Verwaltungsrecht

Interner Schutz vor Genitalverstümmelung und Zwangsverheiratung in der Elfenbeinküste

Aktenzeichen  W 2 K 18.32190

Datum:
1.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 6996
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 14a Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Selbst bei drohender Genitalverstümmelung und Gefahr der Zwangsverheiratung durch einen Onkel kann die minderjährige, in Deutschland geborene Klägerin darauf verwiesen werden, den Schutz der ivorischen Sicherheitskräfte in Anspruch zu nehmen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 In der moslemischen Bevölkerung ist Genitalverstümmelung ein weit verbreitetes Problem. Allerdings steht Genitalverstümmelung seit 1998 in der Elfenbeinküste unter Strafe und wird auch tatsächlich geahndet.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3 Mit ihrer Mutter könnte die Klägerin in Abidjan oder einem anderen Ballungszentrum Zuflucht bei bestehender Gefahr der Beschneidung oder Zwangsverheiratung finden. Der interne Schutz hat auch im Rahmen des subsidiären Schutzanspruchs Vorrang. (Rn. 24 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Klägerin kann zusammen mit ihrer jungen und arbeitsfähigen Mutter in die Elfenbeinküste zurückkehren und Unterstützung vom Vater in Form von Geldleistungen aus dem Ausland oder tatsächlichem Beistand erhalten; außerdem kommen zahlreiche Rückkehr- und Starthilfen für freiwillige Rückkehrer in Betracht. (Rn. 30 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden hierzu gehört (§ 84 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO).
1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bundesamtsbescheid vom 8. Oktober 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Anerkennung als Asylberechtigter oder auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
Es liegen keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor.
Auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid wird verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
1.1. Eine Anerkennung der Klägerin als Asylberichtigte ist schon mangels Geltendmachung politischer Verfolgung ausgeschlossen.
1.2. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Gemäß § 3a AsylG gelten dabei Handlungen als Verfolgung, die gemäß Nr. 1 auf Grund ihrer Art oder Wiederholungsgefahr so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) keine Abweichungen zulässig ist, oder die gemäß Nr. 2 in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
Die in Deutschland geborene Klägerin ist nach diesen Kriterien weder vorverfolgt noch droht ihr ohne Vorverfolgung ein flüchtlingsrechtliches Verfolgungsrisiko. Zwar stellt Genitalverstümmelung unstreitig eine schwerwiegende Verletzung des grundlegenden Menschenrechts auf körperliche Integrität dar. Zur Glaubwürdigkeit der angeblichen geschlechtsspezifischen Verfolgung durch den Onkel der Mutter der Klägerin wird auf die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 7. November 2018 – W 2 K 18.31723 – im Verfahren der Mutter der Klägerin verwiesen.
Aber selbst bei Wahrunterstellung des Vortrags, dass der Klägerin durch den Onkel die Gefahr der Zwangsverheiratung und der Genitalverstümmelung drohe, kann die Klägerin darauf verwiesen werden, den Schutz der ivorischen Sicherheitskräfte vor einer möglichen Zwangsverheiratung, Beschneidung oder sonstigen Nachstellungen durch ihren Onkel in Anspruch zu nehmen. Denn gemäß §§ 3c Nr. 3, 3d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AsylG besteht eine flüchtlingsrechtlich relevante Gefahr durch nichtstaatliche Akteure nur dann, wenn der eigene Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens ist, wirksam und nicht nur vorrübergehend Schutz zu bieten. Nach § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylG ist ein solcher Schutz generell gewährleistet, wenn die Staatsorgane geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndungen von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen und, wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Das Gericht hält es in diesem Sinne nicht für erwiesen, dass die ivorischen Sicherheitskräfte, sei es Gendarmerie, Polizei oder andere Sicherheitsbehörden mit polizeilicher Zuständigkeit (vgl. zur Struktur der Sicherheitsbehörden im Einzelnen: österr. Bundesamt, Länderinformationsblatt, Stand: 28.10.2015, S. 8f.), nicht bereit oder in der Lage seien, der Klägerin wirksamen Schutz zu gewähren. Zwar ist laut Auswärtigem Amt (Lagebericht v. 15. Januar 2018, S. 7) Genitalverstümmelung, obwohl unter Strafe stehend, ist ein in der moslemischen Bevölkerung verbreitetes Phänomen. Aber es tritt hauptsächlich im Norden der Elfenbeinküste auf und jüngere Frauen werden davon zunehmend weniger betroffen. Entscheidend ist, dass die Genitalverstümmelung seit 1998 auch in der Elfenbeinküste unter Strafe steht und auch zunehmend tatsächlich geahndet wird (vgl. z.B. US Department of State, Human Rights Report 2017, S. 18). Für die weiteren Einzelheiten bezüglich der Bereitschaft und Möglichkeit des ivorischen Staates zur Schutzgewährung wird gem. § 77 Abs. 2 AsylG auf die Ausführungen im verfahrensgegenständlichen Bescheid Bezug genommen, die sich das Gericht insoweit zu eigen macht.
Dass der Klägerin wegen ihres sehr jungen Alters in der Elfenbeinküste keine konkrete Gefahr der zwangsweisen Verheiratung droht, wurde im verfahrensgegenständlichen Bescheid ausführlich erörtert. Auf die entsprechenden Ausführungen wird verwiesen.
