Aktenzeichen RN 5 S 16.183
ViehVerkV § 44b
TierSchG § 16a Abs. 1 S. 1
VO (EGH) 504/2008 Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 3, Art. 15 Abs. 1
VO (EG) 2015/262 Art. 23 Abs. 1
Leitsatz
Die Fortnahme von Pferden durch das zuständige Veterinäramt führt zum Verlust der Haltereigenschaft. Gleichwohl hat der vorherige Halter dafür zu sorgen, dass die Equidenpässe die Pferde begleiten; auf die Eigentümerstellung kommt es nicht an. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
II.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.
III.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV.
Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung, dem Veterinäramt den Verbleib von Equidenpässen mitzuteilen.
Die Antragstellerin befindet sich seit 23.10.2015 in Untersuchungshaft. Nachdem das Landratsamt … am 2.12.2015 davon Kenntnis erlangt hatte, dass die Versorgung von 29 in der Obhut der Antragstellerin stehenden Pferden in M. bei E. nicht mehr gewährleistet war, organisierte das Landratsamt … zunächst die weitere Betreuung der Pferde an diesem Standort. Mit Bescheid vom 17.12.2015 wurden die Fortnahme und anderweitige pflegliche Unterbringung der 29 Pferde auf Kosten der Antragstellerin angeordnet.
Bei der Ortseinsicht durch das Veterinäramt am 3.12.2015, bei der u. a. die Schwester der Antragstellerin und ihre Tochter anwesend waren, war der Verbleib der Equidenpässe nicht zu ermitteln.
Mit Schreiben vom 7.1.2016 an die Antragstellerin stellte das Landratsamt … fest, dass die Antragstellerin einer Aufforderung vom 22.12.2015, die Equidenpässe bis 27.12.2015 dem Landratsamt zu übergeben, nicht nachgekommen war. Sie wurde aufgefordert, die Pässe bis spätestens 14.1.2016 vorzulegen bzw. zu veranlassen, dass eine andere Person die Pässe vorlegt. Sollte dies nicht fristgerecht erfolgen, würden unverzüglich Ersatzpässe beantragt werden. Die Kosten hierfür (pro Tier ca. 200,- €) habe die Antragstellerin zu tragen. Das Landratsamt werde die Pferde dann veräußern.
Mit Bescheid vom 12.1.2016 ordnete das Landratsamt … gegenüber der Antragstellerin an, dass sie binnen einer Frist von sieben Tagen offenzulegen habe, an welchem Ort sie die Equidenpässe der fortgenommenen und anderweitig pfleglich untergebrachten Pferde hinterlegt habe und ggf. die Herausgabe zu veranlassen habe (Nr. 1). Der sofortige Vollzug der Nr. 1 wurde angeordnet (Nr. 2).
In den Gründen wird als Rechtsgrundlage Art. 44 b Viehverkehrsordnung (ViehverkV) genannt. Aus Art. 23 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 2015/2.6.2 ergebe sich, dass die Equidenpässe sich beim Halter der Tiere zu befinden hätten. Aufgrund der Fortnahme der Pferde habe sie ihre Haltereigenschaft verloren. Sie habe daher die entsprechenden Pässe an das Landratsamt … herauszugeben bzw. deren Aufbewahrungsort unverzüglich mitzuteilen.
Die gesetzte Frist zur Schaffung tiergesundheitsgemäßer Zustände sei ausreichend bemessen, insbesondere im Interesse vor Schutz zur Verschleppung von Tierseuchen im Viehverkehr.
Eine sofortige Vollziehung habe deshalb angeordnet werden müssen. Das besondere öffentliche Interesse an der Möglichkeit der sofortigen Durchsetzung und der Beachtung der Belange des Tiergesundheitsrechts sei im vorliegenden Fall höher einzuschätzen als das private Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.
Hiergegen hat die Antragstellerin am 5.2.2016 Klage erhoben und vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Die Pferde hätten mit der Insolvenzmasse nichts zu tun. Für den angekündigten Verkauf der Tiere gebe es keine Rechtsgrundlage, weil das Landratsamt nicht Eigentümer sei. Die Equidenpässe seien bei den Eigentümern. Der Hinweis des Landratsamts im Schreiben vom 7.1.2016 zur Erhöhung der Insolvenzmasse sei Nötigung, Erpressung und Anstiftung zum Diebstahl sowie Amtsanmaßung.
Die im Bescheid vom 12.1.2016 eingeräumte Frist von sieben Tagen sei zu kurz. Es sei unmöglich, dies innerhalb dieser Zeit zu erfüllen, zumal die Antragstellerin kontaktbeschränkt sei. Sie bestreite, dass für die Vorlagepflicht eine Rechtsgrundlage bestehe.
Die Antragstellerin beantragt:
1. Die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Landratsamts … vom 12.1.2016, bei der Antragstellerin eingegangen am 25.1.2016, wird angeordnet.
2. Dem Landratsamt … werden die Kosten der Anordnung auferlegt.
3. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe gewährt.
Das Landratsamt … beantragt:
1. Den Antrag abzuweisen.
2. Der Antragstellerin sind die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Ergänzend zu den Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid wird dargelegt, dass die in der Anordnung vom 12.1.2016 enthaltene Frist angemessen sei. Es sei lediglich angeordnet worden, den Ort der Hinterlegung zu benennen. Die Frist beginne mit Zustellung des Bescheids an die Antragstellerin. Selbst bei einer bestehenden Kontaktbeschränkung wäre zumindest eine lediglich telefonische Mitteilung innerhalb der Frist möglich gewesen. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die vorliegende Behördenakte und die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen. Das Gericht hat ferner die Gerichtsakten in dem zwischen den Beteiligten geführten Verfahren RN 4 S 16.181 beigezogen.
II.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (als solcher ist das Antragsbegehren der Antragstellerin nach § 88 VwGO auszulegen) der eingereichten Anfechtungsklage ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, da die Klage gegen Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids wegen des behördlich angeordneten Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung hat. Der Antrag ist allerdings unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung wiederherstellen.
Soweit die Behörde den Sofortvollzug besonders angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO), muss das Gericht zunächst überprüfen, ob die Begründung der zuständigen Behörde für die Anordnung des Sofortvollzugs den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügt. Nur wenn dies der Fall ist, so trifft das Gericht eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Bei dieser Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung und dem Aussetzungsinteresse des Antragsstellers kommt zunächst der summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache besondere Bedeutung zu.
Wenn die Hauptsacheklage nach der im Eilrechtsschutz gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung offensichtlich keine Aussichten auf Erfolg hat, weil der Verwaltungsakt als rechtmäßig erscheint, so ist der Antrag in der Regel abzulehnen (ausführlich zu der vorzunehmenden Interessenabwägung: BVerwG vom 14.4.2005, BVerwGE 123, 141).
So verhält sich die Sache hier.
1. Die Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs erfüllt die notwendigen Voraussetzungen aus § 80 Abs. 3 VwGO. Grundsätzlich muss die Begründung auf den konkreten Einzelfall abstellen und darf sich nicht mit „formelhaften“ Erwägungen begnügen (BayVGH, B. v. 30.10.2009, 7 CS 09.2606, juris Rn. 17). Die Begründung soll den Betroffenen einerseits in die Lage versetzen seine Rechte wirksam wahrnehmen zu können. Andererseits soll sie der Behörde den Ausnahmecharakter vor Augen führen und sie veranlassen genau zu prüfen, ob und warum ausnahmsweise der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Anfechtungsrechtsbehelfen durchbrochen werden soll (Kopp/Schenke, VwGO, 20.Aufl. 2014, § 80 Rn. 84 ff.). Die Behörde muss konkret die Gründe angeben, die dafür sprechen, dass die sofortige Vollziehung aufgrund erheblicher öffentlicher Interessen notwendig ist und warum dahinter die Interessen des Betroffenen zurückstehen müssen. Ein Abstellen auf die Gesichtspunkte, die den Grundverwaltungsakt selbst rechtfertigen, ist nicht ausreichend.
