Verwaltungsrecht

Erlöschen einer Aufenthaltserlaubnis wegen der Ausreise des Ausländers, Absehen vom, Visumerfordernis wegen Unzumutbarkeit (verneint)

Aktenzeichen  AN 11 K 19.01327

Datum:
4.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23497
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 2, § 32 Abs. 1, § 33, § 51 Abs. 1
AufenthV § 39 ff.

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.
A.
Soweit die Klage darauf gerichtet ist, die Beklagte zu verpflichten, die Abschiebungsandrohung zurückzunehmen (Klageantrag Ziffer III.), ist sie bereits unstatthaft und damit unzulässig. Statthafte Klageart ist insoweit die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO, da es sich bei einer Abschiebungsandrohung um einen selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt handelt (Zimmerer in BeckOK MigR, Stand 1.5.2021, § 59 AufenthG Rn. 34).
B.
Im Übrigen ist die Klage zwar zulässig, jedoch unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da er keinen Anspruch auf Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffende Begründung des Bescheids Bezug genommen, der das Gericht folgt. Lediglich ergänzend wird wie folgt ausgeführt:
I.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung der am 10. Dezember 2015 erteilten und bis 21. November 2017 befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG, da diese Aufenthaltserlaubnis bereits kraft Gesetzes erloschen war, bevor die Verlängerung beantragt wurde. Die Verlängerung einer bereits erloschenen Aufenthaltserlaubnis ist bereits begrifflich ausgeschlossen (Maor in BeckOK AuslR, Stand 1.4.2021, § 8 AufenthG Rn. 2). Zwar werden Ausländerbehörden im Rahmen des § 33 AufenthG von Amts wegen tätig, die Verlängerung erfolgt jedoch nach Maßgabe des § 34 AufenthG, da § 33 AufenthG nur die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für im Bundesgebiet geborene minderjährige ledige Kinder regelt (Marx in GK-AufenthG, Stand Oktober 2017, § 34 Rn. 1). Die Verlängerung erfolgt nur auf Antrag. Ein unterbliebener oder verspäteter Antrag ist anspruchsvernichtend (Oberhäuser in NK-AuslR, 2. Auflage 2016, § 34 AufenthG Rn. 9).
Die Beklagte, die hierfür auch die Beweislast trägt (Hailbronner in Hailbronner, AuslR, Stand Januar 2020, § 51 AufenthG Rn. 26), hat zutreffend festgestellt, dass die Aufenthaltserlaubnis des Klägers gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG, jedenfalls gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen ist. Der Erlöschenstatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG stellt eine Ergänzung zu § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG dar. Hält sich ein Ausländer länger als sechs Monate außerhalb des Bundesgebietes auf, so bleibt der Grund der Ausreise ohne Belang (Hailbronner in Hailbronner, AuslR, Stand Januar 2020, § 51 AufenthG Rn. 32). Der Vater des Klägers teilte auf Nachfrage mit Schreiben vom 26. Februar 2017 mit, dass seine Frau wegen des Visums zusammen mit dem Kläger im Juli 2016 nach Polen zurückgefahren sei, da er arbeiten müsse. Manchmal sei der Kläger wegen der U-Untersuchungen nach Deutschland zurückgekommen. Die Mutter des Klägers teilte mit Schreiben vom 7. März 2017 mit, dass sie seit dem 10. Juli 2016 mit ihrem Sohn wieder in Polen lebe, um ein Visum zu beantragen. Der Kläger hat somit am 10. Juli 2016 Deutschland verlassen, was auch im gerichtlichen Verfahren nicht bestritten wurde. Der schriftsätzliche Vortrag des Klägerbevollmächtigten, dass hinsichtlich des Schreibens der Mutter ein Missverständnis vorliege und dass diese lediglich gemeint habe, dass der Kläger für ca. drei bis vier Wochen mit ihr in Polen gelebt habe, ist nach der Überzeugung des Gerichts nicht geeignet, die Feststellungen der Beklagten hinsichtlich des Erlöschens der Aufenthaltserlaubnis zu erschüttern. Zwar legte der Klägerbevollmächtigte diverse Fotos vor, die den Kläger im Zeitraum von Ende August 2016 bis August 2017 bei verschiedenen Gelegenheiten (Geburtstag, Urlaube) zusammen mit seinem Vater zeigen. Auch wurden eine kinderärztliche Untersuchung am 29. September 2016 und eine augenärztliche Untersuchung am 18. Januar 2017, jeweils in …, nachgewiesen. Das Gericht hat keine Zweifel an der Echtheit der vorgelegten Unterlagen. Diese decken sich auch mit der Aussage des Vaters im Schreiben vom 26. Februar 2017, dass