Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  Au 6 K 17.30079

Datum:
15.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus sowie auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Der Bescheid des Bundesamtes vom 13. Dezember 2016 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klagefrist von zwei Wochen ab Zustellung des Bescheids nach § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 des Asylgesetzes (AsylG) gewahrt. Denn die Beklagte hat den streitgegenständlichen Bescheid nicht gemäß § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylG an den volljährigen Klägern, sondern am 21. Dezember 2016 dem vormaligen Vormund, der nur als gesetzlicher Vertreter und nicht zugleich als Bevollmächtigter tätig war (Bl. 62 f. der Behördenakte), zugestellt, so dass zunächst keine wirksame Bekanntgabe gegenüber dem Kläger erfolgte. Mit dem tatsächlichen Zugang des Bescheids beim Kläger am 23. Dezember 2016 galt dieser als zugestellt (§ 8 Verwaltungszustellungsgesetz – VwZG).
2. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 des Asylgesetzes (AsylG). Es wird in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids des Bundesamts (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
Im Einzelnen sind definiert die Verfolgungshandlungen in § 3a AsylG, die Verfolgungsgründe in § 3b AsylG und die Akteure, von denen eine Verfolgung ausgehen kann bzw. die Schutz bieten können, in §§ 3c, 3d AsylG. Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen – den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen, § 3a AsylG – muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Eine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Dabei ist nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 S. 9 ff; Qualifikationsrichtlinie, im Folgenden: RL 2011/95/EU) die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“), der demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris) entspricht.
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassen-den Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32).
Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU in Form einer widerlegbaren Vermutung ist im Asylerstverfahren zu beachten, wenn der Antragsteller frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland wiederholen werde. Die solchen früheren Handlungen oder Bedrohungen nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 QRL ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 6.7.2012 – 10 B 18/12 – juris Rn. 5 unter Bezugnahme auf EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. C-175/08 u.a. – juris Rn. 93; BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – juris Rn. 25). Die vorgenannte Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften.
Dabei ist es stets Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
b) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze sind im Fall des Klägers die Voraus-setzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG nicht gegeben. Das Gericht ist der Überzeugung, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Ägypten keine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG droht. Unabhängig davon ist jedenfalls davon auszugehen, dass für ihn eine inländische Fluchtalternative besteht.
aa) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass koptische Christen in Ägypten derzeit einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind.
Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt voraus, dass entweder sichere Anhaltspunkte für ein an asylerhebliche Merkmale anknüpfendes staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen (was ersichtlich nicht der Fall ist), oder es ist eine bestimmte Verfolgungsdichte erforderlich, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.
Koptische Christen machen etwa 10 v.H. der ägyptischen Gesellschaft aus (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Ägypten vom 15.12.2016, S. 7 – im Folgenden: Lagebericht). Sie unterliegen zwar einer gewissen Diskriminierung in Ägypten. Es fehlt aber jedenfalls an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (vgl. zur Gruppenverfolgung BVerfG, B.v. 23.1.1991 – 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 – BVerfGE 83, 216 m.w.N.; BVerwG, B.v. 24.2.2015 – 1 B 31/14 – juris). Das Gericht geht aufgrund der vorliegenden und ins Verfahren eingeführten Erkenntnismittel davon aus, dass die Verfolgung christlicher Kopten in Ägypten jedenfalls nicht die von der Rechtsprechung verlangte Verfolgungsdichte aufweist, die zu einer Gruppenverfolgung und damit der Verfolgung eines jeden Mitglieds führt (vgl. auch OVG NRW, B.v. 17.7.2014 – 11 A 1935/12.A – juris; VG Köln, U.v. 10.11.2016 – 6 K 5496/15.A – juris; VG Aachen, U.v. 26.7.2016 – 3 K 664/16.A – juris Rn. 37 ff.; VG Gelsenkirchen, U.v. 14.10.2015 – 7a K 1514/14.A – juris).
Die Situation hat sich seit der Absetzung des ehemaligen Präsidenten Mursi im Juli 2013 und der Wahl von Abdelfattah El-Sisi zum Staatspräsidenten im Mai 2014 sowie dem anschließenden Prozess der Verfassungsgebung in Bezug auf die Sicherheit koptischer Christen im Lande grundlegend verändert. Insbesondere Präsident El-Sisi ist darum bemüht, die gesellschaftliche Diskriminierung der koptischen Christen zu bekämpfen und setzt sich dafür ein, dass diese ungestört ihre Religion ausüben können. Die Muslimbruderschaft ist mittlerweile als Terrororganisation klassifiziert verboten (s.a. Lagebericht S. 5 f.). Auch unter Berücksichtigung und Würdigung der aktuellen Auskunftslage bzw. einzelner gewaltsamer Übergriffe sowie der klägerseits angeführten Rechtsprechung (vgl. auch VG Trier, U.v. 29.6.2016 – 5 K 1128/16.TR – juris) ergibt sich keine abweichende rechtliche Bewertung.
bb) Das Gericht ist der Überzeugung, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Ägypten keine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG droht. Der Kläger muss sich jedenfalls auf eine innerstaatliche Fluchtalternative verweisen lassen.
