Aktenzeichen W 8 S 17.32445
Leitsatz
Die Erforderlichkeit der Einhaltung der Voraussetzung des § 51 Abs. 1 – 3 VwVfG im Rahmen eines Zeitantrags nach § 71a AsylG ist nicht europarechtswidrig. Gegen die mitgliedsstaatsübergreifende Anwendung des unionsrechtlich ermöglichten Folgeantragskonzepts bestehen keine grundsätzlichen unionsrechtlichen Bedenken (offen gelassen von BVerwG BeckRS 2016, 111567). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten wird sowohl für das vorliegende Sofortverfahren als auch für das Klageverfahren W 8 K 17.32443 abgelehnt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist armenischer Staatsangehöriger. Er lebte nach eigenen Angaben von 2011 bis 2014 in Frankreich.
Am 12. November 2014 stellte der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag. Mit Schreiben vom 1. Dezember 2014 teilten die französischen Behörden dem Bundesamt mit, dass das Verfahren zur Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz für den Antragsteller dort erfolglos abgeschlossen worden sei.
Mit Bescheid vom 29. Mai 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde unter Androhung der Abschiebung nach Armenien zur Ausreise binnen einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides aufgefordert (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller am 6. Juni 2017 im Verfahren W 8 K 17.32443 Klage erheben und gleichzeitig beantragen,
a) die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tag gegen den die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Mai 2017 anzuordnen.
b) dem Antragsteller auch für das Verfahren gem. § 80 Abs. 5 VwGO Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
Zur Begründung ließ der Antragsteller im Wesentlichen ausführen: Eine unionsrechtliche Vorschrift, die auch in der Situation des § 71a AsylG eine vorgeschaltete Zulässigkeitsprüfung nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erlaube, existiere nicht. Infolge eines Umkehrschlusses dürfe die Prüfung eines Zweitantrags auf internationalen Schutz nicht von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG abhängig gemacht werden. Zumindest lägen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung in Form einer polymorphen psychotischen Störung vor. Für den Antragsteller bestehe sowohl aus objektiven und subjektiven Kriterien in Armenien keine Möglichkeit, eine Behandlung seiner Erkrankung zu erreichen. Der Antragsteller wäre auf eine kostenlose Behandlung angewiesen. Er verfüge über kein eigenes Vermögen oder Einkommen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte in der Hauptsache W 8 K 17.32443) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen, ist unbegründet, da der Asylantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt wurde und Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG, der hier vorliegend gemäß § 71a Abs. 4 AsylG anzuwenden ist, da ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die sofortige Vollziehbarkeit. Die damit intendierte umgehende Beendigung des Aufenthalts des Asylbewerbers im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und ist deren Folge. Daher ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu überprüfen, ob der Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu Recht abgelehnt wurde. Die Aussetzung der Abschiebung darf aber nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an dieser Entscheidung oder der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Übrigen bestehen (§ 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme darf nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht Stand hält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516.93 – NVwZ 1996, 678 ff.).
Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist.
Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit denen die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist gemäß § 71a Abs. 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
Eine Zuständigkeit Deutschlands trat zwar infolge Ablaufs der Überstellungsfrist ein; auch liegt der erfolglose Abschluss eines Asylverfahrens in Frankreich gemäß § 71a Abs. 1 AsylG vor. Allerdings sind Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht ersichtlich. Insoweit folgt das Gericht den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist anzumerken, dass das Gericht entgegen der Auffassung des Antragstellerbevollmächtigten die Erforderlichkeit der Einhaltung der Voraussetzung des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG im Rahmen des § 71a AsylG nicht für europarechtswidrig hält. Angesichts der Regelungen in § 40 der Verfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes) ist insbesondere ein dahingehender Umkehrschluss für den Zweitantrag aus den Regelungen für den Folgeantrag nicht zwingend geboten, vielmehr sind diese Regelungen entsprechend auf den Zweitantrag als Sonderform des Folgeantrags anzuwenden. Dafür sprechen die grundsätzliche Systematik sowie Sinn und Zweck der europarechtlichen Regelungen, weil prinzipiell nur ein Mitgliedsstaat für die Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes zuständig sein soll und die Voraussetzungen nur einmal geprüft werden sollen, soweit nicht neue Erkenntnisse hinzutreten. Andernfalls würde der Antragsteller bevorzugt, der anstatt einen (weiteren) Folgeantrag in demselben Mitgliedsstaat zu stellen, in dem auch der Erstantrag gestellt wurde (hier: Frankreich), diesen Mitgliedsstaat verlässt und in einem anderen Mitgliedsstaat (hier: Deutschland) erneut einen Asylantrag stellt, der abermals umfassend geprüft werden müsste. Im Ergebnis bestehen gegen die mitgliedsstaatsübergreifende Anwendung des unionsrechtlich ermöglichten Folgeantragskonzepts jedenfalls keine grundsätzlichen unionsrechtlichen Bedenken (offen gelassen von BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – InfAuslR 2017, 162).
