Verwaltungsrecht

Flüchtlingsschutz für Konvertiten aus dem Iran

Aktenzeichen  Au 5 K 16.32257

Datum:
10.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 2, § 28 Abs. 1a

 

Leitsatz

1 Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann in dem Verbot bestimmter Arten der Religionsausübung sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich liegen, wenn dem Asylbewerber deshalb Verfolgung oder unmenschliche Behandlung droht. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Recht auf Religionsfreiheit ist im Iran deutlich eingeschränkt. Der Abfall vom Islam kann mit der Todesstrafe geahndet werden. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3 Um die Wahrscheinlichkeit der Verfolgung im Iran beurteilen zu können, muss das Gericht Feststellungen zur religiösen Identität des Flüchtlings treffen. (Rn. 42 – 46) (redaktioneller Leitsatz)
4 Auch einfachen Konvertiten ist im Iran eine religiöse Betätigung selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlichen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Bundesamts für … vom 1. September 2016 wird in Nrn. 1, 3, 4, 5 und 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Einzelrichter konnte über die Klage der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 10. April 2017 entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage ist begründet. Die Kläger besitzen einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Der Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vormals nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG, nunmehr nach § 3 Abs. 1 AsylG) ist weitgehend deckungsgleich mit dem des Asylgrundrechts, für dessen Auslegung sich das Bundesverfassungsgericht schon bisher an der Genfer Flüchtlingskonvention orientiert hat (vgl. BVerwG, B.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86 u.a. – BVerwGE 80, 315).
Teilweise geht der Internationale Flüchtlingsschutz im Ergebnis der Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU über den Schutz des Asylgrundrechts hinaus. So begründen nach Maßgabe des § 28 Abs. 1a AsylG auch selbstgeschaffene Nachfluchtgründe sowie gemäß § 3c Nr. 3 AsylG eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, etwa in Bürgerkriegssituationen, in denen es an staatlichen Strukturen fehlt, ein Abschiebungsverbot. Ferner stellt § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG klar, dass eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn Anknüpfungspunkt allein das Geschlecht ist. Schließlich umfasst gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG der Schutz vor Verfolgung wegen der Religion im Ergebnis der Umsetzung von Art. 10 Abs. 1b der Richtlinie 2011/95/EU auch die Religionsausübung im öffentlichen Bereich sowie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen, die sich auf eine religiöse Betätigung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.
Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft und der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (vgl. BVerwG, U.v. 1.3.2012 – 10 C 7/11 – juris). An dessen Stelle gilt nunmehr nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Hierdurch wird den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigemessen (vgl. EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. V 175/08 u.a., …). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür vorzulegen, dass sich verfolgungsbegründende bzw. schadensstiftende Umständen bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Dessen ungeachtet ist es Sache des Ausländers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG, Art. 4 Abs. 3 Richtlinie 2011/95/EU. Der Ausländer hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich schlüssigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht. Hierzu gehört u.a., dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung abgibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen.
Beruft sich der Ausländer indes zur Begründung seiner Verfolgungsfurcht auch auf Vorgänge und Geschehensabläufe nach dem Verlassen seines Herkunftsstaates, so gilt die das Maß der Darlegungsanforderungen bestimmende Beweiserleichterung nicht, weil nicht mehr davon auszugehen ist, dass die für Vorgänge in dem „Verfolgerstaat“ bestehenden Beweisschwierigkeiten außerhalb des Herkunftsstaates fortbestehen. Der Flüchtling hat vielmehr die Umstände, aus denen er seine begründete Furcht vor Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ableitet, zu beweisen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die Nachfluchtgründe in einem Verhalten des Ausländers bestehen, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung und Ausrichtung ist, § 28 Abs. 1a AsylG. Durch die Verwendung des Wortes „insbesondere“ in § 28 Abs. 1a AsylG ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass auch Nachfluchttatbestände ohne eine entsprechende Vorprägung im Heimatland beachtlich sein können.
Dies zugrunde gelegt haben die Kläger einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.
Das Gericht ist auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen, der persönlichen Einvernahme der Kläger in der mündlichen Verhandlung und der informatorischen Anhörung des die Kläger im Wesentlichen betreuenden Priesters zu der Überzeugung gelangt, dass sich die Kläger sowohl vor als auch nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland aus innerer Überzeugung dem christlichen Glauben zugewandt haben, ihn aus innerer Überzeugung praktizieren und ihnen aus diesem Grund eine Rückkehr in den Iran nicht zuzumuten ist.
Wird im Herkunftsland eines Asylbewerbers auf dessen Entschließungsfreiheit, seine Religion in einer bestimmten Weise zu praktizieren, durch die Bedrohung mit Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit eingewirkt, ist dies als Eingriff in die Religionsfreiheit zu prüfen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 21). Eine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) der Richtlinie 2011/95/EU kann unter Berücksichtigung an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 5. September 2012, Rs. C 7 1/11 und C-99/11, nicht nur in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit liegen, seine Religion im privaten Rahmen zu praktizieren (Forum Internum), sondern auch in der Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (Forum Externum) (BVerwG – a.a.O. Rn. 24). Schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung kann eine beachtliche Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU darstellen, und zwar unabhängig davon, ob sich der davon betroffene Glaubensangehörige tatsächlich religiös betätigen wird oder auf die Ausübung aus Furcht vor Verfolgung verzichtet (BVerwG – a.a.O. Rn. 26). Ein solches Verbot hat aber nur dann die für eine Verfolgungshandlung erforderliche objektive Schwere, wenn dem Ausländer durch die Ausübung seiner Religion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (BVerwG – a.a.O. Rn. 28). Das Verbot weist nur dann die darüber hinaus erforderliche subjektive Schwere auf, wenn die Befolgung der verbotenen religiösen Praxis für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG – a.a.O. Rn. 29).
Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit ist im Iran deutlich eingeschränkt. Der Abfall vom Islam (Apostasie) kann nach der bestehenden Rechtslage mit der Todesstrafe geahndet werden (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, Gz.: 508-516.80/3 IRN vom 8.12.2016 – Stand Oktober 2016 – S. 4). Im Iran sind nicht nur zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime gefährdet, die nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten oder eine herausgehobene Rolle einnehmen. Eine Verfolgungsgefahr besteht gerade auch für die Angehörigen evangelikaler oder freikirchlicher Gruppierungen, die ihre Abkehr vom Islam dadurch nach außen sichtbar werden lassen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen wollen (vgl. U.v. OVG NRW vom 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 49; BayVGH, U.v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – juris Rn. 21). Darüber hinaus müssen Angehörige christlicher Religionsgemeinschaften mit Verfolgung insbesondere auch durch Dritte rechnen, wenn Gottesdienste im privaten Bereich bekannt werden (vgl. BayVGH – a.a.O. Rn. 21). Gerade zum Christentum konvertierte Muslime können dabei staatlichen Repressionen ausgesetzt sein (vgl. BayVGH – a.a.O. Rn. 21). Für solche Konvertiten ist danach im Iran eine religiöse Betätigung selbst im privaten, häuslichen oder nachbarschaftlichen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich, so dass auch für einfache Mitglieder der Kirchengemeinde, die keine herausgehobene Rolle einnehmen oder eine missionarische Tätigkeit entfalten, von einer konkreten Verfolgungsgefahr auszugehen ist. Gerade muslimische Konvertiten sind jedenfalls dann einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt, wenn sie sich im Iran zu ihrem christlichen Glauben bekennen und Kontakt zu einer christlichen Gruppierung aufnehmen (vgl. Hess. VGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – juris Rn. 42 und 43). Dem steht auch nicht entgegen, dass nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes die Verfolgung von Konvertiten im Iran nicht strikt systematisch erfolgt, sondern stichprobenartig, wenn z.B. von der Bevölkerung hauskirchliche Tätigkeiten oder private Versammlungen von Nachbarn gemeldet werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, S. 15).
Dafür, dass die Kläger bis zum Verlassen ihres Heimatlandes bereits mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen i.S.v. § 3a AsylG bedroht waren und deshalb aus begründeter Furcht vor Verfolgung den Iran verlassen haben, bedarf keiner abschließenden Klärung. Dafür, dass die Kläger ihren christlichen Glauben jedoch bereits im Iran praktiziert haben, spricht, dass diese dem Gericht gegenüber glaubwürdig versichert haben, dass sie bereits im Iran eine Taufe im christlichen Glauben erfahren hätten, die jedoch lediglich nicht dokumentiert worden sei, was der Regel entspreche. Der Vertreter der jetzigen Kirchengemeinde der Kläger hat sich dahingehend geäußert, dass eine erneute Taufe der Kläger nicht erforderlich sei, da diese bereits im Iran christlich getauft worden seien.
Die Kläger haben jedoch auch hinreichend bewiesen und es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sie zum Christentum konvertiert sind und die Betätigung dieses Glaubens Teil ihrer religiösen Identität ist. Das Gericht kommt zu diesem Ergebnis zunächst auf der Grundlage der Taufurkunde des gemeinsamen Kindes der Kläger vom 21. Oktober 2016 in … Darüber hinaus ist in der Stellungnahme der die Kläger betreuenden Pfarreiengemeinschaft vom 24. Dezember 2016 bzw. vom 4. April 2017 ausgeführt, dass die Kläger regelmäßig an Gottesdiensten teilnehmen und ihr Verhalten darauf schließen lasse, dass sie mit den jeweiligen Riten vertraut sind und die Heilige Messe bewusst mitfeiern. Die Kläger gingen mit Ernsthaftigkeit und Überzeugung ihren Glaubens Weg. Dies zeige sich auch an der Haltung bzw. dem Gebrauch des Buches Gotteslob. Die Kläger nehmen aktiv am Pfarrleben teil. Das Gericht hat insoweit bei der Einvernahme der Kläger und des informatorisch angehörten betreuenden Priesters den Eindruck gewonnen, dass die Kläger christliche Lebensinhalte im Alltag praktizieren und für ihr Leben als bestimmend betrachten.
Das Gericht hat unabhängig von den durch den Staat zu respektierenden Kirchenmitgliedschaftsregelungen Feststellungen zur religiösen Identität des Flüchtlings zu treffen, um die Wahrscheinlichkeit der Verfolgung der Kläger im Iran zu beurteilen, d.h. insbesondere, welche Art der religiösen Betätigung die Kläger für sich als verpflichtend empfinden, um ihre religiöse Identität zu wahren (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – InfAuslR 2013, 339 ff.).
Nach dem Ergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Kläger aus ernsthafter, fester innerer Überzeugung zum christlichen Glauben übergetreten sind und für sie dessen Ausübung eine unverzichtbare Bedeutung zukommt. Die Kläger wollen den christlichen Glauben, wie er ihnen vermittelt wird, auch an ihren Sohn weitergeben. Der Kläger zu 1 hat sich in der mündlichen Verhandlung ausführlich zu der Art seiner Glaubensbetätigung geäußert. Demnach nehmen er und seine Ehefrau regelmäßig an Gottesdiensten teil und erledigen, soweit anfallend, darüber hinausgehende Arbeiten in der Kirchengemeinde. Anzumerken ist, dass dem Kläger die wichtigsten kirchlichen Feiertage und deren Inhalte bekannt sind. Die Kläger können auch das „Vater Unser“ in Ansätzen beten. Nach Auffassung des Gerichts sind die Kläger in die christliche Gemeinschaft fest eingebunden und betrachten den christlichen Glauben als Leitschnur ihres Lebens.
Im Iran sind nicht nur zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime gefährdet, die nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten oder eine herausgehobene Rolle einnehmen. Eine Verfolgungsgefahr besteht auch für Gläubige, die ihre Abkehr vom Islam dadurch nach außen sichtbar werden lassen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen wollen (vgl. OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris; BayVGH, U.v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – juris; SächsOVG, U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris).
Für derartige Konvertiten ist im Iran eine religiöse Betätigung jedoch selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich, womit auch für „einfache“ Mitglieder von einer konkreten Verfolgungsgefahr ausgegangen werden muss. Apostasie ist im Iran unabhängig davon, dass sie mangels Inkrafttreten des geplanten Apostasiegesetzes keinen ausdrücklichen Straftatbestand erfüllt, verboten und mit langen Haftstrafen bis hin zur Todesstrafe bedroht. Konvertierte werden zumeist nicht wegen Apostasie, sondern aufgrund von „mohareeh“ (Waffenaufnahme gegen Gott), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ (Verdorbenheit auf Erden oder Handlungen gegen die nationale Sicherheit) bestraft. Häufig wird zum Christentum konvertierten Muslimen bei Androhung von Strafe nahegelegt, zum Islam zurückzukehren (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – DÖV 2010, 238; VG Ansbach, U.v. 30.10.2013 – AN 1 K 13.30119 – juris).
Staatlich-repressive Maßnahmen drohen insoweit nicht nur Kirchenführern und in der Öffentlichkeit besonders aktiven Personen, sondern auch „einfachen“ Konvertiten und den Kirchengemeinden, denen sie angehören (vgl. Auskunft von amnesty International v. 7.7.2008 an das VG Mainz; Lagebericht des Auswärtigen Amtes, S. 16).
Nach alledem war der Bescheid des Bundesamtes vom 1. September 2016 in den Nrn. 1, 3, 4, 5 und 6 aufzuheben.
Neben der Aufhebung der entsprechenden Antragsablehnung im Bundesamtsbescheid waren auch die verfügte Abschiebungsandrohung, die Ausreisefristbestimmung, und das auf der Grundlage von § 11 Abs. 1 AufenthG erfolgte Einreise- und Aufenthaltsverbot rechtswidrig und antragsgemäß aufzuheben.
Nach allem war der Bescheid des Bundesamtes vom 1. September 2016 in den Nummern 1, 3, 4, 5 und 6 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Beklagte die Kosten des nach § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.

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