Verwaltungsrecht

Faktischer Vollzug: Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz erfolgreich

Aktenzeichen  M 21 S 16.35313

Datum:
29.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 10, § 29 Abs. 1 Nr. 1a, § 31 Abs. 1 S. 3, § 36 Abs. 1, § 38 Abs. 1, § 75
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 20 Abs. 2 S. 3
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
VwZG VwZG § 7 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1 In Fällen des faktischen Vollzugs ist der gebotene Rechtsschutz in analoger Anwendung von § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO durch die Feststellung der aufschiebenden Wirkung zu gewähren, da ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung leer laufen würde, wenn der Klage bereits von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukommt und eine Abschiebung des Ausländers vor der Entscheidung über die Hauptsache verhindert werden soll. (redaktioneller Leitsatz)
2 § 36 Abs. 3 S. 1 AsylG knüpft an die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung an, sodass die Antragsfrist von einer Woche nach dieser Vorschrift in der (vorliegenden) Fallkonstellation eines Eilantrags zur Feststellung der aufschiebenden Wirkung wegen faktischen Vollzugs keine Anwendung findet. (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine analoge Anwendung der Sonderzustellungsvorschriften nach § 31 Abs. 1 S. 5 AsylG ist nicht gerechtfertigt, da die eine Abschiebungsanordnung kennzeichnende Besonderheit, dass kurzfristig eine Rückführung durchzuführen ist (vgl. VGH München BeckRS 2015, 53729) bei Erlass einer Abschiebungsandrohung nach § 34a Abs. 1 S. 4 AsylG gerade nicht vorliegt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass der Klage gegen den Bescheid vom 24. November 2016 aufschiebende Wirkung zukommt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der am … 2014 in der Bundesrepublik Deutschland geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Die Eltern, die beim Bundesamt ein Asylverfahren unter dem Aktenzeichen 5824042 geführt haben, erhielten bereits in Italien internationalen Schutz. Mit Schreiben vom 4. November 2014 teilte Italien die Schutzgewährung mit.
Mit Schreiben vom 4. April 2016 stellte der Bevollmächtigte für den Antragsteller, vertreten durch seine Eltern, einen Asylantrag und wies unter Vorlage eines Attests auf die HIV-Infektion der Mutter und damit zusammenhängende gesundheitliche Probleme des Antragstellers hin.
Mit Bescheid vom 24. November 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und dem Antragsteller die Abschiebung nach Italien oder einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu einer Rückübernahme verpflichtet ist, mit Ausnahme von Nigeria, angedroht (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Der Bescheid wurde den Eltern des Antragstellers am 2. Dezember 2012 mit Postzustellungsurkunde im Wege der Ersatzzustellung (Einlegen in den Briefkasten) zugestellt. Dem Bevollmächtigten wurde mit Schreiben vom 30. November 2016 unter Bezug auf § 31 Abs. 1 Satz 6 AsylG (richtig: Satz 7) eine Kopie des Bescheids übermittelt (laut Posteingangsstempel des Bevollmächtigten bei diesem eingegangen am 5. Dezember 2016).
Zur Begründung wurde unter Bezug auf Artikel 20 Abs. 3 EUV 604/2013 (im Folgenden: Dublin-III-VO) und § 29 Abs. 1 Nrn. 1 a und 2 AsylG ausgeführt, der Asylantrag sei unzulässig, da den Eltern des Antragstellers bereits in Italien internationaler Schutz zuerkannt worden wäre und die Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags untrennbar mit der Situation der Eltern verbunden sei. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen in Bezug auf Italien weder allgemein noch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers vor. Die Abschiebungsandrohung sei nach §§ 35, 34a Abs. 1 Satz 4, 26a AsylG zu erlassen gewesen, die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG.
Dem Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung:beigefügt, wonach gegen den Bescheid innerhalb von einer Woche nach Zustellung Klage zu erheben sei. Zudem wurde darauf hingewiesen, die Klage gegen die Abschiebungsandrohung habe keine aufschiebende Wirkung. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage könne innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids gestellt werden.
