Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungsverbot bei alleinerziehender nigerianischer Asylbewerberin mit minderjährigen Kindern

Aktenzeichen  M 27 K 17.39375

Datum:
24.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26928
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylG § 77 Abs. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Zu individuellen Umständen, zu denen eine Asylbewerberin glaubhaft vorzutragen hat, zählt auch die Feststellung, ob es sich bei ihr um eine alleinerziehende Mutter handelt und ob von einer gemeinsamen Rückkehr mit dem mutmaßlichen Kindsvater im Familienverband auszugehen ist. (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass in Nigeria überall und allgemein in der Gesellschaft ein hoher Beschneidungsdruck herrscht. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass die Praxis der Genitalverstümmelung lediglich noch in Teilen Nigerias verbreitet ist und insbesondere in den anonymen Großstädten keine entsprechende Handhabung besteht. (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage der Betroffenen einschließlich ihrer Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Ein besonderer Ausnahmefall, in dem humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. hierzu VGH München BeckRS 2015, 54522), ist auch bei der schwierigen wirtschaftlichen Situation in Nigeria, insbesondere für alleinstehende Frauen, nicht gegeben. (Rn. 20 – 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen in Nigeria allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG dar. Auch bei alleinstehenden jungen Müttern und ihren Kindern lässt sich in Nigeria keine Extremgefahr prognostizieren. (Rn. 23 – 24) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Die gegenwärtige Situation in Nigeria wird durch die Corona-Pandemie nicht dergestalt zum Schlechten verändert, dass die Schwelle des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG überschritten wäre (vgl. VG Würzburg BeckRS 2020, 12951). Auch im Falle einer Rückkehr einer Asylbewerberin nach Nigeria  besteht für diese keine extreme Gefahrenlage in Form des sicheren Todes oder schwerster Verletzungen; dies gilt gerade im Hinblick auf die dort gegenwärtig stagnierenden Zahlen an Personen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. (Rn. 30) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. Juli 2020 trotz Ausbleibens der Beklagtenseite entschieden werden. Diese wurde ausweislich des gerichtlichen Schreibens vom 8. Juni 2020 und des Generalverzichts auf förmliche Ladung ordnungsgemäß zum Termin geladen. In dem Ladungsschreiben hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten ist auch zu dem nach § 77 Abs. 1 AsylG für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben – auch unter Berücksichtigung der veränderten familiären Umstände – keinen Anspruch auf die begehrte Verpflichtung der Beklagten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt insgesamt den Feststellungen und der Begründung in dem streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten. Auf die dortigen Ausführungen wird insbesondere hinsichtlich des rechtlichen Rahmens und des Prüfungsmaßstabes bezüglich des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG verwiesen. Von einer nochmaligen Darstellung wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG abgesehen.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich auch aus dem Vorbringen der Kläger im gerichtlichen Verfahren und der zwischenzeitlich veränderten familiären Situation keine asylerhebliche Gefährdungslage ergibt, welche zu einem Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen könnte.
1. Den Klägern droht in Nigeria im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG und Art. 3 EMRK keine auf Grund eines ganz außergewöhnlichen Falles ungewöhnlich schlechte humanitäre Situation. Ferner führt in Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG eine Rückkehr der Kläger nach Nigeria für diese zu keiner extremen Gefahrenlage in Form des sicheren Todes oder schwerster Verletzungen. Auch die zwischenzeitlich in dem Bundesgebiet erfolgte Geburt der weiteren Kinder ändert nichts an der rechtlichen Beurteilung. Das Verwaltungsgericht geht von einer gemeinsamen Rückkehr der Klägerin mit ihrem Lebensgefährten und den Kindern aus, da es den Vortrag der Klägerin zu ihren persönlichen und familiären Lebensumständen – insbesondere dazu, dass sie nicht wisse, wo sich ihr Lebensgefährte aufhalte – für nicht glaubhaft erachtet. Selbst bei Wahrunterstellung ihres Vorbringens wäre die Schwelle zu der Feststellung eines Abschiebungsverbotes – insbesondere unter Berücksichtigung der für alleinerziehende zurückkehrende Mütter gewährten Rückkehr- und Starthilfen in Nigeria – nicht überschritten.
a) Das Gericht erachtet den Vortrag der Klägerin, dass sie nicht wisse, wo sich ihr Lebensgefährte aufhalte und dass sie alleinerziehende Mutter sei, bereits als nicht glaubhaft. Gleiches gilt für den nun erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgten Vortrag, dass sie eine Beschneidung bei sich und ihrer Tochter in Nigeria befürchte.
