Verwaltungsrecht

Fehlende Antragsbefugnis für die Fortsetzung einer praktischen Prüfung zum Erwerb des Sportseeschifferscheins

Aktenzeichen  5 CE 21.2047

Datum:
14.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 979
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 2, § 123
SpSeeScheinV § 7 Abs. 2, Abs. 3, § 8

 

Leitsatz

1. Die als Gesamtprüfung angelegte praktische Prüfung zum Erwerb des Sportseeschifferscheins kann nicht in zeitlich voneinander losgelöste Teilbereiche aufgegliedert werden, sondern ist am Stück zu erbringen, um die Prüfungsleistung umfassend zu dokumentieren  (BVerwG NVwZ 1997, 502). (Rn. 18 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Richtet der vorläufige Rechtsschutz auf den geltend gemachte Anordnungsanspruch, die praktischen Prüfung zum Erwerb des Sportseeschifferscheins fortzusetzen und ist die Prüfung als Gesamtprüfung aufgrund der Nichterbringung der Leistung in einem Teilbereich als “nicht ausreichend” abgebrochen worden, besteht keine Antragsbefugnis auf eine solche Prüfungsfortsetzung. (Rn. 17) (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Rechtsschutz besteht daher für den Prüfling in der Wiederholung der gesamten Prüfung, auch wenn dies ggf. eine besondere Härte darstellt (BVerwG NVwZ 1997, 502). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 8 E 21.865 2021-06-30 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 30. Juni 2021 wird abgeändert. Der Antrag des Antragstellers gemäß § 123 VwGO wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Fortsetzung einer praktischen Prüfung zum Erwerb des Sportseeschifferscheins.
Nach der entsprechenden Zulassung durch die Antragsgegnerin hat der Antragsteller am 28. März 2021 an einer praktischen Prüfung zum Erwerb des Sportseeschifferscheins teilgenommen. Der Vorsitzende der Prüfungskommission und ein weiterer Prüfer haben dem Prüfungsprotokoll zufolge die Leistungen des Antragstellers bei Aufgaben zur „Handhabung der Yacht“ als ausreichend, bei der Aufgabe „Rettungsmanöver“ als nicht ausreichend bewertet. Die Prüfung wurde daraufhin beendet; zu weiteren im Formularprotokoll aufgeführten Prüfungsaufgaben sind keine Einträge vorhanden. Zum Prüfungsergebnis wird im Protokoll festgestellt, dass keine ausreichenden Ergebnisse „in allen Aufgaben“ vorlägen und der Antragsteller die praktische Prüfung nicht bestanden habe. Dem Antragsteller wurde dieses Prüfungsergebnis mit Schreiben des Vorsitzenden der Prüfungskommission vom 28. März 2021 mitgeteilt, welches mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war.
Der Antragsteller erhob gegen diesen Bescheid am 1. April 2021 Widerspruch und trug zur Begründung u.a. vor, dass die Prüfer das von ihm durchgeführte Rettungsmanöver zu Unrecht als nicht ausreichend bewertet hätten.
Am 8. April 2021 stellte der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg einen Antrag nach § 123 VwGO mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die aus seiner Sicht zu Unrecht vorzeitig abgebrochene praktische Prüfung „unter Berücksichtigung der bereits abgelaufenen Prüfungsdauer und der bereits erbrachten Prüfungsleistungen einschließlich des strittigen Rettungsmanövers“ fortzusetzen. Der Verwaltungsakt vom 28. März 2021 sei rechtswidrig. Er sei nicht begründet worden. Der Antragsteller habe entgegen der Auffassung der Prüfer die Prüfungsanforderungen erfüllt; dies werde auch durch weitere Prüflinge bestätigt. Jedenfalls hätte aber die Prüfung nicht abgebrochen werden dürfen, da diese als Gesamtprüfung alle praktischen Prüfungsteile nach Anlage 2 der Durchführungsrichtlinien Sportsee-/Sporthochseeschifferschein umfasse; die Prüfungskommission dürfe nicht den Umfang der Prüfung entgegen der Vorgaben der Anlage 2 der Durchführungsrichtlinien verkürzen, da auf diese Weise der Rechtsschutz in der Hauptsache ins Leere laufen würde. Die Frage der Erbringung einer ausreichenden Prüfungsleistung durch den Antragsteller beim durchgeführten Rettungsmanöver müsse im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache sei im Hinblick auf die notwendige Prüfungsvorbereitung – Vorbereitungswoche an einer Segelschule, Bereitstellen einer baugleichen Segelyacht etc. – nicht zumutbar. Mit dem vorliegenden Antrag solle deshalb auch nur die Fortsetzung der abgebrochenen Prüfung hinsichtlich der nicht abgeprüften Prüfungsteile erreicht werden. Ohne die Durchführung der gesamten praktischen Prüfung gemäß der Anlage 2 der Durchführungsrichtlinien könne in einem Hauptsacheverfahren kein ausreichendes Gesamtergebnis festgestellt werden.
Mit Bescheid vom 1. Juni 2021 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 28. März 2021 zurück. Am 2. Juli 2021 erhob der Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 28. März 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juni 2021, über die noch nicht entschieden wurde (Az.: Au 8 K 21.1463).
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 30. Juni 2021 wurde die Antragsgegnerin verpflichtet, die abgebrochene Prüfung zum Erwerb des Sportseeschifferscheins fortzusetzen. Der Antrag sei statthaft. Die Fortsetzung der durch die Prüfer abgebrochenen Prüfung sei nicht unmöglich; diese könne – ohne Wiederholung der bereits durchgeführten Prüfungsteile – tatsächlich zur Durchführung der noch nicht abgeprüften Pflichtaufgaben nach § 7 der Sportseeschifferscheinverordnung (SportSeeSchiffV) i.V.m. Ziffer 5.2 und Anlage 2 der Durchführungsrichtlinien zu dieser Verordnung fortgesetzt werden. Der Antragsteller könne auch einen Anspruch auf die Fortsetzung der abgebrochenen Prüfung geltend machen, der sich aus der einschlägigen Prüfungsordnung unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes ergebe. Der gerichtlich nur in einem begrenzten Umfang nachprüfbaren Leistungsbewertung durch die Prüfer stehe zur Sicherung des in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Rechtsschutzes die verfahrensrechtliche Absicherung des Prüfungsvorgangs gegenüber. Der nach § 2 SportSeeSchiffV Beauftragte müsse deshalb die wesentlichen Punkte des Prüfungsverfahrens selbst regeln. Für den vorliegend zur gerichtlichen Prüfung gestellten Abbruch der praktischen Prüfung zum Erwerb des Sportseeschifferscheins bedeute dies, dass dieser nur zulässig sei, wenn hierfür eine normative Grundlage bestehe. Daran fehle es für den vorliegend erfolgten Abbruch der Prüfung. Die Frage, ob die Prüfer das vom Antragsteller durchgeführte Rettungsmanöver zu Recht für das Bestehen der praktischen Prüfung als nicht ausreichend angesehen hätten, sei im vorliegenden Verfahren ohne Bedeutung und könne nur im Klageverfahren gegen die Prüfungsentscheidung überprüft werden. Mit dem Abbruch der Prüfung bestehe für den Prüfungsbewerber keine Möglichkeit mehr, im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung der Prüfungsentscheidung zum Bestehen der Prüfung zu gelangen. Die wegen des (vorzeitigen) Abbruchs der Prüfung fehlenden Pflichtaufgaben der praktischen Prüfung schlössen das Bestehen der Prüfung aus, da diese nur als Gesamtprüfung, die sämtliche Pflichtaufgaben umfasse, erfolgreich abgelegt werden könne. Der gerichtliche Rechtsschutz des Prüfungsbewerbers gegen die Prüfungsentscheidung laufe somit beim (vorzeitigen) Abbruch der Prüfung ins Leere, da auch eine gerichtliche Feststellung der Fehlerhaftigkeit der Prüfungsentscheidung und der Verpflichtung zur Neubewertung das Bestehen der (Gesamt-)Prüfung nicht möglich machen würde. Auch wenn die Leistungsbewertung nur eingeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung unterliege, verhinderten die Prüfer durch den – verfahrensrechtlich nicht möglichen – Abbruch der Prüfung, dass die praktische Prüfung der gerichtlichen Prüfung unterworfen werde.
Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde und beantragt,
den Beschluss aufzuheben und den Antrag des Antragstellers abzulehnen.
Der Antrag gemäß § 123 VwGO sei unstatthaft. Das Verwaltungsgericht verkenne, dass die praktische Prüfung vom 28. März 2021 mit der Mitteilung des Nichtbestehens beendet sei und ohne Aufhebung des Prüfungsergebnisses nicht wiederaufgenommen werden könne. In Betracht komme nur eine Wiederholung der gesamten Prüfung. Durch eine Fortsetzung der Prüfung könne der Antragsteller sein Rechtsschutzziel in der Hauptsache, die Aufhebung der Prüfungsentscheidung, nicht erreichen. Der Antragsteller habe auch keinen Anspruch auf Fortsetzung der abgebrochenen Prüfung glaubhaft gemacht. Die Bezeichnung der praktischen Prüfung in Nr. 5.2 der Richtlinien zur Durchführung der Aufgaben nach § 2 SportSeeSchiffV als „Gesamtprüfung“ bedeute nicht, dass in jedem Fall alle Prüfungsteile abgenommen werden müssten. In dieser Vorschrift werde nicht zum Ausdruck gebracht, dass alle Pflichtaufgaben zu prüfen seien, wenn der Prüfling bereits durch die erste Pflichtaufgabe gefallen sei. Auch die Regelung in Nr. 6.2 der genannten Richtlinie zeige, dass bei Nichtbestehen einer Pflichtaufgabe und damit auch der praktischen Prüfung insgesamt nicht alle Pflichtaufgaben geprüft werden müssten. Es sei ausreichend, dass sich die Möglichkeit eines Prüfungsabbruchs hinreichend aus dem Wortlaut der Ermächtigung sowie deren Sinn und Zweck unter Beachtung der tragenden Grundsätze des Prüfungsrechts und der Chancengleichheit ergebe. Die Rechtsordnung kenne zum Beispiel im Fahrerlaubnisrecht (Nr. 2.5.4 der Anlage 7 zur Fahrerlaubnisverordnung – FeV) die Möglichkeit des Abbruchs eine Prüfung, wenn der Prüfling sich als ungeeignet erweise und keine Möglichkeit des Bestehens der Prüfung bestehe. Dieser Gedanke sei auf die Prüfung zum Sportseeschifferschein übertragbar. Das Verwaltungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass vorliegend nicht der Schutzbereich von Art. 12 GG, sondern derjenige von Art. 2 GG betroffen sei, weshalb an die Rechtfertigung eines Eingriffs weniger hohe Anforderungen zu stellen seien. Das Argument des Verwaltungsgerichts, ohne Fortsetzung der Prüfung habe der Prüfling bei einer Aufhebung der Prüfungsentscheidung keine Chance auf das Bestehen der Prüfung, sei nicht überzeugend; auch im Falle einer erfolgreichen Anfechtung der Prüfungsentscheidung sei vermutlich eine Prüfungswiederholung erforderlich. Der Antragsteller habe auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Schließlich verkenne das Verwaltungsgericht, dass es mit der getroffenen Entscheidung in unzulässiger Weise die Hauptsache vorwegnehme.