Der Bevollmächtigte hat für den Antragsteller, vertreten durch seine Eltern, am 12. Dezember 2016 Klage erheben (M 21 K 16.35312) und beantragen lassen, den Bescheid des Bundesamts vom 24 November 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festzustellen.
Zugleich wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin übersandte die Akten mit Schreiben vom 14. Dezember 2016.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der nach seinem Wortlaut auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerichtete Antrag ist im Rahmen der möglichen und gebotenen Auslegung gemäß § 88 VwGO auch auf die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Abschiebungsandrohung gerichtet und mit diesem Inhalt statthaft. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung würde leer laufen, wenn der Klage bereits von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukommt. Verkennt die Behörde die aufschiebende Wirkung bzw. respektiert sie sie aus sonstigen Gründen nicht, liegt ein sogenannter faktischer Vollzug vor. In derartigen Konstellationen ist der gebotene Rechtsschutz in analoger Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO durch die Feststellung der aufschiebenden Wirkung zu gewähren (vgl. allgemein zum faktischen Vollzug Schoch in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand Juni 2016, § 80 Rn. 352 ff.; zur vergleichbaren Problematik bei Verzicht auf ein Asylverfahren nach § 14a Abs. 3 AsylG VG Osnabrück, B.v. 25.11.2009 – 5 B 105/09 – juris Rn. 1 ff.). In der Sache zielt ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung darauf ab, eine Abschiebung des Antragstellers vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu verhindern und ist daher so auszulegen, dass im Falle eines faktischen Vollzugs die aufschiebende Wirkung der Klage festgestellt werden soll.
Die Fallkonstellation eines faktischen Vollzugs liegt vor. Das Bundesamt geht im Hinblick auf die gesetzte Ausreisefrist und entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung:des angefochtenen Bescheids davon aus, dass der Klage gegen die Abschiebungsandrohung keine aufschiebende Wirkung zukommt. Nach § 75 Abs. 1 AsylG hat die Klage gegen Entscheidungen nach dem Asylgesetz – neben den hier nicht einschlägigen Fälle nach §§ 73, 73b und 73c AsylG – nur in den Fällen des § 38 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung. Die Regelung erfasst alle Maßnahmen nach dem Asylgesetz einschließlich des Erlasses einer Abschiebungsandrohung und sichert in den Fällen des § 38 Abs. 1 AsylG das Bleiberecht für die Dauer des Klageverfahrens (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, AsylG, § 75 Rn. 4; BT-Drs. 12/2062, S. 40). Maßgeblich für die aufschiebende Wirkung ist im Hinblick auf § 75 Abs. 1 i.Vm. § 38 Abs. 1 AsylG die zu setzende Ausreisefrist, nicht die vom Bundesamt tatsächlich gesetzte Ausreisefrist. Geht das Bundesamt im Hinblick auf eine unzutreffend festgesetzte Ausreisefrist von der sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung aus bzw. ist die entsprechende Auffassung strittig, ist zur Verhinderung einer Abschiebung des Ausländers vor der Entscheidung über die Hauptsache in analoger Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ein Antrag auf gerichtliche Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage statthaft.
Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben.
Der angefochtene Bescheid wurde den Eltern des Antragstellers zwar bereits am 2. Dezember 2016 zugestellt, so dass die in der Rechtsbehelfsbelehrung:angegebene Antragsfrist von einer Woche bei Erhebung des Antrags am 12. Dezember 2016 abgelaufen gewesen wäre.
Zum einen findet aber die Antragsfrist von einer Woche nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG in der vorliegenden Fallkonstellation eines Eilantrags zur Feststellung der aufschiebenden Wirkung wegen faktischen Vollzugs keine Anwendung. Denn § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG knüpft an die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung an. Steht im Rahmen eines auf die Feststellung der aufschiebenden Wirkung gerichteten Eilantrags gerade die Rechtmäßigkeit der Ausreisefrist und die damit verbundene sofortige Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung in Frage, ist die Antragsfrist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht einschlägig.