Hier hat das Landratsamt in knapper, aber ausreichender Begründung zutreffend darauf abgestellt, dass der Sofortvollzug erforderlich sei, um eine artgerechte Ernährung, Pflege und Unterbringung der Tiere sicherzustellen. Zudem hat die Behörde auf die Belange des Tiergesundheitsrechts abgestellt. Diese Erwägungen sind aus formeller Sicht nicht zu beanstanden. Ob diese Gründe auch inhaltlich zutreffen, ist bei der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit der Vollzugsanordnung unbeachtlich (Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, § 80 Rn. 246). Erweisen sich die von der Behörde in der Begründung angeführten Gründe als nicht tragfähig, um das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung rechtfertigen zu können, liegt kein formeller Begründungsmangel i. S. d. § 80 Abs. 3 VwGO, sondern ein Verstoß gegen die materielle Voraussetzung des § 80 Abs. 2 S 1 Nr. 4 VwGO vor (Gersdorf, in: Beck’scher Online Kommentar zur VwGO, § 80 Rn. 95).
2. Die Klage in der Hauptsache hat aus Sicht der entscheidenden Kammer nach der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage offensichtlich keine Aussichten auf Erfolg, weil der Verwaltungsakt als rechtmäßig erscheint und damit die Antragstellerin nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zwar hat das Gericht nach einer summarischen Prüfung Zweifel, ob sich die Anordnung unmittelbar auf den im Bescheid genannten § 44b ViehVerkV stützen lässt. Jedenfalls aber lässt sie sich als „Minus“ bzw. als Annex zur Fortnahme der Pferde auf § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG stützen (so auch BayVGH Beschluss vom 22. September 2009 – 9 CS 08.2859 -, juris – Rn. 4; VG Arnsberg, Beschluss vom 29. März 2015 – 8 L 469/15 -, juris – Rn. 40). Die Anordnung zur Fortnahme der Pferde ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Auf die Gründe des Beschlusses vom 22.02.2016 im Verfahren RN 4 S 16.181 wird Bezug genommen. Damit ist auch die Anordnung zur Preisgabe des Hinterlegungsortes bzw. zur Veranlassung der Herausgabe rechtmäßig, da die Equidenpässe die Tiere stets begleiten müssen. Dies ergibt sich aus den in den Bescheidsgründen auch zitierten § 44b ViehVerkV, Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 3, Art. 15 Abs. 1 der VO (EGH) Nr.504/2008 sowie Art. 23 Abs. 1 VO (EG) Nr. 2015/262. Mit der Fortnahme der Pferde hat die Antragstellerin ihre Haltereigenschaft verloren, die sie zunächst innehatte. Als vorherige Halterin hatte sie auch dafür zu sorgen, dass die Equidenpässe die Pferde begleiten, sie war somit richtige Adressatin der Anordnung. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin kommt es nicht auf die Eigentümerstellung an.
Die Anordnung selbst wie auch die vorgesehene Frist ist verhältnismäßig. Da aus den Equidenpässen insbesondere auch die Arzneimittelbehandlungen der Tiere hervorgehen, war es der Antragstellerin angesichts der Aspekte der Tiergesundheit jedenfalls zumutbar innerhalb von 7 Tagen den Hinterlegungsort der Dokumente preiszugeben. Dies ist ihr auch trotz der Kontaktsperre möglich.
3. Nachdem der Antrag unbegründet ist, war er mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
4. Dementsprechend war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen. Nach den §§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, nur dann auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Da hier keine Erfolgsaussichten bestehen, was sich aus den obigen Ausführungen ergibt, brauchte das Gericht die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin nicht näher zu prüfen.
5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abrufbar auf der Homepage des BVerwG), dessen Empfehlungen die Kammer folgt. Nach Nr. 35.2 beträgt der Streitwert 5.000 Euro. Im Eilverfahren war dieser Streitwert nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren.