Verwaltungsrecht

Gastschulantrag – Hort in der Nähe der Schule kein zwingender persönlicher Grund

Aktenzeichen  M 3 E 16.3824

Datum:
9.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayEUG BayEUG Art. 43 Abs. 1
VwGO VwGO § 123
ZPO ZPO § 920

 

Leitsatz

Für den gastweisen Besuch einer anderen Grundschule muss eine individuelle Ausnahmesituation vorliegen, die es unter Berücksichtigung des Wohls des Kindes unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unzumutbar macht, die zuständige Grundschule zu besuchen; allgemein auftretende Schwierigkeiten, die eine größere Anzahl von Eltern und Schüler betreffen, genügen nicht. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf € 2.500,00 festgesetzt.

Gründe

I.
Die 2010 geborene Antragstellerin besuchte im Schuljahr 2015/2016 die Vorschule im … in P.
Am 14. Juni 2016 stellten die Eltern der Antragstellerin für ihre Tochter einen Antrag auf gastweisen Schulbesuch in der 1. Jahrgangsstufe der …Grundschule P. Zur Begründung wurde angegeben, ihre Tochter besuche bereits die Vorschule im … Dort hätten sie ihre Tochter auch für den Hort angemeldet und seien sehr glücklich, dass ihnen ein Platz zugesagt worden sei. Die …Schule liege in direkter Nähe zum Hort in der …, während die Antragstellerin von der …Straße zur …straße die stark befahrene …straße und die noch stärker frequentierte … Straße entlang gehen und überqueren müsste. Dieser Weg sei wegen des hohen Verkehrsaufkommens nicht nur besonders gefährlich, sondern von einem Kind auch in kaum weniger als 20 Minuten zu bewältigen. Einer Erstklässlerin ohne Begleitung sei das sicherlich nicht zumutbar. Falls der Gastschulantrag genehmigt werde, würden die Eltern ihre Tochter unter Umständen gerne für die bilinguale Klasse an der …Grundschule anmelden.
Dieser Antrag wurde von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 10. August 2016 abgelehnt.
Hiergegen erhob die Antragstellerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 3 K 16.3823), über die noch nicht entschieden ist und stellte gleichzeitig mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 22. August 2016, eingegangen am 24. August 2016, bei dem Verwaltungsgericht München den Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
der Antragstellerin vorläufig den gastweisen Schulbesuch an der …Grund- und Mittelschule zu gestatten.
Die Antragstellerin habe einen Anspruch auf die Erteilung der gewünschten Gastschulgenehmigung, weil zwingende persönliche Gründe dafür vorlägen.
Das Hauptargument der Eltern für den Gastschulantrag sei die Tatsache, dass der Hort, in dem die Antragstellerin angemeldet sei und einen Platz erhalten habe, in unmittelbarer Nähe zur aufnehmenden Schule liege. Das sei deswegen wichtig, weil dem Kind andernfalls ein Fußweg über 1,4 km zugemutet werde, der noch dazu über zwei stark befahrene Straßen führe. Das sei für das sechsjährige Kind unzumutbar.
Zwei der Erwägungen, auf die der Ablehnungsbescheid abstelle, seien von den Eltern nicht als tragende Gründe für den Antrag gemeint gewesen, nämlich die Erwägungen im Bescheid hinsichtlich der ungarischen Sprache und hinsichtlich des bilingualen Angebots an der aufnehmenden Schule.
Die Tatsache der Verlegung der abgebenden Schule sollte sich bei der Bewertung des Gastschulantrags positiv für eine Bewilligung auswirken.
Vorliegend sei auch ein Anlass gegeben, das Geschwisterverhältnis besonders zu berücksichtigen: der jüngere Bruder besuche den Kindergarten in der Einrichtung …straße, so dass beide Geschwister in derselben Einrichtung aufgehoben wären.
Mit Schreiben vom 29. August 2016 legte die Antragsgegnerin die Behördenakten vor und nahm zu dem Antrag Stellung.
Die Antragstellerin habe keinen zwingenden persönlichen Grund für eine Gastschulgenehmigung glaubhaft gemacht. Die Betreuung der Antragstellerin sei vielgestaltig möglich, zum einen in Einrichtungen, die in der näheren Umgebung bzw. unmittelbar an der …schule liegen. Hierzu stünden drei Betreuungseinrichtungen zur Verfügung.
Der Besuch der bisherigen Einrichtung in der …straße sei grundsätzlich ohne einen Schulwechsel auch weiterhin möglich. Diese Einrichtung biete aber kein bilinguales Angebot mit der Sprache Ungarisch an. Der arbeitsrechtliche Einsatz der zwei benannten Erzieherinnen könne vom Träger grundsätzlich nicht garantiert oder zugesichert werden. Im gesamten Gemeindegebiet P. existiere kein gefährlicher Schulweg. Der Gesetzgeber sehe eine Wegstrecke zu Fuß von 2 km bei Grundschülern von der Wohnung bis zur …schule als zulässig an.