Hinsichtlich des vom einem Asylsuchenden geltend gemachten individuellen Verfolgungsschicksals muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Ein Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen und er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, U. v. 8.5.1984 – 9 C 141.83 – juris Rn. 11, m.w.N.; BVerwG, U. v. 16.04.1985 – 9 C 109.84 – juris Rn. 16, m.w.N.). Werden im Laufe des Verfahrens ohne plausible Erklärung unterschiedliche Angaben gemacht, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert und insbesondere ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt, so fehlt es in der Regel an der Glaubhaftmachung der Verfolgungsgründe (HessVGH, U. v. 04.09.2014 – 8 A 2434/11.A – juris Rn. 15; VGH BW, U. v. 27.08.2013 – A 12 S 2023/11 – juris Rn. 35). Damit korrespondiert die sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO ergebende Mitwirkungspflicht der Asylbewerberin, der es obliegt, die in ihre eigene Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere ihre persönlichen Erlebnisse in sich stimmig zu schildern (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141.83 – juris Rn. 11 m. w. N.; vgl. zu Alldem: VGH München Beschluss vom 8.8.2018 – 9 ZB 18.31793, BeckRS 2018, 20069, beck-online). Im Übrigen ist es diesbezüglich ausschließlich Sache des Tatrichters, sich selbst die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags zu verschaffen (vgl. BVerwG, B.v. 22.2.2005 – 1 B 10.05 – juris Rn. 2).
Diese Anforderungen gelten nicht nur hinsichtlich der Glaubhaftmachung eines individuellen asylerheblichen Verfolgungsschicksales, sondern auch hinsichtlich der aus der persönlichen Sphäre eines Asylbewerbers stammenden, nicht selbst von dem Gericht tatsächlich aufklärbaren, individuellen Umstände, welche als Maßstab zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes heranzuziehen sind. Bereits aus vorbenannten prozessualen Mitwirkungspflichten sind die Kläger gehalten, umfassend die in ihre eigene Sphäre fallenden Ereignisse zu schildern, welche nach ihrer Auffassung zufolge geeignet sind, den Anspruch zu begründen. (vgl. VG Aachen, U.v. 4.4.2017 – 2 K 2268/15 – juris Rn. 32 ff. m.w.N.).
Zu diesen individuellen Umständen, zu welchen die Asylbegehrende glaubhaft vorzutragen hat, ist auch die Feststellung zu zählen, ob es sich bei ihr um eine alleinerziehende Mutter handelt oder ob von einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband auszugehen ist. Das Gericht selbst kann schließlich nicht die diesbezüglichen Lebensumstände aufklären, da diese aus der höchstpersönlichen Sphäre der Asylbewerberin stammen. Das Gericht geht in dem vorliegenden Fall auf der Grundlage der nachprüfbaren Anhaltspunkte und des individuellen Vorbringens der Klägerin davon aus, dass ihr Vortrag in der mündlichen Verhandlung, dass sie alleinerziehende Mutter sei und keinen Kontakt zu ihrem Lebensgefährten habe, nicht glaubhaft ist. Die Klägerin hat in dem gerichtlichen Verfahren bereits zweimal vorgetragen, dass sie alleinerziehende Mutter sei und keinen Kontakt zu dem Vater ihrer Kinder habe. Ebenso zweimal hat sie in der Zwischenzeit jedoch von diesem ein Kind zur Welt gebracht. Das Gericht geht daher davon aus, dass das Vorbringen der Klägerin, dass sie nicht wisse, wo sich ihr Lebensgefährte aufhalte, lediglich asyltaktisch motiviert war und ist. Auch der Auszug aus dem AZR, ausweislich dessen der Lebensgefährte gegenwärtig als „unbekannt verzogen“ geführt wird, stützt das Vorbringen der Klägerin nicht. Insofern ist nämlich zu berücksichtigen, dass der „Meldestatus“ des Lebensgefährten insgesamt neun Einträge für die Zeit seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik aufweist und er bereits dreimal – auch vor der Geburt weiterer Kinder – als nach „unbekannt“ verzogen gemeldet worden ist. Auch das Vorbringen zu einer befürchteten Beschneidung der Klägerin und ihrer kleinen Tochter erfolgte erstmalig in der mündlichen Verhandlung und wirkt daher asyltaktisch motiviert und nicht glaubhaft. Die Klägerin hat nachgeschoben und vollkommen unsubstantiiert und oberflächlich geäußert, zu