Die Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die weiteren Teile der praktischen Prüfung könnten ohne Aufhebung des Prüfungsergebnisses abgeprüft werden. Die Überprüfung des Prüfungsergebnisses, d.h. die Bewertung des in Frage stehenden Rettungsmanövers, bleibe dem Verfahren der Hauptsache überlassen. Auch bei einer vollständigen Abnahme aller offenen Prüfungsteile könne das Gericht der Hauptsache zum Ergebnis kommen, dass die Entscheidung des Antragsgegners in Bezug auf die Feststellung des Prüfungsergebnisses rechtmäßig ergangen und der Verwaltungsakt vom 28. März 2021 nicht aufzuheben sei. Insofern werde auch die Hauptsache nicht vorweggenommen. Die Antragsgegnerin versuche durch ihre Prüfungspraxis gezielt, sich der Kontrolle durch die Rechtsprechung zu entziehen und effektiven Rechtsschutz zu verhindern. Der Antragsgegner lege selbst dar, warum seiner Ansicht nach Rechtsbehelfe gegen Prüfungsentscheidungen niemals erfolgreich sein könnten, sondern immer nur in die Wiederholung der Prüfung mündeten, was im Ergebnis keinen Unterschied zu einem nicht eingelegten Rechtsbehelf mache. Das behördliche Verhalten würde selbst dann gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verstoßen, wenn es in der Sportseeschifferscheinverordnung oder den dazu ergangenen Durchführungsrichtlinien eine Befugnis zur Ausübung von Ermessen in Bezug auf den Abbruch der Prüfung geben würde, was aber nach der zutreffenden Feststellung des Verwaltungsgerichts nicht der Fall sei. Es sei auch praktisch nicht unmöglich, die Prüfung mit den Prüfungsteilen Wetterkunde, Technik an Bord und Navigation fortzusetzen. Die Antragsgegnerin habe ihrer Prüfungsentscheidung nachweislich einen falschen Sachverhalt zugrunde gelegt. Es sei nicht ausgeschlossen, dass ein rechtswidrig falsch bewerteter Prüfungsteil wiederholt und die Prüfung somit teilweise fortgesetzt werde. Soweit die Prüfungsdauer von bis zu 90 Minuten in den Durchführungsrichtlinien geregelt sei, handele es sich nur um die Regelung der höchst zulässigen Prüfungsdauer; es müssten alle geforderten Pflichtaufgaben abgeprüft und als bestanden bewertet werden, damit eine Prüfung als bestanden gelte. Zu den vom Antragsgegner zitierten Regelungen des Fahrerlaubnisrechts bestünden wesentliche Unterschiede. Bei den drei in der Sportseeschifferscheinverordnung geregelten Führerscheintypen handele es sich um berufszugangsbeschränkende Befähigungsnachweise, weshalb auch der Schutz des Grundrechts der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG greife. Die Frist bis zum letztmalig möglichen Bestehen der praktischen Prüfung sei zwar bedingt durch die Corona-Pandemie auf den 31. März 2024 verlängert worden; es handele sich jedoch um eine gesetzliche Ausschlussfrist, die im Zweifel nur durch einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz eingehalten werden könne. Durch die Vereitelung dieses Rechts entstünden dem Antragsteller wesentliche Nachteile, nämlich der dann unmögliche Erwerb eines Führerscheins. Der Antrag nach § 123 VwGO sei erforderlich, um effektiven Rechtsschutz zu erzielen; insofern reiche eine Wahrscheinlichkeit aus, dass die Prüfungspraxis der Antragsgegnerin rechtswidrig sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 30. Juni 2021 hat in der Sache Erfolg. Die angefochtene Regelungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist aufzuheben und der Antrag des Antragstellers ist abzulehnen. Die von der Antragsgegnerin fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO den Prüfungsrahmen für den Senat bilden, erfordern diese Beurteilung.
Der Antrag gemäß § 123 VwGO ist nicht zulässig. Zwar ist er entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin statthaft. Das mit ihm verfolgte Ziel, die Antragsgegnerin zu einer Fortsetzung der abgelegten praktischen Prüfung zu verpflichten, kann in der Hauptsache nicht im Wege einer Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) erreicht werden, sodass ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nicht die richtige Antragsart wäre (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO). Dem steht nicht entgegen, dass sich der Antragsteller in der Hauptsache zusätzlich gegen die Prüfungsentscheidung vom 28. März 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juni 2021 wendet.
Es fehlt jedoch an der Antragsbefugnis des Antragstellers (§ 42 Abs. 2 VwGO analog). Ob sich ein Antragsteller mit seinem Begehren auf der Grundlage des dargelegten Sachverhalts überhaupt auf ein in der Rechtsordnung vorgesehenes subjektiv-öffentliches Recht berufen kann, ist keine Frage der Darlegung oder bloßer Möglichkeit, sondern durch das Gericht selbst bei der Klärung der Antragsbefugnis abschließend zu prüfen und zu entscheiden (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 5. Aufl. 2019, § 42 Rn. 111 m.w.N.). Die Antragsgegnerin rügt zurecht, dass das Antragsziel einer Fortsetzung der praktischen Prüfung zum Erwerb des Sportseeschifferscheins nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften nicht erreicht werden kann; dem Antragsteller kann der geltend gemachte Anordnungsanspruch auf eine solche Prüfungsfortsetzung nicht zustehen.
