Verwaltungsrecht

Keine Anerkennung als Asylberechtigter – Keine Gefahr für Leib und Leben aufgrund einer Diabetes-Erkrankung

Aktenzeichen  Au 3 K 17.34560

Datum:
20.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9518
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3c Nr. 3
EMRK Art. 3
AsylG § 3, § 3a, § 3e, § 4
AufenthG § 11 Abs. 3 S. 2, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da bei einer Rückkehr nach Pakistan jedenfalls, insbesondere in den größeren Städten, eine zumutbare interne Fluchtalternative iSd § 3e AsylG zur Verfügung steht. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Erkrankung des Klägers an Diabetes mellitus begründet kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG, da diese nicht den hohen gesetzlichen Anforderungen an die Berücksichtigungsfähigkeit gesundheitlicher Einwendungen entspricht. Die Zuckererkrankung ist in Pakistan ausreichend behandelbar. (Rn. 26 – 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angegriffene Bescheid vom 9. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).
1. Eine Anerkennung als Asylberechtigter scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat in das Bundesgebiet eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 GG).
2. Es besteht kein Anspruch auf die Anerkennung als Flüchtling.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Es ist Sache des Betroffenen, die tatsächlichen Umstände, die seine Furcht vor Verfolgung rechtfertigen sollen, in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wobei in der Regel eine Glaubhaftmachung ausreicht. Voraussetzung hierfür ist allerdings ein detaillierter und in sich stimmiger Sachvortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist der Einzelrichter davon überzeugt, dass der Kläger sein Heimatland nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung im o.g. Sinne verlassen hat. Denn die Angaben des Klägers sind nicht geeignet, die Annahme einer vor ihrer Ausreise tatsächlich erlittenen oder unmittelbar drohenden flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung zu rechtfertigen. Der Kläger hat darüber hinaus auch bei einer Rückkehr nach Pakistan eine solche Verfolgung nicht zu erwarten.
Der Vortrag des Klägers ist unglaubhaft. Der Vortrag des Klägers zu den Hintergründen des Konflikts zwischen ihm und dem Bürgermeister bleibt völlig detailarm und erschöpft sich trotz mehrmaliger Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung auf die pauschale und substanzlose Angabe, es habe einen Streit um Wählerstimmen gegeben, ohne irgendwie näher zu bezeichnen, worin der Streit eigentlich bestand.
Selbst dann, wenn der klägerische Sachvortrag insgesamt als zutreffend angesehen würde, wäre eine vom Kläger in Pakistan erlittene oder zum Zeitpunkt seiner Ausreise unmittelbar drohende flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG nicht zu bejahen. Denn es ist nicht erkennbar, dass die vermeintlichen Repressionen, die vom Bürgermeister seines Heimartortes ausgegangen seien, derart schwerwiegend wären, dass sie eine im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG hinreichend gravierende Menschenrechtsverletzung darstellten. Nach den eigenen Angaben des Klägers hat der Bürgermeister lediglich durch üble Nachrede dafür gesorgt, dass der Kläger Kunden verloren hat. Im Übrigen sei nur einmal aus seinem Laden gestohlen worden. Dass der Bürgermeister hierfür als Verantwortlicher in Betracht kommt, ist nicht nachgewiesen.
Selbst wenn man den Vortrag des Klägers als wahr unterstellen würde, stand und stünde dem Kläger in seinem Herkunftsstaat vor seiner Ausreise und auch derzeit (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) bei einer Rückkehr nach Pakistan jedenfalls eine die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausschließende zumutbare interne Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG zur Verfügung.
Der Kläger kann in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit i.S.v. § 3e AsylG finden. In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 20.10.2017, S. 20 – Nr. II.4). Dies ist nicht zuletzt dadurch bedingt, dass in Pakistan kein funktionierendes Meldewesen existiert, so dass die Übersiedlung in einen anderen Landesteil die Möglichkeit bietet, unerkannt und unbehelligt zu bleiben. Angesichts der hohen Bevölkerungszahl in Pakistan und mehrerer Millionenstädte landesweit ist nicht ersichtlich, dass eventuelle den Kläger bedrohende Personen die Möglichkeit hätten, diesen auch in einer anderen Provinz und/oder landesweit ausfindig zu machen und zu verfolgen.
