Verwaltungsrecht

Innerstaatliche Fluchtalternative im Süden Malis

Aktenzeichen  Au 5 K 16.32165

Datum:
13.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 16a
AsylG AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet aus, wenn die Einreise auf dem Landweg – also aus einem sicheren Drittstaat – in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Süden Malis besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass vereinzelte Anschläge im Süden Malis bereits die Qualität eines Bürgerkriegs erreicht haben, bestehen nicht. (redaktioneller Leitsatz)
3 Christen droht in Mali nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung iSd § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in Anknüpfung an die Religionszugehörigkeit. (redaktioneller Leitsatz)
4 Die wirtschaftlich schlechte Lage in Mali begründet kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1 AufenthG. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf die Gewährung subsidiären Schutzes. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 11. Oktober 2016 ist auch hinsichtlich der Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter.
Der Kläger ist nach eigenen Angaben auf dem Landweg und damit über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem anderen durch Gesetz zu bestimmenden Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Durch Anlage I zu § 26a AsylG sind Norwegen und die Schweiz als sichere Drittstaaten bestimmt worden. Da somit alle Nachbarstaaten der Bundesrepublik Deutschland entweder aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft oder aufgrund der Anlage I zu § 26a AsylG sichere Drittstaaten sind, hat jeder Asylsuchende, der auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist, den Ausschlussgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat verwirklicht (BVerwG, U.v. 7.11.1995, InfAuslR 1996, 152). Auf den genauen Reise Weg kommt es dabei nicht mehr an.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S. des § 3 Abs. 1 AsylG.
Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Dabei kann die Verfolgung i. S. des § 3 AsylG nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
a) Hiervon ausgehend kann der Kläger nicht als Flüchtling anerkannt werden. Die behauptete politische Verfolgung wegen seiner christlichen Religionszugehörigkeit hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Sein Vorbringen vor dem Bundesamt war, wie im angefochtenen Bescheid vom 11. Oktober 2016 zu Recht ausgeführt wurde, oberflächlich und widersprüchlich. Die Gelegenheit, sein Vorbringen im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu vertiefen und zu substantiieren sowie Widersprüche aufzuklären, nahm der Kläger nicht wahr.
b) Selbst wenn das Vorbringen des Klägers jedoch als wahr unterstellt wird, ist er auf eine innerstaatliche Fluchtalternative im Süden Malis zu verweisen (§ 3e AsylG).
aa) Der Süden Malis ist bürgerkriegsfrei. Von den Kampfhandlungen islamistischer Gruppen, die im Januar 2012 ihren Anfang nahmen, war der Norden Malis betroffen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Mali: Aktuelle Lage, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 30. Oktober 2012). Bereits im Juni 2013 war zwischen der malischen Regierung und mehreren bewaffneten Gruppen ein Friedensabkommen zur Stabilisierung der Lage im Norden Malis geschlossen worden (Amnesty International, Mali-Report 2015). Am 15. Mai und 20. Juni 2015 wurde erneut ein innerstaatliches Friedensabkommen zur nachhaltigen Befriedung von Nord-Mali geschlossen. Von den bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Norden Malis blieb der Süden Malis jedoch verschont, auch wenn selbst in der Hauptstadt Bamako eine Gefährdung durch terroristische Gruppen nicht ausgeschlossen werden kann (Auswärtiges Amt, Mali: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 2.11.2016). Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass vereinzelte Anschläge bereits die Qualität eines Bürgerkriegs erreicht haben, bestehen nicht (s. hierzu auch VG Magdeburg, U.v. 27.5.2016 – 1 A 125/15 MD).
bb) Der Rückkehr des Klägers in den Süden Malis steht auch seine – behauptete, jedoch in keiner Weise nachgewiesene – christliche Religionszugehörigkeit nicht entgegen. Nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie – QualfRL) vom 13. Dezember 2011 (ABl EU Nr. L 337/9) umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dabei ist nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der Grundrechtscharta verstößt, bereits eine Verfolgungshandlung i.S. der Qualifikationsrichtlinie. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit vorliegt, der Art. 10 Abs. 1 der Grundrechtscharta verletzt und als Verfolgungshandlung zu qualifizieren ist, sind eine Reihe objektiver wie auch subjektiver Gesichtspunkte zu berücksichtigen (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11, C-99/11 – NVwZ 2012, 1612/1614; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/939 Rn. 28). Objektive Gesichtspunkte sind dabei insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter, wie Leib und Leben. Subjektiv ist zu berücksichtigen, ob die religiöse Handlung, die die Verfolgung auslöst, für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Maßgeblich ist, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, a.a.O., Rn. 29). Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit i.S. von Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, den Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in die Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11, C-99/11 – NVwZ 2012, 1612/1614; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/938 Rn. 24). Ein hinreichend schwerer Eingriff setzt dabei nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach der Rückkehr in sein Heimatland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr einer Verfolgung aussetzt. Auch der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/939 Rn. 26).
Gemessen an diesen Maßstäben ist das Gericht der Überzeugung, dass im Fall des Klägers die erforderliche objektive und subjektive Schwere der ihm im Falle einer Rückkehr in den Süden Malis drohenden Verletzung seiner Religionsfreiheit nicht vorliegen. Ihm droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung i.S. des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in Anknüpfung an seine Religionszugehörigkeit. Für eine politische Verfolgung von Christen in Mali ergeben sich nach der Auskunftslage keine Anhaltspunkte. Für diese Annahme spricht auch, dass der Kläger mit seiner Familie bis zum Erstarken islamistischer Rebellen trotz der christlichen Religionszugehörigkeit unbehelligt in Mali leben konnte. Die islamistischen Übergriffe konzentrierten sich auf den Norden Malis, während die Mehrheit der Christen im Süden lebt (Open Doors, Länderprofil Mali, Stand: Januar 2016). Die Situation für Christen sei nach den Erkenntnissen von „Open Doors“ zwar auch im Süden als unbeständig zu bezeichnen, allerdings sei der Druck durch Verfolgung im Privatleben und Familienleben am stärksten, im Bereich Leben im Staat dagegen am niedrigsten. Die Bereiche Gesellschaftliches Leben und Kirchliches Leben seien durchschnittlich betroffen. Insgesamt sei die Verfolgung noch nicht durch die stärkste Form des extremistischen Islamismus definiert, sondern eher durch eine gemäßigte, jedoch lasse die immer noch wenig Freiraum für Christen. Damit fehlt es bereits an der erforderlichen objektiven Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit des Klägers bei einer Rückkehr.
cc) Das Gericht geht auch davon aus, dass der Kläger als alleinstehender, gesunder junger Mann seinen Lebensunterhalt im Süden Malis sicherstellen kann, selbst wenn hierfür mehr zu fordern ist als die bloße Sicherung des Existenzminimums. Der Kläger war in der Lage, seine Ausreise zu organisieren und zu finanzieren. In Libyen hat er einige Zeit als Helfer gearbeitet. Er hat eine für malische Verhältnisse gute Schulbildung und ist mit den Lebensgewohnheiten in Mali vertraut. Es ist deshalb vernünftigerweise zu erwarten, dass der Kläger in seinem Heimatland seinen Lebensunterhalt sicherstellen kann.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Mali ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG liegen offensichtlich nicht vor. Ungeachtet der Frage, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG vorliegen, ist der Kläger, soweit er eine Gefährdung in seiner Heimatregion befürchtet, wie bereits ausgeführt, auf eine innerstaatliche Fluchtalternative im Süden Malis zu verweisen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e AsylG).
4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bei seiner Abschiebung nach Mali befürchten müsste, auf derart schlechte humanitäre Bedingungen zu stoßen, dass die Gefahr einer Verletzung des Art. 3EMRK besteht, gibt es, wie bereits ausgeführt, nicht. Obwohl die wirtschaftliche Lage nach wie vor schlecht ist (Auswärtiges Amt, Mali: Wirtschaftliche Rahmenbedingungen, Stand: April 2016), geht das Gericht, wie ausgeführt, davon aus, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt dort sicherstellen kann. Damit liegen weder die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG noch für die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
5. Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG erweist sich als rechtmäßig, das Bundesamt hat in der Befristungsentscheidung die maßgeblichen Belange in ordnungsgemäßer Weise abgewogen.
6. Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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