Die Prüfung zum Erwerb eines Sportseeschifferscheins soll gemäß § 7 Abs. 2 der Sportseeschifferscheinverordnung (SportSeeSchiffV) zeigen, ob der Bewerber zum einen ausreichende Kenntnisse der maßgebenden schifffahrtsrechtlichen Vorschriften und die erforderlichen navigatorischen und seemännisch-technischen Kenntnisse zur sicheren Führung einer Yacht in küstennahen Seegewässern hat und zum anderen zur praktischen Anwendung dieser Kenntnisse fähig ist. Die praktische Prüfung wird an Bord einer Yacht durchgeführt (§ 8 Abs. 1 Satz 3 SportSeeSchiffV). Die Einzelheiten des Prüfungsinhalts und -verfahrens wurden gemäß § 7 Abs. 4 i.V.m. § 8 Abs. 5 SportSeeSchiffV in den Richtlinien vom 27. Januar 1993 zur Durchführung der Aufgaben nach § 2 SportSeeSchiffV betreffend den Sportsee- und Sporthochseeschifferschein (VkBl. S. 108, zuletzt geändert durch Erlass vom 29.3.2016, VkBl. 2016, S. 338; im Folgenden: Durchführungsrichtlinien) geregelt. Die praktische Prüfung zum Erwerb des Sportseeschifferscheins wird nach Nr. 5.2 der Durchführungsrichtlinien als Gesamtprüfung „in Navigation, Wetterkunde und Seemannschaft“ abgenommen und dauert für jeden Bewerber bis zu 90 Minuten. Der Inhalt der praktischen Prüfung ergibt sich gemäß Nr. 4.1 der Durchführungsrichtlinien aus deren Anlage 2. Jeder Bewerber muss gemäß Nr. 5.2 der Durchführungsrichtlinien mindestens die in Anlage 2 zu den Richtlinien genannten Pflichtaufgaben und die vom Prüfer aus Anlage 2 ausgewählten Manöver und Fertigkeiten „durchführen bzw. nachweisen“. Wird eine Pflichtaufgabe mit „nicht ausreichend“ bewertet, so ist die praktische Prüfung gemäß Nr. 6.2 der Richtlinien nicht bestanden.
Aus den vorgenannten Regelungen ergibt sich, dass die praktische Prüfung zwingend in einem einheitlichen Termin abgelegt wird und nicht aus mehreren Teilen besteht, die jeweils selbständig durchgeführt werden könnten. Eine Gliederung der praktischen Prüfung in verselbständigte Teilbereiche widerspräche ihrer Bezeichnung als Gesamtprüfung und folgt auch nicht aus Anlage 2 zu den Durchführungsrichtlinien. Aus dieser Anlage ergibt sich (lediglich) der Inhalt der praktischen Prüfung zum Erwerb des Sportseeschifferscheins im Sinne des § 7 Abs. 2 SportSeeSchiffV, d.h. der Prüfungsstoff (vgl. Nr. 4.1 der Richtlinien). Prüfungsstruktur und -verfahren werden auch nicht durch die thematische Gliederung der Prüfungsaufgaben in Anlage 2 vorgegeben. Die Struktur der praktischen Prüfung unterscheidet sich insoweit von derjenigen der theoretischen Prüfung zum Erwerb des Sportseeküstenschifferscheins. Letztere setzt sich gemäß Nr. 5.1.2 der Richtlinie i.V.m. Anlage 1 aus vier Bereichen bzw. Teilprüfungsfächern mit jeweils gesonderter Bearbeitungszeit und Bewertung zusammen. Ferner ist eine Wiederholung nicht bestandener Prüfungsteile nur bei der theoretischen Prüfung vorgesehen; die nicht bestandene praktische Prüfung kann dagegen nur insgesamt wiederholt werden (vgl. Nr. 5.1.1.2 der Durchführungsrichtlinien).
