Verwaltungsrecht

Kein vorläufiger Rechtsschutz gegen Abschiebungsandrohung nach Griechenland

Aktenzeichen  AN 17 E 20.50366

Datum:
16.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32217
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 4, § 80b Abs. 1 S. 1 Alt. 1, § 123 Abs. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35, § 37 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Möglichkeit der Behörde, den Vollzug eines Verwaltungsakts, gegen den Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung zukommt, nach § 80 Abs. 4 VwGO – auch von Amts wegen – aussetzen zu können, stellt eine verfahrensrechtliche Nebenentscheidung aber nicht selbst einen Verwaltungsakt dar. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufgrund der speziellen Wirkung des § 37 Abs. 1 AsylG ist eine Aussetzungsentscheidung auch für Unzulässigkeitsbescheide nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG eine Option. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Wirkung der Aussetzungsentscheidung entfällt nach § 80 Abs. 4 VwGO in jedem Fall mit Eintritt der Bestandskraft des Verwaltungsakts. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege vorläufigen Rechtsschutzes die Abwendung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Zuge einer angedrohten Abschiebung aus einem Unzulässigkeitsbescheid der Antragsgegnerin gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG mit dem Rückführungszielland Griechenland.
Der Antragsteller, irakischer Staatsbürger, stellte am 25. Juli 2019 in der Bundesrepublik Deutschland einen unbeschränkten Asylantrag, der mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. September 2019 nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt worden war. Dem Antragsteller war bereits in Griechenland internationaler Schutz gewährt worden, was die Abfrage aus der EURODAC-Datenbank für den Antragsteller ergab. Im Bescheid drohte die Antragsgegnerin den Antragsteller die Abschiebung nach Griechenland an, sollte er nicht binnen einer Frist von einer Woche ab Bekanntgabe der Entscheidung das Bundesgebiet verlassen. Zugleich setzte das Bundesamt für … unter Ziffer 5. des Bescheidtenors die Vollziehung der Abschiebungsandrohung aus. Hinsichtlich der dazu gegebenen Begründung wird auf die Gründe des Bescheids vom 10. September 2019 verwiesen.
Der Antragsteller erhob gegen den Bescheid vom 10. September 2019 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg (Verfahren RO 3 K 19.31975). Mit Urteil vom 5. August 2020 wurde die Klage abgewiesen. Dieses Urteil ist seit dem 12. September 2020 rechtskräftig; Rechtsmittel wurden nicht eingelegt.
Dem Antragsteller wurde mit Bescheid der Regierung … vom 30. Juli 2020 ein Wohnsitz in … ab dem 11. August 2020 zugewiesen.
Mit Schreiben vom 30. September 2020 teilte die Zentrale Ausländerbehörde bei der Regierung … dem Antragsteller mit, dass er vollziehbar ausreisepflichtig sei und forderte ihn auf, freiwillig der Ausreisepflicht bis zum 15. Oktober 2020 nachzukommen. Widrigenfalls habe der Antragsteller mit der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung zu rechnen.
In der Folge widersprach der Bevollmächtigte des Antragstellers schriftlich gegenüber der Antragsgegnerin und der Ausländerbehörde einer Ausreispflicht. Nach seiner Auffassung sei die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 10. September 2019 bedingungslos ausgesetzt worden. Die Gründe im Bescheid zur Aussetzung seien nur allgemeiner Natur. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung sei nach wie vor ausgesetzt. Die anderslautende Auffassung der Ausländerbehörde sei mit dem Bestimmtheitsgebot nach § 37 Abs. 1 VwVfG sowie dem Verbot willkürlicher Entscheidungen nicht vereinbar. Auf die Begründung des Bescheids komme es nicht an. Dort sei nicht angegeben, warum es zur Aussetzung der Vollziehung gekommen sei. Es fehle auch an Ausführungen, wann ein dort bezeichneter Widerruf der Aussetzungsentscheidung durch das Bundesamt für … erfolgen könne. Es wäre dem Belieben der Behörde anheimgestellt, einen solchen Widerruf auch jederzeit vor Eintritt der Rechtskraft zu erklären. Die Antragsgegnerin habe im Ergebnis der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers auf Grundlage der Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 10. September 2019 nicht möglich sei.
Mit Schriftsatz vom 2. November 2020, bei Gericht per Telefax am 3. November 2020 eingegangen, stellte der Antragsteller über seinen Bevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO mit dem wörtlichen Antrag:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegenüber dem Antragsteller Abstand zu nehmen und der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der Antragsteller nicht vollziehbar zur Ausreise verpflichtet ist.
Zur Begründung seines Antrages nach § 123 Abs. 1 VwGO trägt der Antragstellerbevollmächtigte seine bereits gegenüber der Antragsgegnerin und der Ausländerbehörde geäußerte Rechtsauffassung vor.
Die Antragsgegnerin hat die Asylakte zum Verfahren des Antragstellers vorgelegt und sich mit Schreiben vom 5. November 2020 geäußert. Sie hat beantragt,
Der Antrag wird abgelehnt.
Sie erachtet mit Eintritt der Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung als gegeben.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Gerichtsakte RO 3 K 19.31975 und die in elektronischer Form vorgelegte Behördenakte (Az. …*) verwiesen.
II.
Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach ist aus § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO örtlich zuständig zur Entscheidung über den Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO. Der Antragsteller hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht einen zugewiesenen Aufenthaltsort in … und damit im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angegangenen Gerichts. Es handelt sich überdies auch um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz, denn der Antragsteller begehrt sinngemäß die vorläufige Beendigung aufenthaltsbeendender Maßnahmen aus einer Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG. Insoweit liegt kein Verwaltungsakt vor, der allein auf dem Aufenthaltsgesetz beruht. Der inzwischen rechtskräftige Abschluss des Verfahrens über die Rechtmäßigkeit dieser Abschiebungsandrohung bildet auch keine zeitliche Grenze für die Anwendbarkeit des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO (NK-VwGO/Jan Ziekow, 5. Aufl. 2018, VwGO § 52 Rn. 20).
Der Antrag richtet sich zutreffend gegen die Antragsgegnerin und nicht gegen die Ausländerbehörde. In Streit stehen die Wirkungen einer Vollzugsaussetzung nach § 80 Abs. 4 VwGO betreffend eine Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG in einem Bescheid der Antragsgegnerin.
§ 123 Abs. 5 VwGO steht der Statthaftigkeit des Antrags nicht entgegen. Ein Verfahren nach § 80 Abs. 5 bzw. 7 VwGO kommt ersichtlich nicht in Betracht, nachdem die gegen die Abschiebungsandrohung gerichtete Anfechtungsklage inzwischen rechtskräftig abgewiesen wurde und ein Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ohnehin vor dem Verwaltungsgericht Regensburg nicht geführt worden war. Seinem Ziel nach begehrt der Antragsteller eine vorläufige Regelung von Abschiebungsschutz, da er die Vollziehbarkeit aber nicht die Rechtmäßigkeit der hierfür heranzuziehenden Abschiebungsandrohung in Zweifel zieht.
Ob der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO sonst an einem Zulässigkeitsmangel leidet, insbesondere ob der Antragsteller für seinen Antrag ein Rechtschutzbedürfnis hat oder sich der Antrag als rechtsmissbräuchlich erweist, kann dahinstehen. Denn jedenfalls liegen die inhaltlichen Voraussetzungen für den Erlass eines stattgebenden Beschlusses nach § 123 Abs. 1 VwGO offenkundig nicht vor.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in Bezug auf den Streitgegenstand eine vorläufige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Die einstweilige Anordnung ergeht, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund für den vorläufigen Rechtsschutz gegeben sind. Der Anordnungsanspruch ist der zu sichernde bzw. zu regelnde materielle Anspruch, auf den der Antragsteller sich im Hauptsacheverfahren beruft. Der Anordnungsgrund hingegen ergibt sich nicht aus materiellem Recht, sondern aus der besonderen Dringlichkeit des Rechtsschutzbegehrens (vgl. zum Vorstehenden: Kuhla in BeckOK VwGO, Stand 1.7.2019, Rn. 72 f.). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ausreichend ist insoweit, wenn das Gericht von ihrer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgeht (Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019 § 123 Rn. 51).
Hier fehlt es offenkundig bereits an einem Anordnungsanspruch. Ungeachtet der Frage, aus welcher Rechtsnorm sich ein Anspruch des Antragstellers ergeben könnte, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen aus einer bestandskräftigen Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG verschont zu bleiben, geht die Argumentation des Antragstellers fehl.
Zutreffend erweist sich die Auffassung der Antragsgegnerin und der Ausländerbehörde, dass aus der Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 10. September 2019 die Rückführung des Antragstellers nach Griechenland oder in ein anderes aufnahmebereites und -verpflichtetes Land, mit Ausnahme des Irak, vollzogen werden kann. Die Möglichkeit der Behörde, den Vollzug eines Verwaltungsakts, gegen den Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung zukommt, nach § 80 Abs. 4 VwGO – auch von Amts wegen – aussetzen zu können, stellt eine verfahrensrechtliche Nebenentscheidung aber nicht selbst einen Verwaltungsakt dar (BayVGH, B.v. 7.11.2018 – 9 ZB 15.792 – BeckRS 2018, 28711). § 37 Abs. 1 VwVfG erweist sich somit nicht als Prüfungsmaßstab für Ziffer 5. des Tenors des Bescheids der Antragsgegnerin vom 10. September 2019.
Die Möglichkeit einer behördlichen Aussetzungsentscheidung bestand hier auch, da der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG keine aufschiebende Wirkung zukam (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Aufgrund der speziellen Wirkung des § 37 Abs. 1 AsylG hat das Bundesverwaltungsgericht eine solche Aussetzungsentscheidung gerade auch für Unzulässigkeitsbescheide nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als Option des Bundesamtes für … gesehen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2019 – 1 C 15.18 – NVwZ 2019, 794). Dabei steht die behördliche Aussetzungsentscheidung jedoch nicht losgelöst von dem Verwaltungsakt, sondern dient – wie schon durch die systematische Stellung des § 80 Abs. 4 VwGO deutlich wird – der Verwirklichung von Rechtsschutz in Bezug auf den Verwaltungsakt. Folgerichtig entfällt die Wirkung der Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 4 VwGO in jedem Fall mit Eintritt der Bestandskraft des Verwaltungsakts (so auch: BayVGH, B.v. 7.11.2018, a.a.O.), was nicht nur mittlerweile eine Selbstverständlichkeit des allgemeinen Verwaltungsprozessrechts ist, sondern sich auch noch einmal aus § 80b Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 u. Satz 2 VwGO ergibt. Mit Bestandskraft des Verwaltungsakts, dessen Vollziehung ausgesetzt wurde, steht dem Grunde nach fest, dass er Geltung beansprucht und seine Regelungswirkung entfaltet. So lag der Fall hier. Eine explizite Tenorierung dieser verwaltungsprozessualen Selbstverständlichkeit brauchte die Antragsgegnerin in Ziffer 5. ihres Bescheids vom 10. September 2019 daher nicht vornehmen. Dass zu Gunsten des Antragstellers § 43 AsylG eingreifen könnte, hat er nicht vorgetragen.
Auf die Frage, ob im Fall des Widerrufs der Aussetzungsentscheidung nach Ziffer 5. des Bescheids vom 10. September 2019 oder einer Befristung der Aussetzungsentscheidung besondere Anforderungen an die Tenorierung oder zumindest die Bescheidsgründe bzw. der Widerrufsentscheidung zu stellen sind, kommt es hier nicht an. Die Antragsgegnerin hat keinen solchen Widerruf erklärt, sondern schlicht den Eintritt der Bestandskraft der Abschiebungsandrohung mit Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils abgewartet. Dem Einwand des Antragstellers, die Gründe zu Ziffer 5. des Bescheids vom 10. September 2019 seien willkürlich, ist daher auch nicht weiter nachzugehen.
Da der Antragsteller sonst nichts vorgetragen hat, das im Sinne seines Rechtschutzziels noch erheblich wäre, war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.


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