befürchten, dass sie und ihre Tochter in dem Falle einer Rückkehr nach Nigeria beschnitten würden. Die Klägerin hat nicht einmal dargelegt, von wem sie eine entsprechende Handlung befürchte. Da sie selbst vorgetragen hat, dass sie über keine Familienangehörige in Nigeria verfüge, scheiden diese bereits als treibende Kraft für eine Beschneidungshandlung aus. Dafür, dass in Nigeria überall und allgemein in der Gesellschaft ein hoher Beschneidungsdruck herrsche, bestehen jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass die Praxis der Genitalverstümmelung lediglich noch in Teilen Nigerias verbreitet ist und insbesondere in den anonymen Großstädten keine entsprechende Handhabung besteht (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Auswärtiges Amts, v. 16.1.2020, Seite 15). Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass das nachträgliche gesteigerte Vorbringen asyltaktisch motiviert ist. Insgesamt ist der Vortrag der Kläger derart pauschal, vage und von Widersprüchen durchzogen, dass das Gericht – insbesondere nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung – nicht die Überzeugung von der Wahrheit des Vorbringens gewinnen konnte.
b) Auch besteht zugunsten der Kläger kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 AufenthG. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685 – EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK setzt voraus, dass dem Betroffenen im Fall der Abschiebung im Zielgebiet eine erhebliche individuelle Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Schlechte humanitäre Verhältnisse können dann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK darstellen, wenn diese ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nichtstaatlicher Akteure beruhen, die dem Staat zurechenbar sind, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will. Ganz außerordentliche individuelle Umstände müssen dagegen hinzutreten, um schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet als „Behandlung“ im Sinne von Art. 3 EMRK anzusehen, wenn diese nicht überwiegend auf Handlungen der genannten Akteure zurückzuführen sind (vgl. VGH BW, U.v. 24.07.2013 – A 11 S 697/13 – juris Rn. 71, 79ff. m.w.N.). Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage der Betroffenen einschließlich ihrer Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, wobei ein sehr hohes Gefährdungsniveau vorauszusetzen ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.10.2012 – 10 B 16/12 – juris Rn. 8 m.w.N.; BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23f. m.w.N.; vgl. auch BayVGH, B.v. 30.09.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris Rn. 5). Maßgeblich sind die Gesamtumstände des jeweiligen Falls, Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017, 3 A 140/16 – juris Rn. 53 m.w.N.; OVG Lüneburg, U.v. 07.09.2015 – 9 LB 98/13 – juris Rn. 26).
Die von den Klägern vorgebrachte schwierige wirtschaftliche Situation in Nigeria, insbesondere für alleinstehende Frauen, ist für sich genommen nicht geeignet, die Annahme einer solchen ungewöhnlichen humanitären allgemeinen Situation zu rechtfertigen. Die Klägerin hat in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, zuletzt in … in der Mitte Nigerias („…“) gelebt zu haben und damit in einer Gegend, in der alleinstehende Frauen eher akzeptiert werden. Ausweislich des Lageberichtes ist die Situation für Frauen vornehmlich im Norden und Osten Nigerias schwierig (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Auswärtiges Amts, v. 16.1.2020, Seite 14, Ziff. 1.8). Die Klägerin ist gesund und arbeitsfähig. Darüber hinaus hat sie sechs Jahre lang die Schule besucht und durch das Verkaufen von Lebensmitteln auf dem Markt bereits erste Berufserfahrung gesammelt, um wenigstens ein existenzsicherndes Leben führen zu können. Es ist ihr auch zumutbar, gegebenenfalls Hilfstätigkeiten zu übernehmen. Darüber hinaus hat die Klägerin – unterstellt es handele sich bei ihr um eine alleinerziehende Mutter – nun bereits über viele Jahre beweisen, dass sie selbst ihr Leben mit den drei Kindern in die Hand nehmen kann.
