Verwaltungsrecht

Genitalverstümmelung in Äthiopien

Aktenzeichen  8 ZB 19.30972

Datum:
27.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7244
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Keiner grundsätzlichen Klärung ist die Frage zugänglich, ob eine Genitalverstümmelung kleiner Mädchen in Äthiopien hinreichend wahrscheinlich ausgeschlossen ist, wenn die Eltern eine solche nicht wünschen.  (Rn. 4 – 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 17.35101 2019-02-08 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtlich Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Darzulegen sind mithin die konkrete Frage sowie ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung (vgl. OVG NRW, B.v. 15.12.2017 – 13 A 2841/17.A – juris Rn. 3 ff.).
Diesen Anforderungen wird das klägerische Vorbringen nicht gerecht. Die von der Klägerin als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage,
„ob kleine Kinder äthiopischer Staatsangehörigkeit und weiblichen Geschlechts wie die Klägerin im Rahmen ihres Asylverfahrens darauf verwiesen werden können, dass eine Genitalverstümmelung in ihrer Heimat von ihrer gesetzlichen Vertreterin nicht gewünscht ist, und ob dieser Wunsch ausreichend genug ist, um eine Genitalverstümmelung in Äthiopien hinreichend wahrscheinlich im Rahmen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG verhindern zu können“, 
ist einer grundsätzlichen Klärung i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zugänglich. Sie entzieht sich einer generellen, fallübergreifenden Klärung, weil sie nicht in verallgemeinerungsfähiger Form, sondern nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden kann.
Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage des Lageberichts des Auswärtigen Amts vom 22. März 2018 angenommen, dass die Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen in Äthiopien nach wie vor weit verbreitet ist (vgl. Urteilsabdruck S. 5). Dass der Klägerin bei einer Rückkehr in Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) eine Genitalverstümmelung droht, hat es trotzdem verneint, weil die Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht versichert habe, dass sie die Beschneidung ihrer Tochter nicht wolle und nicht vornehmen lassen werde, weil die Mutter zudem selbst nicht beschnitten sei und weil von ihr zu erwarten und anzunehmen sei, dass sie sich den zum Teil bestehenden gesellschaftlichen Zwängen widersetzen könne.
Ob Letzteres tatsächlich der Fall ist, insbesondere ob sich die Mutter der Klägerin in Äthiopien dem gesellschaftlichen Druck wiedersetzen und eine Beschneidung der Klägerin verhindern kann, lässt sich für Frauen in Äthiopien nicht generell und allgemeingültig beantworten, sondern richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BayVGH, B.v. 21.11.2018 – 8 ZB 18.32980 – juris; B.v. 22.2.2017 – 9 ZB 17.30027 – juris Rn. 6; OVG NRW, B.v. 6.12.2006 – 19 A 2171/06.A – juris). Dies belegt auch der Umstand, dass sich die Zahl der Neuverstümmelungen in Äthiopien inzwischen auf zwischen 25 und 40% der Mädchen verringert hat und maßgeblich auch von der Region abhängig ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 22.03.2018, Seite 18). Zudem wird die tatsächliche Durchführung einer Beschneidung im Einzelfall davon abhängen, welchem Druck die jeweilige Mutter etwa auch aus dem eigenen familiären Umfeld ausgesetzt ist oder ob sich diesem entziehen kann (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2004 – 25 B 01.30985 – juris Rn. 25), und inwieweit ein Beschneider in Äthiopien bereit ist, trotz Strafbarkeit der Beschneidung eine solche durchzuführen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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