Verwaltungsrecht

Kapazitätsberechnung und Zugangsrecht für Hochschulbewerber

Aktenzeichen  7 CE 17.10094

Datum:
2.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayHZV BayHZV § 46 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 3, § 53
BayLUFV § 7 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3

 

Leitsatz

1. Der Verordnungsgeber selbst hat in der BayLUFV die Abwägungsentscheidung zwischen dem Zugangsrecht der Hochschulbewerber, den ebenfalls grundrechtlich geschützten Belangen der Hochschulen und der Lehrpersonen sowie den Ausbildungsbedürfnissen der bereits zugelassenen Studenten getroffen und normativ geregelt. Solange sich die Verminderungen der Lehrverpflichtung im Rahmen der normativen Regelung halten, besteht daher jedenfalls dann kein Anlass zu gerichtlichen Ermittlungen, wenn es an weitergehenden substantiierten Einwänden fehlt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Regelung des § 46 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BayHZV genügt dem Gebot der Kapazitätsauslastung ebenso wie den Erfordernissen rationaler Abwägung; es kommt nach Maßgabe dieser Vorschrift nicht darauf an, ob sämtliche Stelleninhaber der Lehreinheit Zahnmedizin über eine medizinische Ausbildung verfügen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Maßgebend für die Ermittlung der Zugänge und Abgänge iSd § 53 BayHZV sind die jeweiligen statistischen Erhebungen über den Bestand der im betreffenden Studiengang tatsächlich vorhandenen (eingeschriebenen) Studierenden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die über die festgesetzte Zulassungszahl hinausgehende „Überbuchung“ von Studienplätzen im (innerkapazitären) Vergabeverfahren ist rechtlich unbedenklich. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 3 E Z 16.10388 2017-03-16 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen jeweils die Kosten der Beschwerdeverfahren.
III. Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird jeweils auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Zahnmedizin im ersten Fachsemester an der …-Universität M. (LMU) nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2016/2017. Sie machen geltend, die LMU habe ihre tatsächliche Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft.
Das Bayerische Verwaltungsgericht München hat die Anträge mit Beschlüssen vom 16. März 2017 abgelehnt.
Mit den Beschwerden verfolgen die Antragsteller ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie begehren die Vorlage einer Namensliste der tatsächlich eingeschriebenen Studierenden im streitgegenständlichen Fachsemester sowie die Prüfung, ob sich darunter beurlaubte Studierende befinden oder Studierende, welche aus einem vorhergehenden Studium „anrechenbare Leistungen“ erworben hätten. Auch sei zu prüfen, ob der Lehreinheit Zahnmedizin Mittel aus dem „Hochschulpakt 2020“ oder „Qualitätssicherungsmittel“ zur Verfügung gestellt worden seien. Ebenso seien die Minderungen des Lehrdeputats zu überprüfen und zu ermitteln, welche weiteren Lehrpersonen (Honorarprofessoren, Privatdozenten etc.), etwa im Bereich der Klinik und Poliklinik für Kieferchirurgie, in der Kapazitätsberechnung bisher nicht berücksichtigt seien. Ferner sei die normierte Höhe des Krankenversorgungsabzugs (30 v.H.) überprüfungsbedürftig, zumal die ausstattungsbezogene Ausbildungskapazität der LMU deutlich über der errechneten personellen Ausbildungskapazität liege. Ein Krankenversorgungsabzug sei ohnehin nicht gerechtfertigt im Hinblick auf Lehrpersonen, welche nicht ärztlich tätig seien. Stellen für die Krankenversorgung, die von den Krankenkassen bezahlt würden und sogenannte Funktionsstellen seien im Übrigen vorrangig in Abzug zu bringen. Schließlich seien die Schwundberechnung und die von der LMU vorgenommene Überbuchung der festgesetzten Zulassungszahl zweifelhaft. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Bevollmächtigten der Antragsteller vom 8. Mai 2017 und 14. Juni 2017 verwiesen.
Der Antragsgegner widersetzt sich den Beschwerden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerden haben keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), begründet den geltend gemachten Anordnungsanspruch der Antragsteller nicht. Der Senat folgt den Gründen der angefochtenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen zu bemerken:
a) Der Vorlage einer Namensliste der tatsächlich eingeschriebenen Studierenden bedarf es nicht, weil keine substantiierten Zweifel an den Zahlenangaben der LMU geltend gemacht werden. Die LMU hat sich im erstinstanzlichen Verfahren ebenso wie im Beschwerdeverfahren bereits auch zu den nicht berücksichtigungsfähigen (wiederholt) beurlaubten Studierenden im ersten Fachsemester geäußert. Auf die Frage, ob Studierende aus einem vorhergehenden Studium „anrechenbare Leistungen“ erworben hätten, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, solange sich diese Studierenden tatsächlich im ersten Fachsemester befinden.
b) Die LMU hat im Beschwerdeverfahren nochmals ausdrücklich und glaubhaft bestätigt, dass im Rahmen der Kapazitätsberechnung das der Lehreinheit Zahnmedizin zur Verfügung stehende personelle Lehrangebot vollständig erfasst worden ist und der Lehreinheit Zahnmedizin keine Mittel aus dem „Hochschulpakt 2020“ oder „Qualitätssicherungsmittel“ zur Verfügung gestellt worden sind. Dies gilt auch im Hinblick auf das im Bereich der Klinik und Poliklinik für Kieferchirurgie zur Verfügung stehende Lehrpersonal. Substantiierte Zweifel an den Angaben der LMU bestehen insoweit nicht.
c) Die dem Dekan sowie dem Studiendekan gewährten Verminderungen der Lehrverpflichtung finden ihre Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 der Verordnung über die Lehrverpflichtung des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an Universitäten, Kunsthochschulen und Fachhochschulen (Lehrverpflichtungsverordnung – LUFV) vom 14. Februar 2007 (GVBl S. 201, BayRS 2030-2-21-K), zuletzt geändert durch Verordnung vom 22. Juli 2014 (GVBl S. 286). Sie sind nach Maßgabe des § 46 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über die Hochschulzulassung an den staatlichen Hochschulen in Bayern (Hochschulzulassungsverordnung – HZV) vom 18. Juni 2007 (GVBl S. 401; BayRS 2210-8-2-1-1-K), zuletzt geändert durch Verordnung vom 27. April 2017 (GVBl S. 96), in der Kapazitätsberechnung zu berücksichtigen und auch in ihrer Höhe nicht zu beanstanden. Der Verordnungsgeber selbst hat die Abwägungsentscheidung zwischen dem Zugangsrecht der Hochschulbewerber, den ebenfalls grundrechtlich geschützten Belangen der Hochschulen und der Lehrpersonen sowie den Ausbildungsbedürfnissen der bereits zugelassenen Studenten getroffen und normativ geregelt. Solange sich die Verminderungen der Lehrverpflichtung – wie vorliegend der Fall – im Rahmen der normativen Regelung halten, besteht jedenfalls dann kein Anlass zu gerichtlichen Ermittlungen, wenn es an weitergehenden substantiierten Einwänden fehlt.
d) Der im Rahmen der Kapazitätsberechnung der LMU vorgenommene pauschalierte Abzug des Personalbedarfs für die Krankenversorgung (Krankenversorgungsabzug) entspricht der normativen Vorgabe des § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 HZV. Der Senat hat – worauf das Verwaltungsgericht in seinen angefochtenen Entscheidungen ausdrücklich hinweist – bereits entschieden, dass die Regelung dem Gebot der Kapazitätsauslastung ebenso wie den Erfordernissen rationaler Abwägung genügt und es nach Maßgabe der genannten Vorschrift nicht darauf ankommt, ob sämtliche Stelleninhaber der Lehreinheit Zahnmedizin über eine medizinische Ausbildung verfügen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 28.4.2011 – 7 CE 10.10402 u.a. – juris Rn. 12 f. m.w.N.). Neuere empirische Erkenntnisse, welche die sachliche Richtigkeit der bestehenden normativen Vorgabe in Zweifel ziehen könnten, haben die Antragsteller nicht vorgetragen. Der Umstand, dass die ausstattungsbezogene Ausbildungskapazität der LMU über der errechneten personellen Ausbildungskapazität liegt, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, weil kein Anspruch der Antragsteller auf eine Erhöhung der personellen Ausbildungskapazität besteht.
Der Krankenversorgungsabzug ist auch sonst nicht zu beanstanden, weil es nach den Angaben der LMU weder sogenannte Funktionsstellen noch krankenkassenfinanzierte Stellen für die Krankenversorgung gibt, die ggf. vorrangig in Abzug zu bringen wären.
e) Die Zweifel der Antragsteller an der Schwundberechnung (§ 53 HZV) und der Überbuchung der festgesetzten Zulassungszahl greifen ebenfalls nicht durch.
aa) Die Studienanfängerzahl ist nach der Bestimmung des § 53 HZV dann zu erhöhen, wenn zu erwarten ist, dass wegen Aufgabe des Studiums oder Fachwechsels oder Hochschulwechsels die Zahl der Abgänge an Studierenden in höheren Fachsemestern größer ist als die Zahl der Zugänge (Schwundquote). Maßgebend für die Ermittlung der Zugänge und Abgänge sind die jeweiligen statistischen Erhebungen über den Bestand der im betreffenden Studiengang tatsächlich vorhandenen (eingeschriebenen) Studierenden. Entgegen der Ansicht der Antragsteller weisen die in die Schwundberechnung eingestellten Bestandszahlen vorangegangener Fachsemester keine besonderen Auffälligkeiten auf. Ebenso bleibt auch der errechnete Schwundausgleichsfaktor im Rahmen der Schwankungsbreite früherer (in den Vorjahren) errechneter Schwundausgleichsfaktoren. Für eine von den Antragstellern gewünschte „Prüfung“ der Bestandszahlen gibt es deshalb keinen Anlass.
bb) Die über die festgesetzte Zulassungszahl hinausgehende „Überbuchung“ von Studienplätzen im (innerkapazitären) Vergabeverfahren ist ebenfalls unbedenklich. Sie beruht auf einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage (§ 7 Abs. 3 Satz 6, § 10 Abs. 1 Satz 4 HZV) und bezweckt, die knappen Ausbildungskapazitäten der Hochschulen möglichst zeitnah auszuschöpfen. Nachdem die festgesetzte Zulassungszahl von 65 Studienplätzen – auch unter Herausrechnung von drei Studierenden, die aufgrund seinerzeit anhängiger Klageverfahren durch Vergleich zum streitgegenständlichen Wintersemester 2016/2017 zugelassen worden sind – jedenfalls mit 67 eingeschriebenen Studierenden kapazitätsrechtlich unbedenklich ausgeschöpft worden ist, sind keine Studienplätze mehr „frei“, die für eine außerkapazitäre Vergabe zur Verfügung stehen könnten (vgl. auch z.B. BayVGH, B.v. 17.4.2014 – 7 CE 14.10046 – juris Rn. 9 f.; B.v. 8.5.2013 – 7 CE 13.10021 – juris Rn. 24 m.w.N.).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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