Auf der Grundlage des Vorbringens der Klägerin und der aus der Akte ersichtlichen Anhaltspunkte geht das Gericht im Übrigen davon aus, dass die Klägerin zusammen mit ihrem ebenso als Asylbewerber bestandkräftig abgelehnten Lebensgefährten nach Nigeria zurückkehrt und stellt mithin eine gemeinsame Rückkehrprognose an (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris Rn. 15). Hiernach ist davon auszugehen, dass die Klägerin zusammen mit ihrem Lebensgefährten die Betreuung der Kinder und die Sicherung der Existenz der Familie arbeitsteilig sichern kann. Die regelmäßige – und auch im vorliegenden Fall getätigte – Annahme der Beklagten, eine gesunde und arbeitsfähige junge Frau könne bei einer Rückkehr mindestens das Existenzminimum erreichen, ist insoweit nicht ernstlich zweifelhaft. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Bedingungen der Rückführung und der Reintegration abgefedert werden können. Das Verwaltungsgericht verweist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit von Rückkehr- und Starthilfen. Internationale Akteure wie GIZ und IOM (mit deutscher und EU-Finanzierung) sind mittlerweile bemüht, neue Rückkehrer bzw. Migrationsberatungszentren in Nigeria aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben Migrationsberatungszentrum der GIZ in Abuja, Lagos und Benin City ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Auswärtiges Amts, v. 16.1.2020, Seite 23).
c) Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen in Nigeria allgemein hart sind, stellt für sich gesehen darüber hinaus keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG), ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die Abschiebung wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (BVerwG, U. v. 12.07.2001 – 1 C 5.01 – juris Rn. 16 m.w.N), also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, U.v. 29.06.2010 – 10 C 10.09 – juris Rn. 15 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, U. v. 12.07.2001 – 1 C 5.01 – juris Rn. 16).
Solche allgemeinen Gefahren aufgrund der schlechten Lebensbedingungen, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einem Großteil der Bevölkerung und insbesondere der Gruppe der alleinstehenden Frauen in Nigeria drohen, genügen allerdings für sich noch nicht zur Begründung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Denn diese Gefahren treffen auf eine Vielzahl von Personen mit gleichem Merkmal zu, mit der Folge, dass insofern grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG (s.o.) eingreift. Das Gericht geht – selbst bei Unterstellung, dass es sich bei der Klägerin um eine alleinerziehende Mutter handelt – daher nicht generell davon aus, dass bei alleinstehenden jungen Müttern und ihren Kindern eine Extremgefahr zu prognostizieren ist. Es gibt zwar gerade für alleinstehende Mütter soziale Schwierigkeiten in Nigeria, insbesondere in traditionell geprägten Landesteilen. Jedoch werden alleinstehende oder alleinlebende Frauen im liberaleren Südwesten – und dort vor allem in den größeren Städten – grundsätzlich akzeptiert (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria v. 16.01.2020, S. 15). Trotz aller Schwierigkeiten ist es üblicherweise für Frauen und alleinstehende Mütter möglich, Arbeit zu finden (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Nigeria, Stand: 20.05.2020, S. 46 m.w.N.).
Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen für eine solche ganz ausnahmsweise auf die allgemein schwierigen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegen und die Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ausgesetzt sind, die sich alsbald nach ihrer Ankunft in Nigeria realisieren wird. Denn wie bereits ausgeführt, ist nicht ersichtlich, dass die Kläger in Nigeria völlig auf sich allein gestellt wären und die Klägerin dort nicht in der Lage wäre, die Lebensgrundlage für sich und den Kläger und die weiteren Kinder zumindest oberhalb des Existenzminimums zu sichern.
d) Ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen besteht ebenfalls nicht.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies wäre dann der Fall, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, so dass die Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint, weil er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, wobei sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren müssten (BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9.95 – juris Rn. 14; B.v. 14.11.2007 – 10 B 47.07 – juris Rn. 3; U.v. 29.9.2011 – 10 C 23.10 – juris Rn. 20). Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Dabei ist es gemäß § 60 Abs. 7 Sätze 3 und 4 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch dann vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Gemessen an diesen rechtlichen Vorgaben kann unter Zugrundelegung des Vorbringens der Kläger auch im gerichtlichen Verfahren nicht vom Vorliegen einer individuellen erheblichen konkreten Gefahr u.a. für Leib und Leben im Sinne dieser Bestimmung bei einer Rückkehr des Klägers nach Nigeria ausgegangen werden. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, welcher auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anwendbar ist (BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris Rn. 7), wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG), welche insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung u. a. sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten soll (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG). § 60a Abs. 2c Satz 2, 3 AufenthG gilt entsprechend bei § 60 Abs. 7 AufenthG (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).
