Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis wegen beabsichtigter Eheschließung für marokkanischen Studenten

Aktenzeichen  M 9 S 17.3607

Datum:
20.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 2 S. 2, § 16 Abs. 1 S. 5, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Befindet sich ein ausländischer Student nach mindestens zweimaligem Wechsel der Studienrichtung sowie der Hochschule nach neun Jahren im ersten Semester eines neuen Studienfachs, ist nicht davon auszugehen, dass er den Aufenthaltszweck des Studienabschlusses in einem angemessenen Zeitraum erreichen wird. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Fehlt bereits ein Ehefähigkeitszeugnis des Ausländers, steht die Eheschließung nicht unmittelbar bevor. Die Notwendigkeit, ein Visum zum Ehegattennachzug einzuholen, ist  grundsätzlich kein der Ausreise entgegenstehender Grund. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1986 geborene Antragsteller ist marokkanischer Staatsangehöriger und reiste erstmals im August 2008 mit einem gültigen Visum zum Maschinenbaustudium an der Fachhochschule Wismar in das Bundesgebiet ein. Aufgrund einer Immatrikulationsbescheinigung der Hochschule Anhalt erhielt der Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis, die bis zum 31. März 2013 zu Studienzwecken, zunächst Maschinenbau und ausweislich einer Studienbescheinigung von April 2011 Elektro- und Informationstechnik verlängert wurde.
Der Antragsteller heiratete am 8. Dezember 2011 eine Deutsche. Nach den Angaben seiner Ehefrau im Scheidungsverfahren erfolgte die Trennung im Juli 2014. Eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ehe mit einer deutschen Ehefrau, die der Antragsteller am 4. Oktober 2012 beantragt hatte, erhielt er wegen offener Strafverfahren nicht.
Ausweislich der Studienbescheinigung der Hochschule München (Blatt 428 Behördenakte) ist der Antragsteller derzeit im ersten Fachsemester des Studiengangs technische Redaktion und Kommunikation immatrikuliert. Ausweislich der Akten war er im Wintersemester 2016/2017 an der Hochschule Weihenstephan für den Studiengang Technologie, erneuerbare Energien immatrikuliert, und gab dazu bei einer Vorsprache am 15. November 2016 (Blatt 396 Behördenakte) an, dass er auf Arbeitsplatzsuche sei und die Uni nicht mehr besuche.
Der Antragsteller ist strafrechtlich wiederholt in Erscheinung getreten. Mit seit dem 30. Oktober 2014 rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Starnberg wurde der Antragsteller zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen unter anderem wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung und Beleidigung verurteilt. Mit seit dem 22. März 2016 rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Augsburg wurde er zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten und zwei Wochen, ausgesetzt zur Bewährung, unter anderem wegen Beleidigung und Hausfriedensbruchs verurteilt. Ein weiteres Verfahren wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung wurde von der Staatsanwaltschaft Augsburg gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt. Allen Strafverfahren gemeinsam war, dass der Antragsteller stark alkoholisiert war.
Der Antragsteller hat unter anderem als Folge der Strafverfahren keine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis mehr erhalten, sondern ist seit dem 4. Oktober 2012 lediglich im Besitz einer Fiktionsbescheinigung (Übersicht Blatt 374 f. Behördenakte). Der letzte Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis stammt, soweit aus den Akten ersichtlich, vom 22. August 2016, nachdem der Antragsteller in den Zuständigkeitsbereich des Ausländeramtes zugezogen war.
Der Antragsteller ist im Besitz eines bis 18. November 2018 gültigen marokkanischen Passes sowie einer Fiktionsbescheinigung, gültig bis zum 1. Juni 2017 (Blatt 398 Behördenakte).
Mit Schreiben des Landratsamts vom 23. Mai 2017 wurde der Antragsteller zur beabsichtigten Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis angehört. Bei einer Vorsprache am 1. Juni 2017 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin teilte er mit, dass er im ersten Fachsemester an der Fachhochschule München technische Redaktion und Kommunikation studiere, derzeit auf 450,- EUR Basis in einem Baumarkt arbeite, seine Straftaten bereue und mittlerweile maximal ein bis zwei Bier trinke. Entsprechende Nachweise wurden vorgelegt, Blatt 413 f. Behördenakte.
Mit Bescheid vom 5. Juli 2017 lehnte das Landratsamt den Antrag auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels ab (I), forderte den Antragsteller zur Ausreise bis spätestens vier Wochen nach Zustellung des Bescheids auf (II) und drohte die Abschiebung nach Marokko oder einen anderen zur Übernahme verpflichteten bzw. bereiten Staat an (III). Die Voraussetzungen für die Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lägen nicht vor. Eine Verlängerung zum Zwecke des Studiums sei nach dem bisherigen Studienverlauf nicht möglich, da der Antragsteller derzeit im ersten Semester sei und über die Jahre hinweg sein Studium nicht ernsthaft betrieben habe, § 16 Abs. 1 Satz 1 und 5 AufenthG. Einer Verlängerung zu einem anderen Aufenthaltszweck stehe § 16 Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegen, da der Antragsteller bisher die Studien abgebrochen habe. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht durch seine Ehe sei nicht entstanden, da die eheliche Lebensgemeinschaft lediglich zwei Jahre und sieben Monate bestanden habe und bis zur Trennung wegen des offenen Strafverfahrens keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. AufenthG. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG lägen nicht vor, da der Lebensunterhalt nicht gesichert sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers erhob mit am 1. August 2017 beim Verwaltungsgericht München eingegangenem Schriftsatz Klage (M 9 K 17.3606) und beantragte gemäß § 80 Abs. 5 VwGO:
Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Abschiebungsandrohung/Abschiebungsanordnung.
Der Bescheid sei rechtswidrig und verletze den Antragsteller in seinen Rechten, da dieser in Kürze die Ehe mit seiner Lebensgefährtin Frau R. schließen werde. Eine Bescheinigung des Generalkonsulats des Königreichs Marokko hinsichtlich der Ehefähigkeit werde in Kürze ausgestellt. Mit einer Eheschließung werde binnen acht Wochen gerechnet.
Das Landratsamt beantragt,
Antragsablehnung.
Ergänzend zum Bescheid werde darauf hingewiesen, dass der Antragsteller bei der deutschen Botschaft in Marokko ein Visum zur Eheschließung beantragen könne. Das zuständige Standesamt habe auf Rückfrage nicht abschätzen können, wann die Voraussetzungen für die Eheschließung geschaffen seien. Deshalb stehe die Eheschließung auch nicht unmittelbar bevor. Auch nach erfolgter Eheschließung müsse der Antragsteller das Visumsverfahren nachholen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte und die Akten im Verfahren M 9 K 17.3606 Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 5. Juli 2017 nach § 80 Abs. 5 VwGO war nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Rechtslage im Rahmen des dem Gericht eingeräumten Ermessens abzulehnen, da das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts die privaten Interessen des Antragstellers, sich weiter im Bundesgebiet aufzuhalten, überwiegt. Gegen den Bescheid des Landratsamts vom 9. August 2017 bestehen keine rechtlichen Bedenken.
Eine Verlängerung oder Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Antragsteller wurde rechtlich zutreffend abgelehnt. Der Antragsteller ist mittlerweile 31 Jahre alt und vor neun Jahren zu Studienzwecken mit einem Visum in das Bundesgebiet eingereist. Dieses Studium hat er nicht abgeschlossen und die Studienrichtung sowie die Hochschule mindestens zweimal gewechselt mit der Folge, dass er sich derzeit im ersten Semester befindet und mit einem Abschluss des neu aufgenommenen Studiums in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden kann. Eine weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 Satz 5 Alternative 2 AufenthG ist damit zu Recht ausgeschlossen worden. Ungeachtet dessen, dass der Antragsteller ohne Zustimmung der Ausländerbehörden den Studiengang gewechselt hat, bedarf es keiner weiteren vertieften Tatsachenermittlung, um die Prognose anzustellen, dass der Antragsteller, der sich nach neun Jahren im ersten Semester befindet, den Aufenthaltszweck des Abschlusses eines Studiums nicht mehr in einem angemessen Zeitraum erreichen wird.
Die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 28 Abs. 1 AufenthG und für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 28 Abs. 3 i.V.m. § 31 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Die eheliche Lebensgemeinschaf hat unbestritten keine drei Jahre im Bundesgebiet bestanden, § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Der Antragsteller hat zu Recht keine Aufenthaltserlaubnis während der Ehebestandszeit nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erhalten, da gegen ihn ein Strafverfahren durchgeführt wurde. Die Ausländerbehörde durfte deshalb vor der Entscheidung abwarten, ob ein Ausweisungsinteresse der Erteilung des Aufenthaltstitels entgegenstehen würde, § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.
Das Landratsamt ist zutreffend davon ausgegangen, dass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung eines gesicherten Lebensunterhalts fehlt, § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Der Antragsteller ist geringfügig beschäftigt und verdient ausweislich der vorgelegten Unterlagen 450,- EUR monatlich. Unter Berücksichtigung der Strafverfahren und der Art der Straftaten gegen Personen, die der Antragsteller verbunden mit Alkohol in der Vergangenheit begangen hat, bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass auch ein Ausweisungsinteresse nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG der Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegensteht, da keine Anhaltspunkte für einen Anspruch auf Erteilung oder für eine Unzumutbarkeit des Visumsverfahrens bestehen, § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG.
Rechtliche Bedenken gegen die Abschiebungsandrohung bestehen nicht. Der Antragsteller ist nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis und damit zur Ausreise verpflichtet. Sein Vortrag, er wolle wieder heiraten, rechtfertigt kein anderes Ergebnis, da die Ehe nach dem Vortrag der Beteiligten nicht unmittelbar bevorsteht. Nach derzeitigem Stand fehlt bereits das Ehefähigkeitszeugnis des Antragstellers. Anhaltspunkte dafür, dass ihm die Ausreise nicht zumutbar ist, bestehen keine. Die Notwendigkeit, ein Visum zum Ehegattennachzug einzuholen, ist kein der Ausreise entgegenstehender Grund.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzulehnen.
Streitwert: § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 GKG i.V.m. Streitwertkatalog.


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