Aktenzeichen 8 ZB 18.30248
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 2
BV Art. 91 Abs. 1
Leitsatz
Die Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen der Beteiligten in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Vielmehr müssen für die Annahme eines Gehörsverstoßes im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG BeckRS 2015, 55650). (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RO 2 K 17.33566 2017-11-02 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) hat eine zweifache Ausprägung: Zum einen untersagt es dem Gericht, seiner Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Zum anderen gibt es den Beteiligten einen Anspruch darauf, dass rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung in Erwägung gezogen wird, soweit es aus verfahrens- oder materiell-rechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BayVerfGH, E.v. 25.8.2016 – Vf. 2-VI-15 – juris Rn. 34 f.; BVerfG, B.v. 5.4.2012 – 2 BvR 2126/11 – NJW 2012, 2262 = juris Rn. 18; BVerwG, B.v. 17.6.2011 – 8 C 3.11 u.a. – juris Rn. 3). Das rechtliche Gehör ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Vielmehr müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238 = juris Rn. 45). Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
Die Klägerinnen rügen, das Ersturteil setze sich nicht mit ihrem Vorbringen auseinander, dass der äthiopische Staat nicht in der Lage sei, das Verbot der Genitalverstümmelung zu kontrollieren und zu verfolgen sowie dass die Eltern der Klägerinnen aus Oromia stammten, wo die Beschneidungsquote am höchsten sei. Zudem lasse das Ersturteil unberücksichtigt, dass eine theoretisch denkbare alleinige Rückkehr der Klägerinnen ohne ihre Eltern oder auch nur mit ihrer Mutter dazu führen würde, dass sie von der Großfamilie aufgenommen werden müssten und sich dann deren Forderung nach einer Genitalverstümmelung nicht entziehen könnten.
Dieser Vortrag vermag eine Gehörsverletzung wegen der fehlenden Kenntnisnahme und Berücksichtigung klägerischen Vorbringens nicht zu begründen. Das Verwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil eingehend mit der Frage befasst, ob den Klägerinnen in Äthiopien die Genitalverstümmelung konkret droht. Dabei hat es berücksichtigt, dass die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung – trotz des strafrechtlichen Verbots und staatlicher Aufklärungskampagnen – vor allem in ländlichen Gegenden Äthiopiens immer noch weit verbreitet ist. Gleichwohl ist es im Fall der Klägerinnen zu der Überzeugung gelangt, dass deren Eltern dies verhindern könnten, gegebenenfalls indem sie dem familiären Druck durch einen Umzug nach Addis Abeba entgehen. Demnach kann nicht angenommen werden, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit dem klägerischen Vortrag einer mangelnden staatlichen Kontrolle und Verfolgung des Verbots von Genitalverstümmelung befasst hätte.
Soweit die Klägerinnen einen Gehörsverstoß auf die Nichterwägung einer alleinigen Rückkehr ohne ihre Eltern oder nur mit ihrer Mutter stützen, zeigen sie ebenfalls keinen Verstoß gegen den Gehörsanspruch auf. Der Zulassungsantrag legt nicht dar, dass das Erstgericht entscheidungserhebliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hätte. Im Übrigen lässt sich weder der Klagebegründung vom 20. Oktober 2017 (S. 37 der Akte des Verwaltungsgerichts) noch der Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Erstgerichts (S. 41 ff. der Akte des Verwaltungsgerichts) entnehmen, dass die Klägerinnen eine alleinige Rückkehr bzw. eine Rückkehr nur mit ihrer Mutter befürchten. Diesbezüglich hat die Beklagte in ihrem Bescheid vom 31. Mai 2017 zu Recht darauf abgestellt, dass minderjährige Kinder, die grundsätzlich das „aufenthaltsrechtliche Schicksal“ ihrer Erziehungsberechtigten teilen (vgl. BVerwG, U.v. 26.10.2010 – 1 C 18.09 – BayVBl 2011, 346 = juris Rn. 15), nicht getrennt von ihren Eltern abgeschoben werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).