Die Kläger haben bereits keine qualifizierte ärztliche Bescheinigung oder sonstigen Dokumente, welche den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG genügen, vorgelegt. Sie haben mithin die ihnen obliegende Darlegungslast nicht erfüllt, so dass vermutet wird, dass die Gründe einer Abschiebung nicht entgegenstehen. Insbesondere ist das in dem Rahmen der mündlichen Verhandlung von der Klägerin vorgelegte ärztliche Schreiben vom … … 2020 nicht geeignet, eine entsprechende Gefahr zu begründen. Ausweislich des Schreibens hat die „Mutter in dem Ohr [des Klägers] etwas gesehen“ und es würde sich dabei um ein „Cerumen links“ (Ohrenschmalz) handeln. Das Schreiben ist mithin nicht einmal im Ansatz geeignet, eine tragfähige, die vorbenannten Anforderungen erfüllende, ärztliche Bescheinigung darzustellen.
e) Etwas Anderes ergibt sich auch nicht anlässlich der Lage aufgrund der „CoViD-19“-Pandemie und der vorhandenen bzw. erreichbaren medizinischen Versorgung in Nigeria. Das Gericht erachtet die gegenwärtige Situation in Nigeria nicht dergestalt durch das „Coronavirus“ zum Schlechten verändert, als dass etwa die Schwelle des § 60 Abs. 5 AufenthG überschritten sei (vgl. dazu m.w.N. VG Würzburg, U.v. 8.6.2020 – W 8 K 20.30074 – juris; U.v. 8.6.2020 – W 8 K 20.30044 – juris; B.v. 27.5.2020 – W 8 S 20.30549). Auch führt in Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG eine Rückkehr der Kläger nach Nigeria für diese zu keiner extremen Gefahrenlage in Form des sicheren Todes oder schwerster Verletzungen. Dies gilt gerade im Hinblick auf die in Nigeria gegenwärtig stagnierenden Zahlen an Personen, welche sich mit dem Coronavirus infiziert haben. So weist etwa das offizielle, durch die nigerianische Staatsregierung geführte, Zahlenwerk (öffentlich zugängliche Seite der nigerianischen Regierung: https://covid19.ncdc.gov.ng/) für den 12. Oktober 2020 leidlich 163 Neuinfektionen aus. Die nigerianische Staatsregierung hat eine Fülle von Maßnahmen ergriffen, um das Virus einzudämmen. Die Fallzahlen Nigerias (ausweislich der offiziellen Statistik vom 12.10.2020: insgesamt 60.266 Infizierte, 1.115 Verstorbene und 7.416 aktive Fälle) sprechen gegenüber den Fallzahlen der Bundesrepublik (ausweislich des täglichen Lageberichtes des RKI v. 12.10.2020: insgesamt 326.309 Infizierte, 9.626 Verstorbene und 38.885 aktive Fälle) nicht für eine außergewöhnliche Belastung des Staates, so dass auch nicht von einer dramatischen Verschlechterung seit Beginn der weltweiten Epidemie gesprochen werden kann. Mag sich insofern auch die wirtschaftliche Gesamtlage in Nigeria verschlechtert haben, so erachtet das Gericht dies als nicht so gravierend, als dass sich für die Kläger hieraus eine extreme Gefahrenlage in dem Falle einer Rückkehr ergibt. Es ist für Nigeria nicht bekannt, dass es bei der Nahrungsmittel- und Wasserversorgung zu einem Mangel kommt, der über das übliche Ausmaß hinausgehen würde, wenngleich es in manchen Bereichen zu einem Preisanstieg gekommen ist (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage vom 10.06.2020, S. 3 m.w.N.).
2. Auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der § 34, § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die im Bescheid gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausgesprochene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ist nach Maßgabe des § 114 VwGO nicht zu beanstanden. Über die Länge der Frist wird gem. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden, wobei die Befristung im Regelfall fünf Jahre nicht überschreiten darf. Die von der Beklagten festgesetzte Frist hält sich im o. g. Rahmen. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermessensausübung sind nicht erkennbar.
III.
Im Übrigen folgt das Gericht den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsakts und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
IV.
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, ergibt sich die Kostenentscheidung aus § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

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