Zum anderen konnte die Zustellung des Bescheids an die Eltern des Antragstellers keine Antragsfrist in Gang setzen, da die Zustellung fehlerhaft war. Für die Zustellung des nach § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylG zuzustellenden Bescheids gelten die Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes mit den Ergänzungen in § 10 AsylG. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG sind Zustellungen zwingend an den Bevollmächtigten zu richten, wenn er schriftliche Vollmacht vorgelegt hat. Diese Voraussetzungen lagen im Hinblick auf die Stellung des Asylantrags durch den Bevollmächtigten vor. Auf die nicht erfolgte bzw. jedenfalls nicht aktenkundige Vorlage einer schriftlichen Vollmacht zur Vertretung des Antragstellers hat sich das Bundesamt nicht berufen und diesen – wie sich aus der Zuleitung eines Abdrucks an den Bevollmächtigten nach § 31 Abs. 1 Satz 7 AsylG ergibt – als Empfangsbevollmächtigten angesehen. Eine Zustellung an die Eltern anstatt an den Bevollmächtigten wäre im Übrigen auch nicht ohne vorherige Fristsetzung zur Vorlage schriftlicher Vollmacht möglich gewesen (Ronellenfitsch in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand 1.10.2016, VwZG, § 7 Rn. 24; Schlatmann in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG, 10. Auflage 2014, VwZG, § 7 Rn. 7).
Entgegen der Auffassung des Bundesamts lagen auch nicht die Voraussetzungen für eine Zustellung an den Antragsteller bzw. dessen Eltern als gesetzliche Vertreter nach den Sondervorschriften in § 31 Abs. 1 Satz 5 AsylG vor. Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 5 AsylG ist abweichend von den allgemeinen Vorschriften die Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG dem Ausländer selbst zuzustellen, wenn der Asylantrag nur nach § 26a AsylG oder § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG abgelehnt wird. In diesen Fällen ist dem Bevollmächtigten nach § 31 Abs. 1 Satz 7 AsylG lediglich ein Abdruck der Entscheidung zuzuleiten. Die Regelung setzt nach dem ausdrücklichen Wortlaut den Erlass einer Abschiebungsanordnung voraus. Diese Voraussetzung lag nicht vor. Das Bundesamt hatte auf Grundlage von § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG eine Abschiebungsandrohung anstelle einer Abschiebungsanordnung erlassen, weil eine Abschiebungsanordnung nicht ergehen konnte. Unabhängig vom insoweit eindeutigen Wortlaut ist in einem solchen Fall auch nach Sinn und Zweck die Anwendung der Sonderzustellungsvorschriften nicht gerechtfertigt, da die eine Abschiebungsanordnung kennzeichnende Besonderheit, dass kurzfristig eine Rückführung durchzuführen ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2015 – 21 ZB 15.30178 – juris Rn. 6; Gesetzesbegründung zu § 34a Abs. 1 AsylVfG, BT-Drs. 12/4450, S. 23) bei Erlass einer Abschiebungsandrohung nach § 34 a Abs. 1 Satz 4 AsylG gerade nicht vorliegt.
Unabhängig von der Frage, ob die Zuleitung eines Abdrucks des Bescheids nach § 31 Abs. 1 Satz 7 AsylG an den Bevollmächtigten zur Heilung des Zustellungsmangel führt (§ 8 VwZG), ist die Kopie dem Bevollmächtigten erst am 5. Dezember 2016 zugegangen, der am 12. Dezember 2016 erhobene Antrag wäre daher selbst nach Maßgabe der Wochenfrist von § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG noch fristgerecht erhoben.
Der Antrag ist nach Maßgabe der summarischen Prüfung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO auch begründet, da das Bundesamt voraussichtlich eine Ausreisefrist von 30 Tagen gemäß § 38 Abs. 1 AsylG festsetzen hätte müssen und der der erhobenen Klage daher nach § 75 i.V.m. § 38 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung zukommt.
Nach § 38 Abs. 1 AsylG beträgt die Ausreisefrist in den sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt, einen Monat.
Die Voraussetzungen für die vom Bundesamt herangezogene Ausreisefrist von einer Woche gemäß § 36 Abs. 1 AsylG lagen nach dessen Wortlaut nicht vor. § 36 Abs. 1 AsylG knüpft an die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 AsylG an. Das Bundesamt hat zwar im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass der Asylantrag des Antragstellers unzulässig ist. Dies ergibt sich jedoch entgegen der Begründung des Bescheids ausschließlich aus § 29 Abs. 1 Nr. 1 a AsylG und nicht auch aus § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin-III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Diese Voraussetzungen liegen vor. Gemäß Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III – VO ist das Verfahren des minderjährigen Antragstellers untrennbar mit dem Verfahren seiner Eltern verbunden und daher – auch nach Abschluss des Asylverfahrens der Eltern in Italien – wegen der Zuständigkeit Italiens nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 a AsylG unzulässig (BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 11 B 15.50110 – juris Rn. 14; VG Ansbach, U.v. 27.6.2014 – AN 14 K 15.50289 – juris Rn. 16 ff.). Anhaltspunkte, dass eine Abschiebung nach Italien generell nicht möglich oder unzulässig ist oder im Hinblick auf die individuellen Umstände des Antragstellers zielstaatbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, sind nicht vorgetragen und unter Berücksichtigung der erfolgten Prüfung des Bundesamts auch nicht ersichtlich.
Demgegenüber liegen die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht vor. Die Regelung setzt voraus, dass ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne der RL 2011/95/EU gewährt hat. Anders als den Eltern des Antragstellers ist diesem in Italien aber bisher nicht internationaler Schutz gewährt worden. Der Umstand, dass Italien nach der Dublin-III-VO auf Grund der Untrennbarkeit der Asylverfahren des Antragstellers und seiner Eltern für das Asylverfahren des Antragstellers zuständig ist und der Antragsteller voraussichtlich die Voraussetzungen für internationalen Schutz bzw. die damit verbundenen Leistungen nach Maßgabe von Art. 23 RL 2011/95/EU erfüllt, genügt im Hinblick auf Wortlaut und Systematik von § 29 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AsylG und die daran anknüpfenden unterschiedlichen Rechtsfolgen nicht.
Im Zusammenhang mit der vom Bundesamt im Rahmen der Abschiebungsandrohung ebenfalls in Bezug genommenen Regelung nach § 26a AsylG ist ergänzend noch darauf hinzuweisen, dass – unabhängig davon, ob § 26a AsylG und die korrespondierende Regelung in § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zur Unzulässigkeit eines Asylantrags bei Rücknahmebereitschaft eines sicheren Drittstaats einschlägig sind – auch diese Vorschriften die verkürzte Ausreisefrist nach § 36 Abs. 1 AsylG nicht tragen.
Es ist auch kein Bedürfnis für eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 AsylG ersichtlich, wenn das Bundesamt – wie vorliegend – im Falle der Unzulässigkeit eines Asylantrags wegen Zuständigkeit eines anderen Staats nach der Dublin-III-VO von der nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG regelmäßig zu erlassenden Abschiebungsanordnung absieht und nach Maßgabe von § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG in der seit 6. August 2016 geltenden Fassung eine Abschiebungsandrohung erlässt, weil eine Abschiebungsanordnung nicht ergehen kann. Diese Fälle werden vielmehr von der Auffangregelung in § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG erfasst, wonach die Ausreisefrist in den sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt, einen Monat beträgt. Die Formulierung „in den sonstigen Fällen“ bezieht sich systematisch auf die vorangestellten Regelungen in §§ 36 und 37 AsylG, die die Ausreisefrist bei Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 und bei offensichtlicher Unbegründetheit regeln (vgl. zur inhaltsgleichen Regelung in § 38 AsylVfG a.F. BVerwG, U.v. 17.8.2010 – 10 C 18/09 – juris Rn. 14). Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist auch nicht auf Fälle beschränkt, in denen eine ablehnende Entscheidung über den Asylantrag ergeht, sondern erfasst grundsätzlich alle Entscheidungen des Bundesamts im Sinne des Dritten Unterabschnitts des vierten Abschnitts des Asylgesetzes, durch die der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkennt oder internationaler Schutz zuerkannt worden ist (vgl. zur vergleichbaren Situation nach dem AsylVfG BVerwG, U.v. 17.8.2010 a.a.O. – juris Rn. 15).
