Verwaltungsrecht

Inländische Fluchtalternativen in Mali

Aktenzeichen  M 21 S 17.39586

Datum:
13.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 4, § 77 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 36 AsylG auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es gibt keinen Anlass zu der Annahme, dass in Mail ein junger, erwerbsfähiger Mann nicht dazu in der Lage sein könnte, seinen – wenn auch bescheidenen – Lebensunterhalt in einem sicheren Landesteil zu erwirtschaften. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben malischer Staatsangehöriger. Er ist am 28. Dezember 2015 auf dem Landweg über Österreich von Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat am 1. September 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag gestellt.
Zur Begründung seines Asylantrags führte der Antragsteller im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 19. Oktober 2016 aus, er habe in Kidal gelebt. Dort habe er im März 2012 gesehen, wie ein Tuareg Waffen aus einem Auto in ein Haus gebracht habe. Er sei zur Polizei gegangen und habe dies gemeldet. Die Polizei habe den Mann daraufhin festgenommen. Zwei Tage später seien die Eltern des Mannes gekommen und hätten wissen wollen, weshalb er es der Polizei gesagt habe. Sie hätten seiner Mutter gesagt, dass sein Leben nunmehr in Gefahr sei. Am nächsten Tag habe der Bruder des Tuareg ihn bei der Arbeit mit einem Stock geschlagen. Kurze Zeit später habe es einen Militärputsch gegeben. Der inhaftierte Tuareg sei dabei freigekommen und bei ihm zu Hause aufgetaucht. Zwei Tage später habe er, der Antragsteller, das Land verlassen.
Mit Bescheid vom 27. April 2017, zugestellt am 4. Mai 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Mali angedroht. Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, den Darstellungen des Antragstellers sei weder wörtlich noch inhaltlich eine politisch motivierte Verfolgung zu entnehmen, sondern lediglich die zu erwartenden allgemein schwierigen Lebensbedingungen im Nordteil Malis nach Ausbruch des dortigen Krieges und der Besetzung des Gebiets durch radikal islamische Kräfte. Im nördlichen Teil Malis sei gegenwärtig von keinem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt mehr auszugehen. Eine Rückkehr nach Bamako sei daher möglich. Überdies sei es zumutbar gewesen, eine inländische Fluchtalternative zu nutzen. Es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass in jeder größeren Stadt wie auch auf dem flachen Lande im Süden Malis interne Schutzmöglichkeiten bestünden. Zudem habe der Antragsteller die Möglichkeit, den Schutz der staatlichen und örtlichen Behörden zu erlangen. Der Antragsteller sei in Mali aufgewachsen, er spreche die zur Verständigung notwendigen Sprachen und habe vor seiner Ausreise selbständig auf dem Bau gearbeitet. Auch sei er jung und gesund. Es gebe daher keinen Anlass zu der Annahme, dass es ihm nicht gelingen werde, bei einer Rückkehr nach Mali das wirtschaftliche Existenzminimum zu erlangen. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen damit entsprechend der allgemeinen Lage in Mali und unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers nicht vor.
Der Antragsteller hat am 10. Mai 2017 durch seinen Bevollmächtigten Klage erhoben (M 21 K 17.39585) und beantragt, den Bescheid vom 27. April 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, ihm subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Eine (angekündigte) Begründung seines Antrags erfolgte nicht.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 16. Mai 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zu der Klage noch zu dem Antrag geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausge-schlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Im Hinblick auf den Vortrag des Antragstellers vor dem Bundesamt liegen die Voraussetzungen für internationalen Schutz und Asyl offensichtlich nicht vor. Soweit der Antragsteller vorträgt, er werde von einem Tuareg, dessen Inhaftierung er vor nunmehr mehr als fünf Jahren zu verantworten gehabt habe, bedroht, ist bereits fraglich, ob ihm insoweit Glauben geschenkt werden kann. Die Schilderungen des Antragstellers sind in diesem Punkt äußerst knapp und detailarm. Auch nach seiner Darstellung wurde er nicht persönlich von der Person bedroht, ihm wurde dies lediglich durch seine Mutter mitgeteilt. Ungeachtet dessen ist es dem Antragsteller jedoch zuzumuten, staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Selbst wenn dies im Jahr 2012 nicht möglich gewesen wäre, so ist durch nichts ersichtlich, dass dies heute noch genauso ist. Zudem stehen dem Antragsteller inländische Fluchtalternativen zur Verfügung. Diese sind ihm ebenfalls zumutbar. Es gibt keinen Anlass zu der Annahme, dass der Antragsteller als junger, erwerbsfähiger Mann nicht dazu in der Lage sein könnte, seinen – wenn auch bescheidenen – Lebensunterhalt in einem sicheren Landesteil zu erwirtschaften, zumal er bereits vor seiner Ausreise selbständig auf dem Bau gearbeitet und so Einkommen erwirtschaftet hat.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Ge-richtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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