In den Großstädten und in anderen Landesteilen Pakistans kann der Kläger als erwachsener Mann auch ein ausreichendes Einkommen finden. Zwar ist das Leben in den Großstädten teuer, allerdings haben viele Menschen kleine Geschäfte oder Kleinstunternehmen. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis (vgl. z.B. VG Regensburg, U.v. 10.12.2013 – RN 3 K 13.30374 – juris). Es kann somit vom Kläger erwartet werden, dass er sich in einem dieser Landesteile niederlässt (vgl. z.B. VG München, U.v. 19.5.2016 – M 23 K 14.31198 – juris; VG Augsburg, U.v. 30.3.2015 – Au 3 K 14.30437 – juris; VG Regensburg, U.v. 9.1.2015 – RN 3 K 14.30674 – juris; jeweils m.w.N.). Der Kläger hat nach eigenen Angaben vor seiner Ausreise seinen Lebensunterhalt erfolgreich als Ladeninhaber verdient. Trotz seines Alters ist nicht ersichtlich, weshalb ihm dies bei einer Rückkehr nicht erneut gelingen sollte. Überdies steht ihm der gleiche familiäre Rückhalt seiner verheirateten Tochter zur Verfügung, den auch schon seine Frau und seine Mutter in Anspruch genommen haben.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 2 AufenthG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Pakistan ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht. Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist auch im Zusammenhang mit der Erkrankung des Klägers an Diabetes mellitus nicht zu erkennen. In enger Orientierung an Art. 3 EMRK und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EGMR besteht in Fällen, in denen nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragsstaates für die Zufügung des Leides betroffen ist, eine hohe Schwelle. Nur in besonders außergewöhnlichen Fällen können danach schlechte humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Aufenthaltsbeendigung zwingend sind (EGMR, Urteil der Großen Kammer v. 27.5.2008 – 26565/05 – N./Vereinigtes Königreich, NVwZ 2008, 1334). Solche Umstände sind hier weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Kläger selbst hat nicht behauptet, wegen seiner Zuckerkrankheit ausgereist zu sein. Vielmehr wurde er auch nach seinen Angaben in Pakistan medikamentös behandelt. Wie sogleich unter 4) dargelegt werden wird, kann diese Krankheit in Pakistan auch tatsächlich behandelt werden (VG Freiburg, U.v. 24.2.2016 – 6 K 2938/14 – juris Rn. 14).
4. Weiter besteht auch ein Anspruch auf Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht. Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen, die sich auch der Einzelrichter zu Eigen macht (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die Erkrankung des Klägers an Diabetes mellitus kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG begründet. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht (Satz 1 der Vorschrift). Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (Satz 2 der Vorschrift). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (Satz 3 der Vorschrift). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (Satz 4 der Vorschrift). Gefahren nach Satz 1 der Vorschrift, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Satz 5 der Vorschrift).
Die Erkrankung des Klägers entspricht nicht den genannten hohen gesetzlichen Anforderungen an die Berücksichtigungsfähigkeit gesundheitlicher Einwendungen. Die Zuckererkrankung ist in Pakistan ausreichend behandelbar (VG Freiburg, U.v. 24.2.2016 – A 6 K 2938/14 – juris Rn. 19 ff.; VG München, U.v. 21.9.2017 – 1 K 16.35663 – juris Rn. 18).
Wie das VG Freiburg a.a.O. unter ausführlicher Sichtung der einschlägigen Erkenntnisquellen und auch der Rechtsprechung ausführt, lag die Zahl der an Zucker Erkrankten in Pakistan in den Jahren 2010 und 2011 bei mindestens 10 Prozent der Bevölkerung, was bei einer Bevölkerungsgröße von ca. 200 Millionen Menschen zu einer im Millionenbereich liegenden Zahl von Zuckerkranken in Pakistan führt. Es wird weltweit allgemein und ferner speziell für Pakistan von einer Zunahme der Erkrankung ausgegangen. Damit handelt es sich bei der Zuckerkrankheit in Pakistan um keine den Kläger individuell treffende Situation, sondern um eine Lage, die eine ganze Bevölkerungsgruppe betrifft (VG Freiburg a.a.O. Rn. 18 und 19) und deshalb nur nach Maßgabe des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden darf. Eine Ausnahme für den extremen Fall, dass die Abschiebung für den Kläger „gleichsam sehenden Auges“ den sicheren Tod oder schwerste Verletzungen bedeuten würde, ist bei der Behandlungslage in Pakistan, die als ausreichend anzusehen ist (vgl. ausführlich VG Freiburg a.a.O. Rn. 19 ff.), bei weitem nicht gegeben.
5. Die Entscheidung des Bundesamts, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, weist keine Rechtsfehler auf. Die Länge der Frist liegt im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Dass insoweit besondere Umstände vorlägen, die eine Verkürzung der Frist als zwingend erscheinen ließen, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.
II.
Der Ausspruch über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen