Verwaltungsrecht

Für einen voll erwerbsfähigen jungen Mann besteht in Mali keine extreme Gefahrenlage

Aktenzeichen  M 21 S 17.45014

Datum:
1.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 4 S. 1
Dublin II-VO Dublin II-VO Art. 21 Abs. 1, Abs. 2
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 49 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Für einen voll erwerbsfähigen jungen Mann, der noch familiäre Bindungen in sein Heimatland hat und eine Ausbildung zum Schweißer besitzt, besteht in Mali keine extreme Gefahrenlage. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist ausweislich seines Reisepasses malischer Staatsangehöriger. Er reiste am 5. Dezember 2015 von Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 1. Juli 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt brachte der Antragsteller zur Begründung seines Asylbegehrens vor, er habe in Italien bereits Asyl beantragt, dort aber einen negativen Bescheid erhalten. Mali habe er verlassen, da er dort keine Arbeit gehabt habe. Er habe seinen Bruder verloren, der Soldat gewesen sei. Auf mehrfache Nachfrage erklärte der Antragsteller stets, er habe Mali aus rein wirtschaftlichen Gründen verlassen.
Mit Bescheid vom 16. Juni 2017, zugestellt am 26. Juni 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Mali angedroht. Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, grundsätzlich sei eine Ablehnung des Antrags als unzulässig in Betracht gekommen. Da der Antragsteller jedoch keine Unterlagen hierzu vorgelegt habe, sei der Asylantrag materiell geprüft worden. Der Antragsteller habe zu keinem Zeitpunkt asylrechtsrelevante Gefahren ernsthafter Schäden in seinem Herkunftsland vorgetragen. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz1 AufenthG lägen entsprechend der allgemeinen Lage in Mali und unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers nicht vor.
Der Antragsteller hat am 26. Juni 2017 durch seine Bevollmächtigte Klage erhoben (M 21 K 17.45012), mit der er (sinngemäß) beantragt,
den Bescheid vom 16. Juni 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Eine Begründung erfolgte trotz Ankündigung nicht.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 25. Juni 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zu der Klage noch zu dem Antrag geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt insoweit den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Soweit die Antragsgegnerin der Auffassung ist, einer Ablehnung des Antrags als unzulässig stehe entgegen, dass der Antragsteller keine Unterlagen über die Ablehnung seines Asylbegehrens in Italien vorgelegt hat, verkennt sie, dass ihr mit dem sogenannten Info-Request nach Art. 21 Abs. 1 und 2 der VO 343/2003 (Dublin– II –VO), die hier nach Art. 49 Abs. 2 Satz 2 der VO 604/2013 (Dublin– III –VO) anwendbar ist (vgl. BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 39 ff.; U.v. 13.10.2016 – 20 B 15.30008 – juris Rn. 42 ff.) durchaus ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zu Verifizierung dieser Angaben zur Verfügung steht. Eine solche Verifizierung hat allerdings vor einer Ablehnung des Asylantrags auch zu erfolgen (vgl. vgl. VG München, B. v. 30.1.2017 – M 23 S. 16.34550 – juris m.w.N.).
Die Ablehnung des Antrags als offensichtlich unbegründet begegnet jedoch ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere die vom Antragsteller vorgebrachte Tatsache, dass die Lebensbedingungen in Mali allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage aus-gesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die Abschiebung wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – NVwZ 2002, 101), also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, a.a.O.).
Das ist bei einem voll erwerbsfähigen jungen Mann wie dem Antragsteller nicht an-zunehmen, zumal er noch familiäre Bindungen in sein Heimatland besitzt und eine Ausbildung zum Schweißer besitzt.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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