiopische Staatsangehörigkeit vom 23. Ezember 2003 (vgl. Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Äthiopien). In den Artikeln 19 ff, insbesondere dem Art. 20 Abs. 2 und Abs. 3 der Pro. Nr. 378/2003 sind zwar weitere Verlusttatbestände bezüglich der äthiopischen Staatsangehörigkeit aufgeführt, die jedoch keine Rückwirkung entfalten (vgl. VG Arnsberg, U.v. 24.10.2014 – 12 K 1874/13A. – juris).
(2) Legt man in Folge dessen Äthiopien als (weiteres) Herkunftsland (neben Eritrea) zu Grunde, ergibt sich vorliegend schon deshalb kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da hinsichtlich des (dann zweiten) Herkunftslandes Äthiopien weder von Klägerseite Verfolgungstatbestände geltend gemacht noch anderweitig ersichtlich sind.
b.Doch auch wenn der Kläger durch die geltend gemachte Beantragung eines eritreischen Reisepasses beim eritreischen Konsulat in Frankfurt am Main im September 2021 seine bislang bestehende äthiopische Staatsangehörigkeit verloren haben und nur noch die eritreische Staatsangehörigkeit besitzen sollte, sind – in Bezug auf das dann im Rahmen der §§ 3 ff AsylG alleinig zu Grunde liegende Herkunftsland Eritrea – die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bereits in rechtlicher Hinsicht nicht gegeben.
(1) Die – seitens des Bundesamtes verneinte – Flüchtlingseigenschaft i.S.d. §§ 3 ff AsylG und der – vorliegend zuerkannte – subsidiäre Schutz i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AsylG unterscheiden sich in ihren Voraussetzungen nicht / nicht so sehr in Art und Intensität der (erlittenen bzw. drohenden) Behandlung oder der Frage, von wem die Bedrohung ausgeht (sog. Akteur), sondern vornehmlich hinsichtlich des dahinterstehenden Motiv des jeweiligen Akteurs.
So ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlich, dass die Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität des Asylsuchenden, seiner politischen Überzeugung oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgt (sog. Verfolgungsgründe). Nähere Einzelheiten hierzu regelt § 3b AsylG.
Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere dieser Verfolgungsgründe zu treffen. Ob eine Verfolgungshandlung „wegen“ eines der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen. Die Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – NVwZ 2018, 1408, juris Rn. 13). Für die „Verknüpfung“ reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Gerade mit Blick auf nicht selten komplexe und multikausale Sachverhalte ist nicht zu verlangen, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme ist. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG nicht (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 13 m.w.N.).
(2) Vor diesem Hintergrund kann in tatsächlicher Hinsicht die Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrages dahinstehen, da jedenfalls in rechtlicher Hinsicht es an einem Verfolgungsgrund i.S.v. § 3b AsylG fehlt.
So verfolgt der eritreische Staat mit dem oft viele Jahre andauernden National Service, bestehend aus einer militärischen Grundausbildung mit anschließendem Militärdienst, gefolgt von einem mehrjährigen Arbeitsdienst, welcher sämtliche Einwohner eines bestimmten Alters, Männer wie Frauen gleichermaßen, trifft, ausweislich der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel rein wirtschaftliche bzw. militärische Ziele und knüpft hierbei weder an die politische Überzeugung des Einzelnen noch an die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe an (hierzu ausführlich: OVG NRW, B.v. 21.9.2020 – 19 A 1857/19.A – Juris.).
Auch Maßnahmen gegen Personen, die versuchen, sich des Militär- bzw. Arbeitsdienstes zu entziehen, oder gegen deren Familienangehörige, sind nicht als Bekämpfung anderslautender politischer Überzeugungen zu sehen, sondern dienen vielmehr der Abschreckung und dem Erhalt der aus wirtschaftlichen / militärischen Motiven betriebenen Strukturen (Zimmer, Gutachten für VG Minden, 29.6.2020).
Besondere individuelle Umstände, in denen neben der grundsätzlichen wirtschaftlichen Zielrichtung seitens einzelner Vertreter des Regimes andere, einen Verfolgungsgrund i.S.v. § 3b AsylG darstellende Motive eine Rolle spielen, sind dem Klägervortrag vorliegend nicht zu entnehmen.
3. Auch ein über seine Ehefrau oder seine beiden Töchter abgeleiteter Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 26 Abs. 5 i.V.m. den Abs. 2 Satz bzw. Abs. 3 AsylG scheidet vorliegend aus, da der Ehefrau bislang in Deutschland nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt und auch die 2020 geborene Tochter lediglich (und zudem nur abgleitet vom Kläger selbst) subsidiärer Schutz, nicht aber die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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