Verwaltungsrecht

Kein Nachzug zum deutschen Kind bei fehlendem Eltern-Kind-Verhältnis

Aktenzeichen  B 4 S 17.252

Datum:
16.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 149120
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 2, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
GG Art. 6

 

Leitsatz

1 Allein vom formellen Bestehen des Sorgerechts gehen noch keine aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus, erforderlich ist vielmehr, dass der Sorgeberechtigte nach außen erkennbar in ausreichendem Maße Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2 Besteht noch kein Eltern-Kind-Verhältnis, kann ein beabsichtigtes Familienleben ausnahmsweise unter den Schutz des Art. 8 EMRK fallen, wenn der ausländische Elternteil glaubhaft macht, dass er sich gegenüber dem das Umgangsrecht vereitelnden anderen Elternteil nachhaltig und ernsthaft um die Ausübung des Umgangsrechts mit dem Kind bemüht hat. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist vietnamesischer Staatsangehöriger. Am 12.06.2015 erkannte er die Vaterschaft für das am … in Deutschland geborene Kind L. an, dessen Mutter, ebenfalls vietnamesische Staatsangehörige, seit 26.09.2005 über befristete und seit 13.09.2011 über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügt. Ebenfalls am 12.06.2015 erklärten die Mutter und der Antragsteller übereinstimmend, die elterliche Sorge für das Kind gemeinsam übernehmen zu wollen. Zu dieser Zeit wohnte der Antragsteller bei der Kindsmutter in Hei… Die Anmeldung bei der Meldebehörde unter der Anschrift der Kindsmutter erfolgte mit Wirkung vom 03.10.2015.
Am 23.10.2015 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Er gab an, zuletzt am 03.10.2015 ohne Visum in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Als Aufenthaltszweck gab er familiäre Gründe – Nachzug zum Kind – an.
Am 14.12.2015 teilte die Kindsmutter dem Landratsamt A mit, dass der Antragsteller nicht mehr bei ihr wohne. Sie habe ihn der Wohnung verwiesen, da er betrunken randaliert und sie belogen habe. Er werde nicht wieder bei ihr einziehen, sie lehne den Kontakt ab.
Am 12.01.2016 teilte die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers dem Landratsamt A mit, dass der Antragsteller nunmehr in F wohne.
Am 19.01.2016 teilte die Kindsmutter dem Landratsamt A mit, dass sie das gemeinsame Sorgerecht rückgängig machen wolle.
Mit Schreiben vom 24.02.2016 übersandte das Landratsamt A. die Ausländerakte an das Landratsamt F.
Am 21.06.2016 schlossen die Kindsmutter und der Antragsteller vor dem Amtsgericht A. die Vereinbarung, dass beide Eltern die gemeinsame elterliche Sorge für das Kind weiterhin haben, dass der Antragsteller der Kindsmutter eine Sorgerechtsvollmacht erteilt und dass die Beteiligten sich bemühen, den Umgang des Kindes mit dem Vater soweit möglich zu fördern.
Mit E-Mail vom 26.09.2016 teilte die Kindsmutter dem Landratsamt F. auf Nachfrage mit, seit dem Auszug aus der Wohnung in Heil. im Dezember 2015 habe der Antragsteller seine Tochter nicht besucht und nicht gesehen. An zwei vereinbarte Termine habe er sich nicht gehalten. Sie selbst wohne mit ihrem Sohn und ihrer Tochter seit Ende Juli 2016 auf Fe. Dort habe der Antragsteller sie weder besucht noch sich bei ihnen gemeldet. Nach dem Gerichtstermin habe sie nichts mehr von ihm gehört, nicht einmal am ersten Geburtstag ihrer Tochter habe er sich gemeldet, obwohl alle Kontaktdaten beim Gericht bekannt gegeben worden seien.
Am 20.10.2016 beantragte der Antragsteller beim Landratsamt F. die Erteilung einer Duldungsbescheinigung. Bei dieser Gelegenheit gab er an, seit Dezember 2015 kenne er zwar die Telefonnummer der Kindsmutter, erreiche sie aber nie. Nur deshalb sei es nicht zu neuen Begegnungen mit seinem Kind gekommen. Der Umzug der Kindsmutter nach Norddeutschland habe Begegnungen bislang unmöglich gemacht. Am 02.10.2016 habe sie ein Konzert in N. besucht, sich aber nicht bei ihm gemeldet, um eine Begegnung zu vereinbaren.
Am 27.10.2016 erhielt der Antragsteller eine bis 20.01.2017 gültige Duldungsbescheinigung, die unter der auflösenden Bedingung der Entscheidung der Ausländerbehörde über die beantragte Aufenthaltserlaubnis ausgestellt und bis 02.06.2017 verlängert wurde.
Mit E-Mail vom 30.12.2016 teilte die Kindsmutter dem Landratsamt F. mit, sie wolle ab jetzt nicht mehr, dass der Antragsteller ihre Tochter besuche, weil es auf seiner Arbeit wieder zu Gewalt gekommen sei und sie Angst um ihr Kind habe.
Mit Bescheid vom 09.03.2017 lehnte die Ausländerbehörde den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 23.10.2015 ab (Ziffer I) und drohte ihm unter Bestimmung einer Frist für die freiwillige Ausreise von einem Monat ab Vollziehbarkeit dieses Bescheides die Abschiebung nach Vietnam an (Ziffern II und III). Die Ablehnung wird damit begründet, dass der Antragsteller nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist sei und vom Visumerfordernis nicht abgesehen werden könne (§ 5 Abs. 2 AufenthG). Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG hätten weder zum Zeitpunkt der Einreise des Antragstellers vorgelegen noch seien sie jetzt erfüllt. Solange der Antragsteller in familiärer Lebensgemeinschaft mit dem Kind und der Kindsmutter gelebt habe (03.10.2015 bis 12.12.2015), hätten zwar die speziellen Erteilungsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG vorgelegen. Dem Anspruch stehe jedoch die Nichterfüllung der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen, weil aufgrund der unerlaubten Einreise des Antragstellers in das Bundesgebiet (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 in Verbindung mit § 95 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 AufenthG bestehe. Damit habe der Antragsteller keinen Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG gehabt, sondern gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Ab 13.12.2015 seien bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht mehr erfüllt, da der Antragsteller seine elterliche Personensorge gegenüber dem Kind nicht mehr ausübe. Besondere Umstände, auf Grund derer es dem Antragsteller nicht zumutbar wäre, das Visumverfahren nachzuholen, lägen nicht vor, insbesondere, nachdem das Kind bis auf die ersten drei Monate nach seiner Geburt ohne persönliche unmittelbare Bindung zum Antragsteller aufgewachsen sei und angesichts fehlender Umgangsregelungen und der räumlichen Distanz keine konkrete Perspektive eines kindeswohldienlichen regelmäßigen Kontakts zu erkennen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheides verwiesen.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 20.03.2017, beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen am 21.03.2017, hat der Antragsteller Klage erhoben und beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 09.03.2017 zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen (B 4 K 17.253), sowie die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung wiederherzustellen.
Zur Begründung wird geltend gemacht, ein Ausweisungsinteresse bestehe nicht, weil es bei einmaligen Verstößen gegen Strafvorschriften aus systematischen Gründen keinen Anwendungsbereich des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG gebe. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG seien erfüllt. Insoweit werde auf das Protokoll über die Sitzung des Amtsgerichts A. am 21.06.2016 verwiesen (Anlage K1). Obwohl zunächst von Seiten der Kindsmutter ein Umgang massiv blockiert worden und sie nach der Gerichtsverhandlung nach Fe. gezogen sei, habe der Antragsteller große Anstrengungen unternommen, einen regelmäßigen Kontakt mit seiner Tochter herzustellen. Schließlich habe er sich in den vier Monaten ihres Zusammenlebens durchgängig um sie gekümmert, sodass trotz der kurzen Zeit eine Bindung zustande gekommen sei. Bereits mit Schreiben vom 12.05.2016 (Anlage K2) habe er sich an das Jugendamt gewandt. Nach der Gerichtsverhandlung sei vereinbart worden, dem Antragsteller noch vor der Abreise der Kindsmutter nach Fe. einen Umgangstermin zu ermöglichen, diese habe sich jedoch auf seine Anfragen nicht gemeldet. Zum Beweis würden folgende Schreiben vorgelegt:
– Schreiben des Klägers vom 08.08.2016 (Anlage K3)
– Schreiben des Jugendamtes vom 04.10.2016 (Anlage K4)
– Schreiben an Rechtsanwalt … vom 04.10.2016 (Anlage K5)
– Schreiben an Rechtsanwältin … vom 04.11.2016 (Anlage K6)
– Schreiben des Jugendamtes … vom 10.11.2016 und 16.12.2016 (K7+ K8)
Der Antragsteller habe eine Umgangsregelung nur deswegen nicht anhängig gemacht, weil er immer noch auf eine gütliche Einigung mit der Kindsmutter gehofft habe, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass diese im Sorgerechtsverfahren diesbezüglich ausdrücklich von der Familienrichterin aufgefordert worden sei. Am 08.01.2017 habe die Kindsmutter dem Antragsteller eine SMS geschickt, er könne seine Tochter besuchen, den Termin dann aber wieder abgesagt. Mit Hilfe des Jugendamtes Ost… sei am 06.02.2017 ein vom Jugendamt begleitetes Treffen zwischen dem Antragsteller und seiner Tochter zustande gekommen, für März sei ein erneutes Treffen vorgesehen. Der nur sporadische Umgang mit dem Kind sei nicht durch einen „Kontaktabbruch“ des Antragstellers entstanden, sondern zunächst durch die Verweigerungshaltung der Kindsmutter und dann durch den Umzug nach Fe. Immerhin müsse der Antragsteller eine Strecke von hin und zurück 1.600 km fahren, um seine Tochter zu sehen. Er tue jedoch alles, um die einmal bestandene persönliche Verbundenheit wiederherzustellen. Durch seine nachgewiesenen Bemühungen zeige sich seine Elternverantwortung. Seine Bestrebungen hätten ihren Grund nicht in aufenthaltstaktischen Erwägungen, sondern in der echten Zuneigung des Vaters zu seiner Tochter, die der Kindsmutter allerdings missfalle. Die Herstellung und Wahrung einer familiären Lebensgemeinschaft erfordere nicht unbedingt ein Zusammenleben, sondern werde getragen von tatsächlicher Anteilnahme des Vaters am Leben und Aufwachsen des Kindes. Dies sei im Rahmen des Art. 8 EMRK und Art. 6 GG angemessen zu berücksichtigen. Für Unterhaltszahlungen habe sich der Antragsteller Geld geliehen, soweit immer ihm dies möglich gewesen sei. Unstreitig habe er Unterhalt in Höhe von 434,00 EUR am 24.02.2016 sowie in Höhe von jeweils 135,00 EUR am 21.03.2016 und 13.04.2016 bezahlt. Außerdem habe er Kinderkleidung gekauft. Weitere Zahlungen seien ihm ohne Arbeitserlaubnis nicht möglich gewesen. Mit einer Arbeitserlaubnis wäre er in einem Restaurant als Koch in Vollzeit angestellt worden. Da schon jetzt eine Entfremdung zum Kind aufgrund der räumlichen Entfernung drohe, sei dem Antragsteller die Nachholung des Visumverfahrens in Vietnam nicht zuzumuten, da er in dieser Zeit keine Möglichkeit habe, sein Umgangsrecht in Deutschland mit seinem Kind durchzusetzen und seinen für das Kind notwendigen Erziehungs- und Betreuungsbeitrag zu leisten. Ein besonderes, über das Interesse an der Verfügung als solcher hinausgehendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung sei im Bescheid nicht dargelegt, sodass es am besonderen Begründungserfordernis des Sofortvollzuges fehle. Eine Ausreise des Antragstellers nach Vietnam würde eine Trennung von seiner Tochter für lange Zeit bedeuten. Sein geschütztes Interesse an der für das Kindeswohl erforderlichen Beteiligung an der Erziehung und Betreuung des Kindes überwiege damit das öffentliche Interesse an seiner kurzfristigen Ausreise. Nachdem der Antrag des Antragstellers vom 07.07.2016 auf Ausstellung einer Duldungsbescheinigung, bis die notwendigen Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel vorliegen, abgelehnt worden sei, werde höchst vorsorglich die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Duldung beantragt.
Mit Beschluss vom 22.03.2017 erklärte sich das Verwaltungsgericht A. für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das Verwaltungsgericht Bayreuth.
Das Landratsamt F. hat mit Schriftsatz vom 19.04.2017 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung sei zulässig, aber unbegründet, da die Aufenthaltsversagung nicht rechtswidrig sei. Es sei kein überwiegendes privates Aufschubinteresse gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes zu erkennen. Der Regelversagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG liege vor, sodass wegen fehlender Tatbestandsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG nicht von der Visumsnachholung abgesehen werden könne. Es sei nicht zutreffend, dass bei einmaligen Verstößen aus systematischen Gründen kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vorliege. Bereits ein einziger nicht geringfügiger Verstoß sei ausreichend. Der Tatbestand des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG sei nicht erfüllt, da die elterliche Sorge seit der Trennung der Eltern im Dezember 2015 bis heute vom Antragsteller tatsächlich nicht ausgeübt worden sei. In dieser Zeit habe er nachweislich keine einzige Begegnung mit seinem Kind gehabt. Seiner Behauptung, die Kontaktversuche und Ausübung der elterlichen Sorge seien ausschließlich auf das destruktive Verhalten der Kindsmutter zurückzuführen, stünden deren Angaben entgegen. Die geltend gemachten großen Anstrengungen des Antragstellers zur Herstellung regelmäßiger Kontakte seit dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung ab Dezember 2015 könnten nicht erkannt werden und seien mit den der Antragsschrift beigefügten Schreiben nicht ausreichend belegt. Schon bis zum Wegzug der Kindsmutter im Juli 2016 nach Fe. habe der Antragsteller keine ausreichenden Bestrebungen unternommen, den Umgang mit seinem Kind zu erhalten. Auffällig sei weiter, dass seine Bemühungen vom 12.05.2016 und 04.10.2016 in engem zeitlichen Zusammenhang mit entsprechenden Anforderungen der Ausländerbehörde über Nachweise der Ausgestaltung des Vater-Kind-Verhältnisses (Schreiben des LRA F. vom 06.04.2016 und 26.09.2016) erfolgt seien. Hätte beim Antragsteller tatsächlich ein Interesse an der Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft bestanden, hätte er bei dem angeblichen dauerhaft abgeneigten Verhalten der Kindsmutter nicht über einen so langen Zeitraum noch immer auf eine gütliche Umgangsgewährung hoffen dürfen, sondern sich zeitnah eine behördliche Umgangsregelung beschaffen müssen. Die für einen Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis erforderliche familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Kind habe demnach seit Dezember 2015 nicht mehr bestanden und der vorgebliche Aufenthaltszweck diene seit dem Wegfall der Vater-Kind-Beziehung lediglich zur Absicherung des Aufenthalts zur Arbeitsaufnahme im Bundesgebiet.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Ausländerakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 20.03.2017 gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Landratsamtes F. vom 09.03.2017 (Ziffern II. und III.) ist zulässig, aber nicht begründet.
1.1 Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung ist zulässig, insbesondere gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 VwGO in Verbindung mit Art. 21a VwZVG statthaft.
Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO in Verbindung mit Art. 21a Satz 1 VwZVG haben Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung nach Bundesrecht getroffen werden. Als eine solche Maßnahme stellt sich die Abschiebung gemäß §§ 58 ff AufenthG dar, weil sie ein bundesrechtlich geregelter Fall des unmittelbaren Zwangs ist (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 80 Rn. 70). Entfällt somit kraft Gesetzes die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage (§ 80 Abs. 1 VwGO) gegen die nach § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung, kann gemäß Art. 21a Satz 2 VwZVG in Verbindung mit § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen.
1.2 Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unbegründet, weil das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Vollzugsinteresse nicht überwiegt. Ausschlaggebend für das Ergebnis der gebotenen Interessenabwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, hier also die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung, weil nur insoweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt wird. Abzustellen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Nach summarischer Prüfung hat die Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung keine Aussicht auf Erfolg, weil diese rechtmäßig und der Antragsteller dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG setzt die Abschiebung eines Ausländers, die nach Maßgabe des § 59 AufenthG anzudrohen ist, unter anderem seine Ausreisepflicht und deren Vollziehbarkeit voraus. Der Antragsteller ist gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet, weil er unstreitig den erforderlichen Aufenthaltstitel (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) nicht besitzt. Seine Ausreisepflicht ist gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AufenthG auch vollziehbar, weil er unerlaubt eingereist ist (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) und infolgedessen trotz erfolgter Antragstellung am 23.10.2015 sein Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 AufenthG als erlaubt gilt.
Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Dem entspricht die Bestimmung einer Ausreisefrist von einem Monat in Ziffer II. des Bescheides vom 09.03.2017. Besondere Umstände des Einzelfalles, unter deren Berücksichtigung gemäß § 59 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine längere Ausreisefrist in Betracht zu ziehen wäre, liegen nicht vor. Insbesondere ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass das Kind aufgrund besonderer Umstände (beispielsweise Krankheit) auf einen längeren Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet angewiesen ist, nachdem ein Umgang – aus welchen Gründen auch immer – bislang ohnehin kaum stattfindet.
Ziffer III. des Bescheides vom 09.03.2017 entspricht § 59 Abs. 2 AufenthG, indem Vietnam als Zielstaat der angedrohten Abschiebung bezeichnet wird. Der Hinweis, dass der Antragsteller auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist, erübrigt sich, da in diesem Fall die Abschiebung ohnehin erneut angedroht werden müsste.
Gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG steht dem Erlass der Androhung das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung ist daher unabhängig davon abzulehnen, ob ein Rechtsanspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und damit möglicherweise ein Duldungsgrund gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG besteht.
2. Die Erfolgsaussichten der auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zielenden Verpflichtungsklage sind für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nur dann entscheidungserheblich, wenn, gestützt auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, (auch) für diese Klage die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt wird. Ein solcher Antrag wurde vorliegend nicht gestellt und wäre auch nicht statthaft, weil die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zielenden Verpflichtungsklage nur in den Fällen des § 81 Abs. 3 bzw. Abs. 4 AufenthG, in denen dadurch die Fiktionswirkung der Antragstellung über die Entscheidung der Ausländerbehörde hinaus verlängert werden kann, einen Sinn ergibt. Die Tatbestände des § 81 Abs. 3 bzw. Abs. 4 AufenthG sind unstreitig nicht erfüllt, insbesondere hält sich der Antragsteller, wie dargelegt, ohne Aufenthaltstitel nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Liegt somit hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kein Fall des § 80 VwGO vor, ist gemäß § 123 Abs. 5 VwGO ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der einstweiligen Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Duldung des Antragstellers statthaft.
Legt man den höchst vorsorglich gestellten Klageantrag, den Beklagten zur Erteilung einer Duldung zu verpflichten, als gleichzeitig gestellten zulässigen Antrag auf Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung aus, ist dieser ebenfalls nicht begründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Das zu sichernde Recht, der Anordnungsanspruch, und die Eilbedürftigkeit, der Anordnungsgrund, sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Geht es um einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, kann dieses Recht, ohne die Hauptsache in unzulässiger Weise vorwegzunehmen, dadurch gesichert werden, dass die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Duldung des Antragstellers gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausgesprochen wird. Denn die Abschiebung eines Ausländers ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn die effektive Verfolgung und Geltendmachung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis dadurch vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Darüber hinaus kann gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern.
Der Antragsteller hat weder einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen noch humanitäre oder persönliche Gründe, die seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern, glaubhaft gemacht.
2.1 Gemäß § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts) zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Allein vom formellen Bestehen des Sorgerechts gehen noch keine aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus, sondern es kommt auf die tatsächliche Ausübung des Sorgerechts an. Erforderlich ist, dass der Sorgeberechtigte nach außen erkennbar in ausreichendem Maße Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt (Heilbronner, Ausländerrecht, Stand: Dezember 2016, § 28 Rn. 13). Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Kindes und des Elternteils im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen (BayVGH, Urteil vom 26.09.2016 – 10 B 13.1318, Rn. 32, juris).
Eine tatsächliche Ausübung des Sorgerechts hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Auch unter Berücksichtigung der Erklärung der Vertreterin des Jugendamtes in der Sitzung des Amtsgerichts A. am 21.06.2016, dass es für das Kind einfach gut sei, wenn der Vater weiter im Land sei, sowie der in dieser Sitzung geschlossenen Vereinbarung, dass die Beteiligten sich bemühen, den Umgang des Kindes mit dem Vater soweit möglich zu fördern, stellt sich die objektive Situation so dar, dass das Kind nur während seiner ersten drei bis vier Lebensmonate Umgang mit dem Antragsteller hatte. Von Mitte Dezember 2015 bis heute gab es laut Antragserwiderung überhaupt keinen persönlichen Kontakt mehr und laut Antragsbegründung nur ein einziges vom Jugendamt begleitetes Treffen am 06.02.2017. Daraus wird deutlich, dass eine verantwortungsvoll gelebte und dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner Tochter schon angesichts des fehlenden persönlichen Kontakts nicht besteht. Selbst wenn sich der Antragsteller während der ersten drei bis vier Lebensmonate um das Kind gekümmert hat, war diese Zeit zu kurz, um eine kontinuierliche emotionale Bindung des Kindes zu ihm herzustellen, deren Intensität und Nachhaltigkeit ausreicht, um eine anschließende Trennung von über einem Jahr zu überdauern. Nach den derzeitigen Gegebenheiten hat der Antragsteller trotz Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge auch nahezu keine Möglichkeit, einen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes nehmen, weil die Kindsmutter aufgrund der erteilten Sorgerechtsvollmacht alle insoweit relevanten Handlungen allein vornehmen kann. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG sind damit nicht erfüllt.
Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheitert auch am Visumerfordernis des § 5 Abs. 2 AufenthG. Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer nicht – wie der Antragsteller – unerlaubt, sondern mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Hiervon kann gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Dass die Voraussetzungen eines Anspruchs nicht erfüllt sind, wurde soeben dargelegt. Die Nachholung des Visumverfahrens ist auch zumutbar, weil, wie ebenfalls dargelegt, mit dieser Forderung nicht in eine bestehende Eltern-Kind-Beziehung eingegriffen wird.
2.2. Besteht – wie hier – noch kein Eltern-Kind-Verhältnis, kann ein beabsichtigtes Familienleben ausnahmsweise unter den Schutz des Art. 8 EMRK fallen, wenn der ausländische Elternteil glaubhaft macht, dass er sich gegenüber dem das Umgangsrecht vereitelnden anderen Elternteil nachhaltig und ernsthaft um die Ausübung des Umgangsrechts mit dem Kind bemüht hat. Von entscheidender Bedeutung ist, ob der Umgang mit dem ausländischen Elternteil dem Wohl des Kindes dient. In diesem Fall kommt für die Dauer der Durchsetzung eines Umgangsrechts vor den Familiengerichten und der Kontaktanbahnung zur effektiven Wahrung der Rechte aus Art. 8 EMRK eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG in Betracht (BayVGH, a.a.O. Rn. 35 und 40, juris).
Entsprechende nachhaltige und ernsthafte Bemühungen um die Ausübung des Umgangsrechts mit dem Kind hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Für die Zeit von Dezember 2015 bis zur Sitzung des Amtsgerichts A. am 21.06.2016, in der Mutter und Kind noch in Hei. wohnten, ist nur eine einzige Kontaktaufnahme mit dem Jugendamt dokumentiert. Auch in der Sitzung des Familiengerichts am 21.06.2016 kämpfte der Antragsteller offensichtlich nicht um eine verbindliche Umgangsregelung, sondern gab sich mit der völlig unbestimmten Vereinbarung zufrieden, dass die Beteiligten sich bemühen, den Umgang des Kindes mit dem Vater soweit möglich zu fördern. Dabei wäre das Bestehen auf einer verbindlichen Umgangsregelung angesichts der Verweigerungshaltung der Kindsmutter und ihrer Ankündigung, im Juli nach Fe. zu ziehen, durchaus angezeigt gewesen. Verdichtet haben sich die Umgangsbemühungen des Antragstellers erst mit zunehmendem Druck der Ausländerbehörde in seinem aufenthaltsrechtlichen Verfahren. Gerichtlich hat der Antragsteller sein Umgangsrecht bis heute nicht geltend gemacht, obwohl die Kindsmutter Ende 2016 signalisiert hatte, sich auch an die Vereinbarung vom 21.06.2016 nicht mehr halten zu wollen. Nachdem der Antragsteller über ein Jahr Zeit hatte, sich ein Umgangsrecht zu erstreiten, und diese Zeit nicht mit der gebotenen Nachhaltigkeit und Ernsthaftigkeit genutzt hat, besteht jetzt keine Veranlassung zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG.
3. Nach alledem wird der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Antragsteller als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abgelehnt.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG (halber Auffangstreitwert).

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