Aktenzeichen M 25 S 16.50733
AsylG AsylG § 11 Abs. 1, § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1, § 60 Abs. 1, Abs. 2
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 16 Abs. 1, Art. 23 Abs. 2, Art. 25 Abs. 2
Leitsatz
In Italien sind die Unterbringung, die Versorgung und der Zugang zum Asylverfahren, auch wenn diese im Einzelnen von unterschiedlicher Qualität sein mögen und nicht in jedem Fall den Mindeststandards entsprechen dürften, nicht im Sinne systemischer Mängel defizitär. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtschutz gegen die Anordnung der Abschiebung in die Republik Italien im Rahmen eines Dublin-Verfahrens.
Der am … 1985 geborene Antragsteller, der nigerianischer Staatsangehöriger ist, reiste am 19. Dezember 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am 23. Juni 2016 einen Asylantrag (Behördenakte, Bl. 75).
Am 28. Juni 2016 gab der Antragsteller unter anderem an, dass er zuvor in Italien gewesen sei. Dort habe er trockene Hau und Fieber gehabt, weshalb er jedoch nicht in ärztlicher Behandlung gewesen sei oder auch derzeit sei und auch keine Medikamente erforderlich gewesen seien. Darüber habe er die italienischen Behörden informiert, jedoch habe ihm keiner zugehört. Zudem habe ihn in Italien jemand gesehen, und es gäbe in Italien keine Arbeit. Weitere Gründe für seine Ausreise aus Italien nannte er nicht (Behördenakte, Bl. 78 i.V.m. Bl. 55).
Ermittlungen ergaben in der Folge einen Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Italien, der Antragsteller hatte bereits in Italien einen Asylantrag gestellt (Behördenakte, Bl. 44).
Am 19. August 2016 richtete die Antragsgegnerin (Behördenakte, Bl. 67 und 68) unter Berufung auf das Eurodac-Ergebnis ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl EU Nr. L 180 S. 31; Dublin-III-Verordnung).
Die italienischen Behörden antworteten in der Folge auf das Wiederaufnahmeersuchen nicht.
Mit angegriffenem Bescheid vom 8. September 2016 ordnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Folgendes an:
„1. Der Antrag wird als unzulässig abgelehnt.
2. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes liegen nicht vor.
3. Die Abschiebung nach Italien wird angeordnet.
4. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wird auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.“
Zur Begründung führte es im Wesentlichen an, dass der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig sei, da Italien auf Grund des dort gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) für die Bearbeitung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei. Sollte der Antragsteller entgegen der bisherigen Erkenntnislage bereits in einem anderen europäischen Staat internationalen Schutz erhalten haben und die Dublin-III-Verordnung keine Anwendung finden, bleibe es gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 2 AufenthG gleichwohl bei der Unzulässigkeit des Asylantrags. Selbst wenn das Asylverfahren in Italien bereits abgeschlossen wäre, sei der weitere Asylantrag in Deutschland unzulässig. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die gegen eine Überstellung nach Italien sprechen könnten, seien nicht ersichtlich; daran ändere auch der Sachvortrag des Antragstellers zu Italien nichts; insbesondere lägen in Italien keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor (wird ausführlich ausgeführt).
Am 19. September 2016 erhob der Antragsteller Klage auf Aufhebung des Bescheides und beantragte gleichzeitig hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Italien die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung führte er Folgendes an: Für Asylbewerber herrschten in Italien menschenunwürdige Verhältnisse.
Am 28. September 2016 übersandte das Bundesamt die Akten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.
Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessensabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.
1. Die Antragsgegnerin hat nach den vorliegenden Unterlagen die Abschiebung nach Italien zutreffend gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG in Verbindung mit § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG angeordnet.
a) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31), für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
§ 34a Abs. 1 Satz 1 Asyl verweist auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG und verpflichtet das Bundesamt, in einem solchen Fall die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat anzuordnen, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
b) Danach ist für die Prüfung des Asylantrags Italien zuständig. Die Antragsgegnerin hat Italien, gestützt auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin-III-VO, innerhalb der Frist von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung, gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO um Wiederaufnahme ersucht. Italien hat nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist für die Antwort auf das Wiederaufnahmegesuch geantwortet und ist damit nach Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO zuständig geworden. Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO ist auf Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b), c) oder d) Dublin-III-VO anwendbar.
Die Antragsgegnerin ist nicht verpflichtet, trotz der Zuständigkeit Italiens den Asylantrag des Antragstellers selbst inhaltlich zu prüfen.
c) Systemische Mängel des Asylsystems in dem Abschiebemitgliedstaat sind weder substantiell vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
aa) Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU– Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bedarf es ernsthafter und durch Tatsachen bestätigter Gründe für die Annahme, dass der betreffende Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden (vgl. noch zu der Vorgängerverordnung: EuGH, U.v. 4.11.2013 – C-4/11 – Puid – juris, Rn. 36).