Des Weiteren wäre es – selbst bei bestehender Gefahr einer Beschneidung oder Zwangsverheiratung- der Klägerin zur Überzeugung des Gerichts möglich, innerhalb der Elfenbeinküste, z.B. in Abidjan oder einem anderen Ballungszentrum, Zuflucht zu finden. Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Die Klägerin könnte zusammen mit ihrer Mutter in Abidjan oder einem anderen Ballungszentrum Zuflucht finden. Zwar gehen die kanadischen Immigrationsbehörden davon aus, dass es für alleinlebende Frauen unter 30 Jahre in der Elfenbeinküste etwas komplizierter ist, alleine zu leben, differenzieren dabei jedoch zwischen dem Leben in Großstädten wie Abidjan oder Bouaké und dem ländlichen Raum. Im Wesentlichen sei dies eine Frage ihrer finanziellen und ökonomischen Verhältnisse (vgl. Immigration and Refugee Board of Canada, Côte d’Ivoire: Situation of educated women living alone, whether single or divorced, particularly in Abidjan and Bouaké; whether they can find work and housing, support services available to them (2014-April 2016) [CIV105508.FE], 2. Mai 2016).
Die Klägerin hat mithin keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
1.3 Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG.
Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als solcher gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten dabei die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt.
Weder für die Vollstreckung noch Verhängung der Todesstrafe noch die Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts kommen in Betracht.
Auch im Hinblick auf eine eventuell drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch den Onkel der Mutter der Klägerin kommt die Gewährung subsidiären Schutzes nicht in Betracht. Auch hier kann die in Deutschland geborene Klägerin schon denklogisch nicht an die sich aus einer Vorverfolgung ergebende Vermutung anknüpfen.
Sofern aus der behaupteten Bedrohung für die Mutter der Klägerin auch eine eigene Bedrohung für die Klägerin abgeleitet werden sollte, steht dem jedenfalls das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative entgegen. Denn gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Nr. 2 AsylG hat der interne Schutz auch im Rahmen des subsidiären Schutzes Vorrang, so dass sowohl die Klägerin, als auch ihre Mutter sich darauf verweisen lassen müssen, dass sie sich innerhalb der Elfenbeinküste an einem anderen Ort hätten niederlassen können.
1.4. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist danach unzulässig, wenn ihm im Zielstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht oder wenn im Einzelfall andere in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 24. Mai 2000 – 9 C 34/99 -, juris Rn. 11).
Dabei können unter bestimmten Umständen auch schlechte humanitäre Bedingungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen. Ist die schlechte humanitäre Lage weder dem Staat noch den Konfliktparteien zuzurechnen, sondern bedingt durch die allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, kommt eine Verletzung von Art. 3 EMRK nur dann in Betracht, wenn ganz außergewöhnliche Umstände in der Person des Schutzsuchenden vorliegen, die über die allgemeine Beeinträchtigung der Lebenserwartung des Schutzsuchenden im Herkunftsland hinausgehen (vgl. EGMR, U.v 27. Mai 2008 – 26565/05, U.v. 28. Juni 2011 – 8319/07). Solche Umstände liegen auch unter Berücksichtigung der besonderen Vulnerabilität der Klägerin als Kleinkind nicht vor. Denn zugrunde zu legen ist die Situation einer Rückkehr zusammen mit ihrer Mutter. Diese kann auch die Unterstützung des Vaters der Klägerin in Anspruch nehmen, der sich bereits durch seinen Besuch in der Unterkunft der Klägerin als ihr Vater selbst dargestellt hat. Diese Unterstützung kann in Form von Geldleistungen aus dem Ausland oder auch durch eine tatsächliche Beistandschaft im Rahmen einer gelebten Familie erfolgen. Zudem ist die Mutter der Klägerin jung und es liegen keine Anhaltspunkte für eine verminderte Arbeitsfähigkeit vor. Für die Klägerin und deren Mutter kommen zahlreiche Rückkehr- und Starthilfen für freiwillige Rückkehrer nach Cote d Ivoire in Betracht. Für die weiteren Einzelheiten zu den Förderungsmöglichkeiten und zu den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in der Elfenbeinküste wird gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen im Bundesamtsbescheid vom 8. Oktober 2018 Bezug genommen.
Gesundheitliche Einschränkungen sind für die Klägerin weder vorgetragen noch ersichtlich, so dass auch ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht kommt.
1.5. Die vom Bundesamt verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind nicht zu beanstanden. Die betreffende Entscheidung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG, § 38 Abs. 1 AsylG, deren Voraussetzungen hier gegeben sind. Dass eine Abschiebung der Klägerin selbstverständlich nur im Familienverbund in Frage kommt, ist eine Frage des Vollzugs und hindert nicht die Rechtsmäßigkeit der auf die Klägerin bezogenen Abschiebungsandrohung.
1.6. Schließlich sind auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots des § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6 des Bescheids) keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Insbesondere sind keine Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG zu erkennen.
Somit hat die Klage insgesamt keinen Erfolg.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen