Verwaltungsrecht

Fehlende Glaubhaftmachung einer Verfolgung

Aktenzeichen  AN 10 K 16.30430

Datum:
3.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4

 

Leitsatz

Ist die Verfolgungsgeschichte widersprüchlich und unsubstantiiert vorgetragen, fehlt es an den notwendigen, glaubhaft gemachten individuellen Verfolgungshandlungen, um einen asylrechtlichen Schutzstatus zu begründen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 11. Juli 2016 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
I.
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg, der Bescheid des Bundesamtes vom 11. April 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Asylgesetz – AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Es ist ihr zudem weder der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, noch liegen in ihrer Person nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor.
Das Gericht verweist insoweit vorab auf die zutreffende Begründung des Bundesamtsbescheids gem. § 77 Abs. 2 AsylG, an der auch der Vortrag in der Klagebegründung und in der mündlichen Verhandlung nichts geändert hat.
Lediglich ergänzend wird auf folgendes hingewiesen:
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen im Fall der Klägerin nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3 c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3 c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3 c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuer kannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3 e Abs. 1 AsylG).
Bei der Beurteilung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C-23/12 – NVwZ 2013, 936 ff.; VG München, U.v. 28.1.2015 – M 12 K 14.30579 – juris Rn. 23).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl-und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.8.2013 -A 12 S 2023/11 – juris; Hess. VGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Begehren der Klägerin nicht zum Erfolg. Die Klägerin hat eine Vorverfolgung nicht glaubhaft gemacht, auch unter Berücksichtigung der beigezogenen Akte ihres Bruders, der Zeugenaussage ihres Bruders und der in diese Akte wiedergegebenen Angaben des Vaters der Klägerin zu seiner Kenntnis über Folterungen gegenüber seinen Kindern.
Zum einen ist ihr Vortrag im Hinblick darauf, dass sie als moderne Friseurin und wegen ihres Verzichts auf das Tragen eines Kopftuchs (von der Sittenpolizei) generell bedroht sei, deswegen nicht glaubhaft, weil hierzu erst mit Schriftsatz vom 3. März 2017 und in der mündlichen Verhandlung – gesteigert – vorgetragen wurde. Der Vortrag bleibt hierzu generell unsubstanti-iert. Sollte die Klägerin bei einer hypothetischen Rückkehr dementsprechenden etwaigen Einschränkungen ausgesetzt sein, so überschreitet dies nicht die für eine Verfolgungshandlung nach § 3a AsylG erforderliche Erheblichkeitsschwelle (vgl. BeckOK Ausländerrecht, § 3a AsylG, Rn. 4 ff.). Dem Gericht sind überdies keine Erkenntnisse darüber bekannt, dass (moderne) Friseure im Irak oder in … generell Verfolgungen ausgesetzt sind. Die Einholung einer Auskunft hat sich jedoch auch deswegen erübrigt, weil die konkret geschilderten Handlungen bzw. Repressalien zu möglichen Vorverfolgungstatbeständen nicht glaubhaft dargelegt wurden.
In Abgleich zu den Angaben der Klägerin bei der Anhörung beim Bundesamt und den Zeugenangaben ihres Bruders sowie zu dem sonstigen Akteninhalt ergeben sich eine Reihe von Widersprüchen, die in einer Gesamtschau dazu führen, dass den im Übrigen nicht sehr detaillierten Schilderungen nicht geglaubt werden kann.
So hat der zusammen mit der Klägerin nach Deutschland ausgereiste Vater nichts von einer Folterung des Bruders der Klägerin berichtet. Es erscheint nicht nachvollziehbar, dass in der Reisegruppe über diesen maßgeblichen Grund der Reise nicht gesprochen wurde. Die Klägerin berichtete entgegen ihren Angaben beim Bundesamt im Rahmen der Klagebegründung und in der mündlichen Verhandlung von vier Männern, die sie am 19. Juni 2015 mitgenommen haben, nicht drei. Zudem berichtete die Klägerin in der Klagebegründung entgegen den sonstigen Angaben, dass bei dem ersten Vorfall ihr Bruder nicht mitgenommen worden sei. Erst in der mündlichen Verhandlung wurde davon berichtet, dass der Bruder mit einem Stock auf die Hände geschlagen worden sei, bei der Bundesamtsanhörung wurde noch von Schlägen mit einem Kabel berichtet. Entgegen den Angaben der Klägerin bei der Bundesamtsanhörung, wonach die Milizen ein weiteres mal bei ihr Zuhause vorbei gekommen seien, sagte ihr als Zeuge vernommener Bruder aus, dass es nach ihrer Ausreise nicht mehr zu Vorkommnissen gekommen sei.
In der Gesamtschau ist der Vortrag zu individuellen Verfolgungshandlungen daher nicht glaubhaft, so dass schon aus diesem Grund eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht in Betracht kommt.
Daher kommt auch eine Anerkennung als Asylberechtigte als Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht in Betracht, da dies unter engeren Voraussetzungen steht als die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
An der mangelnden Glaubhaftigkeit des Vortrags scheitert auch eine Zuerkennung des subsidi-ären Schutzstatus im Hinblick auf Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behand lung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Auch eine ernsthafte, individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) kommt nicht in Betracht, da nach der aktuellen Auskunftslage in … selbst kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht, der allein den Aufenthalt dort zur Gefahr macht (Lagebericht Auswärtiges Amt, 7.2.2017, S. 16, so auch VG Frankfurt am Main, U.v. 1.7.2016, 4 K 1797/16.F.A., juris).
Nationale Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben.
Das Gericht stimmt dem Bundesamt zu, das dies überzeugend und unter Bezugnahme auf die aktuelle Auskunftslage begründet, dass die derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak nicht dergestalt sind, dass bei einer Abschiebung in dieses Land eine im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG beachtliche Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt. Es sind in der Person der Klägerin auch keine individuellen, gefahrerhöhenden Umstände ersichtlich, die eine andere Beurteilung rechtfertigen würden. Dies gilt auch dann, wenn die Klägerin tatsächlich überhaupt nicht mehr als Friseurin arbeiten könnte, dass sie jung und arbeitsfähig ist und zur Sicherung ihres Lebensunterhalts auf ihre Arbeitskraft verwiesen werden kann.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Inneren hat im Erlasswege mit Rundschreiben vom 3. Juli 2008 (Az. IA-2086.10-439), welches nach wie vor Gültigkeit beansprucht, verfügt, dass irakische Staatsangehörige, die nicht Straftäter sind oder unter Sicherheitsaspekten vordringlich abzuschieben sind, nicht abgeschoben werden und Duldungen bis auf Weiteres auf der Grundlage des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bis zur Dauer von sechs Monaten erteilt bzw. verlängert werden. Es ist daher davon auszugehen, dass die Erlasslage hinsichtlich allgemeiner Gefahren derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C-2/01 – NVwZ 2001, 1420).
Sonstige Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren erfasst werden, sind nicht ersichtlich bzw. von der Klägerin nicht vorgetragen.
Soweit sich die Klage auch gegen die im streitgegenständlichen Bescheid festgesetzte Abschiebeandrohung nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und das verhängte Einreise-und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage von § 11 Abs. 1 AufenthG richtet, bleibt die Klage ebenfalls erfolglos, da Einwände insoweit nicht geltend gemacht wurden oder ersichtlich sind.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.


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