Verwaltungsrecht

Keine Anerkennung als Asylberechtigter

Aktenzeichen  W 8 K 18.32312

Datum:
28.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 1099
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a Abs. 1
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1
AsylG § 3, § 4, § 25, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Die Ansprüche auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie auf Anerkennung als Asylberechtigter scheiden aus, da dem Gericht keine asylrechtlich relevanten Gründe glaubhaft dargelegt wurden. (Rn. 11 – 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage konnte entschieden werden, obwohl von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung keiner erschienen ist (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 6. November 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG sowie auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben auf dem Landweg aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG).
Das Gericht kommt des Weiteren aufgrund der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel – ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid – zu dem Ergebnis, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Algerien keine politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht (vgl. auch BayVGH, B. v. 29.10.2018 – 15 ZB 18.32711 – juris; B.v.14.8.2018 – 15 ZB 18.31693 – juris).
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen, zumal in der mündlichen Verhandlung von Klägerseite niemand erschienen ist und der Kläger offenbar kein Interesse hatte, sein Anliegen persönlich gegenüber dem Gericht zu vertreten, sowie – trotz Aufforderung nach § 87b Abs. 3 VwGO – überhaupt keine Klagebegründung oder sonst ein relevantes Vorbringen erfolgte. Unter Zugrundelegung der (früheren) Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.
Das Gericht hat schon Zweifel am klägerischen Vorbringen aufgrund der in der Vergangenheit gemachten widersprüchlichen Angaben, die mangels Erscheinens des Klägers in der mündlichen Verhandlung auch nicht aufgeklärt werden konnten. So hat der Kläger schon versucht als Minderjähriger und mit falschem Namen einzureisen. Des Weiteren gab der Kläger einerseits an (vgl. Blatt 72 der Bundesamtsakte) bis zu seiner Ausreise zusammen mit seinem Bruder bei seiner Mutter gelebt zu haben, während er andererseits beim Jugendamt (vgl. Blatt 88 der Bundesamtsakte) erklärte, zur Mutter habe kein Kontakt bestanden. Weiter gab der Kläger an, die Geschwister hätten bei der Mutter gelebt. Die Mutter habe wieder geheiratet. Es habe Konflikte mit dem Stiefvater gegeben. An anderer Stelle erklärte der Kläger demgegenüber, er habe wegen zu wenig Freiheit nicht weiter beim Onkel leben wollen (vgl. Blatt 88 der Bundesamtsakte). Widersprüchlich sind weiter die jeweiligen Angaben zu Zeitpunkt und Aufenthalten währen seiner Reise. Beim Jugendamt in Stuttgart brachte er vor, er sei in Italien angekommen und habe in Sardinien auf der Straße gelebt und von dort sei er nach Frankreich. Er habe sich dort zwei Wochen aufgehalten und sei dann nach Deutschland (vgl. Blatt 88 und 89 der Bundesamtsakte). Dem widersprechend gab er beim Bundesamt an, in Italien einen Monat in Mailand gewesen zu sein. Danach ein bis eineinhalb Monate in Frankreich in Marseille. Anschließend sei er zwei Monate in Spanien gewesen. Dann sei er wieder zurück nach Marseille in Frankreich (vgl. Blatt 66 und 67 der Bundesamtsakte sowie Blatt 73 der Bundesamtsakte – wobei auch die letzten Daten nicht ganz stimmig sind).
Aber selbst wenn man die Angaben des Klägers bei der Beurteilung zugrunde legt, hat das Bundesamt für … schon zutreffend ausgeführt, dass dem Kläger selbst bei einer eventuellen Strafverfolgung durch staatliche Stellen jedenfalls keine politische Verfolgung droht. Denn vorliegend ist nicht ersichtlich, dass in der Person des Klägers bei einer eventuellen Strafverfolgung Anhaltspunkte für einen Malus aus politischen Gründen vorlägen (kein Politmalus). Der Kläger würde im Prinzip nicht anders bestraft, als andere algerische Straftäter bzw. Straftäterinnen in vergleichbarer Lage.
