Verwaltungsrecht

Interner Schutz in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak

Aktenzeichen  Au 5 K 17.30315

Datum:
3.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 1 S. 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Im Irak findet derzeit ein militärischer, bewaffneter Konflikt statt, der einen großen Teil des Landes erfasst und bei dem das irakische Militär nur langsam wieder die Oberhand zu gewinnen scheint. Dieser innerstaatliche Konflikt stellt aber keine landesweite Konfliktsituation dar, da in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. April 2017 entschieden werden, obwohl auf Beklagtenseite niemand erschienen ist, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
1. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerinnen haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Gewährung internationalen Schutzes, weil die Voraussetzungen der §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 AsylG nicht vorliegen. Auch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben.
1.1 Soweit die Klägerinnen ihre Anerkennung als Flüchtling nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG beantragt, ist die Klage unbegründet.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehend vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannte Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Auch bei Wahrunterstellung des Vortrags der Klägerin zu 1, fehlt es an der Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal im Sinne von § 3 Abs. 1, § 3b AsylG. Selbst wenn man das Vorbringen des Klägers gegenüber dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vom 3. April 2017 für glaubhaft erachtet, wovon das Gericht zugunsten der Klägerin zu 1 ausgeht, fehlt es jedenfalls an der Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal im Sinne von § 3 Abs. 1, 3b AsylG. Auch ist für das Gericht nicht ersichtlich, wieso es für die Klägerinnen ausgeschlossen sein sollte, internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG in einer anderen Provinz der Kurdischen Autonomiegebiete zu finden. Gerade auch die Tatsache, dass die Klägerin zu 1 und ihr Ehemann vor ihrer Ausreise in die … zwei Monate lang in der Region … gefunden haben, lässt eine innerstaatliche Migration für die Klägerinnen als zumutbar erscheinen. Weitere spricht für eine Zumutbarkeit, dass die gesamte Großfamilie der Klägerin zu 1 nach wie vor im Irak in der Region … lebt und insoweit auch gewisse finanzielle Unterstützung leisten könnte. Die Klägerin zu 1 hat bei ihrer persönlichen Anhörung gegenüber dem Bundesamt insoweit vorgetragen, dass die wirtschaftliche Situation ihrer Familie vor der Ausreise gut gewesen sei. Ebenfalls hat die Klägerin zu 1 bei ihrer persönlichen Anhörung ausgeführt, dass auch der Onkel ihres Ehemannes nach wie vor mit seiner Familie in … lebe. Auch insoweit verhält es sich nicht so, dass die Klägerinnen bei einer Rückkehr in den Irak völlig mittellos und ohne persönliche Beziehungen wären. Der Ehemann der Klägerin zu 1 war im Irak auch bereits beruflich als Dolmetscher tätig. Die Klägerin zu 1 und ihr Ehemann haben bereits eine innerstaatliche Migration vorgenommen, was für das Gericht eine Rückkehr in die Kurdischen Autonomiegebiete nahelegt. Auch nach den ins Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ist diese innerstaatliche Migration möglich und zumutbar. Vor diesem Hintergrund scheidet eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für die Klägerinnen auf der Grundlage des § 3 Abs. 1, § 3b AsylG aus.
1.2 Den Klägerinnen steht aber auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG oder § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15c der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) in Bezug auf den Irak zu.
Hinsichtlich des von der Klägerin zu 1 vorgetragenen, gerade nicht individuellen Verfolgungsschicksals, sind die Kläger auf die internen Fluchtalternativen im Irak zu verweisen.
Auch kann von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak nicht gesprochen werden. Zwar findet im Irak derzeit ein militärischer, bewaffneter Konflikt statt, der einen großen Teil des Landes erfasst und bei dem das irakische Militär nur langsam wieder die Oberhand zu gewinnen scheint. Dieser landinnerstaatliche Konflikt stellt aber keine landesweite Konfliktsituation dar, da in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak keine tatsächliche Gefahr besteht (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18. Februar 2016; Gutachten Europäisches Zentrum für kurdische Studien vom 7. September 2015). Der Kläger muss daher bei einer Rückkehr in die Region Irak-Kurdistan nicht damit rechnen, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, so dass von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil oder diesen Landesteilen aufhält. Eine Rückkehr in den Nordirak erscheint unter diesen Gesichtspunkten für die Klägerinnen möglich und zumutbar.
1.3 Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben bzw. vorgetragen.
Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hat der Kläger nicht geltend gemacht bzw. sind auch sonst nicht ersichtlich.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak aufgrund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden, wie sie der Kläger im Wesentlichen geltend macht, auch Gefahren durch die desolate Versorgungslage neben Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Gz. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekanntgegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiter in dem Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – NVwZ 2001, 1420). Sofern man davon ausgeht, dass für kurdische Volkszugehörige aus den Autonomiegebieten selbst eine Rückführung nach Erbil derzeit möglich ist, sind ebenfalls keine Gründe zu Gunsten des Klägers erkennbar, diesem ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzuerkennen.
Sonstige Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern erfasst werden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren Unterlegener hat der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b Abs. 1 AsylG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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