Verwaltungsrecht

Kein Flüchtlingsschutz für kurdische Volkszugehörige im Irak

Aktenzeichen  AN 2 K 16.30864

Datum:
1.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Die angespannte Sicherheitslage im Irak resultiert aus inneren Unruhen und Spannungen, die aber nicht die Intensität und Dauerhaftigkeit eines Bürgerkriegs aufweisen, sodass kein innerstaatlich bewaffneter Konflikt vorliegt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Entscheidung über die Länge der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot steht im Ermessen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, das daher alle Belange, die für oder gegen den Asylbewerber sprechen, sorgfältig zu ermitteln hat. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Ziffer 6. des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. Juli 2016 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist zulässig aber nur zu einem geringen Teil begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 1. Juli 2016 ist lediglich hinsichtlich seiner Ziffer 6) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig, da der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus im Sinne von § 4 AsylG und auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat.
Das Gericht nimmt zur Begründung dieses Urteils vorab Bezug auf den ausführlichen und zutreffend begründeten streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes, § 77 Abs. 2 AsylG.
Ergänzend wird, auch unter Berücksichtigung der mündlichen Verhandlung am 1. Dezember 2016, noch ausgeführt:
Die in Ziffer 2) des angefochtenen Bescheids erfolgte Ablehnung der Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne von Art. 16a GG ist nicht Gegenstand der vorliegenden Klage.
Das Bundesamt hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger kein Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG ist. Gemäß § 3 AsylG ist ein Ausländer ein Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Der Kläger hat als Grund dafür, dass er nicht in den Irak zurückkehren könne, lediglich die allgemeine Sicherheitslage im Irak und Bombenanschläge in Kirkuk angeführt. Eine persönliche Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG hat der Kläger nicht geltend gemacht.
Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG besteht nicht, da dem Kläger in seinem Herkunftsland, insbesondere in seiner Herkunftsregion, kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG droht. In der Herkunftsregion des Klägers, in Kurdistan-Irak, liegt kein innerstaatlich bewaffneter Konflikt vor. Von einem innerstaatlichen Konflikt im Sinne dieser Vorschrift ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen (EuGH, U.v. 30.1.201 – C-285/12 – juris Rn. 35). Dem Ausländer droht dann ein ernsthafter Schaden aufgrund des Konflikts, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 30.1.201 – C-285/12 – juris Rn. 30). Zwar ist die Sicherheitslage im Irak stark angespannt und kommt es auch in der Herkunftsregion des Klägers zu terroristischen Anschlägen. Gleichwohl geht das erkennende Gericht davon aus, dass derzeit weder landesweit noch in der Herkunftsregion des Klägers ein innerstaatlicher oder internationaler bewaffneter Konflikt festgestellt werden kann. Die angespannte Sicherheitslage resultiert vielmehr aus inneren Unruhen und Spannungen, die aber nicht die Intensität und Dauerhaftigkeit eines Bürgerkriegs aufweisen. Das erkennende Gericht sieht unter Zugrundelegung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Kläger als Zivilperson bei seiner etwaigen Rückkehr in den Irak, speziell in seine Herkunftsregion, allein durch seine Anwesenheit in dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer hier verfahrensrelevanten Bedrohung ausgesetzt zu sein. Soweit der Kläger vorgetragen hat, er stamme eigentlich aus Kirkuk und nicht aus Sulaymaniyah, ist zu keinem anderen Ergebnis zu kommen. Kirkuk liegt zwar nicht innerhalb der offiziellen Grenzen von Kurdistan-Irak. Die Stadt steht aber unter Kontrolle der kurdischen Streitkräfte. Unabhängig von der konkreten Sicherheitslage in Kirkuk ist zudem anzunehmen, dass der Kläger die Möglichkeit hat, mit seiner Frau in deren Herkunftsstadt Erbil zurückzukehren, welche jedenfalls in Kurdistan-Irak liegt.
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG liegen nicht vor. Das Gericht bezieht sich insoweit auf die Feststellungen und die Begründung des angefochtenen Bescheids, da der Kläger auch im Rahmen des Gerichtsverfahrens keine darüber hinausgehenden, maßgeblichen Gesichtspunkte vorgetragen hat und das Gericht den Ausführungen des Bundesamtes folgt, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die in Ziffer 5) des Bescheides vom 1. Juli 2016 ausgesprochene Abschiebungsandrohung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG und ist rechtmäßig, da die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die in Ziffer 6) des Bescheides festgelegte Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist jedoch aufzuheben, da der Bescheid insoweit ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig ist. Dem Kläger kommt ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu. Gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG ist über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Dabei sind alle Belange, die für oder gegen den Antragsteller sprechen, sorgfältig zu ermitteln und zu begründen. Dies gilt auch dann, wenn der Antragsteller – wie hier – trotz Aufforderung zur Stellungnahme keine Belange geltend macht. In diesem Fall ist nach Aktenlage zu entscheiden. Dem Bescheid des Bundesamtes vom 1. Juli 2016 sind keinerlei Ermessenserwägungen zu entnehmen. Es handelt sich damit um einen Ermessensausfall. Es wird lediglich angeführt, dass der Kläger die Gelegenheit zur Stellungnahme nicht wahrgenommen hat und keine Belange vorgetragen hat. Allerdings ergibt bereits die Aktenlage Belange, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen gewesen wären. Der Kläger lebt bereits seit 1996 in der Bundesrepublik und hat zudem in der Anhörung vorgetragen, dass zusätzlich zu zwei Schwestern von ihm auch seine Mutter seit 1995 in der Bundesrepublik lebt. Ob diese Punkte zu einer kürzeren Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots führen können, ist vom Bundesamt unter Ausübung seines Ermessens zu entscheiden.
Die Kostenfolge beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, da die Beklagte nur zu einem sehr geringen Teil unterlegen ist. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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