Verwaltungsrecht

Keine ernstlichen Zweifel an Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung nach Nigeria

Aktenzeichen  M 21 S 17.42430

Datum:
13.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2479
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3e, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 1, § 36 Abs. 4 S. 1
GG Art. 16a Abs. 4 S. 1, S. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

In Nigeria konzentriert sich der Boko Haram-Konflikt auf den Nordosten des Landes. Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, insbesondere Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Landesteil auszuweichen. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, der bislang weder Personalpapiere noch andere Identitätsnachweise seines Herkunftslands vorlegte, ist nach eigenen Angaben ein lediger, in Lagos geborener Staatsangehöriger der Bundesrepublik Nigeria christlichen Glaubens.
Er stellte am 23. August 2016 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (kurz: Bundesamt) in München einen Asylantrag.
Zur Niederschrift über seine Anhörung bei der Außenstelle des Bundesamts in München am 4. Oktober 2016 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, sich bis zur Ausreise in Lagos aufgehalten zu haben. Sein Heimatland habe er am 26. August 2016 verlassen und er sei am 28. August 2016 in das Bundesgebiet eingereist. Seine Eltern seien im Februar 2016 durch einen Bombenanschlag in Maiduguri ums Leben gekommen. Er habe noch zwei Brüder in Nigeria. Er habe die Schule regulär beendet und Teilzeit als Hilfsarbeiter bei einem Getränkehersteller gearbeitet. Nigeria habe er verlassen, weil er nach dem Tod seiner Eltern kein Zuhause mehr gehabt habe. In Lagos habe er bei seinem Onkel gelebt. Nach dem Tod der Eltern habe dieser sich aber verändert. Der Antragsteller sei dann mit seinem Bruder zu ihrer Großmutter gegangen. Eine Woche nachdem sie dieser vom Tod der Eltern berichtet hätten, sei es ihr schlechter gegangen und sie sei gestorben. Der Onkel des Antragstellers habe sie dann nicht mehr in seinem Haus haben wollen, wahrscheinlich weil die Eltern kein Geld mehr hätten senden können. Ein Priester habe ihn in der Kirche St. Michaels aufgenommen und der Antragsteller habe sich der katholischen Kirche angeschlossen. Der Priester habe ihm ein Visum besorgt und den Flug arrangiert. Auf die Frage, was er bei einer Rückkehr nach Nigeria befürchte, antwortete der Antragsteller, er habe dort mit niemandem Probleme. An den Ort, wo seine Eltern gelebt hätten, könne er nicht zurück, da dort jederzeit eine Bombe explodieren könne. Seine Arbeit sei sehr schlecht bezahlt. Ohne die Unterstützung des Onkels könne er sich keine Unterkunft leisten. Ernsthafte gesundheitliche Probleme habe der Antragsteller nicht. Er sei mit seinem Bruder Chinoso Eze (AZR-Nr. 160801060815) gekommen.
Mit Bescheid vom 16. Mai 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.), auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) und auf subsidiären Schutz (Ziffer 3.) als offensichtlich unbegründet ab, verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Ziffer 4.) und drohte ihm mit einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung nach Nigeria an (Ziffer 5.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, aus dem Vorbringen sei offensichtlich weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung, noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Der Wunsch nach einem „besseren Leben“ in der Bundesrepublik Deutschland sei menschlich nachvollziehbar, asylrechtlich jedoch unbeachtlich. Dem Antragsteller drohe ebenfalls offensichtlich kein ernsthafter Schaden. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller nicht imstande sein werde, sich bei einer Rückkehr eine existenzsichernde Grundlage zu schaffen. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG.
Am 26. Mai 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben und beantragen, den Bundesamtsbescheid vom 17. Mai (richtig: 16. Mai) 2017 in Ziffern 1 und 3 bis 6 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihm subsidiären Schutz zu gewähren, weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Über die Klage (M 21 K 17.42428) ist noch nicht entschieden.
Am 26. Mai 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München zugleich beantragen,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen.
Zur Klage- und Antragsbegründung wurde durch Schriftsatz vom 26. Mai 2017 im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller sei in Maiduguri als Muslim geboren und habe dort mit seiner Familie bis zum Jahr 2016 gelebt. Wo der älteste und der jüngere Bruder des Antragstellers seien, wisse dieser nicht. Der Antragsteller habe nicht weiter unter der Willkürherrschaft von Boko Haram Leben wollen und habe sich deshalb mit seinem älteren Bruder entschlossen, nach Lagos zu einem Onkel zu gehen. Jedenfalls sei der Asylantrag nicht offensichtlich unbegründet. Der Antragsteller habe versucht, eine innerstaatliche Schutzalternative in Lagos zu finden. Ein Überleben auf der Straße sei aber auch dort dauerhaft nicht möglich. Der Antragsteller habe Nigeria nicht aus wirtschaftlichen, sondern wegen der Schreckensherrschaft von Boko Haram verlassen. Es sei ihm nicht zumutbar, sich in Nigeria an irgendeinem Ort niederzulassen. Bei einer Rückkehr drohe ihm die totale Verelendung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten zu Eil- und Klageverfahren und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Eilantrag ist unbegründet.
Gemäß Art. 16a Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 GG wird die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen insbesondere in Fällen, die offensichtlich unbegründet sind, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen. Im Anschluss an Art. 16a Abs. 4 Satz 2 GG bestimmt § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, dass die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (Art. 16a Abs. 4 Satz 2 GG, § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). „Ernstliche Zweifel“ im Sinne des Art. 16a Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 GG liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99).
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamts, dass dem Antragsteller kein subsidiärer Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen ist und dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht bestehen, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung in § 36 AsylG nicht unmittelbar zu entnehmen, dafür sprechen jedoch § 34 Abs. 1 AsylG und Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, B.v. 17.7.1996 – 2 BvR 1291/96 – juris Rn. 3).
Gemessen an diesen Maßstäben bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen, an die Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) anknüpfenden Abschiebungsandrohung.
Ernstliche Zweifel bestehen insbesondere nicht an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet und an der Rechtmäßigkeit der Verneinung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Zur näheren Begründung wird zunächst auf die Gründe des angefochtenen Bundesamtsbescheids Bezug genommen (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist Folgendes auszuführen.
Infolge der geltend gemachten Gefahr durch Boko Haram droht dem Antragsteller schon kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG. Zudem muss er sich jedenfalls hinreichend gesichert auf internen Schutz in Nigeria verweisen lassen (§§ 3e, 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Im Einzelnen:
Auch nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts zur Bundesrepublik Nigeria (Stand: September 2017) (kurz: Lagebericht 2017) gibt es dort keine klassischen Bürgerkriegsgebiete und Bürgerkriegsparteien (Lagebericht 2017, S. 19). Der Boko Haram-Konflikt konzentriert sich auf den Nordosten Nigerias. Dort und im Zentrum hat sich die Sicherheitslage insgesamt verbessert. Die nigerianischen Streitkräfte haben den Großteil der von Boko Haram eingenommenen Territorien wieder zurückerobern können. Allerdings gelingt es ihnen kaum, diese Gebiete zu sichern. In den ländlichen Teilen des Bundesstaats Borno kommt es weiterhin zu tödlichen Anschlägen der Islamisten. Nur die Distriktzentren gelten dort als sicher. Auch Maiduguri, die Hauptstadt von Borno, ist wiederholt von Bombenanschlägen und erstmalig seit letzter Zeit auch wieder von einem bewaffneten Angriff erschüttert worden (vgl. zu all dem Lagebericht 2017, S.10).
Selbst wenn man annähme, dass von Boko Haram im Bundesstaat Borno willkürliche Gewalt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgeht, bietet die dargelegte Auskunftslage jedenfalls keine tragfähige Basis für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson wie den Antragsteller, der letztlich keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 18) geltend machen kann. Seine Konversion zum Christentum hat er ohne jegliche Substanz lediglich behauptet. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 19 m.w.N.).
Daher kann eine erhebliche individuelle Gefahr für eine Zivilperson wie den Antragsteller grundsätzlich nur dann angenommen werden, wenn die in Nigeria drohenden allgemeinen Gefahren eine derart hohe Dichte bzw. einen derart hohen Grad aufweisen, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt muss sich dabei zwar nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der erforderlichen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Asylbewerbers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. zu all dem nur BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – juris Rn. 17 m.w.N; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Daran gemessen ist auf Basis der aktuellen Auskunftslage zur Bundesrepublik Nigeria und angesichts der Anforderungen der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. nur BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22 ff.) jedoch auch für den Bundesstaat Borno – für das übrige Staatsgebiet Nigerias kommt eine solche Annahme nach der Auskunftslage von vorneherein nicht in Betracht – eine für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichende Gefahrendichte zu verneinen. Der aktuelle Lagebericht bietet insbesondere keine tragfähigen Anhaltspunkte für ein dortiges Verletzungs- oder Tötungsrisiko für Zivilpersonen in der maßgeblichen Größenordnung.
Zudem muss sich der Antragsteller jedenfalls hinreichend gesichert auf internen Schutz in Nigeria verweisen lassen (§§ 3e, 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
Es ist bereits dargelegt worden, dass ich der Boko Haram-Konflikt auf den Nordosten Nigerias konzentriert. Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, insbesondere Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Dies kann allerdings ausnahmsweise mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, in dem keine Mitglieder ihrer Familie bzw. erweiterten Verwandtschaft oder der Dorfgemeinschaft leben (vgl. zu all dem Lagebericht 2017, S. 18).
Einen solchen, engen Ausnahmefall kann der Antragsteller nicht für sich in Anspruch nehmen. Er hat als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann nicht zuletzt durch seine Reise nach Europa bewiesen, dass er sich in einer für ihn unbekannten Umgebung behaupten kann. Somit ist er jedenfalls auf einen Umzug in einen anderen Landesteil als den Bundesstaat Borno zu verweisen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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