Weiter ist auch nicht anzunehmen, dass dem Kläger sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen seines Auslandsaufenthalts oder seiner Asylantragstellung in Deutschland (VG Stuttgart, U.v. 27.1.2015 – A 5 K 4824/13 – juris). Eine betreffende Strafverfolgung verfolgt jedenfalls keine asylerhebliche Zielsetzung, selbst wenn eine illegale Ausreise, also ein Verlassen des Landes ohne gültige Papiere, mit einer Bewährungsstrafe oder einer Geldstrafe geahndet werden kann (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 4.4.2018, Stand: Februar 2018, S. 22). Zudem ist zweifelhaft, ob das Gesetz in der Praxis auch angewendet wird, da die algerischen Behörden erklärt haben, dass Gesetz solle nur abschreckende Wirkung entfalten (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S. 27). Aber selbst eine drohende Bestrafung wäre weder flüchtlings- noch sonst schutzrelevant.
Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung drohen könnte, und die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung einer Abschiebung nicht entgegenstehen (§ 60 Abs. 6 AufenthG).
Schließlich droht dem Kläger bei einer eventuellen Rückkehr nach Algerien auch keine Verfolgung bzw. ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seitens Dritter – konkret den Brüdern seiner Cousine wegen dem von ihm behaupteten außerehelichen Beziehung zu ihr -, weil er insoweit zum einen gehalten ist, sich an die staatlichen Stellen zu wenden, um um Schutz nachzusuchen, und weil zum anderen für ihn eine zumutbare inländische Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative besteht (vgl. § 3e AsylG). Abgesehen davon ist schon fraglich, ob seitens der Brüder seiner Cousine nach seiner Ausreise überhaupt (noch) ein Interesse besteht, gegen den Kläger tatsächlich gewaltsam vorzugehen. Jedenfalls besteht für den Kläger in Algerien eine zumutbare inländische Aufenthaltsalternative, wenn er sich in einen anderen Teil des Landes, insbesondere in einer anderen Großstadt Algeriens niederlässt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der demokratischen Volksrepublik Algerien vom 4.4.2018, Stand: Februar 2018, S. 17). Der Kläger muss sich auf interne Schutzmöglichkeiten in seinem Herkunftsland verweisen lassen. Das Auswärtige Amt sieht selbst für den Fall der Bedrohung durch islamistische Terroristen in den größeren Städten Algeriens ein wirksames (wenn gleich nicht vollkommenes) Mittel, um einer Verfolgung zu entgehen. Es ist nicht erkennbar, dass die Brüder der Cousine den Kläger ohne weiteres auffinden können sollten, wenn er seinen ursprünglichen Heimatort meidet und in andere Großstädte geht. Angesichts der Größe Algeriens und der Größe der dortigen Städte, hält es das Gericht nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger fürchten müsste, von den Brüdern der Cousine entdeckt und gefährdet zu werden. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass bei gewalttätigen Übergriffen nicht doch die Polizei schutzbereit und schutzfähig wäre, wenn auch ein absoluter Schutz naturgemäß nicht gewährleistet werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2018 – 15 ZB 18.32711 – juris; VG Minden, U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris; Saarl. OVG, B.v. 4.2.2016 – 2 A 48/15 – juris).
Das Gericht hat des Weiteren keine durchgreifenden Zweifel, dass dem Kläger im Anschluss an seiner Rückkehr die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Dem Kläger ist es zuzumuten, sich eine Arbeit zu suchen, bzw. es besteht die Möglichkeit der Unterstützung von noch in Algerien lebenden Familienmitgliedern, so dass er sich jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der wirtschaftlichen und sozialen Lage Algeriens, wie auch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat. In Algerien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 4.4.2018, Stand: Februar 2018, S. 21 ff., BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S. 24 ff.). Der Kläger ist noch jung und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Algerien noch lebenden (Groß-)Familie zurückzugreifen. Letztlich ist dem Kläger eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse seines Heimatstaates möglich und zumutbar (ebenso BVerwG, U.v. 27.3.2018 – 1 A 5/17 – juris; VG Minden, U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris).
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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