Zunächst kann eine Verfolgung im Sinne von § 3a AsylG nicht dem Umstand entnommen werden, dass der Kläger in seinem Heimatland noch keinen Militärdienst geleistet hat. Nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt dann als Verfolgungshandlung zu qualifizieren, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, sich also als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden. Dieses Beispiel bezieht sich demnach auf spezielle Fälle der Verweigerung des Militärdienstes bei drohender Beteiligung an Kriegsverbrechen (vgl. Kluth in Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand: 01.2.2017, § 3a AsylG Rn. 18). Zwar unterliegt der Kläger grundsätzlich aufgrund seines Alters nach wie vor der gesetzlichen Wehrpflicht, die in Ägypten im Alter von 18-30 Jahren besteht (vgl. Anfragebeantwortung Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 22.6.2016, abrufbar in der öffentlich zugänglichen Datenbank MILO des BAMF). Jedoch droht vorliegend keine Beteiligung an Kriegsverbrechen; besondere Umstände, aus denen sich ergibt, dass Strafmaßnahmen nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht gelten, sind nicht ersichtlich (vgl. auch EuGH, U.v. 20.11.2013 – C-472/13 – juris; BVerwG, U.v. 24.4.1990 – 9 C 4/89 – NVwZ 1990, 876). Insbesondere gibt es keine belastbaren Erkenntnisse, dass die Heranziehung zum Militärdienst an gruppenbezogenen Merkmalen bzw. persönlichen Merkmalen i.S.v. § 3b AsylG orientiert ist (vgl. Lagebericht S. 8 f.).
Der Kläger beruft sich auf eine Verfolgung durch Muslimbrüder aus seinem Heimatdorf. Soweit er hierzu vorgetragen hat, ungefähr fünf Männer hätten seinen Vater im Februar 2013 auf der Autobahn zum Anhalten genötigt und ihn sowie seinen Vater erheblich verletzt, ist – die Glaubhaftigkeit dieses Vortrages unterstellt – bereits fraglich, ob dieser Vorfall mit der Religionszugehörigkeit des Klägers im Zusammenhang steht oder kriminelles Unrecht darstellt. Zwar hat der Kläger geltend gemacht, „die Probleme“ hätten angefangen, als die Muslimbrüder „an die Macht“ gekommen seien. Er hat aber lediglich pauschal vorgetragen, sein Vater sei von den Muslimbrüdern im Dorf aufgefordert worden, zu konvertieren, ohne insoweit konkretisierende Angaben zu machen. Auch wenn es ausweislich der Erkenntnismittel in Ägypten seit dem Jahr 2011 und insbesondere 2013 zu zahlreichen Übergriffen der (bereits im Jahr 1928 gegründeten) sog. Muslimbrüder und zu einem erheblichen Anstieg der Gewalt gegen koptische Christen gekommen ist, ist vorliegend fraglich, ob ein Zusammenhang zwischen dem geltend gemachten Übergriff und der vorgetragenen Aufforderung, zum Islam zu konvertieren besteht. Denn die Muslimbrüder hatten seit dem Jahr 2011 erheblichen Einfluss, so dass bereits kein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang besteht. Vielmehr vermutet der Kläger allein auf Grund des Aussehens der vorgenannten Angreifer, dass sich die Muslimbrüder an seinem Vater hätten rächen wollen. Eine verbale Bedrohung oder Ähnliches, die auf einen Zusammenhang mit der vorgenannten Aufforderung schließen ließe, ist nach dem Vortrag des Klägers aber gerade nicht erfolgt.
Selbst wenn man jedoch eine flüchtlingsrelevante Verfolgung annehmen wollte, muss sich der Kläger auf staatlichen Schutz (§ 3d AsylG) verweisen lassen; zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung besteht keine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung. Die Situation in Ägypten hat sich, wie dargelegt, grundlegend verändert (s.o. unter aa). Auch der Kläger hat insoweit gegenüber dem Bundesamt angegeben, dass es nach dem Machtwechsel bzw. der Wahl von El-Sisi „wieder Ruhe“ gebe. Demnach entkräften stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritt eines solchen Schadens, so dass die Vermutung, dass sich frühere Handlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen, als widerlegt anzusehen ist. Nach tatrichterlicher Würdigung der gegebenen Umstände, insbesondere des Vorbringens des Klägers und der maßgeblichen Erkenntnismittel besteht keine begründete Furcht vor Verfolgung. Dass dem Kläger Übergriffe im gesamten Staatsgebiet Ägyptens drohen ist weder glaubhaft gemacht noch ersichtlich. Vielmehr hat dieser eingeräumt, dass seine Brüder in * leben, sein Vater lebe nach wie vor im Heimatdorf. Es ist davon auszugehen, dass der ägyptische Staat willens und in der Lage ist, gegen die als Terrororganisation klassifizierten sog. Muslimbrüder vorzugehen.
cc) Für den Kläger besteht eine inländische Fluchtalternative (§ 3e AsyG).
Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer der Flüchtlingsstatus nicht zuer-kannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (vgl. Art. 8 Abs. 1 QRL). Somit darf ein Ausländer nur dann auf ein verfolgungsfreies Gebiet seines Heimatstaates als inländische Fluchtalternative verwiesen werden, wenn er dieses tatsächlich in zumutbarer Weise erreichen kann (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11/07 – juris Rn. 19). Ob die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 AsylG vorliegen, ist im Falle einer Vorverfolgung unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 QRL zu ermitteln; die Vermutung einer auch künftigen Verfolgung kann als widerlegt erachtet werden, soweit in einem Landesteil bei tatrichterlicher Würdigung des Vorbringens des Ausländers und der maßgeblichen Erkenntnismittel keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2009 – 10 C 20/08 – juris Rn. 15 f.). Am Ort des internen Schutzes muss unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Betroffenen die Existenzgrundlage derart gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält; dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer i.R.v. § 60 Abs. 5 AufenthG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog beachtlichen existenziellen Notlage hinaus und erfordert eine Einzelfallprüfung (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 5.8.2014 – 13a ZB 14.30188 – juris Rn. 6).
Das Gericht ist der Überzeugung, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Ägypten jedenfalls in den Großstädten Kairo bzw. Alexandria sowie in * keiner Verfolgung ausgesetzt wäre (vgl. auch VG Köln, U.v. 10.11.2016 – 6 K 5496/15.A – juris; VG Aachen, U.v. 26.7.2016 – 3 K 664/16.A – juris Rn. 37 ff.; VG Gelsenkirchen, U.v. 14.10.2015 – 7a K 1514/14.A – juris). Dass dem Kläger Übergriffe im gesamten Staatsgebiet Ägyptens drohen hat er bereits selbst nicht geltend gemacht. In der mündlichen Verhandlung hat er vielmehr auf Nachfrage eingeräumt, dass er – ebenso wie sein jüngerer Bruder – auch zu seinem großen Bruder nach * hätte gehen können. Dieser habe keine Probleme gehabt. Der Kläger habe dies jedoch nicht gewollt. Auch insoweit kann die Vermutung einer auch künftigen Verfolgung als widerlegt erachtet werden, da in den vorgenannten Städten nach tatrichterlicher Würdigung des Vorbringens des Klägers und der maßgeblichen Erkenntnismittel keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht. Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in den genannten Orten sicherstellen kann. Auch wenn hierfür mehr zu fordern ist als ein kümmerliches Einkommen zur Finanzierung eines Lebens am Rande des Existenzminimums (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20), ist doch vernünftigerweise zu erwarten, dass der Kläger sich in Kairo bzw. Alexandria oder * aufhält und seinen Lebensunterhalt dort sicherstellt. Der Kläger ist ein arbeitsfähiger junger Mann, der nach seinem Vortrag bis zur Ausreise die Schule besucht hat. Zumal sein Bruder seit Jahren in * lebt, so dass ihm dies durchaus Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts dort eröffnet.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG. Insoweit wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Kläger ist jedenfalls auf eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verweisen (s.o. unter Nr. 1 b) cc), denn nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gilt § 3e AsylG entsprechend.
4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend zu § 60 Abs. 7 AufenthG ausgeführt:
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, welcher der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei Entscheidungen nach § 60a Abs. 1 AufenthG berücksichtigt (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Allgemeine Gefahren können nur dann Schutz vor Abschiebung begründen, wenn der Ausländer einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14/10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 23).
Eine solche extreme allgemeine Gefahrenlage ergibt sich für den Kläger in den vorgenannten Städten, insbesondere in Kairo als möglichem Zielort der Abschiebung weder aufgrund seiner Religionszugehörigkeit noch hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage. Dem Kläger ist volljährig und arbeitsfähig und mit den Lebensverhältnissen in Ägypten vertraut. Wie bereits ausgeführt, ist das Gericht der Überzeugung, dass der Kläger in den vorgenannten Städten seinen Lebensunterhalt sicherstellen kann.
5. Nachdem sich auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.


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