Verwaltungsrecht

Erschütterung der Nichtverfolgungsvermutung durch schlüssigen Vortrag

Aktenzeichen  M 17 K 16.30738

Datum:
3.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 16a
AsylG AsylG § 3, § 4, § 29a, § 36
AufenthG AufenthG § 11, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Gegen die Einstufung Serbiens als sicheren Herkunftsstaat bestehen weder verfassungsrechtliche noch europarechtliche Bedenken. (redaktioneller Leitsatz)
Es gibt keine systematischen Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Kroaten oder Mischehen in Serbien. Wirtschaftliche Schwierigkeiten begründen keine Verfolgung iSv § 3 AsylG. (redaktioneller Leitsatz)
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Erkrankungen vor. Befürchtete Nebenwirkungen aufgrund der Impfpflicht für Kinder in Serbien sind hypothetische Auswirkungen, keine konkreten Ereignisse.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung der Klägerseite durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO). Die Beklagte hat auf die Anhörung zu Entscheidungen durch Gerichtsbescheid generell verzichtet.
Da es sich vorliegend nicht um ein Folgeverfahren (§ 71 AsylG) handelt, ist die Klage dahingehend auszulegen (vgl. § 88 VwGO), dass neben der Aufhebung der Nrn. 1 bis 6 des Bescheids vom 29. März 2016 die Anerkennung als Asylberechtigter (Art.16a GG), die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG), subsidiärer Schutz (§ 4 AsylG) sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) begehrt wird.
Die Klage ist in dieser Form zulässig (vgl. zu Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Dezember 2015, § 11 Rn. 189), aber unbegründet, da der Bescheid vom 29. März 2016 rechtmäßig ist und den Kläger daher nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
1. Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) scheidet schon deswegen aus, weil der Kläger auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat im Sinne von Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 2 AsylG eingereist ist.
2. Aber auch ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Asylberechtigter oder als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar.
Das Heimatland des Klägers, Serbien, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich diese als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Gegen die Einstufung Serbiens als sicherer Herkunftsstaat bestehen aber weder verfassungsrechtliche noch europarechtliche Bedenken. Dies entspricht auch der ganz überwiegenden Meinung der deutschen Verwaltungsgerichte, der sich das Gericht anschließt (vgl. VG Regensburg, B.v. 24.2.2015 – RN 6 S 15.30120 – juris Rn. 18; VG Bayreuth, B.v. 13.2.2015 – B 3 S 15.30041 – juris Rn. 17; VG Berlin U.v. 28.01.2015 – 7 K 546.15 A – juris Rn. 19-32; B. v. 9.12.2014, 7 L 603.14 A – juris; VG Hamburg B.v. 6.3.2015 – 5 AE 270/15 – juris Rn. 4; VG Gelsenkirchen, B.v. 29.1.2015 – 19a L 94/15.A; VG Oldenburg B.v. 9.4.2015 – 7 B 1548/15 – juris Rn. 22; VG Aachen, B.v. 3.2.2015 – 9 L 680/14.A – juris Rn. 9; a. A. VG Münster, Beschl. v. 27.11.2014, 4 L 867/14.A – juris sowie Bader in InfAuslR, 2015, 69 ff.).
Der Kläger hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können. Insoweit wird auf die im Bescheid der Beklagten getätigten Ausführungen verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Es gibt keine Anzeichen für systematische Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Kroaten oder Mischehen in Serbien. Vielmehr bezeichnen laut Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 23. November 2015 (S. 8ff.) die meisten Minderheitenvertreter ihre eigene Situation als grundsätzlich zufriedenstellend. Im Übrigen hätte der Kläger die Möglichkeit, die Hilfe – übergeordneter – staatlicher Stellen und insbesondere der Gerichte in Anspruch zu nehmen. Dass eine Klage voraussichtlich keinen Erfolg hätte, weil der Kläger, wie seine Lebensgefährtin in ihrem Verfahren angab, keine Beweise für den Betrug der Firma, mit der sie Geschäfte tätigten, hat, kann nicht zur Bejahung einer Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG führen.
Soweit sich der Kläger auf wirtschaftliche Schwierigkeiten beruft, vermag dies schon mangels Anknüpfung an die dort genannten Merkmale keine Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG zu begründen.
3. Das Bundesamt hat auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) abgelehnt sowie das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint. Das Gericht nimmt auch insoweit vollumfänglich auf die Begründung des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
3.1 Die geltend gemachte Furcht vor Erkrankungen der Kinder des Klägers aufgrund der Impfflicht in Serbien stellt kein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis kann aber gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a – juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56).
Diese Rechtsprechung hat nunmehr auch in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG seinen Niederschlag gefunden, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Abgesehen davon, dass die Befürchtungen des Klägers durch nichts belegt wurden, handelt es sich bei dem Eintreten von Nebenwirkungen aufgrund Impfungen um zukünftige und hypothetische Auswirkungen und damit nicht um greifbare und konkrete Ereignisse im Sinne der oben genannten Rechtsprechung. Von einer erheblichen konkreten Gefahr und damit von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis kann daher nicht ausgegangen werden.
3.2 Eine etwaige Geltendmachung der Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen aufgrund einer bestehenden Ehe bzw. eines etwaigen Familienverbands (Art. 6 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK) wäre kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern ein im Rahmen von § 60a AufenthG zu prüfendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, für das sich der Kläger auf einen Antrag auf Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG bei der örtlich zuständigen Ausländerbehörde verweisen lassen muss (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 18.5.2010 – 11 LB 186/08 – juris Rn. 47; OVG Berlin-Bbg. B.v. 30.4.2013 – OVG 12 S 25.13 – juris unter Hinweis auf § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG; BVerwG, U.v. 25.9.1997 – 1 C 6/97 – juris).
4. Schließlich ist auch die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG in Nr. 6 des Bescheids vom 29. März 2016 rechtmäßig.
Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal der Kläger gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Gerichtsbescheid können die Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach seiner Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München mündliche Verhandlung beantragen.


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