Die Mittagsbetreuung der … befinde sich direkt im Schulgebäude der …schule, die Entfernung zur nächsten schulnahen Betreuungseinrichtung des … betrage ca. 780 m. Die Entfernung von der …schule zu der gewünschten Betreuungseinrichtung …straße betrage auf dem kürzesten Weg ca. 1,1 km. Zwei mögliche Wege zu dieser gewünschten Horteinrichtung in der …straße seien weder unzumutbar noch besonders gefährlich.
Die Eltern der Antragstellerin seien auch darüber informiert worden, dass täglich ein Schulbus 3 mal mittags beförderungspflichtige Schüler ab der …schule über den Ortsteil Angelbrechting die …Grund- und Mittelschule anfahre (10 Minuten Fahrt) und von dort fußläufig in 3 Minuten die gewünschte Horteinrichtung erreichbar sei. Die Gemeinde P. habe angeboten, dass die Antragstellerin diesen Bus nutzen könne. Eine Beförderungspflicht seitens der Gemeinde bestehe hierzu jedoch nicht.
Die Schulleitung der …schule sei mit dem Wechsel einverstanden gewesen, da sie kein bilinguales Angebot anbiete. Die bilingualen Klassen an der … Grund-und Mittelschule seien nach Rücksprache mit der Schulleitung bereits voll belegt und zudem Ganztagesklassen, was mit der Hortbetreuung kollidiere. Deshalb sei der Antrag von der aufnehmenden Schulleitung nicht befürwortet worden.
Es sei richtig, dass die …schule und auch die dortige Mittagsbetreuung ab September 2017 in die neu gebaute Grundschule im … temporär für zwei Jahre ausgelagert würden. Im August 2019 werde die Schule den Neubau in der …Straße wieder beziehen; der bisherige … werde also nicht verändert. Während der Bauzeit werde die Gemeinde für die Schüler der …schule eine regelmäßige Schülerbeförderung einrichten. Damit werde neben der Busbeförderung vom …gebiet zur …Schule und zurück auch die Beförderung der Schüler sichergestellt, die eine schulnahe Einrichtung der Grundschule an der …Straße und im …gebiet der …Grund- und Mittelschule bisher besucht hätten oder besuchen werden.
Der Antrag sei daher abzulehnen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO darf nur ergehen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller hat demnach sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sog. Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sog. Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Bei der Entscheidung nach § 123 Abs. 1 VwGO hat das Gericht die widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Für diese Abwägung ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BayVGH vom 5.8.1992 Az. 7 CE 92.1896 u.a. BayVBl 1992, 659) in erster Linie entscheidend, ob die Antragspartei mit einem Erfolg in einem Hauptsacheverfahren rechnen könnte.
Selbst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist es dem Gericht allerdings regelmäßig verwehrt, mit seiner Entscheidung die Hauptsache vorwegzunehmen. Denn es würde dem Wesen und dem Zweck einer einstweiligen Anordnung widersprechen, wenn dem Antragsteller in vollem Umfang gewährt würde, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen kann. Allerdings gilt im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die Ablehnung der begehrten Entscheidung für den Antragsteller mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre und mit hoher Wahrscheinlichkeit von seinem Obsiegen in der Hauptsache auszugehen ist.
Im vorliegenden Fall fehlt es jedenfalls an der für eine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in der Hauptsache. Die Ablehnung des Antrags durch die Antragsgegnerin erscheint bei summarischer Prüfung nämlich rechtmäßig.
Maßgebliche Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG). Nach Art. 43 Abs. 1 BayEUG kann von der Gemeinde, in der die Schülerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, im Einvernehmen mit dem aufnehmenden Schulaufwandsträger nach Anhörung der betroffenen Schulen auf Antrag der Erziehungsberechtigten aus zwingenden persönlichen Gründen der Besuch einer anderen Grundschule mit einem anderen … gestattet werden. Zwingende persönliche Gründe liegen dabei nach der Rechtsprechung nur vor, wenn die durch den Besuch der zuständigen …schule entstehenden persönlichen Nachteile ungleich schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an der Einhaltung der …pflicht, das vor allem durch die Notwendigkeit einer gleichmäßigen und