der Kläger manchmal wegen der U-Untersuchungen nach Deutschland zurückgekommen sei. Das Gericht ist jedoch davon überzeugt, dass es sich hierbei nur um kurzfristige Besuche gehandelt hat. Der Kläger, der zu dieser Zeit zwei Jahre alt gewesen ist, benötigte dementsprechend eine ganztägige Betreuung. Der Vater des Klägers, der die benötigte Betreuung des Klägers aufgrund seiner Berufstätigkeit nicht leisten konnte, legte für den fraglichen Zeitraum keine Nachweise über eine Fremdbetreuung vor. Zwar wurde nachgewiesen, dass der Kläger seit dem 1. Oktober 2017 einen Kindergarten in … besucht. Dementsprechend meldete der Vater den Kläger auch wieder ab 1. September 2017 in … unter seiner Adresse an. Zu diesem Zeitpunkt war die Sechs-Monatsfrist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG jedoch längst abgelaufen, da der Kläger bereits am 10. Juli 2016 nach Polen ausgereist ist. Die nachgewiesenen Besuche des Klägers in Deutschland führen zu keinem anderen Ergebnis. Sinn und Zweck des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG ist es, Rechtsklarheit über den Aufenthaltsstatus des Ausländers zu schaffen. Dementsprechend kann das kurzfristige Betreten des Bundesgebietes etwa zu Besuchszwecken den Lauf der Sechs-Monatsfrist nicht unterbrechen (Fleuß in BeckOK AuslR, Stand 1.4.2021, § 51 AufenthG Rn. 42). Die Aufenthaltserlaubnis des Klägers erlosch daher spätestens mit Ablauf des 10. Januar 2017.
Doch selbst wenn man zugunsten des Klägers annehmen würde, dass er sich nur wenige Wochen in Polen aufgehalten hätte und es dementsprechend nicht zu einem Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 oder 7 AufenthG gekommen wäre, wäre die Aufenthaltserlaubnis aus einem anderen Grund kraft Gesetzes erloschen. Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erlischt eine Aufenthaltserlaubnis mit Ablauf ihrer Geltungsdauer. Die dem Kläger am 10. Dezember 2015 erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG war bis 21. November 2017 befristet. Eine Verlängerung wurde nach Aktenlage bis zum Ablaufzeitpunkt nicht beantragt. Der Vater des Klägers beantragte erstmals mit Schreiben vom 2. Januar 2018, eingegangen bei der Beklagten am 3. Januar 2018 (Bl. 56 der Behördenakte), die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Klägers. Ein zeitlich früherer Verlängerungsantrag ist nicht aktenkundig. Die Frage, ob der Vater des Klägers wegen des gemeinsamen Sorgerechts überhaupt allein die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis beantragen konnte oder ob eine nachträgliche Genehmigung durch die Kindsmutter erfolgte (vgl. Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Januar 2019, § 81 Rn. 12f.), kann somit dahinstehen.
II.
Der in Deutschland geborene Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine erneute Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG, da § 33 AufenthG nur die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Anschluss an eine Geburt eines Kindes im Bundesgebiet regelt. Nicht erfasst sind Fälle, in denen ein einmal erlangtes Aufenthaltsrecht wegen einer längeren Ausreise erloschen ist (Oberhäuser in NK-AuslR, 2. Auflage 2016, § 33 AufenthG Rn. 3).
III.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 37 Abs. 1 AufenthG, da keine der in § 37 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 AufenthG normierten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt ist. Eine besondere Härte i.S.d. § 37 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, die im Übrigen auch nur ein Abweichen von den in § 37 Abs. 1 Nr. 1 und 3 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen ermöglichen würde, ist nicht gegeben. Eine besondere Härte in diesem Sinne ist nur dann anzunehmen, wenn der konkrete Einzelfall vom gesetzlichen Regelungsziel her den ausdrücklich erfassten Fällen annähernd gleicht (Zimmerer in BeckOK MigR, Stand 1.5.2021, § 37 AufenthG Rn. 14). Dies ist bei einem Kind, das das Bundesgebiet noch vor Vollendung des zweiten Lebensjahres verlassen hat, ersichtlich nicht der Fall.
IV.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG. Zwar besitzen mittlerweile beide Eltern des Klägers einen Aufenthaltstitel i.S.d. § 32 Abs. 1 AufenthG, sodass auch nach zutreffender Ansicht der Beklagten die speziellen Erteilungsvoraussetzungen des § 32 AufenthG erfüllt sind.
Ein Kindernachzug ist jedoch nur zulässig, wenn neben den speziellen auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind (Zimmerer in BeckOK MigR, Stand 1.5.2021, § 32 AufenthG Rn. 36). Vorliegend ist die zwingende Erteilungsvoraussetzung der Erfüllung der Visumpflicht (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) nicht erfüllt, da der Kläger nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist ist.
Eine Ausnahme vom Visumerfordernis nach §§ 39 ff. AufenthV ist vorliegend nicht gegeben, da keiner der in § 39 Satz 1 AufenthV genannten Ausnahmetatbestände auf den Kläger zutrifft. Insbesondere ist der Kläger nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis (§ 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV). Auch ist der Kläger als Vietnamese kein Staatsangehöriger der in § 41 AufenthV genannten begünstigten Staaten.
Zwar kann neben §§ 39 ff. AufenthV gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG vom Visumerfordernis auch dann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind. Es handelt sich hierbei jedoch um eine Ermessensentscheidung der Beklagten, die gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur auf Ermessensfehler überprüft werden kann. Die bereits im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführten Ermessenserwägungen der Beklagten sind nicht zu beanstanden, insbesondere ist es nicht ermessensfehlerhaft, dass die Beklagte ihr Ermessen zugunsten des Schutzes der Einreisevorschriften und der Steuerung der Zuwanderung ausgeübt hat.
Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG kann zudem vom Visumverfahren abgesehen werden, wenn es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Eine solche Unzumutbarkeit ist im vorliegenden Fall entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten nicht gegeben, sodass die zweite Ausnahmemöglichkeit schon auf tatbestandlicher Ebene nicht eröffnet ist. Die Unzumutbarkeit muss aus besonderen Umständen folgen. Die mit der Durchführung eines Visumverfahrens als solches verbundenen Unannehmlichkeiten sind hierzu nicht geeignet; auch begründen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK keine generelle Befreiung von der Visumpflicht. Vielmehr ist die durch die Nachholung des Visumverfahren herbeigeführte zeitweise Trennung von Eheleuten oder Kindern mit dem Schutz der familiären Lebensgemeinschaft grundsätzlich vereinbar (Beiderbeck in BeckOK MigR, Stand 1.5.2021, § 5 AufenthG Rn. 17 m.w.N.). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist im vorliegenden Fall keine Unzumutbarkeit gegeben. Sowohl der Kläger als auch seine Eltern sind vietnamesische Staatsangehörige, die somit problemlos zusammen nach Vietnam reisen können. Zudem stellte die Beklagte in der mündlichen Verhandlung eine Vorabzustimmung in Aussicht und unterbreitete das Angebot, die Klägerseite konstruktiv zu unterstützen, damit vorab ein Termin bei der deutschen Botschaft vereinbart werden könne. Nach den Erfahrungswerten sei hinsichtlich Vietnam eine zeitnahe gängige Praxis bekannt. Die Sorge des Vaters des Klägers, dass er nur drei Wochen Urlaub habe und befürchte, dass daher die Zeit vor Ort nicht ausreichen würde, ist vor diesem Hintergrund unbegründet und insbesondere nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit zu begründen. Zudem ist anzumerken, dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärte, den aktuell sechs Jahre alten Kläger zu dulden, solange er minderjährig ist. Somit besteht für den Kläger bzw. seine Eltern mehr als ausreichend Zeit, um den notwendigen Aufenthalt in ihrem Heimatland zeitlich nach ihren Vorstellungen zu planen.
V.
Sonstige Gründe, die für einen weiteren Aufenthalt des Klägers sprechen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG nicht vor.
VI.
Die ausländerrechtlichen Annexentscheidungen begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere ist die Abschiebungsandrohung entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten nicht „grob rechtswidrig“, weil sie sich gegen ein minderjähriges Kind richtet. Sofern ein Ausländer aufgrund Minderjährigkeit nicht handlungsfähig i.S.d. § 80 Abs. 1 AufenthG ist, müssen Verwaltungsakte – wie im vorliegenden Fall auch geschehen – an den gesetzlichen Vertreter zugestellt werden. Die Frage des Vollzugs der Abschiebungsandrohung ist hingegen nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Es ist dennoch anzumerken, dass die Befürchtung des Klägerbevollmächtigten, dass der minderjährige Kläger allein nach Vietnam abgeschoben wird, unbegründet ist. Die Beklagte erklärte dies auch nochmals in der mündlichen Verhandlung und versicherte, den Kläger zu dulden, solange er noch minderjährig ist. Vor diesem Hintergrund ist auch das für die Dauer von zwei Jahren befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot nach erfolgter Abschiebung nicht zu beanstanden. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
VII.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt geht zurück auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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