Des Weiteren liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Auch insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid, die das Gericht sich zu eigen macht, Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Antragsgegnerin hat zutreffend unter Bezugnahme auf einschlägige Auskünfte ausgeführt, dass auch die Behandlung psychischer Erkrankungen – der Antragsteller macht insbesondere eine polymorphe psychotischen Störung geltend – in Armenien auf einem guten Stand gewährleistet sei und kostenlos erfolge, wenn auch die Verfügbarkeit von Medikamenten problematisch sein könne (vgl. zur medizinischen Versorgung auch BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Armenien vom 5.5.2017, S. 36 f.).
Ergänzend ist anzumerken, dass Erkrankungen grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen, wie der Gesetzgeber mittlerweile ausdrücklich klargestellt hat. Eine erheblich konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG). Neben diesen materiellen Kriterien hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substantiierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt (vgl. Kluth, ZAR 2016, 121; Thym, NVwZ 2016, 409 jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Daran fehlt es hier. Die gesundheitliche Situation und die Möglichkeit in der medizinischen Versorgung des Antragstellers stellen sich bei einer Rückkehr nach Armenien nicht anders dar wie vor der Ausreise wie bei zahlreichen anderen Landsleuten in vergleichbarer Lage.
Ausgehend davon ist anzufügen, dass sich den vorliegenden (veralteten) Attesten nicht entnehmen lässt, dass gegenwärtig eine Rückkehr nach Armenien aus medizinischen Gründen unzumutbar wäre, weil sich etwaige lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Selbst wenn die Behandlungsmöglichkeiten in Armenien schlechter sein mögen als in der Bundesrepublik Deutschland, bleibt festzuhalten, dass eventuell alsbald und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden wesentlichen bzw. lebensbedrohenden Gesundheitsverschlechterungen im Rahmen des armenischen Gesundheitssystems begegnet werden kann und muss. Der Antragsteller ist gehalten, die Möglichkeiten des armenischen Gesundheitssowie des Sozialsystems auszuschöpfen, um eventuelle Gesundheitsgefahren zu vermeiden bzw. jedenfalls zu minimieren.
Die vorliegenden veralteten Atteste aus dem Jahr 2014 und 2015, die für den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt im Juni 2017 ohnehin wenig Aussagekraft besitzen, belegen kein Abschiebungshindernis. Den beiden Attesten ist nicht zu entnehmen, dass eine Behandlung bzw. Weiterbehandlung der Krankheit des Antragstellers in Armenien nicht möglich wäre. Der Antragsteller ließ zwar weiter einen aktuellen Medikamentenplan vom 25. April 2017 vorlegen – der ohnehin nicht den gesetzlichen Vorgaben des § 60a Abs. 2c AufenthG entspricht -, aber auch dem ist nicht zu entnehmen, welche Folgen etwa eine andere Dosierung oder ein zweitweiser Wegfall der Medikamentation bzw. ein Medikamentenwechsel bedeuten würde.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 und § 121 Abs. 2 ZPO war sowohl für das vorliegende Sofortverfahren als auch für das Klageverfahren W 8 K 17.32443 mangels Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzulehnen. Zudem hat der Antragsteller seine Bedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht; er hat keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege vorgelegt (vgl. § 117 Abs. 2 bis 4 ZPO).