Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Krankengeld bei Familienversicherung und Sperrzeit

Aktenzeichen  S 15 KR 2273/19

Datum:
9.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 5707
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 44 Abs. 2 Nr. 1
SGB III § 157, § 158

 

Leitsatz

1. Ist der Kläger gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 1 SGB V ohne Anspruch auf Krankengeld familienversichert, ist diese verfassungskonforme Norm zwingend zu beachten. (Rn. 25 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. In allen Ruhensfällen (als Sperrzeiten und Urlaubsabgeltung) besteht keine Pflichtversicherung. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Abfindung hat wie Krankengeld Entgeltersatzfunktion, weshalb es gerechtfertigt ist, die Begründung eines Pflichtversicherungsanspruchs mit der Folge eines Krankengeldanspruchs bei zeitgleichem Aufeinandertreffen einer Sperrzeit mit einem Ruhenstatbestand wegen Abfindung auszuschließen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist möglich, da die Sache keinerlei Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden angehört.
Nach § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Die Bindung des Gerichts bezieht sich auf den erhobenen Anspruch, d.h. auf das Klagebegehren. Streitgegenstand ist der prozessuale Anspruch, d.h. das vom Kläger aufgrund eines bestimmten Sachverhalts an das Gericht gerichtete Begehren der im Klageantrag bezeichneten Entscheidung. Das Gericht muss von Amts wegen (§ 106 Abs. 1 SGG: Aufklärungspflicht des Vorsitzenden) klären, welche Anträge gestellt werden sollen. Es ist an die Fassung der Anträge nicht gebunden, aber an das vom Kläger Gewollte. Auf die entsprechende Anfrage des Gerichts vom 15.09.2019 führte der Klägerbevollmächtigte am 29.01.2021 aus, dass es einer Verweisung an das Zivilgericht nicht bedürfen würde. Die Kammer geht daher davon aus, dass eine Abtrennung und Verweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit nicht gewünscht ist, mithin der zunächst geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz nicht weiterverfolgt wird.
Die (im Hinblick auf das Begehren von Krankengeldzahlung) statthafte und zulässige Klage ist nicht begründet. Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtlich nicht zu beanstanden und beschweren den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Krankengeld für den Zeitraum vom 01.02.2019 bis zum 01.03.2019.
Der Kläger war zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit mit anschließender Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch den Hausarzt Dr. F. am 14.01.2019 (vgl. Widerspruchsschreiben des Klägers vom 18.04.2019, Bl. 5 der Verwaltungsakte, sowie Verwaltungsakte der Beigeladenen, unpaginiert) gem. § 44 Abs. 2 Nr. 1 SGB V ohne Anspruch auf Krankengeld familienversichert. Eine Nichtbeachtung von § 44 Abs. 2 SGB V ist nicht möglich. Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift contra legem, die im Ergebnis eine Nichtbeachtung des Rechts bedeuten würde, ist wegen der Bindung der Rechtsprechung an das Recht nicht möglich. Eine Interpretation, die als Richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2011 – 1 BvR 918/10 -, BVerfGE 128, 193-224, Rn. 53, vgl. BVerfGE 118, 212, 243). Nach h.M. bildet der Wortlaut hierbei die äußerste Grenze der Auslegung (BVerfGE 71, 108, 115). Denn was außerhalb seines Wortlautes liegt, lässt sich nicht als Inhalt des Gesetzes begreifen und somit auch nicht durch Auslegung ermitteln (Waltz, Das Ziel der Auslegung und die Rangfolge der Auslegungskriterien, ZJS 4/2010, 482).
Die erkennende Kammer ist auch nicht der Auffassung, dass § 44 Abs. 2 SGB V verfassungswidrig ist. Der Gesetzgeber hat eine weitreichende Einschätzungsprärogative und kann für Familienversicherte typologisch einen Anspruch auf Krankengeld ausschließen, auch wenn hierdurch – wie in dieser Konstellation – keine umfassende Einzelfallgerechtigkeit erwirkt wird.
Ein nachgehender Leistungsanspruch ist wie zutreffend von der Beklagten ausgeführt bereits deswegen nicht gegeben, weil der Kläger bis zum 31.12.2018 freiwillig krankenversichert war (vgl. § 19 Abs. 2 SGB V).
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld lebte zum 01.02.2019 nicht wieder auf, da der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 146 SGB III an den Leistungsbezug anknüpft und dieser zum maßgeblichen Zeitpunkt der AU am 14.01.2020 aufgrund der vorliegenden Ruhenstatbestände nicht gegeben war. Das Gericht kann auch keinen Pflichtversicherungstatbestand zum maßgeblichen Zeitpunkt 14.01.2019 erkennen. Denn § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V macht eine Versicherungspflicht davon abhängig, dass Personen Arbeitslosengeld nach SGB III beziehen oder nur deshalb nicht beziehen, weil der Anspruch wegen einer Sperrzeit (§ 159 SGB III) oder wegen einer Urlaubsabgeltung (§ 157 Absatz 2 SGB III) ruht (§ 5 SGB V in der Fassung vom 04.04.2017).
Der Kläger erhielt von der Beigeladenen für Januar 2019 kein Arbeitslosengeld. Dies wurde auch bereits von der Beigeladenen mit Bescheiden vom 21.01.2019 (Verwaltungsakte der Beigeladenen, unpaginiert) festgestellt. Zu einer Auszahlung oder einer positiven Entscheidung mittels Verwaltungsakt kam es zu keiner Zeit.
Auch die Ausnahmetatbestände von § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V sind nicht gegeben. Zwar erhielt der Kläger kein Arbeitslosengeld, weil zum Zeitpunkt des Eintretens der Arbeitsunfähigkeit eine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe (Bescheid vom 07.03.2019, § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III) verhängt worden ist. Zugleich ruhte aber auch der Anspruch bei Entlassungsentschädigung, weil der Kläger eine Abfindung erhalten hat (Bescheid vom 21.01.2019, § 158 Abs. 1 S. 1 SGB III), und zwar für den ganzen Monat Januar 2019. Entsprechend bezog der Kläger am 14.01.2019 nicht nur deshalb (Wortlaut von § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) – wegen der Sperrzeit – kein Arbeitslosengeld, sondern auch wegen des Ruhenstatbestandes nach § 158 SGB III. Bereits nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes entfällt daher die Pflichtversicherung: Denn aus dieser Regelung ergibt sich im Umkehrschluss, dass in anderen Ruhensfällen (als Sperrzeiten und Urlaubsabgeltung) keine Versicherungspflicht besteht (vgl. KassKomm/Peters, 111. EL September 2020 Rn. 43, SGB V § 5 Rn. 43). Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift: Eine Abfindung hat wie Krankengeld auch Entgeltersatzfunktion (vgl. Schmitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 158 SGB III (Stand: 15.01.2019), Rn. 13), so dass es gerechtfertigt erscheint, die Begründung eines Pflichtversicherungstatbestands, der einen Krankengeldanspruch zur Folge hat, bei zeitgleichem Aufeinandertreffen einer Sperrzeit mit einem Ruhenstatbestand wegen Abfindung auszuschließen. Zwar bleibt die Frage, weshalb der Gesetzgeber den insoweit ebenfalls verschuldensunabhängigen Ruhenstatbestand der Urlaubsabgeltung als Ausnahme, die zur Pflichtversicherung führt, zugelassen hat (die Gesetzesbegründung spricht hier nur von „Vermeidung sozialpolitisch unbefriedigender Ergebnisse“, vgl. BT-Drs. 14/6944, S. 52). Wie oben dargelegt, hat der Gesetzgeber hierbei aber eine weitreichende Gestaltungs- und Einschätzungsprärogative. Von einer planwidrigen Gesetzeslücke und damit von einer Analogiefähigkeit der Vorschrift ist bereits deshalb nicht auszugehen, da der Gesetzgeber die Urlaubsabgeltung (§ 157 SGB III) und die Sperrzeiten (§ 159 SGB III) ausdrücklich geregelt hat. Es ist daher davon auszugehen, dass er den Tatbestand von § 158 SGB III (Ruhen des Anspruchs bei Entlassungsentschädigung) bewusst nicht erfassen wollte.
Unbeachtlich sind die Ausführungen der Aktivpartei zu einer Pflichtversicherung ab dem 01.02.2019. Die Versicherteneigenschaft muss, um einen Anspruch auf Krankengeld begründen zu können, zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit vorliegen (Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 44 SGB V (Stand: 15.06.2020), Rn. 69). Maßgebend für das Entstehen des Anspruchs auf Krankengeld ist dabei der Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 46 Abs. 1 SGB V. Der tatsächliche Beginn der Arbeitsunfähigkeit ist nicht entscheidend (BSG, Urteil vom 08. November 2005 – B 1 KR 30/04 R -, BSGE 95, 219-232, SozR 4-2500 § 46 Nr. 1, Rn. 14). Ein Anspruch auf Krankengeld besteht nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit zu einem Zeitpunkt festgestellt wird, an dem das Versicherungsverhältnis die beantragte Leistung mit umfasst (Urt. des BSG vom 13. 7. 2004 – B 1 KR 39/02 R, zitiert aus Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB, 09/20, § 44 SGB V, Rn. 35). Dies war, wie dargestellt, am 14.01.2019 gerade nicht der Fall, da der Kläger zu diesem Zeitpunkt familienversichert war.
Nach allem sind die Entscheidungen der Beklagten nicht zu beanstanden. Die Klage war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.


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