Verwaltungsrecht

kasachischer Staatsangehöriger, Ermessensduldung für die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis für die Russische, Föderation (verneint)

Aktenzeichen  AN 11 E 21.02293

Datum:
10.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 331
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60a Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Erteilung einer Duldung.
Der am … in …Russland geborene Antragsteller ist kasachischer Staatsangehöriger. Im Jahr … kam er erstmals im Rahmen seiner Ausbildung zum Seemann nach Kasachstan, wo er am …seine damalige Ehefrau …, geb. …, heiratete. Er lebte bis zum Jahr 1981 in Kasachstan und kehrte dann nach Russland zurück, um dort für zehn Jahre als Seemann zu arbeiten. 1991 kehrte er mit seiner Familie wieder nach Kasachstan zurück, wo er bis zum Jahr 1998 lebte und arbeitete. Am 28. Oktober 1998 reiste er, ausgewiesen durch einen am 25. August 1998 ausgestellten und noch bis 21. Oktober 2040 gültigen kasachischen Pass, mit seiner damaligen deutschen Ehefrau … und seinen drei Kindern erstmals in das Bundesgebiet ein und beantragte am 8. April 1999 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seiner damaligen Ehefrau.
Am 8. April 1999 wurde dem Antragsteller erstmals von der damals zuständigen Ausländerbehörde der Freien und … …eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft erteilt, die zuletzt bis 8. April 2004 verlängert wurde.
Im Rahmen des Verlängerungsantrags vom 4. April 2004 teilte der Antragsteller mit, dass er sich im Jahr 2002 von seiner damaligen Ehefrau getrennt habe. Ihm wurde daraufhin am 27. Mai 2004 eine Aufenthaltserlaubnis in Form eines eigenständigen Aufenthaltsrechts des Ehegatten nach dem damals gültigen § 19 AuslG erteilt. Diese Aufenthaltserlaubnis wurde fortlaufend gemäß dem ab 1. Januar 2005 gültigen § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG verlängert, letztmalig bis zum 30. Mai 2015.
Am 12. März 2015 beantragte der Antragsteller eine weitere Verlängerung der o.g. Aufenthaltserlaubnis. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Freien und Hansestadt … vom 2. September 2015 abgelehnt und der Antragsteller wurde unter Abschiebungsandrohung nach Kasachstan aufgefordert, das Bundesgebiet zu verlassen. Die Ablehnung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Lebensunterhalt des Antragstellers aufgrund eines seit Juli 2012 durchgehenden Bezugs von laufenden Leistungen nach dem SGB II nicht mehr gesichert sei.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 25. September 2015 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid der Freien und Hansestadt … vom 2. September 2015 ein. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass ein atypischer Fall vorliege, da der Antragsteller aufgrund seines Alters und der damit einhergehenden Gebrechlichkeit arbeitslos geworden sei. Zudem könne die familiäre Einheit des Antragstellers mit seinen Töchtern und Enkeln nur in Deutschland gewahrt werden. Auch sei § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Lichte des Art. 8 EMRK auszulegen. Der Antragsteller lebe seit 1998 in Deutschland, sei hier lange Zeit erwerbstätig gewesen und seine gesamte Familie lebe in Deutschland. Die weiteren Voraussetzungen des § 31 AufenthG lägen unproblematisch vor. Zumindest sei aber eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen. Aufgrund Art. 8 EMRK sei die Ausreise des Antragstellers aus Deutschland aus rechtlichen Gründen unmöglich. Hilfsweise werde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 i.V.m. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG beantragt, da ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Kasachstans vorliegen könne. Aufgrund seines Alters und aufgrund fehlender Sprachkenntnisse dürfte es für den Antragsteller schwer bis unmöglich sein, in Kasachstan Arbeit zu finden. Ob und wieviel seiner deutschen Rente in Kasachstan ausgezahlt werden würde, werde zurzeit noch geprüft. Da der Antragsteller in Kasachstan über keinerlei soziale Unterstützung verfüge, sei dort von erheblichen konkreten Gefahren bezüglich der Gesundheit des Antragstellers auszugehen.
