Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zulassung zum Studium der Humanmedizin

Aktenzeichen  RO 1 E HK 16.10015

Datum:
14.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 117 Abs. 3 S. 2, § 123 Abs. 3
HZV § 39 Abs. 2 S. 1, § 44 Abs. 3

 

Leitsatz

Die Einbeziehung eines Schwundfaktors ist bei der Berechnung der patientenbezogenen Kapazitäten nicht erforderlich. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.Die vorstehend unter ihren Aktenzeichen aufgeführten Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II.Die Anträge werden abgelehnt.
III.Die Antragsteller haben jeweils die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV.Der Streitwert wird für jedes Verfahren auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes für das Sommersemester (SS) 2016 die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin (Klinik) an der Universität R. (UR).
Die Antragsteller haben die Zulassung zum 5. Fachsemester (1. klinisches Semester) beantragt. Die Anträge werden im Wesentlichen damit begründet, dass die UR mit der zugelassenen Studentenzahl ihre Aufnahmekapazität nicht ausgeschöpft habe.
Die Antragsteller beantragen (sinngemäß), den Antragsgegner zu verpflichten, sie vorläufig zum Studium der Humanmedizin an der Universität R. im 5. Fachsemester (1. klinisches Semester) nach den Rechtsverhältnissen des Sommersemesters 2016 zuzulassen, zum Teil hilfsweise in ein niedrigeres Fachsemester der Vorklinik (4., 3., 2. und 1. Fachsemester).
Der Antragsgegner beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Zur Begründung wird auf die Satzung zur Festsetzung von Zulassungszahlen der im Studienjahr 2015/2016 an der Universität R. als Studienanfänger sowie in höheren Fachsemestern aufzunehmenden Bewerber (Zulassungszahlsatzung 2015/2016 vom 29.6.2015) hingewiesen. Danach sei für das Sommersemester 2016 im Studiengang Humanmedizin für das 1. klinische Semester eine Zulassungszahl von 36 und für das 2. klinische Semester von 152, insgesamt also 188 Studenten, festgesetzt worden. Diese Zahl erhöhe sich aufgrund der Zielvereinbarung zwischen dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst und der Universität R. zur vorübergehenden Erhöhung der Studienanfängerzahlen Humanmedizin wegen des doppelten Abiturjahrganges um 9 Studienplätze für das 5. Fachsemester (1. klinisches Semester) und 2 Studienplätze für das 6. Fachsemester (2. klinisches Semester) auf 45 bzw. 154 Studienplätze.
Nach der zum 1.6.2016 erstellten amtlichen Statistik seien im SS 2016 im 5. Fachsemester (1. klinisches Semester) 31 Studienplätze und im 6. Fachsemester (2. klinisches Semester) 188 Studienplätze im Wege des regulären Vergabeverfahrens besetzt worden. Im gesamten klinischen Studienabschnitt liege die festgesetzte Zulassungszahl bei 597 Studenten, eingeschrieben seien 611 Studenten. Die Aufnahmekapazität an der UR sei damit erschöpft (§ 3 Abs. 3 Zulassungszahlsatzung).
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog.
II.
Die Anträge, die das Gericht gemäß § 93 VwGO verbunden hat, sind nicht begründet.
Es ist nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO), dass an der UR über die vergebenen Studienplätze hinaus im 5. Fachsemester (1. klinisches Semester) des Studiengangs Medizin noch weitere freie Studienplätze verfügbar sind.
Maßgeblich für die rechtliche Überprüfung der Aufnahmekapazität der fraglichen Lehreinheit ist die Hochschulzulassungsverordnung – HZV – vom 18.6.2007 (GVBI S. 401), zuletzt geändert durch Verordnung vom 31.3.2015. Gemäß § 44 Abs. 3 HZV wird der Studiengang Medizin für Berechnungszwecke in einen vorklinischen und einen klinischen Teil untergliedert, wobei der vorklinische Teil den Studienabschnitt bis zum Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Approbationsordnung für Ärzte und der klinische Teil den Studienabschnitt zwischen dem Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung und dem Beginn des praktischen Jahres nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Approbationsordnung für Ärzte umfasst. Zur Berechnung der jährlichen Aufnahmekapazität für den Studiengang Medizin sind die Lehreinheiten Vorklinische Medizin, Klinisch-theoretische Medizin und Klinisch-praktische Medizin zu bilden. Der vorklinische Teil des Studiengangs wird der Lehreinheit Vorklinische Medizin, der klinische Teil des Studiengangs der Lehreinheit Klinisch-praktische Medizin zugeordnet; die Lehreinheit Klinisch-theoretische Medizin erbringt für den Studiengang Medizin Dienstleistungen (§ 48 HZV).
