Verwaltungsrecht

Kein weiteres Asylverfahren bei negativem Abschluss eines Asylverfahrens in Belgien

Aktenzeichen  M 21 S 17.44079

Datum:
26.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylG AsylG § 26a, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a

 

Leitsatz

1 Gemäß § 71a Abs. 4 iVm § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Falle eines Zweitantrags, in dem ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Solche liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG BeckRS 9998, 170716). (Rn. 12) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 § 71a AsylG setzt den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus. Dabei muss der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat durch rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht. (Rn. 14) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Integrationsgesichtspunkte besitzen im Rahmen der für die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG maßgeblichen Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote keine Bedeutung. (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben sierra-leonischer Staatsangehöriger. Er reiste am 10. November 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 17. Dezember 2014 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Im Rahmen seines persönlichen Gesprächs zu Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates erklärte der Antragsteller, er habe im September 2014 in Belgien bereits Schutz beantragt. Neue Gründe und Beweismittel, die nicht in diesem früheren Verfahren geltend gemacht worden seien, habe er nicht. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 30. August 2016 führte der Antragsteller ergänzend aus, in Belgien sei sein Asylantrag abgelehnt worden.
Auf ein Informationsersuchen nach Art. 34 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 wandte sich das Immigration Office des Königreichs Belgien mit Schreiben vom 20. März 2017 an das Bundesamt und erklärte, der Antragsteller habe am 5. September 2014 in Belgien Asyl beantragt. Dies sei am 30. September 2014 abgelehnt und die ablehnende Entscheidung am 31. Oktober 2014 gerichtlich bestätigt worden.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 29. Mai 2017, zugestellt am 31. Mai 2017, wurde der Antrag als unzulässig abgelehnt. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen, und der Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung nach Sierra Leone wurde angedroht. Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es handele sich bei dem erneuten Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland um einen Zweitantrag im Sinne des § 71 a AsylG, da der Antragsteller bereits in einem sicheren Drittstaat gemäß § 26 a AsylG ein Asylverfahren erfolglos betrieben habe. Wiederaufgreifensgründe habe der Antragsteller weder dargelegt noch seien sie sonst ersichtlich. Abschiebungsverbote lägen nicht vor.
Hiergegen hat der Antragsteller am 6. Juni 2017 durch seine Bevollmächtigte Klage erhoben (M 21 K 17.44078), mit der er (sinngemäß) beantragt, den Bescheid vom 19. Juni 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Zugleich beantragt er, hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung führt er aus, er habe sich in vorbildlicher Weise in die deutsche Gesellschaft integriert. Zudem leide er an Hepatitis B, was alle sechs Monate kontrolliert werden solle.
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 26. Juli 2017 die Behördenakten vorgelegt. Eine Äußerung erfolgte weder zum Klagenoch zum Eilverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowohl in diesem als auch im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
Gemäß §§ 71a Abs. 4 i.V.m. 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Falle eines Zweitantrages, in dem ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99). Dies ist hier im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) nicht der Fall.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen. Andernfalls ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG.
§ 71a AsylG setzt damit den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 22ff; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 24ff). Hierbei muss der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat durch rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N.). Dies bedeutet, dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen.
Dies ist vorliegend der Fall. Auf ein Informationsersuchen nach Art. 34 VO 604/2013 hat der Mitgliedstaat Belgien die erbetenen Informationen, einschließlich eingelegter Rechtsbehelfe und deren Ausgang, übermittelt. Damit ist die Antragsgegnerin ihrer Amtsermittlungspflicht hinreichend nachgekommen. Das Gericht hat keinen Anlass an der Rechtmäßigkeit des Asylverfahrens in Belgien zu zweifeln, zumal der Antragsteller hierzu auch nichts vorgetragen hat.
Abschiebungsverbote sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg auf ein von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasstes gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot berufen. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der Fassung des am 17. März 2016 in Kraft getretenen Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Nach § 60a Abs. 2c) Satz 1 bis 3 AufenthG in derselben Gesetzesfassung wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, dass seiner Abschiebung nach Sierra Leone gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, nicht erfolgreich widerlegt. Das Attest vom 29. August 2017 entspricht schon nicht den inhaltlichen Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG, die aus formeller Sicht an es zu stellen sind. Denn es lässt jegliche Aussage zur Tatsachenerhebung, dem Schweregrad der Erkrankung sowie den Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, jedenfalls insoweit vermissen, als es das materiell von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verlangte Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung betrifft, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
Die vom Antragsteller im gerichtlichen Verfahren geltend gemachten Integrationsgesichtspunkte spielen im Rahmen der für der Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG maßgeblichen Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote ebenfalls keine Rolle und vermag daher nicht zu einer für den Antragsteller günstigen Entscheidung im vorliegenden Verfahren führen.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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