Verwaltungsrecht

Isolierte Abschiebungsandrohung, Langjährige Duldung, Religiöse Ehe, „hinkende“ Ehe

Aktenzeichen  B 6 K 20.735

Datum:
23.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44553
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 59
AufenthG § 11
AsylG § 6
AsylG § 42

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist unbegründet. Denn die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot im Bescheid vom 15.07.2020 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Ausreiseaufforderung in Ziffer 1, 1. Halbsatz des Bescheids vom 15.07.2020 ist lediglich ein Hinweis auf die gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG kraft Gesetzes bestehende Ausreisepflicht ohne eigenen Regelungsgehalt (vgl. Dittrich/Breckwoldt in HTK-AuslR, Rechtsschutz gegenüber einer Ausreiseaufforderung / 2.4.1, Stand 04.10.2020, Rn. 1 m.w.N.).
Der Beklagte ist für die Abschiebungsandrohung in Ziffer 1, 2. Halbsatz des angegriffenen Bescheids zuständig, da eine solche nach einer Widerrufsentscheidung gem. § 73 Abs. 1 AsylG der Ausländerbehörde und nicht dem Bundesamt obliegt (BVerwG, U.v. 23.11.1999 – 9 C 16/99 – BVerwGE 110, 111; Bergmann in Bergmann/Dienelt, 13. Aufl. 2020, § 73 AsylG Rn. 31; Müller in NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, § 34 AsylG Rn. 9; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand August 2020, § 59 Rn. 18).
Die Abschiebungsandrohung genügt den gesetzlichen Anforderungen, wie sie sich insbesondere aus § 59 AufenthG ergeben. Der Kläger, dessen Schutzstatus nach dem früher geltenden § 51 Abs. 1 AuslG bestandskräftig widerrufen wurde, ist gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, da er den gemäß § 4 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Ob die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung neben der Ausreisepflicht auch deren Vollziehbarkeit voraussetzt, ist umstritten (vgl. Kluth in BeckOK AuslR, Stand 01.01.2021, § 59 AufenthG Rn. 7 ff.), bedarf jedoch keiner Entscheidung, weil die Ausreisepflicht hier infolge der Bestandskraft des Widerrufsbescheids vom 30.03.2005 gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ist.
Sofern der Vortrag des Klägerbevollmächtigten zu den politischen Verhältnissen im Irak darauf abzielen sollte, dass dem Kläger im Irak politische Verfolgung drohe oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG bestünden, ist festzustellen, dass die Ausländerbehörde gemäß §§ 6 und 42 Satz 1 AsylG an die Entscheidung des Bundesamts gebunden ist. Im Widerrufsbescheid vom 05.11.2005 hat das Bundesamt die Gefahr politischer Verfolgung sowie die Voraussetzungen von Abschiebungsverboten (u.a.) nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG verneint. Diese Bindungswirkung besteht fort, solange die Entscheidung des Bundesamts wirksam, d. h. nicht aufgehoben oder geändert worden ist (OVG Saarl, B.v. 25.09.2019 – 2 A 284/18 – BeckRS 2019, 24329 Rn. 17; Pietzsch in BeckOK AuslR, § 42 AsylG Rn. 11). Insbesondere bleibt die Bindungswirkung auch bei einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage bestehen. Die Ausländerbehörde hat hinsichtlich zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse insoweit keine eigene Entscheidungskompetenz. Es obliegt dem Ausländer, eine aus seiner Sicht eingetretene Änderung der Sach- und Rechtslage in dem dafür vorgesehenen Verfahren vor dem Bundesamt geltend zu machen (NdsOVG, B.v. 26.02.2018 – 13 ME 438/17 – BeckRS 2018, 3212 Rn. 14; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 42 AsylG Rn. 7; Pietzsch in BeckOK AuslR, § 42 AsylG Rn. 11).
Das Vorliegen von Duldungsgründen berührt die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht, § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Dabei bedeutet der Gesetzeswortlaut des § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG („Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“) nicht etwa, dass zwischen vorübergehenden und anderen Duldungsgründen unterschieden werden müsste (Hailbronner in Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Oktober 2020, § 59 AufenthG Rn. 32). Insbesondere ist eine Abschiebungsandrohung nicht deshalb rechtswidrig, weil die Möglichkeit der Abschiebung in den bezeichneten Zielstaat unsicher ist (BVerwG, U.v. 10.07.2003 – 1 C 21/02 – NVwZ 2004, 352/353; Hailbronner, a.a.O., Rn. 31; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, § 59 Rn. 53). Denn die Abschiebungsandrohung dient der Durchsetzung der Ausreisepflicht auch dadurch, dass der Ausländer zur freiwilligen Ausreise verlasst werden soll, ohne damit zwangsläufig eine Abschiebung zu ermöglichen. Lediglich in besonderen Ausnahmefällen, in denen die Vollstreckung der Ausreisepflicht absolut ausgeschlossen ist, kann eine Abschiebungsandrohung als rechtswidrig angesehen werden (Hailbronner, a.a.O., Rn. 32 und 39). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier ersichtlich nicht vor. Der Beklagte hat vorgetragen, dass die Abschiebung von Straftätern in den Irak grundsätzlich möglich ist und auch durchgeführt wird. Er hat in diesem Zusammenhang auf eine am 02.12.2020 durchgeführte Sammelabschiebung verwiesen. Dem Gericht ist aus anderen Verfahren bekannt, dass dieser Vortrag des Beklagten zutreffend ist.
Der Vortrag, dass der Kläger in jüngerer Zeit straffrei gewesen sei, mag im Ausweisungsverfahren beachtlich sein, ist für die Rechtmäßigkeit der hier streitgegenständlichen Abschiebungsandrohung jedoch unerheblich.
2. Das gemäß Ziffer 2 des Bescheids vom 15.07.2020 auf drei Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot begegnet ebenfalls keiner durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar erfordert die aktuelle Gesetzesfassung des § 11 Abs. 1 AufenthG nicht nur eine Befristung, sondern eine behördliche Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Eine behördliche Befristungsentscheidung genügt jedoch dem Anordnungserfordernis (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 – NVwZ 2017, 1531; B.v. 22.8.2017 – 1 A 10.17 – NVwZ 2018, 345; U.v. 21.8.2018 – 1 C 21.17 – NVwZ 2019, 483).
Ermessensfehler i.S.d. § 114 Satz 1 VwGO sind nicht ersichtlich. Die Befristung liegt innerhalb des gesetzlichen Regelrahmens gem. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Insbesondere war der Beklagte nicht gehalten, die von dem Kläger nach islamischem Ritus geschlossene Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen …S. besonders zu berücksichtigen. Eine solche religiöse Ehe genießt keinen aufenthaltsrechtlichen Schutz (BVerwG, B.v. 21.08.2018 – 1 A 16.17 – BeckRS 2018, 23003 Rn. 85; B.v. 30.08.2017 – 1 VR 5.17 – BeckRS 2017, 126166 Rn. 51; B.v. 13.07.2017 – 1 VR 3/17 – NVwZ 2017, 1531 Rn. 76; U.v. 27.01.2009 – 1 C 40/07 – juris Rn. 16). Es muss zudem im vorliegenden Klageverfahren davon ausgegangen werden, dass die von dem Kläger in seinem Heimatland geschlossene und in Deutschland (zwischenzeitlich) verschwiegene Ehe fortbesteht. Im Jahr 2013 beabsichtigte der Kläger eine bürgerlich-rechtliche Eheschließung mit der ihm religiös angetrauten …S. Hierzu kam es jedoch nicht, weil das Oberlandesgericht … ihm – wegen der in den behördlichen Ausländerakten enthaltenen Angaben des Klägers zu einer im Irak geschlossenen Ehe – keine Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses erteilt hat (siehe Schreiben des zuständigen Standesamts an die Ausländerbehörde der Stadt … vom 27.05.2013; Bl. 165 f. der Behördenakte Band 2). Dass sich die Sachlage seitdem wesentlich geändert hätte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Unter Berücksichtigung dessen müsste die religiöse Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen …S. ohnehin auch als eine nicht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG stehende Mehrehe angesehen werden (vgl. dazu OVG NW, B.v. 06.01.2009 – 18 B 1914/08 – NVwZ-RR 2009, 539; Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 6. Aufl. 2017, § 6 Rn. 10, jeweils m.w.N.). Ohne dass es hier noch entscheidungserheblich darauf ankommt, weist das Gericht zudem noch darauf hin, dass der religiösen Eheschließung vorliegend auch nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt, dass sie zumindest nach dem Recht des Herkunftsstaates des Klägers anzuerkennen sei (sog. „hinkende Ehe“; vgl. dazu Marx, a.a.O., Rn. 8; Eichenhofer in Huber/Eichenhofer/Endres de Oliveira, Aufenthaltsrecht, 1. Aufl. 2017, Rn. 737), Bedeutung zukommen kann. Zwar ist nach irakischem Recht eine nach religiösem Ritus geschlossene Ehe auch ohne behördliche Registrierung staatlich anerkannt (VG Oldenburg, U.v. 02.01.2018 – 3 A 4808/18 – BeckRS 2018, 114). Das irakische Recht schließt auch eine Mehrehe nicht grundsätzlich aus, sondern macht diese von einer Erlaubniserteilung, die an bestimmte Voraussetzungen gebunden ist, abhängig (§ 3 Abs. 4 des irakischen Gesetzes über das Personalstatut, G Nr. 188 v. 1959, i.d.F. der beiden ÄnderungsG Nr. 11 v. 1963 und Nr. 21 v. 1978, zitiert nach: Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand März 2021, unter: „Irak, III. Das Ehe- und Kindschaftsrecht, B. Gesetze“). Dafür, dass diese Voraussetzungen nach irakischem Recht erfüllt wären, ist nichts vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.
Auch unabhängig von der Frage der Eheschließung ist nichts dafür ersichtlich, dass der Beklagte die persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung rechtsfehlerhaft gewichtet hätte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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