Die Aufnahmekapazität der Lehreinheit Klinisch-praktische Medizin wird – wie bei jeder anderen Lehreinheit auch – als jährliche Kapazität (§ 39 Abs. 2 Satz 1 HZV) nach §§ 43 ff. HZV aufgrund der personellen Ausstattung (Lehrangebot) unter Anwendung von Curricularnormwerten (CNW) nach Anlage 5 zu § 43 HZV berechnet. Dieses Ergebnis wird gemäß §§ 51 ff. HZV überprüft (ausstattungsbezogene Kapazität).
Es kann offen bleiben, ob die personelle Ausstattung zutreffend ermittelt worden ist. Denn maßgebend für die Aufnahmekapazität sind im vorliegenden Fall die patientenbezogenen Einflussfaktoren nach § 54 HZV. Der Antragsgegner erklärt, dass die Zahl der tagesbelegten Betten bei der Universität von 721,8076 auf 738,1018 gestiegen ist. Kapazitätsgünstig enthält diese Zahl die Wahlleistungspatienten und teilstationäre Patienten. Die am Bezirksklinikum genutzten Betten der Neurologie und Psychiatrie sind in der Gesamtzahl der Betten des Universitätsklinikums enthalten. Bei den außeruniversitären Krankenanstalten stieg die Bettenzahl von 102,9980 auf 106,2000. Die statistische Messgröße des „tagesbelegten Betts“ wird durch ambulante und teilstationäre Zu- oder Abgänge nicht beeinflusst (OVG Lüneburg, B.v. 19.7.2012, 2 NB 102/12; OVG Lüneburg, B.v. 3.9.2010, 2 NB 394/09; VG Freiburg, Urt.v. 6.2.2012, NC 6 K 2436/08, alle zitiert nach juris). Die sog. Mitternachtszählung ist nicht zu beanstanden (BayVGH, B.v. 12.6.2014, 7 CE 14.10011; OVG Lüneburg, B.v. 3.9.2010 2 NB 394/09, juris; Zimmerling/Brehm, Hochschulkapazitätsrecht, Rn. 293 m.w.N.). Von der o.g. Zahl (738,1018) sind gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HZV 15,5% anzusetzen, das ergibt die Zahl 114,4058. Es ist nicht erkennbar und auch nicht zwingend dargelegt worden, dass dieser dem weiten Entscheidungsspielraum des Verordnungsgebers unterfallende Wert in Höhe von 15,5% für die Ausbildungssituation im klinischen Teil des Studiengangs Medizin nicht nach sachgerechten Kriterien ermittelt wurde und als willkürlich angesehen werden müsste. Dies gilt auch im Hinblick auf die mit der Einführung von Fallpauschalen verkürzten Aufenthaltszeiten in den Krankenhäusern und den damit verbundenen höheren Patientenzahlen je Krankenhausbett. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber, der die HZV jährlich überarbeitet, die verkürzten Liegezahlen nicht zur Kenntnis genommen hätte. Der festgesetzte Wert von 15,5% entspricht vielmehr auch dem aktuellen Willen des Verordnungsgebers. Da die berechnete Zahl von 114,4058 geringer ist als das Berechnungsergebnis nach §§ 43 bis 50 HZV unter Berücksichtigung der Überprüfung nach § 51 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 und 7, Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 HZV, erhöht sie sich je 1000 poliklinischer Neuzugänge im Jahr um die Zahl 1. Die Zahl nach § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HZV wird jedoch höchstens um 50% erhöht (§ 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 HZV). Die Erhöhung beläuft sich demnach auf (114,4058 : 2 =) 57,20. Die Zahl aufgrund der poliklinischen Neuzugänge beträgt 116,871. Diese Zahl ist für die Berechnung indes irrelevant, weil sie höher liegt als die Grenzzahl von 50% nach Nr.1.
§ 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HZV regelt, dass sich die patientenbezogene jährliche Aufnahme-kapazität entsprechend erhöht, soweit in außeruniversitären Krankenanstalten Lehrveranstaltungen für diesen Studienabschnitt vereinbarungsgemäß und auf Dauer durchgeführt werden. Im Krankenhaus St. Josef gibt es insgesamt 52,3680 tagesbelegte Betten einschließlich Wahlleistungspatienten, im Krankenhaus St. Hedwig 36,7500 und in der Orthopädischen Klinik Bad Abbach 17,0820. Außer den angegebenen außeruniversitären Krankenanstalten bestehen keine Vereinbarungen mit anderen Kliniken, Lehrveranstaltungen für den klinischen Studienabschnitt Humanmedizin durchzuführen.
