Verwaltungsrecht

Kein Rechtsschutzbedürfnis bei Abschiebungsandrohung in den “Herkunftsstaat”

Aktenzeichen  M 12 S 16.33594

Datum:
21.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 36, § 67 Abs. 1 Nr. 4
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Da aufgrund einer Abschiebungsandrohung in den “Herkunftsstaat” Vollstreckungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden können, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Rechtzeitig vor der Durchführung der Abschiebung muss ein konkreter Zielstaat bekannt gegeben werden. Erst dann kann auch ein zulässiger Eilantrag gestellt werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Anträge werden abgelehnt.
II.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind eigenen Angaben zufolge eritreische Staatsangehörige und reisten am … Oktober 2014 auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein. Sie stellten am 1. Dezember 2014 einen Asylantrag.
Bei ihrer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erklärte die Antragstellerin zu 2) am 14. Juli 2016 im Wesentlichen, sie habe Eritrea im Jahr 2002 im Alter von sieben Jahren verlassen und dann in der Nähe von … in Äthiopien gelebt. Von dort sei sie 2009 aufgebrochen und habe fünf Jahre im Sudan gelebt. 2013 habe sie dort ihren Ehemann kennengelernt und am … Mai 2014 geheiratet. Am … Oktober 2014 sei sie zusammen mit ihrem Ehemann nach Deutschland eingereist. 2002 sei in Eritrea Krieg gewesen. Es habe keine Demokratie und Religionsfreiheit gegeben. Es habe doch keinen Krieg gegeben 2002, aber wenn man keine guten Noten in der Schule gehabt habe, sei man sofort in den Nationaldienst gekommen. Sie sei mit ihrer Mutter im Alter von sieben Jahren nach Äthiopien ausgereist. Ihre Mutter habe ihr erzählt, dass sie wegen fehlender Demokratie und Religionsfreiheit und wegen des Krieges ausgereist seien. Auf Frage, was ihre Mutter über ihre Heimat erzählt habe, erklärte die Antragstellerin zu 2), sie habe überhaupt nichts erzählt, nur von dem Ort S., aus dem sie kämen und von L., wo sie geboren sei. Persönlich könne sie sich an nichts erinnern. Nach dem Tod ihrer Mutter habe sie in Äthiopien bei einer Nachbarin gelebt und diese nach der Schule unterstützt. In den Sudan sei sie ausgereist, weil immer wieder Herren übernachtet hätten und sie sich zunehmend schlechter verstanden hätten. Auch in der Schule sei sie oft schlecht behandelt worden. Im Sudan habe sie Probleme gehabt, weil sie Christin sei. Sie habe auch ein Kreuz auf der Stirn tätowiert. Auch mit Behörden habe sie Probleme gehabt. Sie sei viermal inhaftiert worden. Im Fall der Rückkehr nach Eritrea komme sie mit Sicherheit ins Gefängnis. Sie sei im zweiten Monat schwanger.
Der Antragsteller zu 1) erklärte bei seiner Anhörung am 14. Juli 2016, er habe Eritrea am 27. März 2013 verlassen. Er habe ein Jahr und vier Monate im Sudan in einer Goldmine gearbeitet. Am 1. Juli 2014 habe er mit seiner Frau den Sudan verlassen. In Eritrea sei ihm persönlich nichts passiert. Von seiner Mutter habe er 2013 erfahren, dass die Soldaten ihn für einen Schlepper hielten. Er habe sich dann in einer Kirche ca. zwei Wochen versteckt. Er habe Angst vor den Soldaten und dem Gefängnis gehabt. Mit Schleppern habe er nichts zu tun gehabt. Im Fall der Rückkehr habe er Angst, ins Gefängnis zu müssen.
Mit Bescheid vom 23. September 2016 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anträge auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab und verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Die Antragsteller wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung in den Herkunftsstaat oder in einen anderen Staat angedroht, in den die Antragsteller einreisen dürfen oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet ist. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Würdigung aller Umstände führe nicht zu der Überzeugung, dass die Antragsteller die eritreische Staatsangehörigkeit tatsächlich besitzen. Die Antragsteller hätten keine Personaldokumente vorlegen können. Das Vorbringen sei nicht glaubhaft, da die Einreise ins Bundesgebiet ohne Legitimitätspapiere erfolgt sein solle. Es seien keinerlei Unterlagen vorgelegt worden, aufgrund derer die Identität der Antragsteller hätte überprüft werden können. Darüber hinaus sei in der Anhörung deutlich geworden, dass der Antragsteller zu 1) ein äthiopisches Tigrina spreche. Die Antragstellerin zu 2) spreche Amharisch, das in Äthiopien gesprochen werde. Es dränge sich der Verdacht auf, dass die eritreische Staatsangehörigkeit vorgegeben worden sei, um sich im Asylverfahren eine bessere Ausgangsposition zu verschaffen. Aufgrund der ungeklärten Staatsangehörigkeit müsse die Furcht vor Verfolgung und die Gefahr eines drohenden Schadens als nicht glaubhaft dargelegt angesehen werden. Aufgrund des Sachvortrags ließen sich weder flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlungen noch Verfolgungsgründe für Eritrea oder den Sudan erkennen. Auch einen ernsthaften Schaden bei Rückkehr in ihr Herkunftsland hätten sie nicht darlegen können. Ein unbegründeter Asylantrag sei als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täusche oder diese Angaben verweigere. Ein Abschiebungsverbot könne lediglich dann festgestellt werden, wenn im Zielstaat der Abschiebung die drohenden Gefahren bestünden. Die Antragsteller hätten keine glaubhaften Angaben zu ihrem Herkunftsland gemacht. Aufgrund dessen komme eine Abschiebung in das angebliche Herkunftsland Eritrea nicht in Betracht. Hinsichtlich anderer Staaten hätten die Antragsteller keine Gründe für die Annahme drohender Gefahren geltend gemacht. Den Antragstellern sei die Abschiebung in den Herkunftsstaat anzudrohen gewesen, da aufgrund ungeklärter Staatsangehörigkeit keine konkrete Benennung des Ziellandes erfolgen könne. Die Abschiebungsandrohung enthalte daher nur einen unverbindlichen Hinweis. Vor Vollzug der Abschiebung sei der Zielstaat konkret zu bezeichnen. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristsetzung seien weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Die Antragsteller verfügten über keine wesentlichen Bindungen im Bundesgebiet.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom … Oktober 2016, bei Gericht am selben Tag eingegangen, haben die Antragsteller Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. September 2016 aufzuheben und festzustellen, dass die Antragsteller asylberechtigt sind und die Flüchtlingseigenschaft, der subsidiäre Schutzstatus und Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bei ihnen vorliegen.
Gleichzeitig haben sie beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsteller seien eritreische Staatsangehörige. Beide würden versuchen, entsprechende Nachweise vorzulegen. Es sei unzutreffend, dass der Antragsteller Tigrin mit amheimischen Untersetzungen spreche. Beide sprächen das Tigrin, das in Eritrea gesprochen werde. Im Übrigen sei die Antragstellerin zu 2) schwanger.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die Anträge sind mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Mit dem Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses wird zum Ausdruck gebracht, dass nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat und beim Fehlen eines solchen Interesses das prozessuale Begehren als unzulässig abgewiesen werden muss (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, vor § 40 Rn. 30).
Für die vorliegenden Anträge, die sich gegen die sofortige Vollziehung der Abschiebungsandrohung richten (§ 36 Abs. 3 Asylgesetz – AsylG -), besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, weil sie den Antragstellern keinen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil bringen können (VG Augsburg, B. v. 30.6.2011 – Au 6 S 11.30199 – juris).
Im Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. September 2016 wurde lediglich eine Abschiebung in den Herkunftsstaat angedroht. Aufgrund einer Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat können Vollstreckungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden. Die Antragsteller bedürfen daher keiner gerichtlichen Entscheidung, durch die sie vor Abschiebungsmaßnahmen geschützt werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 25.7.2000 – 9 C 42/99 – juris) besitzt eine Abschiebungsandrohung mit der Angabe des Herkunftsstaates als Zielstaat keinen Regelungscharakter, sondern stellt lediglich einen vorläufigen unverbindlichen Hinweis dar, aus dem sich keine Rechtsfolgen ergeben. Dieser Hinweis, mit dem nicht mehr erreicht werden kann als mit dem allgemeinen Hinweis auf andere aufnahmebereite Staaten, soll dem Ausländer lediglich klar machen, dass er ohne erneute Abschiebungsandrohung in einen später noch zu benennenden Staat abgeschoben werden kann. Vor einer Durchführung der Abschiebung muss der konkrete Zielstaat so rechtzeitig bekannt gegeben werden, dass der Ausländer gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann. Solange ein Zielstaat nicht feststeht, kann eine Abschiebung schon aus tatsächlichen Gründen nicht vorgenommen werden. Dementsprechend kann auch ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässigerweise erst dann gestellt werden, wenn dem ausreisepflichtigen Ausländer die Abschiebung im Hinblick auf ein konkretes Ziel angedroht worden ist; dies ist bei den Antragstellern noch nicht der Fall.
Im Hinblick darauf kann die Tatsache, dass im Rahmen des gem. § 36 AsylG gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO auch zu prüfen ist, ob die Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet durch das Bundesamt rechtmäßig war, kein aktuelles rechtliches Interesse der Antragsteller an einer Entscheidung des Gerichtes begründen, da es ausreichend ist, wenn die Antragsteller nach der Konkretisierung des Zielstaates Gelegenheit erhalten, ihre rechtlichen Interessen wahrzunehmen und die Entscheidung des Bundesamtes in ihrer Gesamtheit einer Richtigkeitskontrolle zu unterziehen.
Auch bezüglich seines Aufenthaltsstatus droht den Antragstellern keine Verschlechterung ihrer Rechtsposition. Nach § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG erlischt zwar die Aufenthaltsgestattung unter anderem, wenn eine nach dem Asylgesetz erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Im Falle eines rechtzeitigen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO tritt die Vollziehbarkeit nach der gerichtlichen Entscheidung ein (§ 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG). Da aber die Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat lediglich einen unverbindlichen Hinweis ohne Regelungscharakter darstellt und damit eine tatsächlich vollziehbare Abschiebungsandrohung nicht vorliegt, kann im Ergebnis auch nicht von einem Erlöschen der Aufenthaltsgestattung gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ausgegangen werden.
Die Anträge war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.


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