Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Anhörung in der Muttersprache im Asylverfahren

Aktenzeichen  M 5 S 21.30743

Datum:
16.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23878
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 17 Abs. 1, § 30 Abs. 3 Nr. 1, § 77 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 5
§ 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
GG Art. 16a Abs. 4, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Es besteht kein Anspruch von Asylbewerbern auf einen Dolmetscher nur in ihrer Muttersprache oder auf den bestmöglichen Dolmetscher, wenn dem Betroffenen eine ausreichende Verständigung über den Dolmetscher möglich ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der 1967 geborene Antragsteller ist ugandischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben auf dem Landweg aus Italien in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am … Februar 2020 einen Asylantrag. Ein Bescheid vom … Juni 2020, mit dem der Asylantrag als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet worden war, wurde mit Bescheid vom … Dezember 2020 aufgehoben.
Bei der Anhörung am … März 2021 vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), welche in der Sprache Englisch durchgeführt wurde, gab der Antragsteller im Wesentlichen an, er habe Uganda wegen befürchteter Gefahren im Zusammenhang mit seiner Volkszugehörigkeit verlassen. In Uganda sei die Diktatur das Problem. Es würde keine rechtschaffende Justiz oder Polizei geben. Die jetzige Regierung habe Einfluss auf seine Volksgruppe, die Munganda/Ruganda. Der Diktator habe Einfluss auf die Polizei und die Gefängnisse. Er selbst sei nicht persönlich bedroht oder verfolgt worden, da er frühzeitig ein Zeichen erhalten habe und daraufhin seine Heimat verlassen habe. Er sei von Freunden und Nachbarn, welche eine Polizeipatrouille ausmachten, gewarnt worden. Er könne nicht nach Uganda zurück, da er befürchte, dass die Tussi-Gruppe ihn erwischen und festnehmen würde. Die Tussi-Gruppe würde zwar nicht gezielt gegen ihn vorgehen, jedoch gegen seine ethnische Gruppe, welche in Gefahr sei.
Mit Bescheid vom … März 2021 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und auf Asylanerkennung (Nr. 2) als offensichtlich unbegründet ab, erkannte den subsidiären Schutzstatus als offensichtlich unbegründet nicht zu (Nr. 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte die Antragstellerpartei auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls werde die Antragstellerpartei nach Uganda oder in einen anderen Staat, in den eingereist werden darf oder der zur Rückübernahme verpflichtet ist, abgeschoben (Nr. 5). In Nr. 6 wurde ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot verfügt. Der Bescheid wurde am … März 2021 zugestellt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerpartei am 31. März 2021 Klage (M 5 K 21.30742) und beantragte gleichzeitig,
gemäß § 80 V VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Bescheid des Bundesamtes sei unzulässiger Weise auf Grundlage einer Anhörung in einer anderen als der Muttersprache des Antragstellers erfolgt. Eine Begründung Seitens des Bundesamtes oder Zustimmung des Antragstellers hierfür läge nicht vor. Auch sei die Sprachvermittlung nicht unmittelbar, sondern per Bildschirm erfolgt. Es sei deshalb keine vernünftige Kommunikation zustande gekommen. Dem Antragsteller sei zu keinem Zeitpunkt bewusst gewesen, dass er seine persönliche individuelle Bedrohung hätte schildern müssen. Zudem würden die Ausführungen des Antragsgegners im angefochtenen Bescheid die Offensichtlichkeit der als offensichtlich unbegründet abgelehnten Anträge nicht begründen.
Die Antragsgegnerin legte die Akten vor und beantragte,
soweit ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO oder § 123 VwGO gestellt ist, wird beantragt, diesen abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige, insbesondere nach Aktenlage fristgerecht gestellte Antrag, ist unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (Art. 16a Abs. 4 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland/GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
1. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B.v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz/AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3). Nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist eine offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrags (unter anderem) dann anzunehmen, wenn das Vorbringen des Ausländers in wesentlichen Punkten nicht substantiiert ist.
2. Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als offensichtlich unbegründet. Das Gericht folgt den umfangreichen Feststellungen und der zutreffenden ausführlichen Begründung des angefochtenen Bescheids vollumfänglich (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist lediglich ergänzend auf Folgendes hin:
a) Ein Anhörungsmangel ist nicht ersichtlich. Ist der Ausländer der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig, so ist gemäß § 17 Abs. 1 AsylG von Amts wegen bei der Anhörung ein Dolmetscher, Übersetzer oder sonstiger Sprachmittler hinzuzuziehen, der in der Muttersprache des Ausländers oder in eine andere Sprache zu übersetzen hat, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann und in der er sich verständigen kann. Es besteht kein Anspruch von Asylbewerbern auf einen Dolmetscher nur in ihrer Muttersprache oder auf den bestmöglichen Dolmetscher. Vielmehr genügt es grundsätzlich, dass dem Betroffenen eine ausreichende Verständigung über den Dolmetscher möglich ist. Der Antragsteller hat sowohl bei der Asylantragstellung als auch bei der Regierung von Oberbayern angegeben, neben seiner Muttersprache Lugbara auch Englisch zu sprechen. Eine Einschränkung bzgl. seiner englischen Sprachkenntnisse hat er nicht geltend gemacht. Dass die Sprachmittlung in der Anhörung bei der Regierung von Oberbayern am … Februar 2020, oder den Anhörungen beim Bundesamt am … Februar 2020, *. Juni 2020 und *. März 2021, bei welcher ein Sprachmittler per Video zugeschaltet war, an erheblichen Mängeln gelitten hätte und keine den Mindestanforderungen sinnvoller Kommunikation hinreichende Verständigung möglich gewesen wäre, hat der Antragsteller weder substantiiert vorgetragen noch ist dies aus den jeweiligen Niederschriften ersichtlich. Im Gegenteil hat der Antragsteller stets bestätigt, dass er sich mit den Dolmetschern (auch per Bildschirm) verständigen könne und es zu keinen Verständigungsproblemen gekommen sei.
b) Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) und die Anerkennung als Asylberechtigte (Art. 16a GG) liegen ebenso wie die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) nicht vor. Insofern wird auf die Begründung des Bundesamts Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
c) Nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist eine offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrags (unter anderem) dann anzunehmen, wenn das Vorbringen des Ausländers in wesentlichen Punkten nicht substantiiert ist.
Dies ist hier der Fall. Der Vortrag des Antragstellers ist sowohl in seinem Kern als auch in weiteren wesentlichen Punkten detailarm und unsubstantiiert. Mithin bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Entscheidung des Bundesamtes.
Der Antragsteller hat bei der Anhörung vor dem Bundesamt zunächst von sich aus keine asylrelevanten Begebenheiten vorgetragen. Es gelang dem Antragsteller in der Anhörung des Bundesamtes trotz ausführlicher Nachfragen nicht, eine flüchtlingsrechtlich relevante, individuelle Betroffenheit darzustellen oder die Motivation seiner Ausreise nachvollziehbar zu erklären. Die Aussagen des Antragstellers sind allgemein, pauschal und in sich nicht konsistent. Erst auf wiederholte Nachfrage hat der Antragsteller seinen Sachvortrag weiter ausgebaut, jedoch keine persönliche Verfolgung glaubhaft vortragen können. Die vorgetragene persönliche Verfolgung durch den ugandischen Staat ist sehr vage und oberflächlich. Der Vortrag wirkt konstruiert und ausgedacht und ist unsubstantiiert. Der Antragsteller konnte keine Anhaltspunkte schilden, warum er in das Visier des ugandischen Staates oder der Tussi-Gruppe geraten sei. Auch konnte er keinerlei Anhaltspunkte oder Indizien für ein tatsächlich bestehendes Verfolgungsinteresse darstellen, noch glaubhaft schildern, warum die Nachbarn zu der Erkenntnis gelangt seien, dass er von den besagten Akteuren gesucht werde. Vielmehr berief der Antragsteller sich in seinem freien Sachvortrag und den anschließenden ausführlichen Nachfragen auf persönlich bewertete Schilderungen der von ihm empfundenen politischen Situation in Uganda. Der Vortrag des Antragstellers erscheint damit insgesamt konstruiert und asyltaktisch angepasst, weswegen keine Zweifel an der Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet bestehen. Im Übrigen wird auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Auch eine Gruppenverfolgung in Uganda auf Grund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Munganda/Ruganda ist ebenso wenig ersichtlich.
d) Das Bundesamt hat im Übrigen auch zu Recht das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt. Das Gericht nimmt auch insoweit auf die Begründung des Bundesamts Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
e) Vor diesem Hintergrund ist auch die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
3. Der Antragsteller hat als unterlegener Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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