sinnvollen Verteilung der Schüler auf die Pflichtschulen begründet ist. Für den gastweisen Besuch einer anderen Grundschule muss demnach eine individuelle Ausnahmesituation vorliegen, die es unter Berücksichtigung des Wohls des Kindes unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unzumutbar macht, die zuständige …schule zu besuchen (vgl. BayVGH vom 25.1.2010 7 ZB 09.3009). Dabei genügen für eine Ausnahme von der …pflicht allerdings nicht bereits allgemein auftretende Schwierigkeiten, die eine größere Anzahl von Eltern und Schülern betreffen; vielmehr muss es sich um individuelle Umstände handeln, die eine vom Normalfall abweichende, durch den Besuch der …schule bedingte Belastung ergeben (BayVGH v. 3.2.1992 7 CE 31.3062).
Im Fall der Antragstellerin ist eine solche individuelle Ausnahmesituation jedoch nach summarischer Prüfung nicht gegeben.
Soweit der Antrag maßgeblich darauf gestützt wurde, dass die Antragstellerin einen Hort Platz in der …straße erhalten habe, ist ein zwingender persönlicher Grund für den Besuch der …Grund- und Mittelschule nicht erkennbar.
Zum einen hat die Antragsgegnerin aufgezeigt, dass auch im näheren Bereich der …schule und sogar in dieser direkt Betreuungsmöglichkeiten für die Antragstellerin bestehen. Zum anderen ist der Weg von der …schule an der …Straße zu dem von der Antragstellerin bevorzugten Hort zwar 1,4 km (Vortrag der Antragstellerin) oder 1,1 km (Vortrag der Antragsgegnerin) lang, liegt jedoch entfernungsmäßig unterhalb von 2 km, die der Gesetzgeber als zumutbaren Fußweg zur Schule für Grundschulkinder für zumutbar hält. Darüber hinaus ist eine besondere Gefährlichkeit dieses Weges nicht erkennbar. Selbst aus der von der Antragstellerin vorgelegten Karte mit Wegskizzierung ist erkennbar, dass für Straßenquerungen, sei es der …straße oder der … Straße, jeweils Ampeln oder sogar eine Brücke zur Verfügung stehen. Ein Entlanglaufen an einer wenn auch vielbefahrenen Innerorts Straße stellt jedoch keine besondere Gefahr für Grundschulkinder dar. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin auch den Schulbus zu der …Grund- und Mittelschule benutzen könne, auch wenn keine Beförderungspflicht bestehe. In diesem Fall würde selbst dieser zumutbare Fußweg entfallen.
Auch der Hinweis darauf, dass der jüngere Bruder den Kindergarten in der …straße und damit in der Nähe der aufnehmenden Schule, besucht, kann nicht die Bejahung eines zwingenden persönlichen Grunds rechtfertigen. Allenfalls wenn ein Geschwisterkind bereits als Gastschüler an der aufnehmenden Schule zugelassen wäre, könnte ein weiteres Geschwisterkind daraus unter Umständen das Recht herleiten, ebenfalls zugelassen zu werden. Dies ist jedoch hier nicht der Fall.
Nachdem selbst die Antragstellerin vorträgt, zwei der Erwägungen, auf die der Ablehnungsbescheid abstelle, seien von ihren Eltern nicht als tragende Gründe für den Antrag gemeint gewesen, nämlich die Erwägungen im Bescheid hinsichtlich der ungarischen Sprache und hinsichtlich des bilingualen Angebots an der aufnehmenden Schule, ist bereits daraus ersichtlich, dass sich aus diesen Erwägungen keine zwingenden persönlichen Gründe herleiten lassen.
Ebenso wenig kann im vorliegenden Fall der erforderliche zwingende persönliche Grund für den Besuch der gewünschten Gastschule auf die Verlagerung der …schule im September 2017 gestützt werden. Insoweit hat die Antragsgegnerin vorgetragen, dass die Schule im August 2019 wieder in den dann errichteten Neubau an der …Straße umziehen werde und aus diesem Grund keine …änderung erfolgen wird. Nachdem die Antragsgegnerin auch ausgeführt hat, während der Bauzeit für die Schüler der …schule eine regelmäßige Schülerbeförderung einzurichten und damit neben der Busbeförderung vom …gebiet zur …Schule und zurück auch die Beförderung der Schüler sicherzustellen, die eine schulnahe Einrichtung der Grundschule an der …Straße und im …gebiet der …Grund- und Mittelschule bisher besucht hätten oder besuchen werden, ergibt sich auch daraus kein zwingender persönlicher Grund für die Antragstellerin, die …schule nicht besuchen zu können.
Eine Klage wird daher nach summarischer Prüfung wenig Aussicht auf Erfolg haben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher abzulehnen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Vorschriften des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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