Bei entsprechender Anwendung von § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HZV errechnet sich hieraus nach Multiplikation mit 15,5% eine Erhöhung der Aufnahmekapazität um 16,46. Rechnet man sämtliche Zahlenwerte nach § 54 Abs. 1 HZV zusammen, ergibt sich eine Zulassungszahl von (114,4058 + 57,20 + 16,46 =) 188,07 gerundet 188, die gemäß § 54 Abs. 2 HZV zugrunde zu legen ist. Die Einbeziehung eines Schwundfaktors ist bei der Berechnung der patientenbezogenen Kapazität nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 12.6.2014, 7 CE 14.100012 u.a., zitiert nach juris). § 54 HZV sieht eine Erhöhung der patientenbezogenen Kapazität auch nicht vor. Der patientenbezogene Engpass wirkt sich unmittelbar mit dem ersten klinischen Semester kapazitätsbegrenzend aus (BayVGH v. 12.6.2014, a.a.O.).
Dass aufgrund der Regelungen für die Ausbildung im Ausland dort teilweise höhere Kapazitäten entstehen, ist für die Rechtmäßigkeit der nach deutschem Recht errechneten Kapazitäten nicht maßgeblich. Insbesondere ist aufgrund von § 2 Abs. 4 Approbationsverordnung die Zahl der an einem Seminar teilnehmenden Studierenden auf 20 begrenzt. Auch wenn sich die Approbationsordnung damit faktisch auf die landesrechtlich zu regelnde Studienordnung auswirkt, bestehen hiergegen aufgrund der konkurrierenden Gesetzgebung bei der Zulassung zu ärztlichen Heilberufen, Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Auf diese Weise ist die UR zu einer Gesamtkapazität von 188 Studienplätzen für das Wintersemester 2015/2016 und das Sommersemester 2016 gelangt. Im Studienjahr 2015/2016 führt die Zielvereinbarung zwischen dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst und der Universität R. für den 2. Studienabschnitt der Humanmedizin zur vorübergehenden Erhöhung der Studienanfängerzahlen Humanmedizin für die Absolventen der doppelten Abiturjahrgänge. Die 11 Studienanfänger, die in den Studienjahren 2011/2012 und 2012/2013 in der Vorklinik zusätzlich zur rechnerischen Kapazität zugelassen worden sind, sind seit dem Studienjahr 2013/2014 in der Klinik bzw. werden im Studienjahr 2015/2016 in der Klinik erwartet. Deshalb ist die nach der Kapazitätsberechnung im Studienjahr 2015/2016 festzusetzende Zahl von 188 Studierenden um 11 Studierende auf 199 Personen erhöht worden. Die Aufteilung von 45 auf das Sommer- und 154 auf das Wintersemester orientiert sich an der bisherigen Zahl der Physikumsabschlüsse der Winter- und Sommersemester.
Nach der amtlichen Statistik vom 1.6.2016 sind im SS 2016 im 1. klinischen Fachsemester nach Mitteilung der UR vom 7.6.2016 zwar nur 31 Studenten eingeschrieben, zu denen 2 erstmals beurlaubte, aber kein mehrfach beurlaubter Student gehört. Trotz der Unterschreitung der Zulassungszahl für das 1. Klinische Semester scheidet eine Zulassung aus, weil die festgesetzte Zahl von 199 Studenten für das Studienjahr 2015/2016 (im Sommersemester 2016 das 1. und 2. Klinische Semester) mit 219 überschritten wird, § 3 Abs. 4 der Zulassungszahlsatzung. Außerdem wird die Zahl der 597 Studenten für das 1. bis 6. Klinische Semester mit 611 Studenten überschritten. Derzeit sind keine mehrfach beurlaubten Studenten vorhanden, sodass 219 bzw. 611 Studenten kapazitätswirksam sind.
Nachdem die nach der Hochschulzulassungsverordnung ermittelte Kapazität damit erschöpft ist und die Studienplätze vergeben sind, kommt eine Zulassung innerhalb von Restkapazitäten nicht in Betracht.
Soweit hilfsweise die Zulassung in das 1. bis 4. vorklinische Semester begehrt wird, ist der Antrag ebenfalls abzulehnen. Für einen Studenten, der bereits die ärztliche Vorprüfung abgelegt hat, besteht kein Rechtsschutzinteresse dahingehend, nochmals in ein niedrigeres (vorklinisches) Fachsemester eingestuft zu werden, dessen Wissensstoff er kennt und dessen Scheine und Prüfungen er bereits absolviert hat (vgl. VG Ansbach, B.v. 25.3.2009 – AN 2 E 08.10473; VG Sigmaringen, B.v. 31.3.2008 – NC 6 K 318/08; beide in juris). Im Übrigen ist auch die Kapazität im vorklinischen Bereich erschöpft.
Danach waren die Anträge mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. B.v. 16.6.2005 – 7 C 05.10476 – juris).


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