Ein Prüfling kann wegen des Charakters der praktischen Prüfung als Gesamtprüfung nicht beanspruchen, eine auf einen Teil des Prüfungsstoffs beschränkte Prüfung abzulegen. Zudem besteht kein Anspruch darauf, dass die praktische Prüfung noch fortgesetzt wird, wenn eine Pflichtaufgabe mit „nicht ausreichend“ bewertet wurde. Die praktische Prüfung gilt dann gemäß Nr. 6.2 der Durchführungsrichtlinien insgesamt als nicht bestanden; eine etwaige Fortsetzung in Bezug auf sonstige Pflichtaufgaben könnte daran nichts ändern. Es ist insbesondere im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 GG und den Grundsatz der Chancengleichheit rechtlich nicht zu beanstanden, wenn wie vorliegend gemäß einer Prüfungsordnung das Bestehen einer Prüfung davon abhängt, dass zu unverzichtbaren Kenntnissen oder Fähigkeiten ein Mindestmaß an Leistungen erbracht wird (vgl. Jeremias in Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 167). Gerade im Hinblick auf den erforderlichen Schutz von Leib und Leben ggf. zu rettender Personen (vgl. BVerwG, B.v. 11.4.1996 – 6 B 13/96 – NVwZ 1997, 502 Rn. 11) ist nachvollziehbar, dass nach den Durchführungsrichtlinien die Fähigkeit zur Bootsführung während eines Rettungsmanövers unverzichtbare Voraussetzung zum Erwerb eines Sportseeschifferscheins ist. Es wäre auch evident sachwidrig, wenn diesbezüglich mangelhafte Leistungen durch ausreichende Leistungen zu anderen Prüfungsinhalten kompensiert werden könnten. Es kann insoweit auch nicht von einem „vorzeitigen Abbruch“ der praktischen Prüfung gesprochen werden; werden unverzichtbare Fähigkeiten nicht nachgewiesen, so kann bereits auf dieser Grundlage die Bewertung getroffen werden, dass die praktische Prüfung insgesamt nicht bestanden ist.
Die Ausgestaltung der praktischen Prüfung als Gesamtprüfung (vgl. Nr. 5.2 Abs. 1 Satz 1 der Durchführungsrichtlinien), die nur insgesamt wiederholt werden kann, ist auch im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass vorliegend eine (teilweise) Neubewertung bereits erbrachter praktischer Prüfungsleistungen schon wegen der dafür fehlenden Bewertungsgrundlage nicht in Betracht kommt. Gegenstand der Bewertung durch die Prüfer ist nicht allein ein bestimmtes Ergebnis, sondern unmittelbare Beobachtungen während des Prüfungsprozesses, vorliegend die Bootsführung durch den Prüfling während des Rettungsmanövers. Diese Prüfungsleistung ist nicht umfassend dokumentierbar oder mit größerem zeitlichen Abstand rekonstruierbar (vgl. zu einer berufspraktischen Prüfung BayVGH, B.v. 12.1.2021 – 7 ZB 19.583 – juris Rn. 14; zu einer mündlichen Prüfung BVerwG, B.v. 11.4.1996 – 6 B 13/96 – NVwZ 1997, 502 Rn. 22 bis 24; Fischer in Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 509 und 690).
Vor diesem Hintergrund kann effektiver Rechtsschutz gewährleistet werden, wenn der Prüfling wie vorliegend die Bewertung einer Einzelleistung in der praktischen Prüfung beanstandet. Sollte sich die Prüfungsbewertung als rechtsfehlerhaft erweisen, hätte der Antragsteller ggf. einen Anspruch auf Wiederholung der praktischen Prüfung. Für den Prüfling stellt dieses Wiederholungserfordernis zwar ggf. eine besondere Härte dar; jedoch ist er, soweit erforderlich, bei der Durchsetzung dieses Anspruchs keineswegs schutzlos gestellt (vgl. dazu näher v. 11.4.1996 – 6 B 13/96 – NVwZ 1997, 502 Rn. 14).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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