Aufgrund der geltend gemachten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote beteiligte die Freie und Hansestadt …mit Schreiben vom 3. November 2015 das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG. Das Bundesamt teilte mit Schreiben vom 22. Januar 2019 im Wesentlichen mit, dass nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, dass bei dauerhaftem Aufenthalt in Kasachstan eine Rente ohne Abzüge ausbezahlt werde. Der Antragsteller sei daher zur Sicherung des Existenzminimums auf die finanzielle Unterstützung seiner in Deutschland lebenden Familie zu verweisen. Insoweit bestehe kein Abschiebungsverbot hinsichtlich Kasachstans. Sofern der Antragsteller jedoch zur alltäglichen Lebensführung direkte Unterstützung bzw. Betreuung benötige, lägen hinsichtlich Kasachstans die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG vor. Angaben hierzu seien der Akte jedoch nicht zu entnehmen. Eine abschließende Feststellung, ob ein Abschiebungsverbot vorliege, sei aufgrund der Aktenlage nicht möglich.
Mit Widerspruchsbescheid der Freien und Hansestadt …vom 16. Oktober 2019 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 2. September 2015 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass hinsichtlich der beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nicht von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abgesehen werden könne, da keine atypischen Umstände vorlägen. Der Antragsteller habe auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, da Art. 8 EMRK nicht betroffen sei. Der Antragsteller sei nicht im Bundesgebiet verwurzelt – er spreche kein Deutsch, arbeite nicht und habe den Integrationskurs nicht besucht – und auch die familiären Beziehungen zu seinen Kindern und Enkeln stehe hier nicht unter dem Schutz des Art. 8 EMRK, da kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis erkennbar sei. Zudem könne der Antragsteller seinen Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten. Eine Titelerteilung gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG komme ebenfalls nicht in Betracht, da kein Abschiebungsverbot vorliege.
Am 19. November 2019 erhob der Antragsteller zunächst beim Verwaltungsgericht Hamburg Klage gegen den Bescheid vom 2. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Oktober 2019. Das Klageverfahren wurde jedoch mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 26. Oktober 2020 (17 K 5369/19) nach erklärter Klagerücknahme eingestellt.
Am 20. Dezember 2019 wurde der Antragsteller am Grenzübergang … aus Russland kommend bei der Einreise in das Bundesgebiet von der Bundespolizei aufgegriffen.
Am 9. April 2020 stellte der Antragsteller in der Außenstelle des Bundesamtes in Zirndorf einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamtes vom 19. Juni 2020 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Kasachstans nicht vorliegen und der Antragsteller wurde unter Abschiebungsandrohung nach Kasachstan aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Dem Bescheid kann u.a. entnommen werden, dass der Antragsteller auf die Frage, was er bei einer Rückkehr nach Kasachstan befürchte, geantwortet hat, dass er sich vor nichts fürchten müsse. Er wisse nur nicht, wo er bei einer Rückkehr leben solle.
Am 30. Juni 2020 erhob der Antragsteller Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 19. Juni 2020, die beim Verwaltungsgericht Ansbach unter dem Aktenzeichen AN 4 K 20.30546 anhängig ist. Ein gleichzeitig gestellter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. Juni 2020 (AN 4 S 20.30545) abgelehnt.
Mit Schreiben vom 1. September 2020 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, mitzuteilen, ob er bereit sei, freiwillig seiner vollziehbaren Ausreisepflicht in sein Heimatland Kasachstan nachzukommen. Eine Reaktion erfolgte nicht.
Am 4. November 2021 zeigte sich die Bevollmächtigte des Antragstellers beim Antragsgegner an und übermittelte einen Schriftsatz vom 4. September 2020, welchen sie bereits im anhängigen Asylklageverfahren (AN 4 K 20.30546) vorgelegt hatte. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Kasachstans gegeben seien. Der Antragsteller wäre in Kasachstan völlig auf sich allein gestellt und aufgrund seines Alters mittellos. Er spreche nur Russisch. Die kasachische Sprache, die inzwischen dort erste Amtssprache sei, sowie die kasachische Schrift beherrsche er nicht. In Kasachstan habe er zwar ca. acht Jahre lang gearbeitet, sei aber überwiegend in Naturalien bezahlt worden. Dementsprechend niedrig dürfte sein kasachischer Rentenanspruch sein. Zudem müsse man in Kasachstan vor Ort und gemeldet sein, um eine Rente beantragen zu können. Ein tragfähiges Sozialsystem gebe es nicht. Seine Familie in Deutschland könnte den Antragsteller nicht hinreichend unterstützen. Hinzu käme noch die Covid-19 Pandemie. Eine Ausreise nach Russland mit dem Ziel einer dortigen dauerhaften Wohnsitznahme sei aufgrund der fehlenden russischen Staatsangehörigkeit des Antragstellers ausgeschlossen.
Mit E-Mail vom 1. Dezember 2021 teilte die Bevollmächtigte des Antragstellers dem Antragsgegner mit, dass sich die Tochter des Antragstellers bei der russischen und der kasachischen Botschaft erkundigt habe, auf welchem Wege der Antragsteller die russische Staatsbürgerschaft oder zumindest eine Aufenthaltserlaubnis für Russland erlangen könnte. Im Wesentlichen wird ausgeführt, dass der Antragsteller von Deutschland aus über die Botschaft der Russischen Föderation eine befristete Aufenthaltserlaubnis für Russland erhalten und dann in Russland einen Antrag auf dauerhafte Staatsbürgerschaft stellen könne. Dafür benötige die Botschaft der Russischen Föderation u.a. einen aktuellen kasachischen Pass, da der Pass, den der Antragsteller derzeit besitze (gültig bis 2040), nicht mehr aktuell sei, da es seit 2004 neue Pässe gebe. Den Pass könne er in der Botschaft der Republik Kasachstan umtauschen.
Mit Schreiben von 9. Dezember 2021 führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, dass ein neuer kasachischer Reisepass sowie ein russischer Aufenthaltstitel auch von Kasachstan aus beantragt werden könnten. Es bestehe keine Notwendigkeit, diese Verfahren im Bundesgebiet durchzuführen. Es wurde nochmals angefragt, ob der Antragsteller bereit sei, freiwillig nach Kasachstan auszureisen.
Am 27. Dezember 2021 stellte der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte den streitgegenständlichen Antrag nach § 123 VwGO. Gleichzeitig informierte die Bevollmächtigte den Antragsgegner darüber, dass sie beim Verwaltungsgericht Ansbach einen Antrag auf Erteilung einer Duldung zwecks Beantragung eines neuen kasachischen Passes und einer Aufenthaltserlaubnis für Russland gestellt habe. Sollte das Gericht diesen Antrag ablehnen, sei der Antragsteller zu einer freiwilligen Ausreise nach Kasachstan bereit und es werde dann um entsprechende Förderungen gebeten.
Zur Begründung des Eilantrags wird im Wesentlichen ausgeführt, dass auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 4. September 2020 verwiesen werde, der bereits im anhängigen Asylklageverfahren vorgelegt worden sei. In den letzten Wochen seien Gespräche mit dem Antragsgegner über eine freiwillige Rückkehr des Antragstellers nach Russland geführt worden. Hintergrund sei der in der Stellungnahme vom 4. September 2020 dargestellte Sachverhalt, dass der Antragsteller nur eine sehr kurze Zeit seines Lebens in Kasachstan gelebt habe, die dortige Landessprache nicht spreche, dort auch über keinerlei soziale Kontakte verfüge und sich außerdem jenseits des Erwerbsfähigkeitsalters befinde. In Russland hingegen spreche er die Landessprache und es lebe dort seine Schwester. Da der Antragsteller als offiziell kasachischer Staatsangehöriger sich nur jeweils befristet in Russland aufhalten dürfe, habe man sich überlegt, welche Möglichkeiten es für den Antragsteller geben könne, wieder längerfristig in Russland zu leben. Eine Einbürgerung von Deutschland aus sei nicht möglich, hingegen aber die Beantragung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis für Russland. Erforderlich für die Beantragung einer derartigen Aufenthaltserlaubnis von Deutschland aus sei aber zumindest die Erteilung einer vorübergehenden Duldung zwecks Beantragung eines gültigen kasachischen Passes. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2021 habe der Antragsgegner jedoch einen weiteren Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland zwecks Beantragung eines neuen kasachischen Passes und der Beantragung einer russischen Aufenthaltserlaubnis von Deutschland aus abgelehnt und um Mitteilung bis 27. Dezember 2021 gebeten, ob eine freiwillige Ausreise in die Republik Kasachstan angestrebt werde. Anderenfalls sei mit einer Abschiebung zu rechnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin (zutreffend: den Antragsgegner) im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, eine Duldung auszustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass bereits kein Anordnungsgrund vorliege, da konkrete Zwangsmaßnahmen nicht zeitnah bevorstünden. Der Antragsteller sei aufgefordert worden, bis zum 27. Dezember 2021 mitzuteilen, ob eine freiwillige Ausreise in Betracht gezogen werde. Nach Ablauf der Frist werde ein Schubauftrag gestellt. Nach Rücksprache mit dem zuständigen Landesamt für Asyl und Rückführungen könne ein konkreter Termin für die Rückführung voraussichtlich innerhalb der nächsten acht Wochen mitgeteilt werden. Es bestehe darüber hinaus kein Anordnungsanspruch. Die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid des Bundesamtes vom 19. Juni 2020 sei seit dem 15. Juli 2020 vollziehbar. Die gewährte Ausreisefrist sei bereits erheblich überschritten worden. Auf eine erste Anfrage bezüglich der Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise vom 1. September 2020 sei keine Reaktion erfolgt. Die Bevollmächtigte des Antragstellers habe am 9. November 2021 telefonisch mitgeteilt, dass grundsätzlich Interesse an einer geförderten freiwilligen Ausreise bestehe. Aufgrund des nun bekundeten Interesses an einer freiwilligen Ausreise sei am 24. November 2021 ein telefonisches Beratungsgespräch mit der Bevollmächtigten des Antragstellers durch die zuständige Sachbearbeiterin geführt worden. Während des Gesprächs sei von Seiten des Rechtsbeistands mitgeteilt worden, dass eine Ausreise in die Russische Föderation angestrebt werde. Die Bevollmächtigte hätte daraufhin bis zum 2. Dezember 2021 mitteilen sollen, ob eine freiwillige Ausreise durchgeführt werde. Mit elektronischer Nachricht vom 1. Dezember 2021 seien die Möglichkeiten für die Einreise in die Russische Föderation durch den Rechtsbeistand dargestellt worden. Es sei nicht mitgeteilt worden, ob eine freiwillige Ausreise angestrebt werde. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2021 sei nochmals zur Klärung der Bereitschaft einer freiwilligen Ausreise eine Fristverlängerung bis zum 27. Dezember 2021 gewährt worden. Mit elektronischer Nachricht vom 27. Dezember 2021 habe die Bevollmächtigte mitgeteilt, dass ein Antrag gemäß § 123 VwGO beim Verwaltungsgericht Ansbach gestellt worden sei und dass der Antragsteller im Falle einer ablehnenden Entscheidung bereit sei, freiwillig und gefördert nach Kasachstan auszureisen. Nachweise zur Beantragung eines russischen Visums oder eines russischen Aufenthaltstitels seien bislang nicht vorgelegt worden. Es lägen keine tatsächlichen oder rechtlichen Gründe vor, die eine Abschiebung unmöglich machen würden (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Insbesondere liege ein gültiges Reisedokument vor. Auch seien aktuell weder vom Bundesamt noch im Zuge des Klageverfahrens vom Verwaltungsgericht Ansbach Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG angenommen worden. An diese Entscheidung sei der Antragsgegner gebunden (§ 6 und § 42 AsylG). Dringende humanitäre oder persönliche Gründe, die eine vorübergehende weitere Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet erforderten, seien nicht ersichtlich. Eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG scheide somit aus. Sofern der Antragsteller einen russischen Aufenthaltstitel begehre, könne dieser bei einer russischen Auslandsvertretung in seinem Heimatland beantragt werden. Es bestehe keine Notwendigkeit, dieses Verfahren im Bundesgebiet durchzuführen. Insbesondere da auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse in Bezug auf Kasachstan gegeben seien und ein visumsfreier Aufenthalt in der Russischen Föderation möglich sei. Daneben seien mit Ausnahme einer Informationsbeschaffung durch die Tochter des Antragstellers bislang keinerlei Bestrebungen zur Beantragung eines russischen Aufenthaltstitels bei einer russischen Auslandsvertretung im Bundesgebiet nachgewiesen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg, da er bereits unzulässig ist.
1. Der Antrag ist unzulässig, da es an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis mangelt. Nach Aktenlage hat der Antragsteller vor der Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes keinen Antrag auf Erteilung einer Duldung beim Antragsgegner gestellt, was jedoch nach obergerichtlicher Rechtsprechung zwingend erforderlich gewesen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 15.9.2021 – 10 C 21.2212 – juris Rn. 19). Mit Schreiben des Antragsgegners vom 1. September 2020 wurde der Antragsteller auf die vollziehbare Ausreisepflicht hingewiesen und um Mitteilung bis 15. September 2020 gebeten, ob er bereit sei, freiwillig auszureisen. Eine Reaktion erfolgte nicht. Mit E-Mail vom 4. November 2021 zeigte sich die Bevollmächtigte beim Antragsgegner an und bat um ein „sehr zeitnahes Telefongespräch“. Die Erteilung einer Duldung wurde nicht beantragt; die Bevollmächtigte fügte lediglich ihren Schriftsatz vom 4. September 2020 bei, mit dem sie die Asylklage des Antragstellers begründet hatte. Ein erstes Telefongespräch fand sodann ausweislich einer Gesprächsnotiz des Antragsgegners am 9. November 2021 statt. Der Gesprächsnotiz kann entnommen werden, dass die Bevollmächtigte darüber informiert wurde, dass der Antragsteller jederzeit mit einer Abschiebung zu rechnen habe. Eine Duldung wurde dennoch nicht beantragt. Vielmehr bat die Bevollmächtigte um Kontaktaufnahme, sobald sich der Antragsteller – der zu diesem Zeitpunkt unbekannten Aufenthalts war – wieder in seiner Unterkunft befinde. Ausweislich eines Aktenvermerks des Antragsgegners vom 24. November 2021 fand an diesem Tag ein weiteres Telefonat mit der Bevollmächtigten statt. Inhaltlich ging es um die Fördermöglichkeiten und das Ausreiseverfahren nach Kasachstan. Eine Duldung wurde erneut nicht beantragt. Mit E-Mail vom 1. Dezember 2021 informierte die Bevollmächtigte den Antragsgegner darüber, auf welchem Weg der Antragsteller von Deutschland aus eine Aufenthaltserlaubnis für Russland erhalten könne. Zudem erkundigte sie sich nach Rückkehrhilfen in Bezug auf Russland. Eine Duldung wurde abermals nicht beantragt. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2021 teilte der Antragsgegner mit, dass der Antragsteller auch von seinem Heimatland aus einen Aufenthaltstitel für Russland beantragen könne. Es wurde um Mitteilung bis 27. Dezember 2021 gebeten, ob eine freiwillige Ausreise in die Republik Kasachstan angestrebt werde. Sofern sich der Antragsteller nicht bis zum 27. Dezember 2021 für eine freiwillige Ausreise entscheide, sei mit einer zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung zu rechnen. Am 27. Dezember 2021 stellte die Bevollmächtige daraufhin beim erkennenden Gericht den streitgegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Duldung und informierte den Antragsgegner mit E-Mail vom selben Tag darüber, dass sie „einen Antrag beim Verwaltungsgericht Ansbach auf Erteilung einer Duldung (zwecks Beantragung eines neuen kasachischen Passes und einer Aufenthaltserlaubnis für Russland) gestellt habe“. Nachdem somit der Antrag auf Erteilung einer Duldung erstmals im gerichtlichen Verfahren gestellt wurde, fehlt es dem Eilantrag am Rechtsschutzbedürfnis. Selbst wenn der Antragsteller nunmehr nachträglich beim Antragsgegner einen Antrag auf Erteilung einer Duldung stellen würde, würde dies nicht zur Zulässigkeit des streitgegenständlichen Eilantrags führen, da ein nachträglich beim Antragsgegner gestellter Antrag nicht Gegenstand des vorliegenden Eilverfahrens wäre (vgl. BayVGH, B.v. 15.9.2021 – 10 C 21.2212 – juris Rn. 19).
2. Selbst wenn man – wie wohl die Bevollmächtigte des Antragstellers – das Schreiben des Antragsgegners vom 9. Dezember 2021 als Ablehnung einer (konkludent) beantragten Duldung verstehen würde, hätte der Eilantrag in der Sache keinen Erfolg, da der Antragsteller nach Aktenlage keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung hat.
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
a) Zwar ist im vorliegenden Fall entgegen der Ansicht des Antragsgegners von einem Anordnungsgrund auszugehen, da nach Aktenlage eine für den 19. Oktober 2021 geplante Abschiebung nur deswegen nicht durchgeführt werden konnte, weil der Antragsteller nicht in seiner Unterkunft angetroffen wurde. Der Antragsgegner hat zudem mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2021 mitgeteilt, nach dem 27. Dezember 2021 erneut einen Schubantrag beim zuständigen Landesamt für Asyl und Rückführungen stellen zu wollen. Eine Abschiebung des Antragstellers ist daher in absehbarer Zeit zu erwarten, sodass die für den Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderliche Eilbedürftigkeit gegeben ist.
b) Den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch hat der Antragsteller jedoch nicht glaubhaft gemacht.
aa) Die Abschiebevoraussetzungen nach § 58 AufenthG i.V.m. § 50 AufenthG liegen vor. Der Antragsteller ist gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, da er den für den Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 2. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Oktober 2019 lehnte die Freie und Hansestadt … die beantragten Aufenthaltserlaubnisse ab. Nach seiner Wiedereinreise nach Deutschland am 20. Dezember 2019 und anschließender Asylantragstellung war der Antragsteller lediglich im Besitz einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylG, die jedoch gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG am 15. Juli 2020 erlosch, als die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes vom 19. Juni 2020 in Folge des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. Juni 2020 (AN 4 S 20.30545) vollziehbar wurde.
bb) Die Abschiebung ist auch nicht gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, da keine tatsächlichen oder rechtlichen Abschiebungshindernisse ersichtlich sind. Der Antragsteller ist reisefähig (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG) und im Besitz eines bis 21. Oktober 2040 gültigen kasachischen Passes.
Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG glaubhaft gemacht.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen selbständigen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet; die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, entfaltet jedoch aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen und verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – juris Rn. 17 ff.). Erfüllt die Familie die Funktion einer Beistandsgemeinschaft, weil ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist, und kann dieser Beistand nur in Deutschland erbracht werden, so kann dies zur Unverhältnismäßigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen führen (vgl. BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn.5). Bei der Prüfung schutzwürdiger familiärer Belange ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 16).
Im vorliegenden Fall ist eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung im Hinblick auf Art. 6 GG nicht glaubhaft gemacht. Die Töchter des Antragstellers sind längst volljährig, haben eigene Familien und sind nicht auf die Hilfe des Antragstellers angewiesen. Der Antragsteller ist auch nicht auf die Lebenshilfe seiner Töchter angewiesen, was sich schon dadurch zeigt, dass der Antragsteller ohne seine Töchter in … lebt und beabsichtigt, dauerhaft in die Russische Föderation auszureisen.
Ein Duldungsanspruch lässt sich auch nicht aus Art. 8 Abs. 1 EMRK herleiten. Zwar lebt der …-jährige Antragsteller mittlerweile seit über 20 Jahren in Deutschland, von einer nachhaltigen, in besonderem Maße schützenswerten Integration ist jedoch dennoch nicht auszugehen. Der Antragsteller ist nach Aktenlage der deutschen Sprache nicht mächtig und nahm auch nicht an einem Integrationskurs teil, zu dem er im Jahr 2006 verpflichtet wurde. Eine nachhaltige berufliche Integration fand ebenfalls nicht statt. Zwar ging der Antragsteller in Deutschland über zehn Jahre einer Arbeit nach, war dann aber ab ca. 2012 arbeitslos und auf Sozialleistungen angewiesen, was letztlich auch der Grund dafür war, dass seine Aufenthaltserlaubnis von der Freien und Hansestadt … nicht weiter verlängert wurde.
cc) Schließlich ist der Wunsch des Antragstellers, von Deutschland aus eine Aufenthaltserlaubnis für die Russische Föderation zu beantragen, vorliegend auch nicht als dringender oder humanitärer Grund im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG anzuerkennen, der eine Ermessensduldung rechtfertigen würde.
Der Antragsgegner hat zutreffend ausgeführt, dass der Antragsteller einen russischen Aufenthaltstitel auch bei einer russischen Auslandsvertretung in seinem Heimatland Kasachstan beantragen kann. Es ist kein dringender oder humanitärer Grund ersichtlich, warum dies zwingend von Deutschland aus geschehen müsste. Soweit vorgetragen wird, dass der Antragsteller mit sämtlichen behördlichen Angelegenheiten stets überfordert sei und auch die in der E-Mail vom 1. Dezember 2021 dargestellten Auskünfte sämtlich von der in Deutschland lebenden Tochter, Frau …, eingeholt worden seien, ist anzumerken, dass dies wohl primär daran liegt, dass der Antragsteller der deutschen Amtssprache nicht mächtig ist. In Kasachstan hingegen ist Russisch, die Muttersprache des Antragstellers, eine der beiden Amtssprachen und darüber hinaus die vorherrschende und im Alltag dominierende Sprache (Wikipedia-Eintrag „Kasachstan“, https://de.wikipedia.org/wiki/Kasachstan, abgerufen am 5. Januar 2022). Überdies lebte und arbeitete der Antragsteller elf Jahre lang in Kasachstan und schloss auch vor einem kasachischen Standesamt die Ehe, sodass die Kammer davon überzeugt ist, dass es ihm möglich sein wird, in einer russischen Auslandsvertretung in Kasachstan einen Aufenthaltstitel für die Russische Föderation zu beantragen.
dd) Soweit zielstaatsbezogene Abschiebehindernisse geltend gemacht werden, ist der Antragsgegner gemäß § 42 Satz 1 AsylG an die Entscheidung des Bundesamtes vom 19. Juni 2020 gebunden, in der festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Kasachstans nicht vorliegen. Zwar ist der Bescheid des Bundesamtes vom 19. Juni 2020 noch nicht bestandskräftig, die Bindungswirkung tritt jedoch grundsätzlich bereits mit der Bekanntgabe der Entscheidung gegenüber dem Ausländer ein (vgl. Pietzsch in BeckOK AuslR, Stand 1.4.2021, § 42 AsylG Rn. 7). Überdies kam der zuständige Einzelrichter des Verwaltungsgerichts Ansbach im Rahmen einer summarischen Prüfung mit Beschluss vom 30. Juni 2020 (AN 4 S 20.30545) ebenfalls zu dem Ergebnis, dass keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote vorliegen. Für die erkennende Kammer bestehen keine Anhaltspunkte, diese Feststellung in Zweifel zu ziehen, zumal sich das Bundesamt im Bescheid vom 19. Juni 2020 ausführlich mit der konkreten Rückkehrsituation des Antragstellers – auch im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie – beschäftigt hat.
Nach alledem war Eilantrag abzulehnen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m Ziffer 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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