Verwaltungsrecht

Kein Nachweis eines erfolglosen Abschlusses des Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat durch Vorlage einer “permesso di soggiorno”

Aktenzeichen  M 21 S 17.44726

Datum:
24.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 71a
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Der von § 71a AsylG vorausgesetzte Nachweis eines erfolglosen Abschlusses eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat kann allein durch die Mutmaßung, die Gewährung humanitären Schutzes in Form eines “permesso di soggiorno” durch die italienischen Behörden belege bereits die rechtskräftige Ablehnung eines Asylantrags aufgrund inhaltlicher Prüfung, nicht nachgewiesen werden. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 7. Juni 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die nicht ausgewiesenen Antragstellerinnen sind nach Angaben der Antragstellerin zu 1) nigerianische Staatsangehörige. Sie reisten am 23. Februar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 7. Mai 2015 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats erklärte die Antragstellerin zu 1) gegenüber dem Bundesamt, sie habe in Italien bereits Asyl bzw. die Anerkennung als Flüchtling beantragt und erhalten.
Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt erklärte die Antragstellerin zu 1), sie habe Nigeria verlassen, weil es dort kein Geld und keine Hilfe gebe. Sie habe keine Arbeit gefunden. In Nigeria fühle sie sich auf der Straße unsicher. Es gebe viele arme Menschen, die wegen Geringfügigkeiten töteten.
In der Akte findet sich die Kopie eines auf den Namen der Antragstellerin zu 1) ausgestellten permesso di soggiorno, aus dem sich ergibt, dass der Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erteilt worden ist (motivi umanitari).
Auf eine erneute schriftliche Befragung zum nunmehr vom Bundesamt angenommenen Zweitantrag, erklärte die Antragstellerin zu 1), ihr Antrag auf internationalen Schutz im Mitgliedstaat sei abgelehnt worden, ihr sei jedoch humanitärer Schutz gewährt worden, der 2014 abgelaufen sei.
Das Bundesamt lehnte die Anträge der Antragstellerinnen schließlich mit Bescheid vom 7. Juni 2017 als unzulässig ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Antragstellerinnen aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung nach Nigeria wurde angedroht. Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es handele sich bei dem erneuten Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG, da die Antragstellerinnen bereits in einem sicheren Drittstaat gemäß § 26a AsylG ein Asylverfahren erfolglos betrieben habe. Durch Vorlage des permesso di soggiorno habe die Antragstellerin zu 1) dargelegt, dass das Verfahren zur Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz in Italien erfolglos abgeschlossen worden sei. Das Personaldokument (Permesso di soggiorno: „motivi umanitari“) sei für die Feststellung des Abschlusses des Asylverfahrens in Italien schon alleine hinreichend aussagekräftig. Die Antragstellerin zu 1) habe keine neuen Asylgründe vorgetragen. Eine Änderung der Sach- oder Rechtslage sei nicht ersichtlich.
Hiergegen erhoben die Antragstellerinnen durch ihren Bevollmächtigten am 14. Juni 2017 Klage (M 21 K 17.44726), mit der sie beantragen, den Bescheid des Bundesamts vom 7. Juni 2017 aufzuheben und festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Zugleich beantragen sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung tragen sie vor, die Antragstellerin zu 1) habe am 1. Mai 2017 ein weiteres Kind geboren. Der Vater der Familie sei noch nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Die Ausreiseaufforderung habe die Trennung der Familie zur Folge. Außerdem seien die Antragstellerinnen zu 2) und 3) bei einer Rückkehr von einer Beschneidung bedroht.
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 11. August 2017 die Behördenakten vorgelegt. Eine Äußerung erfolgte weder zum Klagenoch zum Eilverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowohl in diesem als auch im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat Erfolg.
Der Antrag ist zulässig, soweit damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 i.V.m. §§ 71a Abs. 4, 36 AsylG) sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids erreicht werden soll. Die Antragstellung erfolgte auch fristgerechnet innerhalb der Wochenfrist des § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG.
Der Antrag ist auch begründet.
Gemäß §§ 71a Abs. 4 i.V.m. 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Falle eines Zweitantrages, in dem ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99). Dies ist hier im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) der Fall.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen. Andernfalls ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG.
§ 71a AsylG setzt damit den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 22ff; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 24ff). Hierbei muss – entgegen der im streitgegenständlichen Bescheid ersichtlichen Auffassung der Antragsgegnerin – der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat durch rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N.). Dies bedeutet, dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. Eine solche Prüfung beinhaltet unter anderem, dass das Bundesamt Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags im anderen Mitgliedsstaat hat (vgl. VG München, B. v. 30.1.2017 – M 23 S. 16.34550 – juris; B.v. 27.12.2016 – M 23 S. 16.33585 – juris; VG Schleswig-Holstein, B.v. 7.9.2016 – 1 B 54/16 – juris Rn. 7 ff; VG Schwerin, U.v. 8.7.2016 – 15 A 190/15 – juris Rn. 18; VG Wiesbaden, B.v. 20.6.2016 – 5 L 511/16.WI.A – juris Rn. 20, BeckOK AuslR/Schönenbroicher, AsylG, § 71a Rn. 1f).
Die Antragstellerin zu 1) hat im Rahmen ihrer Befragung angegeben, dass ihr Asylantrag in Italien abgelehnt worden sei. Auch findet sich in der Akte des Bundesamtes eine Kopie des permesso di soggiorno, aus der sich ergibt, dass den Antragstellerinnen humanitärer Schutz in Italien gewährt worden ist. Darüber hinaus liegen Erkenntnisse jedoch nicht vor bzw. sind zumindest in der vorgelegten Behördenakte nicht dokumentiert. Lediglich der Verweis auf die Angaben der Antragstellerin zu 1) bezüglich eines erfolglosen Ausgangs eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat genügt für die Anwendung des § 71a AsylG nicht. Der Antragsteller ist auch in der Regel nicht in der Lage, über den Verfahrensablauf ausreichend Auskunft geben zu können (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 22). Die Antragsgegnerin ist damit ihrer Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen. Selbst bei unterstelltem Asylantrag bleibt offen, ob in Italien ein Asylverfahren mit inhaltlicher Prüfung und abschließender Sachentscheidung (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris) durchgeführt wurde und ob gegebenenfalls die Möglichkeit der Wiederaufnahme insbesondere hinsichtlich möglicher neuer Beweismittel besteht. Die fehlende Aufklärung geht zu Lasten der Antragsgegnerin (vgl. BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 41).
Hieran vermag auch das vorgelegte permesso di soggiorno nichts zu ändern. Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugeben, dass eine solche Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen keine Gewährung internationalen Schutzes darstellt, sondern allein auf (nationalem) italienischem Recht beruht und in der Regel gerade dann erteilt wird, wenn die italienischen Behörden davon ausgehen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes nicht erfüllt werden (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Leitfaden Italien, Aktualisierte Fassung Oktober 2014, S. 22, abrufbar unter http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Asyl/leitfaden-italien.pdf? blob=publicationFile).
Allerdings sagt dies noch nichts darüber, ob die Ablehnung des Asylverfahrens in Italien rechtskräftig geworden ist, ob in Italien ein Asylverfahren auch mit inhaltlicher Prüfung (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris) durchgeführt wurde und ob gegebenenfalls die Möglichkeit der Wiederaufnahme insbesondere hinsichtlich möglicher neuer Beweismittel besteht. Insoweit wird die Antragsgegnerin nicht umhin kommen, im Wege ihrer Amtsermittlungspflicht zu versuchen, unmittelbar Auskunft von den italienischen Behörden sowie eine Abdruck des ablehnenden Bescheides zu erhalten. Allein die Mutmaßung, die Gewährung humanitären Schutzes belege bereits die rechtskräftige Ablehnung eines Asylantrags aufgrund inhaltlicher Prüfung ist nicht ausreichend.
Ein erfolgloser Abschluss des Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat ist somit nicht nachgewiesen, so dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestehen.
Dem Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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