Eine analoge Heranziehung von § 36 Abs. 1 AsylG anstelle § 38 Abs. 1 AsylG ist auch im Hinblick auf den Regelungszweck von § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG nicht gerechtfertigt.
Nach § 36 Abs. 1 AsylG beträgt die Ausreisefrist in den Fällen der Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 AsylG oder der offensichtlichen Unbegründetheit eines Asylantrags eine Woche. Diese Frist korrespondiert mit der Frist für einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (§ 36 Abs. 3 S. 1 AsylG) und der Frist zur Erhebung der Klage (§ 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG). Darin kommt das Ziel des Gesetzgebers zum Ausdruck, eine Beschleunigung des Asylverfahrens insbesondere in den Fällen offensichtlich aussichtsloser Asylanträge zu erreichen (vgl. Pietz in Kluth/Heusch BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.11.2016, AsylG, § 36 Rn. 3 unter Hinweis auf BT-Drs. 12/2062, S. 1, 33 und 40).
Noch weiter geht die Regelung in § 34a Abs. 1 Sätze 1 und 3 AsylG bei Unzulässigkeit eines Asylantrags wegen Zuständigkeit eines anderen Staates für das Asylverfahren nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, wonach in der Regel eine Abschiebungsanordnung ohne Androhung und Fristsetzung angeordnet wird, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Auch in diesen Fällen kommt Klagen mangels einer zu setzenden Ausreisefrist nach § 38 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zu. Der Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG setzt jedoch voraus, dass feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Nach der bisherigen Rechtslage war bei Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG wegen der Zuständigkeit eines anderen Staates für das Asylverfahren nur der Erlass einer Abschiebungsanordnung vorgesehen, mit der Folge, dass das Bundesamt sämtliche Fragen zur Abschiebung zu prüfen und die Abschiebung anzuordnen hatte, sobald feststand, dass die Abschiebung durchgeführt werden konnte. Der Erlass einer Abschiebungsandrohung als „milderes Mittel“ war nicht wegen der Unterschiedlichkeit von Abschiebungsandrohung und Abschiebungsanordnung nicht möglich.
Durch das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl 2016 I S. 1939) wurde mit Wirkung vom 6. August 2016 die Regelung in § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG eingefügt und erstmals eine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Abschiebungsandrohung für Fälle geschaffen, in denen noch nicht feststeht, dass (bzw. mit welchen Maßgaben) die Abschiebung durchgeführt werden kann, so dass die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht vorliegen (vgl. die Begründung des Gesetzentwurf BT-Drs. 18/8615, S. 52; Pietz in Kluth/Heusch BeckOK AsylG a.a.O., § 34a Rn 20b). Die Prüfung offener Abschiebungsfragen, die sich im Hinblick auf die – gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG auch bei unzulässigen Asylanträgen vorgeschriebene – Prüfung zielstaatbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AsylG durch das Bundesamt auf inlandsbezogene sowie faktische Abschiebungshindernisse beschränkt, obliegt in solchen Fällen der Ausländerbehörde. § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG beinhaltet insofern Fallkonstellationen, in denen eine weitere Prüfung abschiebungsrelevanter Fragen erforderlich ist, die nicht kurzfristig vom Bundesamt geklärt werden können und durch die Ausländerbehörde zu prüfen sind. Die eine Abschiebungsanordnung kennzeichnende Besonderheit, dass kurzfristig eine Rückführung durchzuführen ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2015 a.a.O. – juris Rn. 6; BT-Drs. 12/4450, S. 23), liegt in Fällen, in denen gemäß § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG eine Abschiebungsandrohung erlassen wird, weil noch Abschiebungsfragen zu prüfen sind, die nicht kurzfristig geklärt werden können, gerade nicht vor. Es spricht daher nichts dafür, in solchen Fällen für die Ausreisefrist entgegen Wortlaut und systematischer Stellung § 36 Abs. 1 AsylG anstelle von § 38 Abs. 1 AsylG heranzuziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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