Verwaltungsrecht

Informationsfreiheitsgesetz (IFG), Auskunftsanspruch eines Insolvenzverwalters gegen eine Betriebskrankenkasse, Streitgegenstand, Keine abdrängende Sonderzuweisung

Aktenzeichen  M 32 K 20.1371

Datum:
9.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZInsO – 2021, 1862
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IFG §§ 1 ff.
SGB X § 25
GVG § 17a Abs. 3
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1
SGG § 51 Abs. 1 Nr. 2 und 5

 

Leitsatz

Tenor

Der Verwaltungsrechtsweg ist zulässig.

Gründe

I.
Der Kläger ist bestellter Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Zeitarbeitsfirma, welche krankenversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse über die Beklagte, einer bundesweit tätigen Betriebskrankenkasse, abgewickelt hat.
Mit seiner am … März 2020 beim Verwaltungsgericht München erhobenen Klage, einer Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO, beantragt der Kläger, die Beklagte zu verurteilen, ihm Einsicht in die bei der Beklagten geführte Beitragsakte zu der insolventen Zeitarbeitsfirma zu gewähren. Der Kläger stützt sich dabei auf den Informationszugangsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG).
In ihrer Klageerwiderung vom 4. Juni 2020 rügt die Beklagte die Zulässigkeit des beschrittenen Verwaltungsrechtswegs. Der Kläger mache nicht nur einen Anspruch nach dem IFG, sondern der Sache nach auch einen Akteneinsichtsantrag nach § 25 Abs. 1 SGB X geltend, wofür gemäß § 51 SGG der Sozialrechtsweg eröffnet sei.
Mit Schriftsatz vom … Juni 2020 widersprach der Kläger der Annahme der Beklagten, er wolle auch einen Akteneinsichtsantrag nach § 25 SGB X geltend machen. Die Klage stütze sich ausschließlich auf das IFG.
Mit Schreiben vom 26. März 2021 wies die Kammer auf ihre Rechtsprechung zum zulässigen Rechtsweg in der vorliegenden Fallkonstellation hin (siehe hierzu VG München, B.v. 14.2.2020 – M 32 K 19.854 – juris).
Auf telefonische Nachfrage des Gerichts vom 28. Mai 2021 teilte die Beklagte mit, dass sie ihre Rechtswegsrüge aufrechterhalte.
II.
Nach § 173 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG hat das Gericht vorab über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs rügt. Diese Rüge ist von der Beklagten ausdrücklich erhoben – und aufrechterhalten – worden. Das Gericht hat deshalb zu entscheiden.
1. Die Zulässigkeit des Rechtswegs richtet sich nach dem Streitgegenstand. Dieser ist hier ein Informationszugangsanspruch nach dem IFG. Dieser Anspruch ist selbständig streitgegenstandsfähig und ein aliud gegenüber einem ebenfalls streitgegenstandsfähigen Anspruch auf Akteneinsicht nach § 25 SGB X oder auf Auskunft nach § 83 SGB X oder auf Beratung und Auskunft nach den §§ 14 und 15 SGB I (BSG, B.v. 4.4.2012 – B 12 SF 1/10 R – juris). Nach der Dispositionsmaxime ist es allein Sache des Klägers, den Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen. Diesen hat der Kläger hier unmissverständlich und in zulässiger Weise als Informationszugangsanspruch nach dem IFG definiert; andere Auskunftsansprüche hat der Kläger ausdrücklich nicht geltend gemacht. Es verhält sich demnach nicht so, dass der Kläger lediglich einen unspezifizierten Auskunftsanspruch geltend gemacht hätte und die Vorschriften des IFG oder die genannten Vorschriften des SGB X und des SGB I als bloße rechtliche Gesichtspunkte bei der Beurteilung dieses Auskunftsbegehrens heranzuziehen wären. Vielmehr konstituiert, wie ausgeführt, die Eingrenzung des Auskunftsbegehrens auf ein solches nach den Normen des IFG den alleinigen Streitgegenstand.
2. Für den Rechtsstreit, dessen Streitgegenstand, wie ausgeführt, allein der Informationszugangsanspruch nach dem IFG bildet, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
a. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG, B.v. 4.4.2012 a.a.O.) folgt dies allerdings nicht bereits aus § 9 IFG, obwohl die amtliche Überschrift dieser Norm anderes nahelege. Denn der insoweit allenfalls einschlägige § 9 Abs. 4 IFG enthalte – jedenfalls in Abgrenzung zu den besonderen Verwaltungsgerichten – keine Rechtswegzuweisung zu Gunsten der (allgemeinen) Verwaltungsgerichte. Der Inhalt der Norm beschränke sich vielmehr auf die Festschreibung eines Rechtsschutzes durch Benennung bestimmter Rechtsbehelfe und eine Sonderregelung zum Widerspruchsverfahren nach den Vorschriften des 8. Abschnitts der VwGO. Auch wenn die ausdrückliche Erwähnung der VwGO in § 9 Abs. 4 Satz 2 IFG und in der Entwurfsbegründung hierzu (siehe BT-Drs. 15/493 S. 16 zu § 9 Abs. 4 IFG) in Zusammenschau mit dem Fehlen einer entsprechenden Sonderregelung zu § 78 SGG den Schluss nahelege, der Gesetzgeber habe – in erster Linie – an Rechtsschutz durch die (allgemeinen) Verwaltungsgerichte gedacht, habe dies – anders als z.B. in § 6 Abs. 1 des Umweltinformationsgesetzes (UIG) – keinen hinreichend deutlichen Niederschlag im Wortlaut der Norm gefunden.
b. Der Verwaltungsrechtsweg ergibt sich aber aus § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO (BSG, B.v. 4.4.2012 a.a.O.).
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben (Halbs. 1 der Vorschrift), soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind (Halbs. 2 der Vorschrift, sog. abdrängende Sonderzuweisung).
Das Gericht folgt der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, B.v. 4.4.2012 a.a.O.), wonach das mit dem IFG-Auskunftsbegehren zwischen den Beteiligten begründete Rechtsverhältnis, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, öffentlich-rechtlicher Natur ist. Denn weder Grund noch Gegenstand des geltend gemachten Anspruchs liegen im Insolvenzrecht, sondern in dem durch den Antrag des Klägers begründeten verwaltungsrechtlichen Verfahrensverhältnis. In diesem stehen sich die Beklagte und der Kläger in einem Verhältnis der Über- und Unterordnung gegenüber und wendet die Beklagte – eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß Art. 86 Abs. 2 GG, § 4 Abs. 1 und 2 SGB V – als Trägerin hoheitlicher Gewalt die besonderen, ihr durch das IFG zugeordneten Rechtssätze des öffentlichen Rechts an. Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit scheidet aus, weil es sich weder beim Kläger noch bei der Beklagten um Verfassungsorgane handelt.
c. Eine abdrängende Sonderzuweisung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO besteht nicht, insbesondere besteht keine Sonderzuweisung gemäß § 51 SGG zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, da die Voraussetzungen hierfür nach den allein in Betracht kommenden Tatbeständen nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 5 SGG nicht vorliegen (BSG, B.v. 4.4.2012 a.a.O.); auf die ausführlichen Darlegungen des BSG hierzu wird verwiesen.


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