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat die für die Abschiebung zuständige Behörde angemessen zu berücksichtigen, dass aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat bestehen (vgl. zuletzt: BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris, Rn. 15). Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen nach dem Dublin-System vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit neugeborenen (vgl. Art. 16 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung) und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris, Rn. 15).
cc) Dieser Maßstab entspricht im Wesentlichen auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Danach muss ein reales Risiko bestehen, Folter oder inhumaner oder entwürdigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel gegen Schweiz – Nr. 2921/12, Rn. 93 ff.). Es kommt auf die konkrete Situation und die individuelle Schutzbedürftigkeit des Asylbewerbers an. Dabei hat der EGMR inzwischen mehrmals festgestellt, dass die Situation in Italien in keiner Weise mit der in Griechenland verglichen werden kann (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel gegen Schweiz Nr. 2921/12, Rn. 114 und U.v. 13.1.2015 – A.M.E. gegen Niederlande – Nr. 51428/10 –, Rn. 35). In dem letztgenannten Fall A.M.E. hat der EGMR eine Verletzung von EMRK-Grundrechten durch eine Rücküberstellung nach Italien verneint. Der Kläger, ein alleinstehender, gesunder junger Mann habe nicht darlegen können, dass er im Fall der Rücküberstellung nach Italien in materieller, physischer oder psychologischer Hinsicht einer hinreichend realen und imminenten Gefahr ausgesetzt sei, Härten zu erleiden, die schwer genug sind, um in den Anwendungsbereich von Art. 3 der EMRK zu fallen. Er sei in einer anderen Situation als beispielsweise die Familie mit sechs Kindern in dem Fall Tarakhel (vgl. EGMR, U.v. 13.1.2015 – A.M.E. gegen Niederlande – Nr. 51428/10 –, Rn. 34 i.V.m. 36). Nach Auffassung des EGMR in dem Fall A.S. gegen Schweiz gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass Asylbewerber, die an einer psychischen Krankheit litten, in Italien nicht angemessen behandelt werden könnten (EGMR, U.v. 30.6.2015 – A.S. gegen Schweiz – Nr. 39350/13 –, Rn. 36).
dd) Wendet man diese Maßstäbe auf den vorliegenden Fall an, so steht der Überstellung des Antragstellers nach Italien nicht das Hindernis systemischer Mängel entgegen.
Zwar hatte Italien in der Vergangenheit Kapazitätsengpässe in Bezug auf Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen. Italien hat indes inzwischen auf den Zustrom der Flüchtlinge reagiert und seine Kapazitäten erhöht. Dazu hat das European Asylum Support Office (EASO) für Italien den Special Support Plan ins Leben gerufen, mit dem es – speziell auf die italienischen Bedürfnisse zugeschnitten – Italien technisch und logistisch unterstützt, um die Verhältnisse zu ordnen. Die zweite Phase lief von März 2015 bis April 2016 (vgl. EASO, Special Support Plan v. 11.3.2015, TO ITALY, PHASE 2). Laut dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 23. Februar 2016 erhalten Dublin-III-Rückkehrer in der Regel nach der Überstellung eine Unterkunft und Zugang zu einem geordneten (Wieder-)Aufnahmeverfahren mit den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse (vgl. AA, Lagebericht v. 23.2.2016 zum Amtshilfeersuchen in Asylbzw. Rückführungsangelegenheiten, S. 3 und 4). Laut diesem Bericht lag die Gesamtkapazität der Unterkünfte in Italien zum Zeitpunkt der Berichtserstellung bereits bei 100.000 Personen (vgl. AA, Lagebericht v. 23.2.2016 zum Amtshilfeersuchen in Asylbzw. Rückführungsangelegenheiten, S. 5). Italien bemühe sich, diese noch weiter auszubauen (vgl. AA, Lagebericht v. 23.2.2016 zum Amtshilfeersuchen in Asylbzw. Rückführungsangelegenheiten, S. 5). Besonders schutzbedürftige Personen können nach Rücküberstellung in sogenannten SPRAR-Zentren unterkommen.
Angesichts dessen ergibt sich ein Bild, wonach in Italien die Unterbringung, die Versorgung und der Zugang zum Asylverfahren, auch wenn diese im Einzelnen von unterschiedlicher Qualität sein mögen und nicht in jedem Fall den Mindeststandards entsprechen dürften, nicht im Sinne systemischer Mängel defizitär ist. Lücken werden auch durch die Unterstützung von Hilfsorganisationen gedeckt Speziell mit Blick auf den Antragsteller ist zudem festzustellen, dass dieser als erwachsener alleinstehender Mann nicht zu dem genannten besonders schutzbedürftigen Personenkreis gehört, hinsichtlich dessen besondere Vorkehrungen für eine Rücküberstellung getroffen werden müssten. Auch die behaupteten Beschwerden des Antragstellers über trockene Haut und Fieber sowie die behauptete Reaktion der italienischen Behörden führen hier zu keinem anderen Ergebnis.
Daher geht das Gericht im Einklang mit der aktuellen oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG NW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris, Rn. 54; U.v. 7.7.2016 – 13 A 13 A 2302/15.A – juris, Rn. 58; U.v. 21.6.2016 – 13 A1896.14.A – juris, Rn. 49 ff.; U.v. 19.5.2016 – 13A 516/14.A – juris, Rn. 52; NdsOVG, U.v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris, Rn. 47 mwN des AA), die sich ebenfalls auf die genannten Erkenntnisquellen stützt, soweit sie im Entscheidungszeitpunkt erhältlich waren, davon aus, dass in der gegenwärtigen Situation der Überstellung von Personen wie dem Antragsteller nach Italien kein Hindernis systemischer Mängel entgegensteht.
c) Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts notwendig machen, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
3. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.